Danke Ihnen!

Nach mehrmaligen Überlegen, ob ich Sie duze oder euch sieze, bin ich nun zu dem Entschluss gekommen, euch in meinen Beiträgen zu siezen.

Wissen Sie warum? Weil man mir beigebracht hat, dass man Respektpersonen zu siezen hat. Und Sie haben meinen vollsten Respekt, denn seit einem Jahr lesen Sie bereits auf diesem Blog mit (und viele von Ihnen kenne ich bereits von meinen anderen Blogs).

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich würde auch ohne Sie schreiben. Aber mit Ihnen ist es doch deutlich netter. Sie geben mir neue Ideen, waschen mir verbal den Kopf oder muntern mich auf.

Sie alle haben so wahnsinnig aufregende Lebensgeschichten, auch wenn es auf Sie nicht so wirkt und ich bin froh und dankbar, dass Sie hier sind.

Ich hebe mein Champagnerglas voll alkoholfreiem Spumante (Sie wissen ja, ich trinke keinen Alkohol) und stoße auf Sie und mit Ihnen an. Danke, dass Sie teil von diesem Blog sind.

Stößchen, cin cin, gëzuar und Prost!

P.S.: Ich duze Sie trotzdem in den Kommentaren – keine Sorge!

Mindfulness

Wissen Sie, ich würde gerne etwas über „Mindfulness und Selbstoptimierung“ schreiben, weil man das momentan so macht. Ich hatte schon die genauen Zeilen im Kopf, sie waren wie in Stein gemeiselt als ich Signorino für sein Nachmittagsschläfchen ins Bett brachte. Dann beging ich den Fehler und setzte mich an den Laptop – neben den Römer.

Ich hatte noch nicht einmal das Wort „Mindful“ abgetippt, da fragte er: „Amoooore!“ fragte er. „Magst du auch eine Orange?“

Ich bedankte mich für den lieben Gedanken, schüttelte den Kopf und teilte ihm mit, dass ich jetzt gerne etwas schreiben würde. „Ah! Capisco! Non ti preoccupare. Non ti disturbo più.“ [Ah! Verstehe! Keine Sorge. Ich störe dich nicht weiter.]

Als ich gerade das U des Wortes Mindful tippte, hörte ich den Römer unter lautem Stöhnen wie er die Schale von der Orange zu befreien versuchte. Wenn Sie sich jetzt fragen, ob man nicht normalerweise die Orange von der Schale befreit, dann haben Sie absolut Recht. Aber vertrauen Sie mir: In diesem Fall war es eindeutig andersherum. Der Machtkampf begann und die Orange lag samt Schale mit weiter Führung vor dem Römer. Also musste Hilfe her. „Amoooore!! Aiutooo!“ [Schatz! Hilfe!] forderte er eben diese ein.

Ich atmete tief ein und zählte 21…22….23…. Dann wendete ich mich an ihn und fragte, womit ich ihm helfen kann. Natürlich wusste ich bereits das „Womit“, denn seit fünf Minuten beobachtete ich seinen Kampf mit der Orange. Aber ich wollte ihm die Chance geben, zu reflektieren und zurückzurudern, so dass ich meinen Text weiterschreiben hätte können. Sie sehen bereits am gewählten Konjunktiv, dass es nur ein ferner Wunsch bleiben sollte.

„Mazza, è difficile! Non pensavo!“ [Mannometer, das ist schwierig! Ich hätte es nicht gedacht!] beantwortete er mein „Womit“ und ich half ihm, die Orange von der Schale zu befreien. Zugegeben, es war ein sehr widerspenstiges Exemplar. Dennoch hätte man das Problem sicher im Stillen lösen kann.

Nachdem nun die Orange von der Schale befreit war, ich das Wort „mindful“ um das fehlende L ergänzte und weiter schrieb, kaute er auf seiner Orange herum.

