Jahresresümee 2022

Wie jedes Jahr beginne ich den letzten Tag des Jahres mit meinem Lieblingszitat für die Jahreswende:

For last year’s words belong to last year’s language. And next year’s words await another voice. And to make an end is to make a beginning. [T.S. Eliot]

Und hier kommt der Jahresrückblick 2022

1. Ganz grob auf einer Skala von 1 bis 10: Wie war Dein Jahr? Alles in allem eine solide 7. Am Anfang des Jahres ging unser Plan nicht auf, dass das Kind ganztags in die Kita ging und ich arbeitete mich halb tot. Gegen Mitte des Jahres drängte ich den Römer 1,5 Stunden weniger zu arbeiten und es wurde angenehmer. Dennoch: chronisch überarbeitet, kein Land in Sicht, furchtbar anstrengend alles zu balancieren.


2. Zugenommen oder abgenommen? Ich vermute gleichbleibend, wiege mich aber nie. Alle Jeans passen noch.

3. Haare länger oder kürzer? Kürzer, weil ich beim Friseur war nach drei Jahren. Ja, so eine bin ich, die seltenst zum Friseur geht.

4. Kurzsichtiger oder weitsichtiger? Deutlich kurzsichtiger. Man sagt in meinem Alter verändert sich die Sehstärke kaum. Das kann ich aber nicht bestätigen.


5. Mehr Kohle oder weniger? Etwas mehr Gehalt, aber durch gestiegene Lebenshaltungskosten (NK, Strom, Lebensmittel) eher weniger.

6. Besseren Job oder schlechteren? Der Büro-Minijob wurde zum Teilzeitjob. Anfang Dezember ging es wieder bei der Fluglinie los. Vorerst rein monetär, da ich noch Resturlaub habe. Ab Februar muss ich anscheinend wirklich für mein Geld arbeiten, wie ich das aus dem Dienstplan herauslese.


7. Mehr ausgegeben oder weniger? Vermutlich mehr.

8. Dieses Jahr etwas gewonnen und wenn, was? Viele Erkenntnisse: 1. Städtereisen im August mit Kleinkind sind quälend. 2. Unser Kind ist tatsächlich anders als die anderen Kinder und es ist keine Einbildung. 3. Der Tod macht mir keine Angst mehr.


9. Mehr bewegt oder weniger? Mit einem Kleinkind rennt man immer noch recht viel. Man schleppt auch viel Kind durch die Gegend oder hievt den Kinderwagen hoch und runter. Letztens wurde ich sogar in der Arbeit gefragt, ob ich viel Sport mache.


10. Anzahl der Erkrankungen dieses Jahr? Eine heftige (Magen-Darm). Dazwischen ein paar Mal Schnupfen, grippale Infekte, Schlappheit, etc..

11. Davon war für Dich die Schlimmste? Meine Magen-Darm-Geschichte.


12. Der hirnrissigste Plan? Städtereise mit Kind im August.

13. Die gefährlichste Unternehmung? Das Kind mitsamt Kinderwagen die Treppe zur U-Bahn alleine runter hieven zu wollen. Mit komplett vereister Scheibe Auto zu fahren.

14. Die teuerste Anschaffung? Immer noch das Auto + Instandhaltungskosten.


15. Das leckerste Essen? Vom Römer Selbstgekochtes. Ich möchte auch sehr gerne die frittierte Aubergine im Sakura Sushi Café.

16. Das beeindruckendste Buch? Definitiv “Chamäleon” von Annabel Wahba.

17. Der ergreifendste Film? Kannte ich schon, aber bei “Lion – der lange Weg nach Hause” weint man nochmal ganz anders, wenn man ein Kleinkind hat.

18. Der beste Song? Wir hören immer noch hauptsächlich Signorinos Liederauswahl. “Certe Notti” von Ligabue, das wir alle drei zusammen auf der Couch trällerten, viel Enrico Einaudi, der mir beim Konzentrieren fürs Studium half.


19. Das schönste Konzert? Okay, den Punkt sparen wir uns – wie immer.

20. Die meiste Zeit verbracht mit? Signorino, dem Römer, Turtle.


21. Die schönste Zeit verbracht mit? Signorino, der Römer, Turtle

22. Zum ersten Mal getan? Den Mobilitätsservice fürs Auto gerufen, für mein “ungewöhnliches” Kind eingestanden, den Schnuller (hoffentlich erfolgreich) abgewöhnt.

