Wir haben gestern einen sehr schönen Ausflug gemacht. Es war schrecklich!

Wobei der Ausflug an sich und die wundervolle Landschaft ganz besonders reizend waren. Nur wir, wir machten ihn zu einer Katastrophe. Alles fing mit einem leeren Scheibenwischer-Wischwasser-Tank an. Ich, als alleiniger und somit hauptverantwortlicher Fahrer, wollte und musste ihn, aus einem inneren Zwang heraus, unbedingt auffüllen. Der Römer, als lässiger Beifahrer, winkte ab. Wortwörtlich sagte er: „Maaa no! [Aaaber nein!] Wir schütten mit einer Plastikflasche etwas Wasser auf die Windschutzscheibe und das Problem ist gelöst.“ Seine südliche Gelassenheit traf auf meine starrsinnige Gewissenhaftigkeit, was dazu führte, dass sogleich mein fantasievolles, aber überängstliches Katastrophen-Center in meinem Kopf aktiviert wurde. „Und was machen wir, wenn ich das Wischwasser ADHOC brauche, weil ein anderer Verkehrsteilnehmer meine Windschutzscheibe plötzlich verdreckt? Ein Traktor zum Beispiel! Oder ein LKW?“ Der Römer lachte. Wann sei das denn jemals passiert, wollte er von mir wissen. Ich zählte ihm vier Szenarien in den letzten zwölf Jahren auf, wobei zwei davon geflunkert waren. „Andrà tutto bene! [Es wird alles gut gehen!] Können wir jetzt losfahren? Signorino ist schon ganz müde.“ bat er und zog sich die dunkle Lederjacke über. Doch ich rührte mich nicht vom Fleck. Entweder wir fahren mit Wischwasser, oder aber das Auto bewegt sich keinen Millimeter von seinem Parkplatz. Der Römer guckte genervt, aber bemerkte rasch, dass der Fahrer des Autos das Hoheitsrecht hatte. Er knickte ein und wir holten Wischwasser an der Tankstelle. Mit Hilfe einer Videoanleitung lernte ich, wie ich überhaupt die Motorhaube öffnen konnte. Seit wir ein Auto haben, also seit letztem September, war dieser Vorgang nie von Nöten. Auch das Scheibenwischwasser reichte bis Mai dieses Jahres. Doch irgendwann musste es wohl zur Neige gehen. Warum das allerdings ausgerechnet heute passieren musste, erschloss sich mir nicht wirklich.

In der Videoanleitung wurde mir vom schwäbisch sprechenden Manfred in der dunkelgrauen Latzhose, sehr freundlich und kompetent gezeigt, dass man den Tank für das Kühlwasser bloß nicht mit dem Wischwasser verwechseln sollte. Sein grauer Schnauzer bebte, als er mir diesen Hinweis gab. Er meinte es wohl ernst. Dann rückte er sich die große Brille mit dem Goldrand zurecht und guckte fürs Video noch einmal ganz genau, welcher Tank der Richtige war. Die Kamera zoomte erst an den falschen Tank. Ein großes, feuerrotes X erschien und das Video wurde mit einem dröhnenden Laut untermalt, als hätte man gerade gesicherte Ware aus dem Drogeriemarkt stehlen wollen. Dann fokussierte die Kamera auf den richtigen Tank. Ein leuchtend grüner Haken erschien. Manfred drehte sich um und hielt lächelnd seinen Daumen in die Kamera. Ja, das musste der richtige Tank sein.

Der Römer und ich standen vor der offenen Motorhaube, während Signorino durch den Innenhof tollte. Während ich noch Manfreds Tipps bewunderte, riss der Römer bereits die hellblaue Abdeckung vom Wischwassertank und setzte sofort an, die gekaufte Flüssigkeit einzufüllen. „Nein!!!!“ schrie ich, wollte ich doch noch einmal ganz sicher gehen, dass das auch wirklich der richtige Tank war. Schließlich hatte mich Manfred eindrücklich gewarnt! „Ma che?! [Aber was?!] Das ist ganz sicher der richtige Tank!“ plusterte sich der römische Gatte in seiner Lederjacke auf. Ich kontrollierte noch einmal, verglich das Video mit der Realität und gab die Erlaubnis zum Einfüllen. „Tel‘ho detto. [Ich hab‘s dir doch gesagt.]“ maulte der Römer und ich beschloss seinen Satz zu überhören. Dann fuhren wir los.