Experten sagen: „Als Richtwert gilt, jeden Bissen etwa 30 Mal durchzukauen, bevor er geschluckt wird. Und das ist wichtig, denn kräftiges Kauen von Nahrung regt bei gesunden Menschen den Speichelfluss an.“ Glauben Sie mir, der Römer nahm diesen Rat mehr als ernst. Er kaute mit einer solchen Inbrunst, dass ich bei dem Wörtchen Meditation nur bis Med kam. Dann musste ich wieder absetzen.

„Schatz, entschuldige, aber könntest du etwas leiser kauen?“ fragte ich ihn bemüht freundlich. „Ah…già…certo! Scusa… mangio qualcos’altro.“[Ah…sicher! Entschuldige…ich werde etwas anderes essen]

„Meeeditation“ tippte ich nun zu Ende und versuchte mich wieder in meinem Gedanken einzufinden. Als das gelang und ich weitertippen wollte, kam der Römer zurück. Bemüht leise setzte er sich hin, beugte sich über sein Buch und öffnete eine Tüte. Er kaute wieder, diesmal Nüsse.

Ich weiß nicht in welcher Galaxie Nüsse kauen leiser ist als Orangen mampfen, aber so oder so, es muss eine unheimlich laute Galaxie sein. Das, oder man ist dort schwerhörig.

Ein Räuspern sollte ihn darauf aufmerksam machen, dachte ich. Also räusperte ich mich so wie man sich nur räuspert, wenn man von etwas (oder jemandem) genervt ist. Dann versuchte ich weiter zu schreiben. Leider hatte ich in der Zwischenzeit vergessen, WAS ich schreiben wollte.

Der Römer griff sich wieder eine Hand voll Nüsse. Und kaute. Ich guckte nun zu ihm hinüber und versuchte gegen meine Augen anzukämpfen, die sich zu funkelnden Schlitzen formen wollten. „Senti…“ [Hör mal…] setzte ich an.

Der Römer begriff. Zumindest dachte ich das: „Oh, scusa, amore! Hai raggione! Vuoi anche tu?“ [Entschuldige, Schatz! Du hast Recht! Willst du auch?] fragte er und hielt mir auffordernd die Nusstüte entgegen. Ich sammelte mich kurz, versuchte mein loderndes Pitta-Feuer in Zaum zu halten und bedankte mich dennoch für den netten Gedanken.

„Atmen. Ein- und ausatmen. Die Gedanken ziehen vorbei. Ich beurteile sie nicht. Ich beobachte sie nur und lasse sie auf mich wirken.“ versuchte ich mich zu beruhigen. „Schatz, entschuldige bitte, aber ich versuche gerade etwas zu schreiben und kann mich kaum konzentrieren.“ erklärte ich ihm mit einem sichtbar angestrengt-freundlichen Ton.

„Scusa, amore, scusa veramente. Dai, ti lascio in pace e mene vado.“ [Entschuldige, Schatz, wirklich. Komm, ich lass dich in Ruhe und gehe.] entschuldigte sich der Römer. Ich atmete beseelt auf.

Zurück zum Text: „Mindful sollte eine Meditation sein…“ stand da und ich überlegte, was ich genau schreiben wollte.

Da hörte ich ihn. Den Rasenmäher, der vom fröhlich hinter ihm hertrabenden Römer durch den Garten begleitet wurde. Ich überlegte kurz gegen den Rasenmäherlärm anzuschreien und den Römer darauf hinzuweisen, dass das nicht gerade zu meiner Konzentration beiträgt. Doch ich wählte einen anderen Weg.

Ich löschte den Großteil meines Satzes und ergänzte ihn mit „Mindfulness am Arsch.“ Danach klappte ich meinen Laptop zu. Ich ging in die Küche, machte mir einen Espresso und atmete tief ein und aus. „Mindfulness…pff“ murmelte ich und schüttelte ungläubig den Kopf.

