Das Internet hat Mittagspause

Nonno Walter, der Zieh-Opa vom Römer, ist sehr modern. Mit seinen 70 Jahren spricht auch nichts dagegen. Begeistert und oft nutzt er das Internet. Mit zwei Fingern, mühsam tippend, sucht er Themen wie „Wie werden die Tomaten größer als die des Nachbarn“, „Wie viele Einwohner hatte mein Wohnort im Jahr 2018“ und „Um wie viel Uhr tritt mein Lieblingskünstler an ferragosta (15.08.) auf“.

Am Anfang war es nicht leicht ihn vom Internet zu überzeugen. Der Römer erinnert sich noch sehr gut an den Tag, an dem er versuchte Nonno Walter von den Vorzügen des Internets zu erzählen. „Ma che dici?? [Aber was sagst du da?] Das setzt sich nicht durch. È una cazzata. [Das ist eine Spinnerei]“ gab er zurück und verzog sich in sein kühles Arbeitszimmer im Souterrain des Hauses.

Doch über die Jahre sah selbst Nonno Walter ein, dass das Internet auch seine Vorteile hat. Als sogar sein bester Freund Pepino stolz erklärte wie er letztens mit seiner Enkelin im Internet „rumkurvte“ – wie er es nannte – wurde Nonno Walter neugierig – und eifersüchtig. „Senti, mi potresti far vedere come funziona internet?“ [Hör mal, könntest du mir zeigen wie das Internet funktioniert?] fragte er den Römer als wir Nonno Walter letztes Jahr besuchten.

Der Römer war sichtlich irritiert, guckte Nonno Walter komplett entgeistert an, dann hilfesuchend zu mir und wieder zu Nonno Walter. „Eh… si. Non è così difficile.“ [Äh… ja. Das ist nicht so schwer]

Fortan hatten sie jeden Abend einen Termin. Auf der großen, apulischen Veranda sitzend, mussten sie sich erst einmal mit der grundlegenden Computerlehre beschäftigen. Als das nicht fruchtete, versuchte der Römer es mit einem Tablet PC. Das wiederum klappte deutlich besser, denn Nonno Walter scheiterte schon am Doppelklick. Nach einer Woche fuhren sie nach Lecce und kauften dort ein Tablet für Nonno Walter.

Jetzt begann die Königsdisziplin: Das sichere Surfen im Internet. Selbst in den lauen, apulischen Sommernächten brachte diese Thematik Nonno Walter zum Schwitzen. Nicht nur einmal kam es zu einem lautstarken Konflikt zwischen dem Römer und Nonno Walter. Doch am Ende gelang es Nonno Walter zielsicher durch’s Internet zu surfen. Italienische Zeitungen hatte er bei den Favoriten abgespeichert, das Wetter kontrollierte er gewissenhaft und er war bei einigen italienischen Kochseiten Dauergast. Alles in allem funktionierte es wunderbar.

Nach zwei Wochen rief Marco an. Marco lebt mit seiner Mutter, der Tochter von Nonno Walter, mit eben diesem zusammen. Marco ist ein junger, gewitzter Teenager, der immer neue Ideen und Einfälle hat. Er beschwerte sich: „Non lo faccio più!! [Ich halte es nicht mehr aus!!]“ beschwerte er sich lautstark beim Römer. „Ständig ist das Internet mittags ausgeschaltet seitdem du Nonno Walter gezeigt hast wie das Internet funktioniert.“ stöhnte er entnervt. „Ma perché? Che senso fa?“ [Aber warum? Was soll das für einen Sinn ergeben] fragte der Römer. „Keine Ahnung! Wenn Nonno Walter sein Mittagsschläfchen macht, dann schaltete er das Internet aus. Seit Wochen!!“ lamentierte Marco.