Mittlerweile darf der Römer auch wieder auf dem Beifahrersitz sitzen, denn das Kind ist groß genug, das es mit dem Kopf nach vorne gerichtet fahren darf. Das wiederum bedeutet, dass Signorino, der es hasste mit Blick nach hinten befördert zu werden, nicht mehr beim Autofahren weint. Dafür schreit er jetzt bei jeder Kurve begeistert „Wow!!!“. Ob das ein Lob ist, dass ich die Kurve noch gekriegt habe oder ein ironischer Kommentar, kann ich Ihnen nicht sagen. Da er charakterlich eher nach dem Römer kommt, liegt die Vermutung nahe, dass es letzteres ist. Dazu kommentiert er jedes Auto, das uns überholt, mit einem, diese Aktion hinterfragenden „Hmmm?!?“. Ein bisschen fühlt es sich mit den männlichen Farnientes so an, als würde ich in einer nie enden wollenden Fahrprüfung sitzen. Der Kleine ist dabei der Fahrprüfer, der im Fond sitzt, während der Große der Fahrlehrer ist, der jede kleinste Aktion seines Schülers (also mir!) sofort und umfassend kommentiert. Nur, dass mein römischer Fahrlehrer sein Leben lang Beifahrer war und äußerst selten am Steuer saß.

Wir befanden uns mittlerweile irgendwo zwischen Frankfurter Hauptwache und Frankfurter Hauptbahnhof. Blöderweise fiel unsere Abfahrtszeit in die Mittagsschläfchenzeit unseres Sprösslings. Statt wie gewohnt einfach einzuschlafen, beobachtete Signorino all meine fahrerischen Manöver. An schlafen war bei dieser aufregenden Fahrt nicht zu denken. Schließlich kutschiert Mutti nicht jeden Tag die ganze Bande durch Frankfurt.

Nach einer sehr lang erscheinenden Fahrt erreichten wir schlussendlich unser Ziel. Leider waren die Parkmöglichkeiten schon sehr ausgeschöpft. Eine etwas intensivere Suche im Straßengewirr Schwanheims, einem Stadtteil Frankfurts, später, fanden wir doch noch ein freies Fleckchen für unser Auto. Doch just in diesem Moment fing es an zu regnen. Dicke, schwere Tropfen prasselten gegen unser Schiebedach und die Scheiben. Signorino fing an zu motzen, weil er natürlich nach dieser Autofahrt und unter Inanspruchnahme seiner völligen Konzentration schrecklich müde war. Der Römer schlug genervt vor, sogleich wieder nach Hause zu fahren. No, no! [Nein, nein!] Das klart nicht mehr auf, da sei er sich sicher, sprach er, sehr von seinen meteorologischen Fähigkeiten überzeugt.

Ich wollte meinen Kopf gegen das Lenkrad schlagen. „Entschuldige, amore mio!“, erwiderte ich knurrend, „Aber ich fahre euch doch nicht durch die ganze Stadt, um dann beim kleinsten Schauer wieder heimzugurken.“ Der Römer schüttelte bedauernd den Kopf und klopfte gegen die Scheibe. Er sehe keine andere Möglichkeit, antwortete er traurig. Ganz schwarz sei der Himmel. Nein, da ist er sich sicher, das klart heute nicht mehr auf. Ich atmete tief durch, reichte eine Flasche Wasser an den quengelnden Ableger und bat den Römer, sich in den Fond zu seinem Ableger zu gesellen. Er wollte empört insistieren, doch meine Begründung kam derart aus der Pistole geschossen, dass er keine Möglichkeit dazu hatte. Ruhig erklärte ich ihm, dass Signorino sicher noch zehn Minuten durchhalten könne, wenn er ihm auf dem Handy das Kinderlied Aramsamsam vorspielen könne. Mürrisch machte der Römer die Beifahrertür auf und schlüpfte in einem Bruchteil einer Sekunde in die hintere Autotür. Da saßen sie, die zwei Farnientes, und guckten fröhliche Kinderliedervideos. Das vormals laute Prasseln der Tropfen wurde schon beim zweiten Lied schwächer.