Toilettenpause

Ich verstecke mich.

Ich verstecke mich auf dem Klo und lese eine Frauenzeitschrift.

So, jetzt ist es raus. Wozu Geheimnisse haben? Sie und ich, wir kennen uns nun schon eine ganze Weile, da kann ich Ihnen dieses längst fällige Geheimnis anvertrauen.

Die Frage ist: Warum tue ich das?

Die Erklärung ist eine recht leichte: Der Römer und ich haben ausgemacht, dass der, der auf dem stillen Örtchen sitzt, egal wie lange es dauert, dort entbunden von allen Pflichten ist. Ein „safe spot“ würde man neudeutsch sagen. Der Römer respektiert diese Regel und Signorino ist noch so klein, dass er zufrieden ist, wenn einer von beiden Elternteilen bei ihm ist.

So sitze ich also da und lese in einer Zeitschrift mit dem Frauennamen einer flotten Mit-Fünfzigerin. Ich lasse mich inspirieren von Oster Rezepten, lese Beiträge über die längst vergangene Liebe eines Paares, blättere schnell weiter bei den Modeseiten (zu teuer, zu abgefahren) und lasse mich gerne von den kleinen und feinen Tipps aus dem Beauty Resort inspirieren. Ihnen kann ich es sagen: Grüner Tee! Das ist wieder im kommen. Vertrauen Sie mir!

Doch auch die schönsten Minuten nehmen einmal ein Ende. „Wenn es am schönsten ist, soll man gehen!“ und das gilt auch für’s stille Örtchen. So klappe ich also die Zeitschrift zu, atme noch einmal tief ein und aus und stürze mich wieder ins Familienchaos, das ein solches ist, weil der Römer erst beurlaubt war, dann krank geschrieben und danach wieder für 14 Tage in Urlaub ist. Dieses „Notprogramm“ wird momentan von seinem Arbeitgeber gefahren um Kündigungen zu vermeiden. Man geht dennoch davon aus, dass die Kurzarbeit kommen wird. Er verbringt auf alle Fälle viel Zeit mit uns daheim.

„Eigentlich ganz schön.“ werden Sie sagen und es ist Ihnen nicht zu verdenken. „Viel Zeit mit der Familie, Entlastung für die Dame des Hauses,..“ all diese Punkte zählten wir wohl alle auf bevor wir isoliert wurden. Viel Zeit haben wir zusammen, aber weniger Zeit für uns allein.

Mein gut koordinierter Tag mit Signorino wich einem Chaos oder viel mehr einem italienischen caos. Ruhepausen für mich gibt es nicht mehr. Es ist ständig Programm, sogar während Signorino schläft. Ständig höre ich ein lautes „AAAMOOOOORE!“ durch die Wohnung posaunen. Gleich darauf folgt eine Frage oder, noch schlimmer, eine Idee. „Che pensi?“ [Was meinst du] leitet meist ein Vorhaben des Römers ein, das meist übles nach sich zieht. „Die Fahrräder im Keller, die wir zum Sperrmüll bringen wollten…. ich könnte sie doch reparieren?“ fragt er.

Wissen Sie, wir schmeißen nichts leichtfertig weg. Aber wenn ich mich dazu entschieden habe, etwas final zum Sperrmüll zu bringen, dann hat das einen Grund. Ein „Vollschaden“ würde man beim Auto sagen. Und ein „Vollschaden“ ist es auch bei diesen beiden Fahrrädern und beim Römer, der denkt, er kann sie reparieren. „Die-tääär hat mir gestern dieses Video geschickt bei Youtube. Es sieht sehr einfach aus dieses Fahrrad zu reparieren. Die fehlenden Teile habe ich schon bestellt. Arrivano in questi giorni. [Sie kommen in diesen Tagen an]“

Ich atme tief ein und aus. Ist es jetzt schon wieder zu früh für eine Toilettenpause? Wohl ja. Na gut, ich versuche es positiv zu sehen: wenigstens hat er eine Beschäftigung.