Der Römer versprach der Sache auf den Grund zu gehen. Am späten Nachmittag rief er bei Nonno Walter an und nach anfänglichem Smalltalk und Fragen zu den Tomaten, konfrontierte der Römer Nonno Walter mit seiner Frage. Er rechnete damit, dass er etwas im Fernsehen gesehen hatte, dass die Strahlung schädlich ist und deswegen der WLAN Router ausgeschaltet werden musste, aber mitnichten. Die Erklärung ist eine ganz andere. „Quando riposo io, anche Internet si deve riposare. [Wenn ich mich ausruhen muss, muss das Internet sich auch ausruhen] Es kann doch nicht 24 Stunden am Tag durcharbeiten – ohne Pause. Wie soll das gehen? Es wird kaputt gehen! Also stecke ich es aus. Und dann kann es sich ausruhen und danach wieder frisch in die zweite Tageshälfte starten.“ teilte er dem Römer selbstbewusst mit.

Der Römer versuchte sich sein Lachen zu verkneifen. „Ma senti, nonno, [Hör mal, Opa,] Der Wlan Router braucht keine Pause. Man kann ihn einfach eingesteckt lassen.“ versuchte er zu vermitteln. „No, no!“ protestierte Nonno Walter. „Ich brauche eine Pause, also braucht das Internet auch eine Pause. Ihr jungen Leute arbeitet alle nonstop durch, aber ein Mittagsschläfchen ist Gold wert. Glaub mir, mein Junge!“

Es war nichts zu machen. Der Römer lies sich Marco geben und erklärte es ihm. „Ja, das wusste ich. Aber ich konnte es nicht glauben! Das ist doch total blöd.“ antwortete er geknickt. „Es sind doch nur zwei Stunden am Tag. Du kannst es auch heimlich ein- und dann wieder ausstecken.“ versuchte der Römer zu schlichten. „Hab‘ ich schon versucht. Er hat mich dabei erwischt.“ gab Marco kleinlaut zurück. „Na dann kann man nichts machen. Scusa, Marco.“ erwiderte der Römer.

Marco begann damit zu leben. Und vielleicht tut diese Internetpause (es ist ja nur WLAN – seine mobilen Daten reizt er sicher bis zum letzten Gigabyte aus) auch Marco ganz gut.

Ein Tablet kann man auch für als Tablett nutzen

Die Gastronomie ist nicht für jedermann

Was würde man wohl eher bevorzugen, wenn man keine andere Wahl hätte? Ein Café mit schlechtem Service, aber guten Produkten oder ein Café mit gutem Service, aber schlechten Produkten?

Es gibt ein Café in unserer Stadt, das tolle, qualitativ hochwertige Produkte hat. Ich lernte es vor drei Jahren kennen und lieben. Der Service war flott, freundlich und charmant. Jede Woche ging ich gerne hin und freute mich auf „mein Café“. Denn irgendwann wird aus einem Café das eigene Wohnzimmer, in dem man sich wohl und – soweit würde ich gehen – geborgen fühlt.

Doch irgendwann verschlechterte sich der Service. Nicht nur ein bisschen, sondern eklatant. Ständig gab es neue Servicekräfte und ständig schien einer lustloser als der andere. Es schien als würden sie einem einen Gefallen tun, wenn sie einen halbherzig bedienten.

Da ich das Café nicht aufgeben will, weil ich wirklich, wirklich überzeugt war, gehe ich alle 4-5 Monate hin und versuche auf’s Neue mein Glück.

Was soll ich sagen? Es war wie immer. Schlechter, lustloser Service. Gute Produkte. Der Andere, der mich begleitete, raunte mir zu: „Ich ahne schon wieder wo das hinführt.“ als wir nicht zurück gegrüßt worden sind beim Reinkommen. Wir wurden ignoriert. Frei übersetzt heißt das: „Sie sind nicht willkommen hier.“

Vielleicht schulde ich euch/Ihnen eine kurze Erklärung. Der Andere und ich lernten uns in der Luftfahrtbranche kennen, in der wir immer noch tätig sind. Der Andere, ein Service Genie, ging bald darauf auf eigenen Wunsch in die erste Klasse und lieferte einen tollen Service ab. Er war flink, charmant, las jeden Wunsch von den Augen ab und lies jeden Gast spüren, dass er mehr als willkommen ist. Das selbe tat er sowohl in der Geschäftsklasse als auch in der Touristenklasse. Man sah eindeutig auf welcher Seite des Flugzeuges er arbeitete und auf welcher die mürrische Kollegin arbeitete.

