Raus jetzt mit uns!

Raus jetzt mit uns!

„Ich muss mal raus aus der Stadt.“, sage ich zum Römer als Antwort auf den morgendlichen, ukrainischen Militärbericht. Er hätte sich eine andere Antwort gewünscht, das sehe ich anhand seines erstaunten Blickes. Seit Beginn des Krieges unterrichten wir uns, beinahe ohne Unterlass, über neue, grausige, schaurige, traurige Ereignisse, die wir der Presse entnehmen. Wir zeigen uns Bilder und leiden mit all den Familien, die ihre (erwachsenen) Kinder an den Krieg verloren haben oder zu verlieren drohen.

Der Römer klappt die Hülle des Tablets zu und unterbreitet mir den Vorschlag, mal wieder am Lungofiume, wie er das Frankfurter Mainufer seit jeher nennt, ein Ründchen zu drehen. „Ich ertrage heute keine Menschenmassen. Tut mir Leid! Ich brauche Bäume.“, wehre ich seinen Vorschlag ab. Zur Schweinheimer Düne, wie die Schwanheimer Düne für den Gatten heißt, möchte er nicht. „Wir streiten uns nur wieder bei der Autofahrt.“, erklärt er mir sein Schwanheimer Veto. „Dann fahren wir eben in den Stadtwald!“, schlage ich vor und setze nach, dass ich versuche bei seiner abenteuerlichen Navigation nicht dem Jähzorn zu verfallen. Vorsichtig nickt der Römer. Er sieht aus wie jemand, der einen Pakt mit dem Teufel schließt.

Natürlich verfahren wir uns auf dem Weg zum Neu-Isenburger Park&Ride Parkplatz. Doch diesmal bleibe ich ruhig. Wir haben keinen Termin. Notfalls landen wir eben woanders. Schlussendlich finden wir den Parkplatz und stapfen los. Weit kommen wir nicht, denn das Stadtkind ist ganz aus dem Häuschen bei dieser Vielfalt an Stöcken, klein und groß, und bei all den unzähligen, frei herumliegenden Blättern. Voller Freude lässt er sich am Wegesrand in die Blätter plumpsen und wühlt genüsslich mit beiden Händen durch das Blättermeer. Dann entdeckt er, dass es hier auch noch Steine gibt. Steine!! Er ist definitiv im Paradies angekommen. Soviel steht fest. Stein um Stein sammelt er, drückt sie mir in die Hände, wirft sich wieder ins Unterholz, stellt schockiert fest, dass Himbeerranken pieksen, weint aber nicht, sondern streichelt zur Beruhigung über grünes Moos. In 40 Minuten kommen wir etwa 70 Meter weit. Als ich versuche, das Kind weiterzuziehen, radeln Vorstädter an uns vorbei. „Ach lasse Se doch den kleine Bub! In der Stadt ham Se doch soviel Natur sicher ned.“, spricht ein grauer Panther, der nebst Gattin mühelos auf seinem E-Bike vorbeigleitet. Ich lächle.