Die Tage darauf sah man den Römer fluchend und schimpfend im großen Innenhof. Dieter rief aus seiner Isolation im 1. Stock immer wieder aufmunternde Worte oder Tipps nach unten. Der Römer fluchte noch mehr, schmiss Tücher voller Ölflecken beleidigt auf den Boden und kam nicht nur einmal in die Wohnung um nach einem Pflaster zu verlangen. Die Projektwoche „Fahrrad“ schritt voran und am Ende konnte man ein ganz passables Stahlross begutachten.

„Amore… und das zweite?“ fragte ich vorsichtig. Er guckte mich mit Angst erfüllten Augen an. „Ääääh…weißt du…“ fing er seinen Satz an. „Ich habe nachgedacht… über das zweite Fahrrad. Wir müssen ja nicht beide gleichzeitig Fahrrad fahren… deswegen wechseln wir uns ab und das zweite… ich wollte es zum Sperrmüll bringen.“ erklärte er sich.

„Oh wie schade…“ sagte ich. „Ein Glück!“ dachte ich.

„Amore, non c’è problema. [kein Problem] Wir kaufen dir einfach ein neues Fahrrad? Va bene? [In Ordnung?]“ schlug er vor.

„Das hört sich fantastisch an!“ sprach ich erfreut und war froh, dass er nicht noch das zweite Fahrrad reparieren wollte, denn so oft ins Bad zu müssen, nahm mir selbst der Römer nicht mehr ab.

Dieter wird isoliert

[Berlinerisch kann ich so schlecht wiedergeben, deswegen spricht Dieter in meinen Texten von nun an etwas kölsch]

Vor zwei Wochen trug es sich zu, dass der Römer und ich beunruhigt waren aufgrund der Lage in Italien. Wir tauschten uns viel mit der Familie und unseren Freunden aus, die dort wohnen und man merkte recht schnell: Der Virus wird nicht nur Italien betreffen. Besser jetzt handeln als dass es zu spät ist.

„Dieter“, sage ich, „die Lage ist ernst!“

Dieter, eben noch mit seinem Blick in der Kakaotasse versunken, blickt auf, runzelt die Stirn und antwortet: „Ich habe es mir schon gedacht, Medschen. Du trinkst Kaffee statt Kakao. Wenn du jetzt noch einmal darüber diskutieren willst, dass wir Mandelmilch für den Kakao benutzen sollten, dann sage ich dir hier und jetzt in aller Ehrlichkeit: Nein! Meine Großmutter Agatha würde sich im Grab umdrehen, wenn sie wüsste, dass ich homöopathisches Nusswasser für den Kakao benutze.“

Ich muss lachen. „Nein, Dieter, das habe ich schon längst aufgegeben. Ich trinke Kaffee, weil Signorino heute Nacht kaum geschlafen hat.“

„Ach gut, das hätte ich mir denken können. Deine Augenringe sind ja nun nicht zu übersehen.“ antwortet er grinsend.

„Danke, Dieter Wilhelm. Du weißt, wie du mich nach einer kurzen Nacht aufbauen kannst. Ich habe dennoch etwas wichtiges zu sagen!“ erkläre ich ihm.

Dieter setzt sich in dem großen, grauen Ohrensessel auf, die Tasse entschlossen in der rechten Hand, Signorino mit festem Griff im linken Arm und spricht: „Okay, Medschen, lass uns Tacheles reden. Onkel Dieter ist bereit!“

„Dieter – wir müssen dich isolieren. Es geht nicht anders. Du nimmst Herztabletten, bist an die siebzig,….“ fange ich an.

„An die siebzisch, aber nisch ÜBER siebzisch. Darauf lege ich Wert!“ betont Dieter.