Ich bin keine geborene Servicekraft, wandte aber die Regeln an, die ich selber in einem Restaurant für richtig und wichtig erachte. Dazu gehört: Ich möchte mich willkommen fühlen und zwar von Anfang bis Ende. Meine Fragen sollten höflich und kompetent aufgenommen und beantwortet werden. Leere Teller, vor denen ich mehr als fünf Minuten sitzen muss, machen mich nicht glücklich. Ich möchte kein leeres Glas haben: Entweder es wird abgeräumt, weil ich keinen Durst mehr habe oder es wird mir aufgefüllt. Es ist gar kein Problem, wenn etwas nicht vorrätig ist oder daneben geht. Darüber kann man hinweg sehen, wenn man charmant und freundlich bedient wurde und wird.

Es ist auch nicht jeder für den Service geboren. Ich würde durchaus behaupten, dass es eine Kunst ist. Das merkt man auch, wenn man in der Schweiz ist. Das kleine Nachbarland ist uns Lichtjahre voraus, wenn es um exzellenten Service geht. Nie war ein Service charmanter, diskreter, weder aufdringlich, noch nachlässig. Man kannte seine Produkte, man begleitete das Essen mit allergrößtem Engagement und Motivation. Man fühlte sich willkommen – vom ersten Moment der Erscheinens bis zum letzten Moment des Verabschiedens. Man war in erster Linie Gast und in zweiter Linie zahlender Kunde.

Selbst wenn das Produkt an einem Tag nicht optimal ist, kann man darüber hinwegsehen. Man merkt es an, es wird höflich entgegen genommen und versucht, das Problem zu beheben und dem Gast einen schönen Abend zu bereiten. Denn der Gast wird sich an das Beschwerdemanagement weitaus besser erinnern als an die versalzene Suppe. Und so gewinnt man Stammkunden. Warum sollte ich an einem Ort mein Geld lassen, an dem ich nicht willkommen bin?

Ein herzlicher (und nicht halbherziger) Service zeichnet wahre Gastfreundschaft aus. Und darum geht’s doch bei jedem Job: Mit Herzblut dabei zu sein. Auch bei einem Studentenjob. Denn es gibt sicher noch unzählige, andere Ideen wie man Geld verdienen kann. Es muss nicht immer der Job im Café oder im Restaurant sein.

Ramen Nudelsuppe in Nagano, Japan. Der Service war – wie in Japan üblich – erstklassig.

Zeit zu verschenken

Das Zeitgefühl eines jeden Menschen variiert. Wie variabel es jedoch sein kann, erfuhr ich allerdings erst mit dem Römer. „Ich bin nur schnell fünf Minuten im Bad.“ sagte der Römer und schlängelte sich an mir vorbei. Unter dem Arm eine bekannte, italienische Tageszeitung. Da hätte ich schon skeptisch werden sollen. Wurde ich aber nicht. Stattdessen dachte ich, halb zurecht gemacht im Hausflur: „Na gut. Was muss, das muss! Fünf Minuten sind fünf Minuten.“

Wie falsch ich doch damit liegen sollte. Er meinte keine deutschen fünf Minuten. Er meinte italienische fünf Minuten. Nach 15 Minuten klopfte ich. „Scusa, amore! Ma devo uscire. [Entschuldige, Liebling! Aber ich muss aus dem Haus]“ sagte ich zaghaft. „Si, si, un attimo.“ [Ja, ja, einen Moment.] kam zurück. „Ein Moment ist ein Moment. Also maximal eine Minute.“ Wie man sich nur zweimal innerhalb so kurzer Zeit täuschen kann, ist selbst mir ein Rätsel.

Nach einem weiteren Moment hörte ich ihn wie er die Zeitung umblätterte.

Besser spät als nie: Meine Skepsis war geweckt. Ich wartete drei Anstandsminuten und klopfte wieder. „Senti, [Hör mal] mit einem Moment meintest du einen italienischen Moment oder einen deutschen?“ fragte ich ihn mittlerweile leicht knurrend.

„Die Definition von Moment ist doch überall gleich.“ antwortete er gelangweilt und blätterte anscheinend wieder um.

