Master of Time

Vor etwas mehr als einem Monat machte ich eine interessante Entdeckung in einem Podcast. Darin sprach die Moderatorin davon, dass sie all ihre Handybenachrichtigungen ausgeschaltet hat. SIE möchte entscheiden, wann SIE Nachrichten lesen will und wollte das Ruder nicht mehr an die Messenger-Dienste abgeben, die sie kontinuierlich daran erinnerten, dass eine Nachricht für sie eingetroffen sei.

Ich fand die Idee grandios und tat es ihr nach, da ich nicht mehr wollte, dass Whatsapp* und Co entscheiden, wann ich Nachrichten lesen soll. Seitdem ist mein Leben wunderbar ruhig und mein Umfeld wunderbar genervt.

“Mi ti ho scritto dal supermercato e ti ho mandato oppure le immagini!! [Aber ich habe dir doch vom Supermarkt aus geschrieben und dir sogar Bilder geschickt!!]”, motzte der Römer und kam mit Schmand statt saurer Sahne nach Hause. “Macht doch nichts. Dann benutzen wir halt die.”, winkte ich ab. “Aber du musst doch deine Nachrichten lesen!”, blieb der Römer bei seiner Meinung. “Ja, aber ich mache jetzt das “Master of Time”-Modell. Ich entscheide, wann ich Nachrichten lesen will – nicht das Handy.”, erklärte ich, vollends von meiner Idee überzeugt. “E se succede qualcosa? [Und wenn etwas passiert?]”, hakte der Römer nach. “Na, dann rufst du hoffentlich an!”, antwortete ich. Der Römer schwieg. Seine Frau musste verrückt geworden sein.

Manchmal bekomme ich auch wunderbare Urlaubsbilder geschickt. Diese Kaktusblüte wurde auf sen Kapverden aufgenommen.

“Ich habe dir aber geschrieben, dass ich die Tram verpasst habe und 20 Minuten später ankommen werde.” sprach mein Freund, der Andere. “Oh. Das habe ich gar nicht gelesen.” sagte ich, schob die Sonnenbrille zurück auf die Nase und legte das Buch weg. Die Wartezeit hat mich nicht weiter gestört. Ich las einfach mein Buch auf der sonnigen Café-Terrasse weiter. Hätte ich die Nachricht gelesen, hätte ich wohl entschieden, noch etwas im dunklen Büro zu sitzen und weiterzuarbeiten. So wusste ich, dass ich pünktlich sein musste und gewann spontan 20 Minuten Lesezeit in der Sonne.

So exquisit wie bei Nonna Vincenza in Rom war der Café-Besuch leider nicht, aber die Zeit war dennoch wunderbar.

Gestern verkaufte ich über Kleinanzeigen eine Kinderrutsche aus Holz fürs Kinderzimmer. Um 11 Uhr wollte der Käufer hier sein, um sie abzuholen. Um 11:15 Uhr war von ihm noch immer keine Spur. Dabei gab ich ihm extra meine Handynummer. Um 11:20 Uhr rief er an. Der Römer trug die Rutsche die Treppe herunter und war leicht sauer ob der Verspätung, kriegte sich aber schnell wieder ein. Auch die Gegenpartei war etwas irritiert, warum auch immer. Als ich einige Stunden später Whatsapp* aufrief, entdeckte ich zwei zuverlässig abgeschickte Nachrichten des Käufers, die seine Ankunft ankündigten:

10:48 Uhr “Hallo, ich bin in 10 Minuten da.”

10:58 Uhr “Hallo, ich warte im Innenhof.”

Leider wusste der nette Käufer nicht, dass er es mit einem seltenen Exemplar ohne Push-Benachrichtigungen im Messenger-Dienst zu tun hatte. So warteten wir beide – er im Auto im Innenhof und ich in der Wohnung – und das bis 11:20 Uhr. Ein Anruf hätte uns beiden helfen können, doch nur er hatte meine Telefonnummer und ich hatte keine Ahnung, dass er mir bei Whatsapp* schreiben würde. Aber schließlich fanden wir doch noch zusammen und die Rutsche fand einen neuen Eigentümer.