Ich unterstreiche also noch einmal, dass er „an die siebzig – nicht aber über siebzig ist“ und fahre fort: „Wie dem auch sei: Du bist uns wichtig. Deswegen wollen wir dich isolieren. Carmen [Dieters Tochter] hat dir das doch auch schon erklärt. Kein Besuch mehr von Estefania [Carmens Tochter = Dieters Enkelin], kein Besuch mehr von uns. Wir gehen für dich einkaufen und karren dir alles an, was du zum Leben brauchst.“

„Na hör ma, ich bin doch kein Huhn in der Legebatterie. Meint ihr wirklich, ich werde in meinen zwei Zimmern glücklich? Ich kann doch nicht den ganzen Tag dort rumtigern! Freiheitsliebend – das bin ich. Was würde denn meine Rose [Dieters verstorbene Ehefrau] von mir denken, wenn ich nur daheim sitze? Sicher guckt sie runter vom Himmel, auf ihrer fluffeligen Wolke und sacht: Mensch Dieter, Dieter. Kaum bin ich nicht mehr da, wirste richtig träge. So kenn isch disch gar nicht, mein Dieterchen.“ holt Dieter aus.

„HERR WILHELM! Es ist ernst!“ sage ich bestimmt. Ich stehe auf, streichle über Signorinos Kopf, der bequem gegen Dieter Wilhelms Bauch gelehnt ist und verdunkle den Raum. Dann mache ich den Fernseher an und zeige ihm wie es in Bergamo ausschaut. Bilder von Särgen, von Militärtrucks, von jungen und alten Menschen flimmern über den Fernseher.

„Und genau DA will ich dich nicht sehen. Es ist nur zu deinem eigenen Schutz, dass du daheim bleibst. Bitte, Dieter!“ flehe ich ihn nun an.

„Hmpf…“ ist seine Reaktion. Dieter schmollt. Er schmollt und denkt nach. Immerhin grübelt er – das ist ein gutes Zeichen. Mein Vortrag fruchtet. „Und wenn ihr mich besucht? Dann muss ich nicht aus dem Haus und ihr kommt einfach zu mir hoch!“ schlägt er vor. „Och Dieter, es geht doch nicht darum, wer wen besucht. Es geht darum, Kontakte vollständig zu meiden, auch wenn es in Deutschland noch nicht vorgeschrieben ist. Nur so können wir sicher stellen, dass DU sicher bist. Wir kümmern uns um dich, aber du musst jetzt einfach einmal ein paar Wochen Abstand nehmen.“

„Soschl – Detoxing meinst du, ne? Und du meinst, das ist wirklich nötig?“ fragt er noch einmal nach. „JAAA!“ antworte ich streng. „Das ist wirklich notwendig.“

„Na gut, aber ich gehe noch fix einkaufen. Mein Kühlschrank ist komplett leer – im Angebot gibt es diesen wunderbaren, französischen Käse, den ich so mag.“ will er einwenden.

„Dieter! Nein! Kein Einkaufen, kein „mal-eben-an-den-Kiosk“, kein Schach spielen im Park, keine Freunde treffen, kein Hunde streicheln, kein Schnack, kein Besuch bei uns, kein flanieren auf der Einkaufsstraße, kein Besuch von oder bei Carmen und ihrer Familie. Einfach nichts.“ erkläre ich nochmals ausführlich.

„Mensch, das ist ja wie dieses Schweige-Kloster, dass meine Rose vor 20 Jahren unbedingt ausprobieren wollte. Gut getan hat ihr das aber nicht. Sie war so durch den Wind, dass sie eine rote Socke mit der weißen Kochwäsche gewaschen hat. Ich musste wochenlang rosa Hemden in der Arbeit tragen! Sowas ist ihr vorher noch nie passiert.“ erzählt mir Dieter.

„Ach Dieter, du musst doch nicht schweigen. Nur daheim sein. Ein Telefon hast du doch und ich habe auch schon eine Idee wie du mehr von der Welt siehst ohne deine Wohnung oder deinen Balkon zu verlassen.“ kündige ich an.