Ich sah meine Chance gekommen! Rasch stieg ich aus, öffnete den Kofferraum und klappte den Kinderwagen auf. Dann teilte ich dem Römer durch den Kofferraum mit, dass er Signorino die Jacke anziehen könne. Leise murrend tat er wie ich ihm gesagt hatte. Dann stieg er aus. Ein dicker Tropfen traf seine gestylten Locken. Verärgert guckte er gen Himmel, dann zu mir. Nein, bei diesem Regen könne er keinen Spaziergang machen. Es würde nichts helfen. Wir MÜSSEN wieder heim. Ich schüttelte vehement den Kopf. Guck doch, es hat aufgehört zu regnen, wiederholte ich nochmals. Er blickte noch einmal übellaunig zum Himmel. Sehr weit südlich konnte man sogar einen Streif hellblauen Himmels erahnen. Wortlos packte er den quengelnden Signorino in seine olivfarbene Karosse. Als es wieder leicht anfing zu tröpfeln, installierte ich die Regenhülle des Kinderwagens. Signorino beschwerte sich. Der Römer, dessen Naturlocken anscheinend aus Zucker bestanden, flüchtete fluchend ins Auto. Ich machte mit der monströsen Regenhülle einfach weiter und konzentrierte mich auf meinen Atem, der immer gepresster wurde. Sobald das maulende Kind verstaut war unter seiner Regenfolie, spannte ich einen Schirm auf und brachte ihn an die römische Autotür. Dort konnte ich einen übellaunigen Römer mit verschränkten Armen erkennen. Trotzig starrte er nach vorne. Ich klopfte an die Scheibe und der Römer öffnete das Fenster einen Spalt breit. „Du willst unbedingt diesen Spaziergang machen, oder?“ knurrte er. Ich nickte und murmelte ein „Wenn wir schon einmal da sind…“ Er schnappte sich den Schirm, ich mir Signorino und wir stapften los. Ich bat den Römer, noch einmal auf seinem Mobiltelefon zu schauen, wie der genaue Weg zur Schwanheimer Düne lautete. Er guckte nach und fand – nichts. „Wie? Die Wegbeschreibung findest du hundertprozentig bei einer Suchmaschine!“ sprach ich und auch mein Ton wurde genervter. „No! Non c‘è. [Nein! Die gibt‘s nicht.]“ versicherte mir der Römer. Ich ließ mir das Handy zeigen. „SCHWANheimer Düne!! Nicht SCHWEINheimer Düne.“ korrigierte ich seine Eingabe und hielt ihm sein Telefon hin. „Ah, mi sembrava già un po‘ strano. [Ah, es erschien mir schon etwas komisch.] Ein Schwan scheint auch deutlich eleganter zu sein als ein Schwein. Aber man weiß ja nie – hier in Deutschland.“ Er lachte über seinen eigenen Scherz. Ich nicht.

Das Kind schrie mittlerweile richtig laut, weil es so übermüdet war. Der Römer kämpfte sich durch die Kinderwagenregenhülle und fischte Signorino aus dem Buggy. Dieser ließ sich dankbar herausnehmen und kuschelte sich an die Lederjacke seines Vaters. Ich fuhr derweil den Kinderwagen. Der Römer trug den müden Ableger. „Nie wieder!“ dachte ich. „Nie wieder mache ich mit euch beiden einen Ausflug.“ Signorino schlief während meinem Gedanken ein und der Römer bemerkte: „Das ist aber schön hier an der Schweinheimer Düne.“ Ich musste lachen. „Schwan!!! Schwanheimer Düne.“

Nach weiteren fünf Minuten legten wir den dösenden Signorino in den Buggy. Er verschlief den kompletten Ausflug. Immerhin tankten wir etwas frische Luft und erfreuten uns an der schönen Landschaft. Der Himmel zog auf, als wir durch die Natur spazierten, und die Sonne lachte vom Himmel. „Bella, questa gità! [Schön, dieser Ausflug!] Gut, dass wir nicht heimgefahren sind.“ stellte der Römer am Ende des Ausfluges fest. Ich nickte müde. Ja, hier an der Schweinheimer Düne ist‘s wirklich schön.

Aber nächstes Wochenende bleiben wir lieber daheim.

