Ellen steht hinter mir an der Supermarktkasse. Neben ihr steht ihre namenlose Freundin. Woher ich weiß, dass Ellen so heißt, wie sie eben heißt, liegt daran, dass die Namenlose den Vornamen ihrer Freundin bei jedem erneuten Gesprächseinfall fast herauskreischt. Derer gibt es viele, meist aber relativ seichte, wie mir scheint. Vielleicht liegt mein vernichtendes Urteil des Gesprächsniveaus der beiden, jungen Frauen auch daran, dass ich zu einer Zeit aufgewachsen bin, in der man noch ein Festnetz Telefon mit Wählscheibe hatte. Erst 1996 hatte mein Vater ein oberschenkelknochengroßes Mobiltelefon mit einer ellenlangen Antenne. Aber ich schweife ab….Zurück zu Ellen und der Namenlosen. Letztere stellt meist ein „Boa“ vor den Vornamen Ellen, bevor sie ihrer Freundin wieder einen weiteren, wenig geistreichen Einfall mitteilen muss. Derweil schlängelt sich eine recht lange Kundenschlange vor Kasse 1 bis zu den Tiefkühltruhen, in denen der Blattspinat cool vor sich hin meditiert. Kasse 2 ist auch auf, aber auch dort akkumuliert sich eine Menschentraube samstagnachmittäglichen Ausmaßes. Mehr Besetzung des Kassenpersonals wurde für diesen Tag um 16:06 Uhr anscheinend nicht eingeplant. Wobei ich nicht unerwähnt lassen will, dass Kasse 3 bei unserem Betreten des Supermarktes hastig schließen musste. Ein probiotischer Anschlag hatte sich anscheinend vor dem Joghurtregal ereignet, weswegen der rothaarige Auszubildende, der sich bis dahin als flotter und höflicher Akteur an Kasse 3 bewiesen hatte, zum Tatortreinigen verdonnert wurde. Solche Notfälle sind in Dienstplänen vermutlich nur schwerlich einzuplanen und deswegen stehen wir hier vor der Supermarktkasse, als würden wir auf den einfahrenden Regionalzug nach Niederwalluf warten.
Mein römischer Gatte befindet sich derweil noch in der Tiefkühlabteilung, um zu verifizieren, ob unser Lieblingseis immer noch ausverkauft ist oder ob bereits ein „Restock“, wie man so schön auf frankfurterisch englisch sagt, stattgefunden hat.
“Boa, Ellen!”, quietscht die Namenlose schon wieder, “Weißt du noch wie wir mal bei Insta* Werbung für dieses mega ätzende Getränk gemacht haben? Irgendwas mit Vitamin C? Boa, voll die Verarsche für die Follower, die das gekauft haben.” Die Namenlose kichert unangenehm schrill und wirft ihr langes, blondes Haar nach hinten. Ellen prustet ebenso los und klopft anerkennend auf die Schulter der Namenlosen. Ich drehe mich kurz um, um die Instagram Schönheiten zu begutachten. Hübsche Mädchen in Sport-BHs und engen Leggings mit Camouflage-Aufdruck. Ich muss zugeben, dass der Tarn-Aufdruck in der Großstadt auch absolut Sinn macht. Besonders, wenn sie so einen Quatsch bewerben und dafür Geld kassieren. Vermutlich müssen sich die beiden Schönheiten öfter vor ihren Frankfurter Followern in die Büsche flüchten, um von ihnen nicht gelyncht zu werden.
Ich rücke in der Schlangenchoreographie einen Schritt nach vorne und lege meine Ware auf das Kassenband. Signorino versucht währenddessen im Kinderwagen alle Papiertüten unter der Kasse hervorzuziehen. Er scheint ziemlich beschäftigt, als ich den Kinderwagen hektisch in die Gegenrichtung lenke und gleichzeitig mit der rechten Hand den Basilikum und drei glitschige Tüten Mozzarella aufs Band werfe. Mein Manöver gelingt. Die Papiertüten bleiben heil und an ihrem angestammten Platz unter dem Kassenband. Nur Signorino scheint mit der Situation unzufrieden zu sein und protestiert laut. Unbeirrt lade ich weitere Artikel aufs Band und beruhige Signorino.
Hinter mir rollt eine ältere Frau mit Rollator an. Sie will zwischen Ellen, der Namenlosen und mir einscheren. Der Korb des Rollators ist knallvoll. Schlaffes Möhrengrün hängt heraus. Ellen dreht ihr Sportwässerchen in der schmalen Hand und zupft sich einen Fussel von den olivgrün gemusterten Sport Leggings. “Boa, ne! Ich will nicht, dass die Alte sich hier vordrängelt. Haaaallo?! Die soll sich hinten anstellen, so wie wir!“, regt sich Ellen auf. Die Namenlose nickt eifrig. Ihre großen, goldenen Kreolen klimpern zustimmend. Dann steigt sie in das nölige Gezeter mit ein. Die beiden Instagram-Schönheiten drängen sich dicht hinter mir, damit die ältere Dame keine Chance hat, einzuscheren.
Ich stolziere zum Anfang meiner Einkäufe auf dem Band und schiebe sie mit dem Warentrenner auf einen Rutsch nach hinten, so dass nun eine große Lücke zwischen den Einkäufen des Vordermanns und meinen Einkäufen entstanden ist.
“Entschuldigung, die Dame?! Kommen Sie bitte vor mich. Ich habe Ihnen etwas Platz auf dem Kassenband gemacht.”, spreche ich in Richtung der älteren Dame. Dann schere ich mit dem Kinderwagen nach hinten aus und flöte ein “Sorry, ich muss mal eben die Dame vor mich lassen. Man kann sich gar nicht vorstellen, was es heutzutage für seltsame Leute gibt, die gar keine Rücksicht mehr auf die ältere Generation nimmt!” Ich lächle zuckersüß unter meiner Maske und streichle Signorino über den blonden Kopf. “Was hat die gerade gesagt? Boa, Ellen?! Echt jetzt?!”, zischt die Namenlose.
Der Römer kommt angetrabt – vollbeladen mit Eis. Gefühlt verdoppelt sich unsere Einkaufsmenge gerade. “Permesso! [Entschuldigung!]”, tönt er und drängt sich an der Schlange vorbei. Dann klatscht er seine Eisladung auf das Kassenband. “Amore, das war alles im Angebot. Deswegen habe ich jetzt ein bisschen mehr genommen. Wer weiß, wann hier wieder aufgefüllt wird.“ , erklärt er mir.
Ellen und die Namenlose bekommen tennisballgroße, vor Unverständnis schäumende Augen. Gleichzeitig fällt den beiden jegliche Mimik aus dem gebräunten Gesicht. Dabei wollten sie doch nur ihr Sportwässerchen bezahlen.
Hätten die beiden mal lieber auf soziale Werte als auf social media gesetzt, dann hätte ich sie selbstredend vorgelassen. 😉
*Instagram (absolut keine Werbung für diesen Verein)
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