„Na, da bin ich ja gespannt, Medschen!“ sagt Dieter und knuddelt Signorino ein letztes Mal für ein paar Wochen.

Der isolierte Dieter

Italien – du Held!

Ich mag sie, die Italiener. Das ist kein Geheimnis. Italien wäre nicht Italien ohne seine Einwohner.

Wer mir schon länger folgt, der weiß, dass ich, seit ich denken kann in Südtirol (Italien – light sozusagen) meine Urlauber verbrachte. Ich war Au Pair im Norden Italiens, in Bergamo. Zurück in München bestritt ich meinen Arbeitsalltag auf Italienisch. Dann ging es in Hessens heimliche Hauptstadt – und von dort hinaus in die weite Welt. Dann lernte ich den Römer kennen, wir wohnten kurz in Rom, bevor es wieder zurück nach Deutschland ging.

Italien – du wunderbares Land. Die Menschen sind in Quarantäne, aber sie haben ihre Lebensfreude nicht verloren. Bilder und Videos gehen um die Welt wie Italien gemeinsam musiziert – von den Balkonen hoch über der Stadt. Sie tanzen, sie singen, sie trommeln und benutzen an Instrumenten, was sie daheim finden können. Sie applaudieren mittags um 12 Uhr für all die Helfer in der Not, die 3-4 Schichten arbeiten. Sie applaudieren für ihre Helden, wie sie sagen.

Sie sind ein Team und halten zusammen – das Volk mit dem Herz am rechten Fleck, der Lebensfreude auf der Zunge und dem Zusammenhalt, der unbändiger nicht sein könnte.

Italien, du wunderbare Perle. Vielleicht bist du gerade weggesperrt, vielleicht liegst du am Boden, aber glaube mir, sobald wir alle wieder reisen können, wir kommen dich besuchen! Wir schlendern über deine Piazzas, wir genießen deine Lebensfreude und wir helfen dir wieder auf die Füße: Als Touristen, als Besucher! Denn es ist das, was du brauchst, wenn die Normalität einkehrt.

Italien – du großes Vorbild! Stammi bene! Ci vediamo al piú presto possibile!

Italien und der Coronavirus – wer, wie, was?

Es wurde schon so viel berichtet und ich bin mir sicher, es wird in den nächsten Tagen und Wochen noch viel mehr darüber berichtet: Das böse C-Wort. Corona.

Gestern schrieb eine Kollegin im Arbeitsforum: „Jetzt machen die Italiener ihr Land dicht. Übertrieben! Aber langsam bekomme ich dennoch Panik… Muss man Angst vor Corona haben?“

Normalerweise kommentiere ich nicht, da man meist nach 2-3 Sätzen in unserem Forum angefeindet wird. (Ja, die ewig lächelnden Servicekräfte der Lüfte verbringen in den Foren die meiste Zeit damit, sich gegenseitig fertig zu machen…) Dennoch wollte ich Licht ins Dunkel bringen, da es in deutschen Artikeln meist verzehrt dargestellt wird.

Also angeschnallt und festgehalten. Die wilde Fahrt geht los:

Warum verhängt Italien überhaupt eine Ausgangssperre? Warum sollen alle Italiener 14 Tage daheim bleiben, alle Universitäten und Schulen sind mind. bis zum 04. April geschlossen, alle Kindergärten, alle Ämter, alles? Warum sind Cafés und Restaurants nur bis 18 Uhr offen? Ja, warum eigentlich?