„Wie hat der jetzt erkannt, dass ich Städter bin?“, frage ich den Römer. Er zuckt mit den Schultern. Fortan mustere ich die wenigen uns entgegenkommenden oder überholenden Radfahrer und die flotten Spaziergänger. Am Ende des Spaziergangs werfe ich nur ein Wort in die Stille des Waldes: „Gore-Tex!“ Der Römer guckt mich vollkommen entgeistert an und weiß nichts mit diesem Wort anzufangen. Wie auch? Es bahnte sich den Weg vollkommen ohne Zusammenhang. „Die Lösung ist Gore-Tex! Wir tragen keine Funktionskleidung und deswegen sind wir sofort als Städter auszumachen. Wer trägt schon Daunenjacken und Parker im Wald? Wer trägt Lederstiefel und Turnschuhe? Eben! Niemand. Nur Leute aus der Stadt.“, erkläre ich dem römischen Gatten. Dieser wundert sich schon längt nicht mehr über meine Gedankengänge. „Deswegen bist du immer so verspannt! Weil du dir viel zu viele Gedanken machst. Du zerdenkst selbst den Waldspaziergang.“, stellt dieser belustigt fest. Ich ignoriere diesen Satz großzügig, weiß ich doch, dass er absolut recht hat mit seiner Aussage. „UND….“, ergänze ich hochtragend. „Wir haben keinen Fahrradanhänger als Kindewagen für Signorino. Auch das outet uns als Städter. Wir fahren…“, ich dämpfe meine Stimme. „Buggy!!“ Der Römer übergeht meine Erkenntnis und bietet dem Sohn einen Quetschie an. Nach einer Weile, er stellt sich gerade die Sitzheizung des Beifahrersitzes kuschelig warm auf die Maximal-Stufe ein, lässt er sich zu einer Aussage hinreißen: „Wir sind doch auch Städter, die im Stadtwald spazieren gehen. Ich sehe daran nichts Verwerfliches. Nächste Woche möchte ich wieder kommen. Hier ist’s echt schön.“ Ich nicke, während ich rückwärts ausparke und unser Auto bereits anfängt, nervös zu piepen, während das Auto hinter mir noch meilenweit entfernt steht. „Vielleicht sollten wir doch mal über Gore-Tex Uniformen nachdenken?“, frage ich lachend. „Anche no! [Nie im Leben!] Du wirst mich zu Lebzeiten weder in Funktionskleidung, noch in albanischer Tracht* sehen.“, bemerkt der Gatte sehr ernst. „Bei der letzten Option wäre ich mir nicht so sicher.“, grinse ich und fahre unsere Direktorenkutsche auf die Bundesstraße Richtung Stadtzentrum.

*Besonders bei albanischen Hochzeiten gibt es einen Programmpunkt, in dem die römische Familie es sehr genießt, sich in albanischer Tracht zu zeigen. Es ist der Moment, in dem der Bräutigam die Braut in ihrem Elternhaus abholt. Nur der Römer weigert sich vehement, sich in diese Tracht zu werfen. Meist sind auf Fotos dieses Ereignisses sehr viele albanische Verwandte in der typischen Tracht zu sehen und am Rand ein Herr mit Sonnenbrille und italienischem Maßanzug. Das ist mein Mann.

Unsortierte Bestandsaufnahme

Unsortierte Bestandsaufnahme

Heute ist der erste Tag seit Abgabe meiner Hausarbeit im Dezember, an dem ich vormittags alleine zu Hause bin. Keiner ist krank (toi, toi, toi!), das Kind ging in die Kita und ich muss heute nicht in die Arbeit.

Holprig läuft es dennoch. Wir haben einen Ganztagesplatz für Signorino seit Februar, so dass ich fälschlicherweise davon ausging, dass das Kind schon irgendwie mitmacht. Es würde sich um 1,5 Stunden mehr handeln, die er nun in der Kita verbringen würde. „Würde“ deswegen, weil er nicht will. Er ist komplett aus dem Häuschen, weint viel, braucht wieder seinen Schnuller und will nur noch zu Hause bleiben. Nach Absprache mit den Erzieherinnen paddelten wir zurück, was bedeutet, dass wir für einen Vollzeitplatz zahlen, aber ihn abholen wie zuvor. Solange, bis er wieder „angekommen“ ist.

Generell ist momentan der Wurm drin, denn das Kind schläft nicht mehr. Das bedeutet, dass ich jede Nacht von 1 bis 5 Uhr bei ihm wache, mit der Betonung auf wachen. Er schläft, irgendwie, sich viel bewegend, neben mir. Zusammen sind wir wie die Sardinen in ein 90-Zentimeter-Bett gequetscht, während der römische Gatte alleine im Ehebett schlafen darf. Dabei ist es nicht so, als würde sich der Römer absichtlich rar machen. Vielmehr ist er der erste, der am Schauplatz des Geschehens, Signorinos Kinderzimmer, ankommt, sobald der Sprössling schreit und nach uns ruft. Doch Signorino lässt sich nicht vom Römer einlullen. Nur Mama wird im Kinderbett akzeptiert.