„Ein Moment inkludiert im Deutschen nicht das 20-minütige Zeitung lesen im Bad während ich in fünf (!) echten, deutschen Minuten aus dem Haus muss. Ein Moment„, fuhr ich weiter fort, „ist ein kurzer Augenblick. Eine geringe Zeitspanne. Die Zeit, die es braucht, die Aktion, die du gerade ausführst, zu Ende zu bringen und dich dann den angeforderten Belangen zu widmen.“ erklärte ich ihm ausführlich.

„Si, sto per finire.“ [Ja, ich bin gerade dabei fertig zu werden] meckerte er und man hörte wie er die Zeitung beiseite legte.

Ich seufzte und setzte mich ins Wohnzimmer. Ich schrieb dem Anderen: „Es tut mir Leid, es wird etwas später. Rechne mit 10-15 Minuten. Die italienische Zeitangabe geht nicht einher mit meiner deutschen.“

Nach weiteren fünf Minuten kommt der Römer gut gelaunt aus dem Bad. „Also, ich weiß gar nicht, was du hast? Du stehst ja wirklich mit der Stechuhr vor der Tür und achtest haarklein darauf, dass es fünf Minuten sind. Fünf Minuten e‘ solo un detto. [Fünf Minuten sagt man doch nur so] Genau wie „einen Moment, bitte“. Das ist doch nur eine Floskel für „es kann noch dauern„.“

„Im Deutschen nicht!“ setzte ich ihm entgegen, mittlerweile im Bad angekommen und mich zu Ende schminkend. „Siete troppo precisi!“ [Ihr seid viel zu genau], gab der Römer zurück, „Deswegen seid ihr auch so angespannt. Zeit ist doch etwas fließendes, flexibles. Man darf sich auch überhaupt nicht ärgern, wenn jemand zu spät kommt. Er hat sicher seine Gründe. Du setzt dich einfach in ein Café und genießt das Vogelgezwitscher und die Sonne während du wartest. Du hast sozusagen, wartend, einen Moment Zeit geschenkt bekommen, nur für dich, ganz unerwartet. Ist doch toll?“

„So habe ich das noch nie gesehen.“ antwortete ich verdutzt. „Siehst du! Und jetzt hast du einen Moment Zeit geschenkt bekommen von mir und der Andere hat einen Moment Zeit geschenkt bekommen von dir.“ erklärte der Römer.

Mittlerweile fertig zurecht gemacht, nahm ich meine Tasche, zog meine Schuhe an und entgegnete: „Und jetzt bekommst du einen Moment Zeit geschenkt von mir. Nur du und der Abwasch. Genieß es, amore mio. A dopo! [Bis später]“

Zurück ließ ich einen verdutzten Römer. Zeit zu verschenken klappt gamz hervorragend.

Etwas Zeit in Vancouver – an der Dampfuhr.

Ach Antonio!

Der Römer schreibt ungern seine Deutschprüfung in Deutschland.

„Zu schwer.“ sagt er und weicht auf seine liebste italienische Stadt aus. Dort sei es um ein Vielfaches einfacher. Ich bezweifle das zwar, aber wenn er sich dort sicherer fühlt, dann soll er sie dort schreiben.

Der Sohn seiner Schwester, Antonio, wohnt dort. Zur Prüfungsanmeldung läuft es meist so, dass der Römer eine Email mit der Anmeldung hinschickt und Tonio, wie wir ihn nennen, dort vorbeigeht und zahlt. Das klappte bis jetzt in zwei von zwei Fällen ganz wunderbar. 100% Erfolgsquote sozusagen.

Doch sollte es nicht so bleiben.

Für Juli bereiten wir uns seit Wochen auf die „alte“ Deutschprüfung vor. Seit 01.01. gibt es zwar auch eine neue Version, diese ist allerdings noch nicht in allen Prüfungszentren weltweit angekommen. Final wird am 01.08. in allen Prüfungszentren auf das neue Modell umgestellt.

Tonio hatte sechs Wochen Zeit die Prüfungsgebühr persönlich vorbeizubringen und ihn somit für die Prüfung einzuschreiben. Aber er war beschäftigt mit „la ragazza“ [seiner Freundin], cenare con gli amici [essen gehen mit Freunden], lavorare [arbeiten] und andare al mare perché fa caldo [ans Meer fahren, weil es heiß ist]. So verging Woche um Woche. Ach das Drohen seines Onkels half nicht, denn er war molto impegnato [sehr beschäftigt].