Italiens Notaufnahmen und Intensivstationen haben ihr absolutes Limit erreicht. In vielen Städten, darunter Bergamo, wo ich unter anderem gelebt habe, müssen sich Ärzte entscheiden, WEN sie behandeln, da es nicht genug Kapazitäten gibt. Es sind Zustände wie im Krieg. Die Ärzte und Krankenschwestern, die eh schon am Ende sind, müssen über Leben und Tod entscheiden. Nun hat man sich in Italien folgendes überlegt. Alle werden dazu angehalten 14 Tage nicht aus dem Haus zu gehen. Warum? Nicht, weil Corona so unglaublich tödlich für die gesamte Bevölkerung ist. Aber es ist lebensgefährlich bzw. tödlich für einen Teil der Bevölkerung: Hauptsächlich ältere Mitmenschen und Menschen mit Vorerkrankungen. Folglich gibt es diese Ausgangssperre um den Virus nicht an diese Bevölkerungsgruppe zu übertragen, die dann gezwungen wären auf der Intensivstation behandelt zu werden. Je weniger Kontakt man hat, desto besser.

Um es zu veranschaulichen, möchte ich ein kleines Rechenbeispiel aufzeigen:

Es gibt ca. 60 Millionen Italiener. Sollten nur 0,5 % auf der Intensivstation behandelt werden, wären das 300.000 Italiener. Nun gehen wir aber gleichzeitig davon aus, dass sich Ärzte und Krankenschwestern NICHT infizieren und zwar gar keiner. Kein einziger. Selbst dann würden die Plätze nicht reichen. Es gibt etwas mehr als 5000 Intensivbetten, die betreut werden können. Der Großteil ist in den kritischen Regionen: 900 in der Lombardei, 700 in Venetien und 400 in der Emilia Romagna. Das wiederum heißt, dass es nur 5000 Corona infizierte in ganz Italien geben darf, die auf der Intensivstation behandelt werden müssten. Und hierbei gehen wir davon aus, dass NIEMAND anderes dort sein darf: Kein plötzlicher Notfall, kein Autounfall, nichts und niemand. Um das prozentual darzustellen, würde das bedeuten: weniger als 0,01 Prozent der Italiener dürfte erkranken, wenn niemand anderes an etwas anderem erkrankt wäre und ebenfalls auf die Intensivstation müsste.

[Quelle der Intensivbetten und der Verteilung in Italien: sky tg 24 – Quelle Einwohnerzahl Italien: de.statista.com]

Zum Vergleich: In Deutschland haben wir 28000 Intensivbetten [Quelle: dkgev.de] und ca. 81,5 Millionen Einwohner. Das sind demnach 0,035 % die so schwer erkranken dürften, dass sie auf der Intensivstation behandelt werden müssen. Vorausgesetzt es gibt nur Corona Patienten und KEIN ANDERER in Deutschland braucht eine Betreuung auf der Intensivstation.

Es geht nicht darum, den Virus auszurotten. Es geht nur darum, den Ansteckungsprozess zu verlangsamen. Es gibt keine Versammlungen mehr, Reisen werden nur aus dringenden Gründen genehmigt (medizinischer/familiärer Notfall) etc.. Stars und Sternchen rufen dazu auf, daheim zu bleiben. Gestern war der Kontakt zwischen zwei Personen noch auf einen Meter vorgeschrieben. Heute sind wir bei 4,5 Meter.

Restaurants und Cafés haben keinen Ausschank mehr an der Bar. Der schnelle caffé zwischendurch fällt weg. Es wird bedient – an Tischen. Wenn sicher gestellt wird, dass zwischen den Gästen ein Abstand von einem Meter eingehalten wird.

Die Italiener nehmen zum Schutz der Einwohner die Erkrankungen ernst und wenn man mich nach meiner Meinung fragt, ist das absolut richtig. Natürlich werden wir nicht alle an diesem Virus sterben. Es werden nur sehr wenige sterben im Vergleich zur Gesamtbevölkerungszahl, ABER „sehr wenige“ sind bei 0,5 % der Italiener auch schon 300.000 Einwohner. Und das sind 300.000 zu viel.