P.S. Nicht nur die Schwanheimer Düne ist ein Grund zur Freude, nein, auch mein letzter Teil der Albanienchroniken ist endlich fertig. 😃 Und ja, ich bin ein bisschen stolz, dass ich es endlich geschafft habe, den letzten Teil fertig zu stellen. Nachdem ich ihn lektoriert habe, wird er selbstverständlich veröffentlicht.

12 Antworten zu „Ein katastrophal schöner Ausflug”.

  1. Avatar von Anke

    Ist das jetzt ein kulturelles Problem, Deutsche vs. Italiener, oder einfach Frau vs. Mann? SIE will unbedingt spazieren gehen und zieht das durch, ER zieht den Schwanz ein, und redet den Regen förmlich herbei. Ich habe uns in deinem Text wiedererkannt und musste sehr lachen. Nur, dass ich Beifahrer bin und ein schlechtes Gewissen hätte, wenn es bei der Ankunft plötzlich tatsächlich regnet und mein armer Mann die ganze Strecke umsonst gefahren ist. Du sitzt da am längeren Hebel bzw. am Steuer! 😎
    Freut mich, dass auch bei euch gestern die Sonne wieder herauskam! 🌞 Ich wünsche noch eine harmonische Woche mit viel Sonnenschein! 😍

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    1. Avatar von signorafarniente

      Das ist eine gute Frage! Ich hatte bei der Kulturfrage insgeheim auf deine Expertise gebaut. 😉 Ich vermute aber, es war eine schöne Mischung aus beidem gewesen. 😄
      Danne dir! Ich hoffe, ihr habt‘s auch sonnig (und harmonisch!) und könnt die Außenbereiche der Cafés und Restaurants unsicher machen. 🍹 ☕️ ☀️
      Liebe Grüße nach 🇮🇹!

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  2. Avatar von coffeenewstom

    Schwan… Schwein… und ich dachte der wöchentliche Kekskauf sei gefährlich und genau genommen ein Abenteuer. Verglichen mit einem Spaziergang scheint das aber der reinste Spaziergang zu sein, also der Kekskauf, während der Spaziergang das reinste Abenteuer ist.

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    1. Avatar von signorafarniente

      😄 Der Kekskauf ist ein Spaziergang und der Spaziergang in Schwein…Schwanheim… ist ein wöchentlicher Kekskauf, sozusagen.

      Ich erwarte immer noch gespannt eine (weitere) Fortsetzung, wenn es wieder heißt: Tom kauft Kekse im Edeka! 😃

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      1. Avatar von coffeenewstom

        Ich hebe mir den Rest meiner Verwirrung für den letzten Teil der Albanienchroniken auf!

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  3. Avatar von Lopadistory

    Nach so viel „Schwein“, kann man dann heim … ;-))

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    1. Avatar von signorafarniente
  4. Avatar von geschichtenundmeer
    geschichtenundmeer

    Ich erinnere mich an mein Auslandssemester in Triest und den süditalienischen Kommilitonen, der mir – ebenso durchnässt wie ich – auf dem Weg zur Uni begegnete, mich empört anstarrte und ausrief: Dir ist der Regen wohl egal!

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    1. Avatar von signorafarniente

      😄 Danke für diese schöne Anekdote. Sie fügt sich exakt ins Bild ein. Den Spruch „Du bist doch nicht aus Zucker.“ gibt es wohl im Süden nicht. 😄

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  5. Avatar von gkazakou

    Ich seh schon, ich bin hier richtig. Mein Athener ist ein halber Albaner, und wenn mir was nicht passt (er sei starrsinnig, er sei ein ekliger Patriarch etc pp) sag ich: hier spricht dein albanischer Anteil. Wenn er aber zu seinem Wort steht, seine Hände schmutzig und sich nützlich macht, sage ich dasselbe. Und der griechische Anteil? Es ist kompliziert. 😉

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    1. Avatar von signorafarniente

      Liebe Gerda, herzlich Willkommen! Ich musste sehr lachen (und viel nicken) bei deinem Kommentar. Starrsinnige Schlitzohren mit dem Herz am rechten Fleck. Wobei das vermutlich auch auf die Griechen zutrifft. 😉 Wie du schreibst: Es ist kompliziert! 😄
      Liebe Grüße aus Frankfurt, Eva

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