Mein Verweis, dass die Plätze nicht unbegrenzt verfügbar sind, wurde von beiden abgeschmettert. „Ma cheeee… [Aber was] Natürlich. Das ist das geringste Problem. Es gibt immer freie Plätze.“

Heute war der letzte Tag an dem man sich einschreiben konnte. Ich würde es gerne so ausdrücken: Tonio war da. Der Termin stand. Es gibt nun allerdings keine Plätze mehr. Erst Ende August. Für eine völlig neue Prüfung. (Ich sparte mir mein: „Ich hab’s euch ja gesagt!“ Was hätte es auch geholfen?)

Wir haben also wochenlang umsonst gelernt, denn wir bereiteten uns auf das alte Modell vor. Die Prüfung im August wird aber definitiv im neuen Modell gehalten. Aber es ist wie es ist. Der Römer schrieb wutentbrannt: „Ich möchte meine Familie wechseln!! Warum tut er mir das an?! Ich bin sein Onkel. Und nun lässt er mich so im Stich und will mich am letzten Tag anmelden WOBEI ich ihm noch gesagt habe, dass es keine Plätze mehr geben wird.“

Ich lies den letzten Satz so stehen. Einen verärgerten Römer begegnet man besser nicht mit deutscher Pingeligkeit und verweist darauf, dass ICH die beiden darauf aufmerksam gemacht habe. Und ausgelacht wurde.

Am nächsten Tag rief Tonio kleinlaut an: „Ho trovato un altro posto dove puoi fare l’esame. [Ich habe einen anderen Ort gefunden, wo du die Prüfung ablegen kannst] Er ist nur 550km von Rom entfernt. Ich würde heute Mittag losfahren und dich anmelden, wenn du mir das ok gibst.“

Da war aber jemand sichtlich zerknirscht, wenn er anbietet 550km oneway zu fahren, nur um seinen Onkel anzumelden.

„No, no, tranquillo.“ beruhigte ihn der Römer. „Das neue Modell gefällt mir eh viel besser. Die Aufgaben, die ich gar nicht kann, kommen darin nämlich nicht vor.“

„Vedi, c’é sempre un lato positivo!“ antwortete Tonio. [Siehst du, es gibt immer auch eine positive Seite!]

Blick vom botanischen Garten Roms auf die Stadt

Vielleicht bringt Sylvie Meis meine Schwester zum Umdenken

Turtle will keine Hormontherapie machen. Und wenn, dann nur die halbe. Nicht die ganze.

Turtle will mit der ganzen Sache einfach nichts mehr zu tun haben. Blöderweise bleibt diese Geschichte wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang präsent. Doch sie will das Kapitel ein für alle mal abschließen. Ich kann das nachvollziehen. Wer würde nicht so schnell wie möglich in sein altes Leben zurück wollen? Aber geht das überhaupt nach all den Narben, die der Krebs hinterlassen hat?

Turtles Hormontherapie besteht aus zwei Komponenten: Einer Hormontablette, die sie 10 Jahre lang nehmen soll und einer Hormonspritze, die sie jeden Monat (zwei Jahre lang) verabreicht bekommt. Turtle sieht aber den Sinn hinter der Hormonspritze nicht. „Die Frauenärztin hat gesagt, dass sie das nicht logisch findet. Die hat damals in der Onkologie gearbeitet. Die muss es ja wissen.“ sagte sie.

Ich nickte, wie ich es immer tue um Zeit für einen klugen Satz zu gewinnen, der sie vielleicht doch noch überzeugt.

„Die Frauenärztin ist aber kein Teil deines Ärzteteams im Krankenhaus. Sicherlich macht sie einen tollen Job – da habe ich keine Zweifel. Dennoch kennen deine Ärzte im Krankenhaus deine Ausgangslage besser. Sie wissen ganz genau wie die Entwicklung war. Und das sicher besser als deine Frauenärztin. Du bist in einer Hoch-Risikogruppe, da du unter 35 warst, als der Krebs ausbrach.“

„Ja, ja, ein Risiko gibt’s doch immer. Und wenn’s vorbei ist, ist’s vorbei. Aber ich will nicht mehr. Das Kapitel Krebs ist jetzt geschlossen. Jetzt geht’s zurück in mein vorheriges Leben.“ erwiderte sie trotzig.