Und Mama? Ist meistens müde, verteilt 16 Stunden Arbeit auf 3-4 Bürotage aufgrund der Signorino’schen Kitaverweigerung und schmiert sich aktuell ihr Studium in die Haare. Man sagt Privatuniversitäten gerne nach, dass einem der Abschluss hinterher geworfen wird. Dem ist leider nicht so. Man muss sich tatsächlich hinsetzen und dafür lernen. War mir auch neu. 😉

Immerhin, in größter Müdigkeit, Signorino hatte ich kurz vorher in die Kita kutschiert, durfte ich feststellen, dass meine Söder’sche Hausarbeit korrigiert wurde. 9,77 von 10 Punkten darf sich durchaus sehen lassen. Am Ende der Arbeit stand ein Kommentar des Professors: „Herzlichen Glückwunsch zu dieser fulminanten Arbeit! Machen Sie weiter so. Alles Gute! Prof. XY“. Immerhin hat sich mein Aufwand gelohnt, auch wenn mein Professor den Vermerk „PR“ am Anfang neben meine Arbeit geschrieben hat. Nun ja, PR ist Journalismus definitiv nicht. Zumindest sollte es nicht so sein, aber bei 9,77 von 10 Punkten (ich erwähne es gerne nochmal!) will ich mal nicht so streng sein.

Vor lauter Freude war ich dementsprechend nicht mehr in der Lage, mich vormittags auszuruhen. Da ich aber über ein komplettes Matschgehirn verfüge, kümmerte ich mich als Übersprungshandlung um die Steuererklärung. Ein Datensatz fehlt mir noch, dann wäre dieses Thema auch erledigt.

Übrigens, weil ich gerade so am konzeptlosen Schreiben bin: Auditive Nachrichten lassen sich im Zustand mütterlicher Müdigkeit von meinem Gehirn nur schwerlich dekodieren, aber Autofahren klappt immer noch 1a. Heute verhinderte ich zwei Unfälle, bei denen ein Busfahrer und ein Offenbacher Luxusschlitten doch tatsächlich auf die Fahrbahn rollen wollten, ohne vorher zu gucken, dass meine Wenigkeit bereits am Anrollen war. Außerdem bremste ich geistesgegenwertig als eine Dame mit flottem Kurzhaarschnitt in der Farbe von Eichhörnchenfell die Fahrertür aufriss. Zack! Hatte ich gebremst und wir waren beide froh, dass ich das rechtzeitig tat. Das Eichhörnchen winkte entschuldigend, ich lächelte in meinen verwaschenen Kapuzenpullover. Wieder ein Menschenleben gerettet! Es kann so einfach sein. 😉

In diesem Sinne: Lassen Sie sich bitte nicht vom Winde verwehen. Seien Sie vernünftig und bleiben Sie im Haus, wenn Kleinwagen und Gartenstühle an Ihrem Fenster vorbeifliegen wie Blätter eines Werbeprospekts.

Und für all diejenigen, die ähnlich der Eichhörnchen-Frau gedankenverloren die Autotür aufreißen. Ich habe da etwas für Sie: Klick!

Sonntags in Frankfurt

Es gäbe viel zu berichten, aber nichts, was ich momentan in Worte gießen kann und möchte. So schweben nur wirre Worthülsen durch meinen Kopf, die keine richtige Form oder gar ein Muster ergeben.