23. Nach langer Zeit wieder getan? Beim medizinischen Dienst meines Arbeitgebers zur Flugdiensttauglichkeit angetreten (und bestanden), in die Firmenzentrale des anderen Arbeitgebers gereist.

24. Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen? Wasser überall in der Küche, Auto, das nicht anspringt, alleine mit Kleinkind Magen-Darm überleben.


25. Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte? Uns geht’s doch hier richtig gut.

26. Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe? Puh, da müsste man diesen „jemand“ fragen.

27. Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat? Ich weiß es nicht.

28. Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat? “Ich hab dich lieb, Mama.”; “Hier ist Ihre Flugtauglichkeitsbescheinigung. Willkommen zurück.”

Mini-Signorino und Römer


29. Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe? Du bist genauso perfekt wie du bist.


30. Dein Wort Satz des Jahres? Ich habe schon viel von dir gehört.

31. Dein Unwort des Jahres? Kindergartenplatz. Offener Biss.

In diesem Sinne: Bleiben Sie gesund, liebe Leser, und rutschen Sie entspannt ins neue Jahr 2023.

*Werbung

Weihnachtsidylle

Dreijährige verfügen über eine ganz besondere Eigenschaft: sie verweigern sich jeglicher Logik und handeln meist vollkommen unvorhersehbar. Jede Software der künstlichen Intelligenz würde an dieser Personengruppe verzweifeln. Unzählige Vorhersagen pro Sekunde – und keine würde auf Signorino zutreffen. Willkommen im Leben mit einem Dreijährigen.

Quelle: Peng Streetart

Am ersten Weihnachtsfeiertag spazierten wir durch den großen Park am Ende unseres Wohnviertels. Als Signorino aus dem Kinderwagen entlassen werden wollte, wir den Reißverschluss des warmen Sitzsackes öffneten und ihn auf den geteerten Spazierweg hoben, stellte er empört fest: „Es ist eiskalt!!“ Dies mag auch daran liegen, dass er unbedingt die „weißen (Turn-)Schuhe“ anziehen wollte. Nach dieser frostigen Feststellung machte er gleich noch eine weitere: „Oh! Überall Garten!“ und peste über das matschig-braune Grün. Ich klammerte mich am Kinderwagen fest. Keine zehn Pferde würden mich in und auf diese Matschfläche bringen. Entschuldigend guckte ich den Gatten an, der zweifelnd seine ebenfalls weißen Turnschuhe betrachtete. Das Kind jagte derweil über die Wiese, immer wieder „Garten! Garten!“ schreiend. Als er über eine Wurzel fiel, eilte der Römer mit seinen hellen Ledersneakern zum Kinde. „Alles gut, Signorino!“, rief ich aufmunternd vom beinahe trockenen Teerweg und fuhr den Kinderwagen immer auf Höhe des Vater-Sohn-Gespanns entlang. Nach zehn Minuten, wir überquerten in der Zwischenzeit eine Straße, kamen wir im zweiten Teil des Parkes an. Dort standen vermehrt Bäume, die alle betrachtet, betatscht und umarmt werden mussten. „Oh! Großer Baum.“, machte uns Signorino auf die Höhe der Bäume aufmerksam. Ich nickte und tätschelte abwechselnd Baumrinde und blonde Kinderhaare. „Sehr gut, Mama.“, lobte mich das Kind als ich den Baum zum wiederholten Male tätschelte. Immerhin erkannte einer in dieser Familie meine Talente.

„Noch mehr Garten!“, brüllte das Kind nach diesem kurzen Lob und flitzte vom Teerweg zur Matschwiese. Ich rannte hinterher. Auf einer Anhöhe angekommen, fragte das Kind: „Oh! Was ist das denn?“ Dabei zeigte er auf eine spiegelglatte Fläche. „Eine riiiesige Pfütze!“, gab sich das Kind selbstbewusst eine Antwort. „Signorino, das ist ein See.“, sprach ich fachmännisch, doch das Kind schnappte sich bereits meine Hand und wir rannten Richtung See.

Generell, das muss ich an dieser Stelle anmerken, gibt es beim Kind nur wenige Mobilitätsstufen: Rennen, in Zeitlupe schlürfen, lustloses vor sich hinstolpern (wenn man morgens zur Kita muss) oder „Mama, tragen!“, wobei das vielmehr meine Mobilitätsstufe ist, wenn ich ein 16 Kilogramm schweres Kind durch Frankfurt schleppe.