Ich überlegte lange. Sehr lange.

Ich schlug ihr einen Kompromiss vor: „Machen wir’s doch einfach so: Du gehst zu dem Beratungsgespräch im Krankenhaus. Dann hörst du dir das an und dann entscheidest du.“

Was ich jedoch wirklich dachte, war folgendes: „Du doofe Kuh! Jetzt bist du so weit gekommen und jetzt, genau JETZT gibst du dich mit 50% der genannten Therapiemöglichkeiten zufrieden? Spinnst du denn komplett? Dann hättest du dir doch gleich alles sparen können! Was ist eigentlich los mit dir?! Ja, du hattest Krebs und ja, sie haben dir die Brust abgenommen. Aber verdammt nochmal, du hast überlebt. Du bist geheilt und jetzt, wo es darum geht, dass du nie wieder diesen doofen, Hormon abhängigen Krebs bekommst, ist dir die Hälfte egal?!? Bist du eigentlich komplett bescheuert?!“

[Kurzer Exkurs: Vor einiger Zeit habe ich Turtle von diesem Artikel über eine junge Frau, Mutter von einer kleinen Tochter, erzählt, die ihren Krebs alternativ heilen wollte und innerhalb von sechs Monaten gestorben ist. Die Heilungschancen auf dem konventionellen Weg sahen sehr gut für sie aus. Diesen wollte sie aber nicht einschlagen.

„Jaaaa, die hat ein Kind. Die ist dazu verpflichtet, dass sie das macht, weil sie Verantwortung hat. Aber bei mir wäre es doch egal? Was habe ich denn?“ antwortete Turtle.

„Na ja, primär bist du für dich, deinen Körper und deine Seele verantwortlich. Dann hast du uns, deinen Partner und deine restliche Familie.“ hielt ich dagegen. „Das zählt ja nicht.“ gab sie zurück. Ich seufzte, müde von ihren immer gleichen Argumenten.]

Wieder gingen einige Tage ins Land. Ich hörte einen Podcast über Sylvie Meis. Sie erzählte über ihren Brustkrebs UND ihre Hormontherapie. Seit 10 Jahren ist sie Brustkrebs frei. Sie könnte eigentlich mit der Hormontherapie aufhören, sie verträgt es aber gut und möchte weitermachen, so sagt sie. Ich schickte meiner Schwester die Podcast Folge.

Sie war sofort Ohr. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sollte dieses Interview sie zum Umdenken bewegen, wäre mir das auch recht. Hauptsache sie denkt um!

Kurzer Zwischenstand

Verzeihen Sie, liebes Publikum, aber wir sind gerade im Endspurt zur -hoffentlich erfolgreichen – Deutschprüfung für den Römer. Gerade kämpfen wir uns durch Leseverstehen. Nächste Woche wird es noch etwas heftiger. Hörverstehen steht auf dem Stundenplan. Aber nachdem der Römer mir die komplette letzte Woche versicherte, dass er keine Lust mehr hat und meine Muttersprache eine dämliche sei, sind wir nun mittlerweile auf dem Stand, dass er Fortschritte macht. Er wird besser und man sieht Erfolge.

Am Dienstag schaffte er von Übung 1 nur 1/5 Punkten. Heute waren wir bei 4/5 und er findet langsam seine Motivation wieder. Unser Ziel ist pro Aufgabenteil mind. 15 Punkte (á 2-4 Aufgaben) – damit hätte er bestanden. 25 Punkte kann man maximal erreichen.

So üben wir also jeden Tag die selbe Aufgabenstruktur mit immer wechselnden Inhalten.

Warum erzähle ich das nun? Nun ja, ich wollte nur berichten, dass ich „mein Tagebuch“ nicht vergessen habe. Ganz im Gegenteil. Ich bin nur etwas eingespannt.

Sobald wir aber dieses Kapitel abgeschlossen haben, bin ich wieder frisch und locker zurück. Vielleicht auch schon eher.

Bis dahin!