Der Käufer wartete im Innenhof mit einem ähnlich großen Auto.

Wie ist nun mein Resümee nach einem Monat? Ganz einfach: Ich bin herrlich entspannt. Irgendwie finden jegliche Nachrichen dann doch noch ihren Weg zu mir. Und ja, ich bin wirklich der “Master of Time”.

Wie mein Umfeld damit umgeht? Sie gewöhnen sich langsam daran, dass sie zum Telefonhörer greifen müssen, wenn es dringend ist.

Nur eine Lektion habe ich gelernt: Kleinanzeigen-Käufern teile ich nächstes Mal mit, dass sie bitte anrufen sollen, da ich bei Whatsapp* schlecht erreichbar bin. 😉

*Werbung, unbezahlt und unbeauftragt.

Römische Missverständnisse im Café

„Ma no! Non ancora.[Aber nein! Nicht schon wieder.]“, stöhnt der Römer resigniert und starrt sein Original französisches Brioche auf dem matten Teller entsetzt an. Der mit Hagelzucker gesüßte Hefebrocken starrt mürrisch zurück. „Jedesmal passiert mir das. Es will einfach nicht in meinen Kopf gehen!“, erklärt er mir verzweifelt und schmachtet dabei mit großen Augen mein Pain au Chocolate an. Verständnisvoll nicke ich und beiße von meinem süßen Blätterteigteilchen ab. Als sein Blick immer sehnsüchtiger wird, gebe ich ungefragt nach. „Hier, bitte schön.“, sage ich, wische mir die Blätterteigkrümel aus dem Mundwinkel und schiebe ihm das beinahe intakte Süßgebäck hinüber. Er lächelt selig und kaut zufrieden unter lauter „Aber das wäre doch nicht nötig gewesen“-Beteuerungen mein Pain au Chocolate, nur um mir dann den traurigen Hefeklumpen an meine Seite des Tisches zu schieben.

Pain au Chocolate – alles besser als der Hefekloß

Blasiert starrt mich das unerwünschte Gebäckstück des Römers an. Während ich auf den flinken Kellner warte, zupfe ich ein, zwei Hagelzucker-Körner von der glatten Oberfläche. „Entschuldigen Sie bitte, könnten Sie mir etwas Marmelade zum Brioche bringen?“, frage ich den an mir vorbeiflitzenden Kellner. „Sehr gerne, Madame. Kommt sofort.“, spricht dieser am Vorübergehen.

Als der Römer sein, nein, mein Gebäck beinahe vertilgt hat, kommt er ins Sinnieren: „Warum kann man in Italien eigentlich ein ‚Brioche‘ bestellen und bekommt ein süßes Croissant und in Frankreich und Deutschland bekomme ich einfach nur einen spärlich gesüßten Hefekloß?“, will der Römer von mir wissen und guckt mich so durchdringend an als würde sich die Antwort auf diese Frage schon irgendwo in meinem Kopf auftun, würde man mich nur ausdauernd genug anstarren. Dabei weiß ich es auch nicht. Ich zucke mit den Schultern und murmle ein „Boh. [ital. umgangssprachlich für „non lo so“ – ich weiß es nicht]. Dann streiche ich etwas Aprikosen-Marmelade, die der Kellner mittlerweile auf unseren Tisch gestellt hat, auf meinen Hefekloß. Doch mein Gatte will sich mit dieser Antwort nicht zufrieden geben. Er will es, mal wieder, ganz genau wissen. „Vielleicht liegt die Wurzel des Problems in der Vergangenheit? Lo imagino così [Ich stelle mir das so vor:]Ein Italiener reiste nach Frankreich, war ganz begeistert von den süßen Croissants und vergaß bei all dem Genuss den korrekten Namen. So teilte er seinen Verwandten, Freunden und Bekannten in seiner Heimatstadt mit, dass dieses exquisite Gebäck „Brioche“ heißt. Die gesamte Verwandtschaft tüfteltean einem Rezept, um die Brioches kulinarisch zu rezitieren und es gelang ihnen: Eine etwas süßere Variante des Croissants entstand. Weil es Nonna Vincenza noch nicht süß genug war, nahm sie die Bratenspritze und garnierte es mit ihrer soeben eingekochten Aprikosemarmelade. Und eccolo – das war die Geburtsstunde des italienischen Brioches!“, fantasiert der Römer sich diese Geschichte zusammen. Ganz unmöglich erscheint mir diese Fabel nicht und so stimme ich ihm zu. Ja, so muss es gewesen sein, damals, in Italien. Beinahe angekommen am letzten Bissen des französischen Brioches, wittere ich meine Chance als italbanische Integrationskraft – auch im ganz eigenen Interesse: Ich muss ihm das korrekte Wort beibringen, damit wir bei zukünftigen Café-Besuchen das Hefekloß-Debakel umgehen können. „Beim nächsten Mal würde ich dir raten, einfach ein Croissant zu bestellen. Damit bist du immer auf der richtigen Seite.“, schlage ich – ganz selbstlos – vor. Der Römer guckt mich fragend an. Ja, das könne er machen, sagt er. Alleine aus jahrzehntelanger Gewohnheit will ihm dieses Wort nicht über die Lippen kommen. Ob es denn kein deutsches Pendant für dieses französische Wort geben würden. Ich dachte nach: „Das deutsche Wort…Wie war das noch gleich?“.