Deswegen müssen Sie heute mit Fotos vom sonntäglichen Frankfurt vorlieb nehmen. Wir fuhren zur Piazza della Repubblica, wie der Platz der Republik in Frankfurt beim römischen Gatten und mir seit jeher heißt. Mit der römischen Piazza della Repubblica hat der Frankfurter Namensvetter allerdings wenig gemein. In Rom stehen vor einem äußerst luxuriösen Hotel wunderbare, glänzende, italienische Luxuskarossen. Es riecht hier eindeutig nach Geld. An der Frankfurt Piazza della Repubblica riecht es trotz angrenzender Sparkasse nicht im geringsten nach Geld. Auch das dort befindliche Hotel hat wenig mit dem römischen Luxuspalast gemein, außer vielleicht den Namen „Hotel“. Es gehört zu einer Billigfluggesellschaft und begrüßt einen mit einer leuchtend orangen Reklame. Das Hotel ist „easy“ und das verspricht bereits der Hotelname. Wenn’s dem internationalen Publikum im römischen Hotel Exedra zu extravagant wird und sie sich nach etwas einfachem sehnen, wäre das vielleicht die richtige Wahl? 😉

Unsere Kleinfamilie entert das Westend, in dem nichts easy gehalten ist. Ein Stadtteil, in dem man keine Ruhestörungen duldet. Stumme Altbau-Paläste blicken mürrisch auf die Straßen, auf denen leise sprechende Spaziergänger zu zweit unterwegs sind. Selbst die Kinder spielen leise und höflich auf dem Spielplatz des Westendplatzes. Signorino flüstert immer wieder “Fiiiesch!” und ich befülle Fischförmchen mit Sand. Der Römer steht mit Sonnenbrille neben uns, eine gelbe Schaufel in der Hand, die er nicht benutzt, und blinzelt in die Sonne. „Mi mancava. [Es fehlte mir.]“, sprach der Gatte und atmete selig ein und aus. „Was denn?“, fragte ich, während ich einen weitern Fisch stürzte. Mittlerweile hatte ich ein ganze Aufzuchtstation für Sandfische entworfen, die Signorino munter zerstörte. „Il sole!! [Die Sonne!!]“, sprach der Mann fast schon empört, weil ich nicht sofort verstand, was dem Mann seit Wochen oder Monaten fehlte. „Ah!“, ging mir ein Licht auf. „Kannst du mir bitte deine Schaufel geben? Meine funktioniert nicht und du spielst ja eh nicht damit.“, hakte ich beim römischen Sonnenanbeter nach. Er überreichte sie mir wortlos, setzte sich auf die Bank und lächelte zufrieden in den Frühlingshimmel.

Bitte nicht stören! Der Westendplatz.

Schließlich bestach ich den Sohn mit zwei Quetschies und wir konnten den Spielplatz verlassen. Das Ziel war gesetzt: die italienische Konditorei, welche sich wenige Minuten vom Spielplatz entfernt befindet.

Blühen erwünscht! Im Westend sind Frühlingsboten erlaubt, solange sie leise ihre Blüten öffnen.

Signorino wurde wie immer herzlichst begrüßt und winkte zaghaft. Der Römer suchte sechs Pasticcini, Törtchen, aus und wir traten den Heimweg an.

An der alten Oper ist mehr los. Ein 8jähriges Kind fuhr dort E-Bike. In Frankfurt. Die einzige Erhebung, die es in Frankfurt gibt, ist die vom Ostpark nach Bornheim. Und selbst die schafft ein Kind auch ohne Elektroantrieb. Zu meiner Zeit hätte es das im Voralpenland nicht gegeben.
Von Kunst und Architektur verstehe ich nicht viel. Brutal sieht der ausgeschlachtete Bau an der Mainzer Landstraße dennoch aus. Aber ist es deswegen schon Brutalismus?
Im Westend kamen wir wie immer bei der Pasticceria Brixia vorbei. Es ist Sonntag, was hätten wir tun sollen? Man kann sich wohl kaum ein römisches Gewächs nach Frankfurt importieren, wenn man nicht bereit ist, ihm zumindest ab und an ein bisschen Dolce Vita vorzugaukeln.

WMDEDGT – Februar 2022

Es ist der 5. und Frau Brüllen fragt wie immer: “Was machst du eigentlich den ganzen Tag?” oder, etwas kürzer:WMDEDGT.