In Deutschland liest man oft von „Panik mache“ und während wir noch diskutieren, ob Sportfans wirklich an dem Virus erkranken können (Bundesligaspiele – ja oder nein?), nehmen andere die Lage ernst.

Warum die Anzahl der Corona Infizierten in Italien so hoch ist?

Weil jeder und zwar wirklich JEDER getestet wird, der einen Verdacht hat.

Wie schaut’s damit in Deutschland aus?

Hier möchte ich ein Beispiel nennen. Mein Kollege wurde nach 14 Tagen informiert, dass auf seinem Dienstflug nach New York ein Corona infizierter Passagier in der Economy Class saß. Man möchte ihn informieren, dass er nun 14 Tage außer Dienst gestellt wird. Möchte er sich testen lassen, so kann er dies gerne tun. In besagten 14 Tagen, die zwischen seinem Flug und der Benachrichtigung seitens des Arbeitgebers vergingen, hatte er 2 Langstreckenflüge mit jeweils ca. 350 Passagieren und eine Kurzstreckentour mit 10 Flügen in Europa zu jeweils 150-200 Passagieren. Dazu kommt die Anzahl an Crewmitgliedern und die Anzahl der Personen, die er im Layover getroffen hat. Dazu Familie, Freunde und Bekannte, Caterer, Crewbusfahrer, Rampagenten,….

Wie dem auch sei: Bleibt mir gesund – passt auf euch auf – benutzt Seife (und wascht die Hände mindestens ein „Happy Birthday“-Lied lang – verzichtet auf Reisen und achtet auf euch!

Kurzes Lebenszeichen

Ein Lebenszeichen wollte ich doch einmal schicken. Ich bin besorgt um meine Kollegen und Freunde. Die Kurzarbeit kommt. 50% der Flüge werden gestrichen. Seit Tagen bekommt der Eine keinen Arbeitsplan. Seine Beförderung? 2 Tage davor abgesagt – nachdem er sich durch einen Monate langen Kurs quälte. Man ist jeden Tag auf Abruf und weiß nicht, wann man arbeitet und wenn ja wie lange. Vielleicht ist man abends daheim? Vielleicht in 5 Tagen? Besser, man hat momentan keine Familie und ist alleinstehend. Denn die Betreuungssituation zu organisieren, wenn man jeden Tag auf Abruf arbeitet, scheint fast unmöglich. Ich bin froh in Elternzeit zu sein, doch bange und hoffe mit den Kollegen und meinen Freunden, dass es irgendwann wieder bergauf geht. Die dicke Hummel (A380) ist wohl erst einmal am Boden…

Dieter sagte übrigens, dass mein Arbeitgeber schon ganz andere Krisen durchgestanden hat. Und egal was passiert, ich soll mich an die Ameisengeschichte erinnern: Die Ameise, die in Südamerika wohnt, träumt seit jeher von Afrika. Ein lang gehegter Traum! Der Mensch nimmt sie, steckt sie ins Flugzeug und die Ameise beschwert sich und schreit und hat Angst! Das Flugzeug ist laut, die Luft trocken, unbekannte Menschen, so weit oben über der Welt… sie will das alles nicht. Das Flugzeug landet nach einem langen, langen Flug. Die Türen gehen auf und die Ameise begreift: Sie ist in Afrika! Endlich!

Dieter sagt, wir sind die Ameise, Gott (oder das Universum oder an was man eben glaubt) ist der, der uns in das Flugzeug steckt. Wir begreifen vielleicht nicht, dass all die Strapazen uns ans Ziel bringen, aber hinterher, wenn wir in Afrika sind, dann verstehen wir, wozu der ganze Stress notwendig war! Und vielleicht hätte sich die Ameise mit der Erkenntnis lieber zurückgelehnt und einen Tomatensaft (oder was auch immer Ameisen trinken) bestellt und die Aussicht genossen, anstatt sich Sorgen zu machen.

Hätte es sich die Ameise mal gut gehen lassen!