Zwei Croissants oder Kipferl oder Hörnchen

Dazu muss ich sagen, dass ich bin in Bayern aufgewachsen bin und sich damit gewisse, sprachliche Eigenheiten in meinem Wortschatz befinden. So dauerte es Jahre in Hessen bis ich die passenden Pendants für die Wörter „Wäscheklupperl“ [Wäscheklammern] und „Tragl“ [Getränkekisten] aktiv anwenden konnte. „Kipferl ist sicher das falsche Wort.“, beginne ich meine Überlegung. „Vielleicht sagt man dazu Hörnchen?!“

Ich lasse die Frage im Raum stehen. Nein, so genau wusste ich es auch nicht. Der Römer murmelt die beiden Wörter vor sich hin. Bei seiner Aussprache der beiden Wörter („Kipfl“ und „Ohrn-chen“) war ich mir nicht ganz sicher, ob nicht doch wieder ein Hefekloß auf seinem Teller landen würde – aus purem Unverständnis und vielleicht auch aus Mitleid. Drei, vier Mal üben wir die korrekte Aussprache, bis das „Ohrn-chen“ ein „Örnchen“ und das „Kipfl“ ein „Kipfal“ wurde. Der Römer strahlt stolz.

„Dann bestelle ich einfach zukünftig ein Vanillekipferl.“, spricht der Römer voller Inbrunst. „Das werden die hier auch verstehen. Ein Kipferl mit Vanillecreme.“ Ich musste lachen, weil ich mir vorstellte, wie ein einziges, mickriges Vanillekipferl-Plätzchen auf seinem Teller landet. Kurz überlege ich, ob ich auch dieses Missverständnis ausbügeln soll, aber ich mag Vanillekipferl deutlich lieber als Hefeklumpen und so rate ich ihm Folgendes: „Dann bestell mindestens zwei Vanillekipferl. Glaub mir, von einem Vanillekipferl wirst du nicht satt.“

Vanillekipferl – auch so ein Missverständnis, das wir in nächster Zeit klären sollten.

Die Eis-Heiligen

“Come mai fa così freddo? [Warum ist es so eiskalt?]”, fragt der Mann mit einer erstaunlichen Ahnungslosigkeit. Er fragt es in etwa so, als ob er den Monat Mai der letzten sieben Jahre in Deutschland einfach übersprungen hat. Mit großen, verständnislosen Augen und auffallend ausgeprägter Gänsehaut steht er fröstelnd in seinem Polohemd vor mir und reibt sich theatralisch die Arme. “Na ja… das liegt vermutlich an den Eisheiligen!”, antworte ich und werfe einen warmen Woll-Cardigan über mein T-Shirt. “I santi dei gelati! [Die Heiligen der Eiscremes!] San Cioccolato, Santa Fragola e oppure San Pictacchio di Bronte! [Der heilige Schokoladeneis, die heilige Erdbeereis und natürlich der heilige Pistazieneis aus Bronte.] Nur das Wetter spielt nicht mit.”, lacht der Römer und denkt, dass ICH ihn auf die Schippe nehme.