Gegen 04:00 Uhr: Ich höre den Römer ins Kinderzimmer eilen. Das Kind ruft. Wie schon seit seinem 2. Geburtstag ist mein müder Körper auf beiden Ohren taub. Das ist nicht vorsätzlich, sondern tatsächlich erwache ich, einmal eingeschlafen, erst, wenn der Römer schon zum Kind unterwegs ist. Ich strecke mich im großen Bett aus und erwarte die Rückkehr des Römers nicht vor dem Morgengrauen.

07:00 Uhr Der Römer packt eifrig die letzten Dinge in seinen Rucksack. Ich schlafe gleich wieder ein.

08:00 Uhr Der Römer verabschiedet sich. Heute geht es nach Albanien. Eigentlich wollte er schon gestern fliegen, aber der Winterflugplan machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Deswegen fliegt er heute und kommt morgen Nachmittag wieder. Er wünscht mir eine schöne Zeit. Ich lächle schlaftrunken. Jaja, wird toll! Ciao Kakao und Arrivederci!

08:30 Uhr Das Kind schreit, weil der Römer seine Kinderzimmertüre zugemacht hat und der kleine Kerl sie schlaftrunken nicht so schnell wie gewohnt aufbekommt. Ich erwache, springe auf und befreie ihn und wir frühstücken. Er will „Sneke“, eine Hefeschnecke also. Nach 36 Stunden ohne Erbrechen beschließe ich, dass Sneke schon klar geht. Das Kind muss ja wieder zu Kräften kommen. Er vertilgt Sneke, ich esse das was von der Schnecke übrig bleibt und trinke Espresso und Schwarztee dazu.

10:00 Uhr Das Kind ist angezogen. Da die meisten Oberteile vollgespuckt waren, leiden wir momentan an einem akuten Mangel an Kleidung. Mutti kommt mit dem Waschen gar nicht mehr hinterher. Er trägt heute eben ein Pyjama Oberteil, dass als ein Normales durchaus durchgehen könnte. Ich beschließe zu duschen, kommuniziere das dem Kind und lasse die Badezimmertür offen. Meine Duschzeit, das sollte ich wohlwollend erwähnen, ist auf alle Fälle länger geworden im Vergleich zu damals als Signorino ein Baby war und man sich unter der Dusche zum Hampelmann machen musste. Signorino kommt mit einem gelben Plastikbecher an und will Wasser. Ich, immer noch duschend, lasse ihm etwas Wasser aus dem Duschschlauch in die Tasse. Er schüttet das Wasser zurück in die Badewanne, in der ich stehend dusche. „No ´mal!“, also nochmal, will er Wasser. Immer wieder. Ich wasche währenddessen die Haare, gieße Wasser nach, spüle meine Haare aus, gieße Wasser nach. Und so weiter und so weiter. Irgendwann ist es dann auch mal genug mit Duschen und ich steige aus der Badewanne aus.

10:30 Uhr Die Stimmung kippt. Signorino will jetzt „Ein Eis!“. Ich sage Nein. Er heult, brüllt und zwickt. Letzteres ist neu. Die Stimmung kriegt sich nicht mehr so richtig ein, er quengelt, motzt, schreit, beschwert sich. Ich beneide den Mann, der seelenruhig in einem Flugzeug sitzt und vermutlich die Aussicht auf Sitzplatz 5A genießt. Dann beschließe ich, dass wir versuchen, ob aus den Granatapfel- und Mandarinenkernen ein Baum entwächst. Ich hole einen Eierkarton, wir geben Erde hinein, setzen die Samen ein, gießen und ich habe die grandiose Idee, auf die Kartonseite zu schreiben, was darin hoffentlich bald wächst und gedeiht. Zusätzlich werfe ich noch ein paar Chillis in die zwei übrig gebliebene Eierkartonboxen. Dank der Heidelberger Verwandtschaft verfügen wir über so viele Chili-Samen, dass wir eine Chili-Farm aufmachen könnten.

Chilli habe ich auch dazu geworfen. Danke an die Heidelberger*innen für diese wunderbaren Samen!