Wir rannten also zum Gewässer. Der Römer, der zuvor seine Schuhe mit etlichen Feuchttüchern gereinigt hatte, war diesmal in der komfortablen Position den trockenen Teerweg zum See nehmen zu können. Dabei betrachtete er sehr zufrieden die Landschaft. „Mama, können wir baden?“, fragte das Kind und es war eine rein rhetorische Frage, denn er stapfte bereits selbstbewusst zum Ufer. „Äääh…nein!“, antwortete ich sehr irritiert. Das Kind drehte sich nicht eine Sekunde zu mir um, sondern rief stattdessen sehr überzeugend: „Okay – baden!“. Ich flitzte hinter dem laufenden Meter hinterher und krallte mir seine Kapuze – sicherheitshalber. „Mama, baden!“, manifestierte Signorino noch einmal seinen Wunsch sich in die kalten Fluten stürzen zu wollen. „Nein, das machen wir nicht.“, sprach ich vehement und hob ihn sicherheitshalber hoch.

Das Kind rastete filmreif aus. Er wurde knallrot, trat um sich und insistierte, dass er jetzt aber im Brackwasser dieses Frankfurter Sees baden wolle. Der Mann kam schlendernd bei uns an und sprach sehr verständnisvoll: „Che c’è, amore mio? [Was ist los, mein Schatz?]“. „BADEN!!!!“, brüllte unser Sprössling und wütete weiter auf meinem Arm. „Scusa? (Wie bitte?]“, hinterfragte der Römer seinen Wunsch und hoffte insgeheim auf ein deutsch-italienisches Verständigungsproblem. Doch es war keines.

Verständnislos guckten der Römer und ich uns an. Nicht nur, weil der Wunsch an diesem Tag, in dieser Jahreszeit, ein Wunsch bleiben würde. Nein, auch weil wir das Kind seit zwei Jahren nur unter heftigstem Gebrüll in der heimischen, wohltemperierten Badewanne waschen können. Mit jeglichen Tricks versuchen wir es dem Kind so angenehm wie möglich zu gestalten, aber es ist jedes Mal aufs Neue ein Drama in drei Akten. „Forse la temperatura dell’acqua non era giusta. [Vielleicht war die Wassertemperatur nicht richtig.]“, bemerkte der Gatte augenzwinkernd und blickte auf das eiskalte Seewasser. Ich guckte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen und einem immer noch brüllendem Kind auf meinem Arm an. „Gehen wir.“, seufzte ich und wir traten den Rückzug an.

Als wir uns langsam vom See entfernten, unterbrach Signorino seinen Wutanfall für eine Frage: „Oh! Was ist das?“, wollte er wissen und zeigte auf eine Mischung aus Ratte und Hund. „Ein Nutria.“, klärte ich ihn auf. „Ein Nutella!“, wiederholte Signorino freudig. „Nu-tri-a.“, versuchte ich es etwas deutlicher auszusprechen. „Nu-tel-la.“, versuchte es Signorino noch einmal. „Ok. Nutella.“, gab ich nach. Wir beobachteten das Nutella eine ganze Weile bis es dem Römer zu kalt wurde. „Ragazzi, andiamo? [Leute, gehen wir?]“, sprach der Gatte und rieb sich die Handflächen aneinander. Ich nickte und schnappte mir Signorinos Hand, die ich leicht zog. „Tschüss, Nutella! Schlaf gut!“, rief der Dreijährige dem Nutria zu. Es drehte sich etwas irritiert um und wackelte Richtung Ufer. „Nutella geht baden.“, stellte das Kind nun fest. Wir setzten Signorino in den Kinderwagen, schlossen den Fußsack und ließen ihn ein letztes Mal winken, ehe er auf die Idee käme, dass er auch gerne mit dem Nutria baden gehen würde. „Ciaoi, Nutella!!! Bis später.“, rief Signorino noch einmal Richtung Frankfurter Nutria.

Frankfurter Nutria

Daheim angekommen bereiteten wir alles für die Signorino’sche Badewanne vor. Als hätten wir es gewusst, brüllte das Kind wie am Spieß. Er? Baden? Seine Eltern mussten verrückt sein! Ein Signorino geht nicht baden.

Der Römer und ich blickten uns resigniert an. „È così. [So ist es halt.]“, sprach der Gatte, zuckte mit den Schultern und schnappte sich Signorino. Dann badeten wir Signorino unter lautem Geschrei.