San Cioccolato di Roma

“Nein, die heißen wirklich so. Eisheilige! Aber eher im Sinne von ghiaccio, Eis – nicht im Sinne von gelato, Speiseeis.”, schmunzle ich und ziehe mir sicherheitshalber die Leichtdaune über den Wollcardigan. “E’ come si chiamano, ’sti santi? [Und wie heißen sie nun, diese Heiligen?]”, will der Römer nun belustigt von mir wissen. Kurz bin ich versucht, mich seinem vorherigen Beispiel anzuschließen und den “Heiligen Zitrone-Basilikum”, sowie die „Heilige Sanddorn-Pfirsich” aufzuzählen, aber schließlich besinne ich mich auf meine auferlegte Rolle als germano-italbanische Integrationshelferin: “Mamertus, Pankratius, Servatius, Bonifatius und die kalte Sophie!” Zugegeben, ganz aus dem Gedächtnis konnte ich sie nicht wiedergeben und musste eine Suchmaschine nach den genauen Namen der Eisheiligen fragen “Quindi, a causa di loro fa freddo a maggio? [Also ist es wegen ihnen so kalt im Mai?]”, stochert der Gatte weiter bei mir nach. “Das ist so eine Frage wie <<War das Huhn zuerst da oder doch das Ei?>>. Ob sie nun der Grund sind oder es im Mai schon immer in unseren Breitengraden kalt war, kann ich dir nicht genau beantworten. Aber so oder so – die Lederjacke kannst du zurück hängen. Es hat 9 Grad.”, kläre ich meinen römischen Gatten auf. “No, no, non ti preoccupare.[Nein, nein, keine Sorge.] Ich habe bereits einen Blick aus dem Fenster gewagt und alle laufen mit kurzen Hosen und im T-Shirt herum.”, beschwichtigt mich der Römer. Ich lächle mild, schüttle den Kopf, nehme ihm die Lederjacke ab, suche aus der Garderobe einen dünnen Schal und seine Leichtdaunenjacke heraus und drücke sie ihm sanftmütig in die Hand. Zur Sicherheit bitte ich ihn, mir in Richtung Balkon zu folgen.

Von innen gucken wir nach draußen. Ein Feigenbaum steht draußen. Daneben ein Rosmarin und ein Thymian. “Fällt dir etwas auf?”, frage ich ganz direkt. Der Römer denkt nach. „Gli uccelli… [Die Vögel…] die machen immer von der Balkonbrüstung auf unseren Balkon. Das sieht echt nicht gut aus. Sollten wir mal putzen.“, setzt er an. „Neeeein! Nicht das.“, motze ich etwas pikiert zurück. „Denk mal an dich und deine Lederjacke.“ Nach einer kurzen Weile fällt der Groschen bei ihm. All die winterharten Pflanzen stehen fröstelnd auf dem Balkon, aber die südländischen Gewächse, wie z. B. die gelben Tomaten, starren mit uns vom Inneren der Wohnung nach draußen. Sie haben Glück und stehen im warmen Schlafzimmer. “Siehst du! Deswegen konntest du vom Fenster aus viele, winterharte Deutsche in kurzen Hosen und T-Shirts beobachten. Du aber bist ein südländisches Gewächs und ziehst dir bitte eine ordentliche Jacke an. Einer Tomate reicht im Mai eben keine Lederjacke. Sie braucht eine Leichtdaune – und einen Schal!”, erkläre ich dem Römer.

Die Tomaten sind noch deutlich kleiner als letztes Jahr und stehen im Warmen.

Endlich zieht das südländische Gewächs seine warmen Sachen an. “E se inizio di sudare? [Und wenn ich anfange zu schwitzen?]”, fragt er sicherheitshalber nochmal nach. “Dann ziehst du etwas aus. Das nennt man “Zwiebellook”.”, helfe ich ihm weiter. “Eine Zwiebel ist aber in der Regel winterhart.”, versucht der Römer nochmal einzuhaken. “Ja, aber nur, weil sie genug Schichten anhat. Sonst wäre das auch nicht der Fall.”