11:30 Uhr Die Haare sind geföhnt, das Kind in 1001 Schichten gegen die Kälte gepackt, das Retourenpaket ist zugeklebt, wir können los. Signorino will den Buggy nehmen, aber auf diesen Trick falle ich nicht mehr herein. In der Vergangenheit sah das so aus: Er sitzt 30 Sekunden im Buggy, dann beschwert er sich und will getragen werden. Also schleppt man das Kind durch die Gegend, während man den Buggy mit einer Hand schiebt. Ne, ne. Da kann ich ihn auch gleich tragen. Er geht 20 Meter, dann, Sie ahnen es bereits, will er getragen werden. Ich schleppe Paket und Kind bis es mir gelingt, ihm den Mittelstreifen der Allee schmackhaft zu machen. Er sammelt Stöcke, ruft Gagai (Staubsauger auf Signorinisch) und wir staubsaugen die Allee bis zur Packstation. Immer, wenn ich aufhöre, Staubsauger-Geräusche zu machen, erinnert mich Signorino streng an meine Pflichten als Mutter, die auch darin bestehen, die richtigen Geräusche zur richtigen Zeit zu machen. An der Packstation angekommen, geben wir das Paket auf. Dann nehmen wir die Rolltreppe zum Bahnsteig, saugen den Bahnsteig mit dem Stock ab, und nehmen die Rolltreppe wieder nach unten. Ein Stück an der großen Straße, dann möchte Signorino gerne getragen werden. Ich schleppe das 13 Kilo Kind Richtung Grundschule. Dort möchte er von meinem Arm, weil er traurig am Zaun stehen und wissen will, wo die “Babys” sind. Die Babys, die in der Realität Schulkinder sind, haben Wochenende. So wie wir. Ich mache das “Ciao Ciao!”-Spiel und tue so, als würde ich schon mal gehen. Signorino lacht und läuft mir hinterher. Dann bleibt er abrupt stehen und will, dass ich wieder vier Schritte vorausgehe und “Ciao Ciao” sage. Irgendwann sind wir dann daheim. Das Kind will “Waffen”. Hört sich gefährlich an, sind aber nur Waffeln. Er kann das L noch nicht aussprechen. Klar würde ich ihm lieber Brokkoli-Quinoa Taler geben, aber machen wir uns nichts vor: Die verschmäht er eh. Da wir nach dem vielen Erbrechen in der Aufpäppel-Phase sind und er eh so dürr ist, kann er ruhig Waffeln essen. Ich hole die Zutaten aus dem Kühlschrank. Er gähnt. Wieder und wieder. Na, dann geht es eben rasch ins Bett. Gute Nacht, Signorino.

13:30 Uhr Der Mann ist gut angekommen. Das verrät mir nicht etwa eine liebevolle Nachricht. Ne, meine Kreditkarte hat’s mir gesagt. “Sie haben 5500 Lek am Flughafen Tirana abgehoben.” informiert sie mich. Ja, dann wird das wohl so sein. Wer den Umrechnungskurs nicht kennt, wird vermutlich denken, dass der Mann sich ins Ausland mit meiner Kreditkarte absetzt. Aber es sind nur 45€. Weit kommt er damit nicht.

14:00 Uhr Wir haben seit Wochen (oder Monaten) einen geringfügigen Wasserschaden in der Küche. D.h. in unregelmäßigen Abständen füllt sich eine Fuge mit Wasser und verteilt 100ml klare Flüssigkeit in der Küche. Da es aber so wenig Wasser ist, welches auch nicht regelmäßig austritt, wischen wir es auf, suchten zwei Mal nach dem Problem (und fanden es nicht) und gingen dann dazu über, damit zu leben. Denn, wenn eines hier fehlt, dann ist es Zeit. Heute aber, der Mann ausgeflogen (immerhin nicht abgeschoben), das Kind schlafend, fragte ich mich, was seit Wochen Fehler “OE” auf dem Display der Waschmaschine bedeutet. In der Vergangenheit deutete ich es mit “Wird schon passen. Dann mache ich die Waschmaschine aus und räume sie aus.”. Jetzt stellte sich nach einer kurzen Suchaktion im Interner aber heraus: Es bedeutet “Knick im Abflussschlauch” (unmöglich, haben wir schon überprüft) oder “Säubern Sie das Flusensieb”. Huch! Das habe ich wahrlich noch nie gemacht. “Lassen Sie dazu das Wasser über den Schlauch neben dem Flusensieb ab.”. Haha! Ich ließ also zehn große 0,75 Liter Flaschen Wasser ab. Das sagt dir auch keiner vorher. Gut, die Bedienungsanleitung hätte das getan, aber wer hat Zeit die Bedienungsanleitung zu lesen? Ich zog also das Sieb heraus. Es hakte etwas, was daran lag, dass sich eine riesige, haarige, dunkelblaue Fluse darin verhedderte. Ich säuberte und entfernte alles Flusige und tada: Jetzt sollte es wieder laufen. Danach reinigte ich die Trommel mit dem Waschprogramm, dass den fantasievollen Namen “Trommelreinigung” trägt und hoffe nun, dass der Wasserschaden damit auch behoben ist. Übrigens, hier ein Service Tipp: Beim Auffangen des Wassers wird empfohlen ein Handtuch unter die flache Schüssel (oder eine Flasche) zu positionieren, keine Kinderhose, die in der Nähe liegt und eh zu waschen ist. Und ja, da hat sich jemand was dabei gedacht. 🙈

16:00 Uhr Der Mann ruft an, leider höre ich den Anruf nicht. Ich rufe zurück und werde mit einem “Senti, non ti volevo chiamare. [Hör mal, ich wollte dich gar nicht anrufen.]” Hach, wie charmant. Soll er sich doch mit seinen 5500 Lek in Albanien absetzen. Er sei im Auto des Bruders eines Freundes, schildert er mir. Er rufe nachher zurück, wenn er bei seiner Familie sei.Na dann. Signorino und ich essen Waffeln. Richtig viel Hunger hat der Kleine nicht. Ich biete ihm Banane an. Die will er auch nicht.

17:30 Uhr Albanien ruft an. Ganz witzig, die Szene mit Mann im Telefon zu sehen. Ich fühle mich nicht Videotelefonie tauglich und zeige das Kind. Übrigens ist das ein grandioser Vorteil, wenn man ein Kind hat. Man muss sich der Verwandtschaft nicht stellen. Alle albanischen Familienmitglieder rasten aus vor Freude und kramen ihr verstaubtes Italienisch raus, um mit Signorino zu kommunizieren. Ein Raunen geht durch die Menge als er „Ciao Ciao“ sagt und winkt. Jede*r will Signorinos Aufmerksamkeit. Ihm ist das egal. Er will am liebsten mit seinen Legos spielen. Ich lasse Grüße an alle ausrichten. Wir verabschieden uns! Mirupafshim!

19:00 Uhr Das Kind hat etwas gegessen. Nicht viel, aber immerhin etwas. Ich lese meinen heutigen Text, also diesen, den Sie gerade lesen, und schäme mich. Eine bunte Mischung aus Flüchtigkeitsfehlern und Autokorrektur macht aus meinem Text einen tollen Übungstext für Schüler. Das Motto wäre „Markiere die Fehler und schreibe die falsch geschrieben Worte korrekt“. You‘re welcome. Vielleicht haben Sie noch nicht genug Übungsblätter für den Nachwuchs. Und Ja, das war ein Scherz. 😄 Ich gehe mich dann mal um meine Ofenpommes kümmern. Wenn der Mann außer Haus ist, kann ich auch mal Nicht-Italienisch essen, ohne vorher einen 30 minütigen Vortrag lauschen zu müssen, warum die italienische Küche die beste der Welt ist.

20:55 Uhr Die italienische Hymne ertönt. Es ist der letzte Abend von Sanremo. Man darf gespannt sein.