“Im letztem Indien-Lehrgang (für Flugpersonal) hat uns die Dozentin beigebracht, dass man im Hinduismus davon ausgeht, auf seine Lebensfragen immer auch eine Antwort zu bekommen. Meist in Form von kleinen Sinnsprüchen, Plakaten oder was auch immer. Indien ist voll damit. Man muss nur die Augen aufmachen.”, erkläre ich meinem Mann, während meine nackten Füße im Spielplatzsand vergraben sind. Der Römer sitzt neben mir auf der Sandkastenbegrenzung und malt mit den Fingern im Sand. Er guckt mich über den Rand seiner Sonnenbrille an. Anscheinend will er mir nicht so recht glauben. “Wirklich!!!”, bestärke ich meine Aussage, doch sein Stirnrunzeln will nicht aufhören.
Es ist Sonntag, 13:30 Uhr. Wir sind heute früh mal wieder viel zu spät aus dem Bett gekugelt. Dann haben wir in aller Seelenruhe gefrühstückt, mit Croissants und Marmelade. Und gegen 12 Uhr sind wir von Zuhause aufgebrochen.
Dabei machen wir immer den gleichen Fehler: Aufbrechen zur Mittagsessenzeit.
Von einem Magenknurren ist keine Spur, wenn wir das Haus verlassen. Aber sobald wir am Spielplatz sitzen, wird das Sättigungsgefühl der Croissants verpufft sein. Doch da sind wir eben schon auf dem Spielplatz, mit den Füßen im Sand und dem Kind auf der Rutsche, und kommen nicht mehr los. Zu spannend sind all die Spielgeräte und all die Abenteuer, die Signorino dort erleben kann. Als wir nach einer guten halben Stunde aufbrechen wollen, kommen Signorinos Kindergartenfreunde auf Fahrrädern und Rollern an. Natürlich kann er jetzt nicht gehen, denn schließlich sind Matteo, Kilian und Hannah gerade erst angekommen. Also bleiben wir sitzen, immer noch mit den Füßen im Sand und der Sonne im Rücken.
Eine Elterngruppe hat sich Pizzas geholt, die sie am Spielplatz verspeisen. Es gibt dort keine Picknicktische, nur Spielplatzbänke, die gezeichnet sind von Witterung und Spätpubertierenden, die sich mit wasserfestem Filzstift und Sprühdosen ausdrückten.
“Ist das jetzt dumm oder genial?”, will ich des Römers Meinung zur Pizza-Party am Spielplatz einfangen. Gleichzeitig bin ich froh, dass unser Kind aus der “Will-haben”-Phase raus ist. Vor einem Jahr hätte sich die Hölle geöffnet, denn er hätte unbedingt ein Stück Pizza von diesen beiden Familien haben müssen. Es wäre ein Gezerre und Kampf gewesen, ihn von den Pizzas wegzubekommen.
Heute ist es Signorino komplett egal, dass die beiden Familien Pizza am Spielplatz essen. Er spielt lieber mit Matteo, Kilian und Hannah.
Der Römer schnauft. Er wolle nach Hause. “Andiamo!” [Gehen wir!]“, sagt er und sein Imperativ wird von Signorino und mir als Frage verstanden. “Nein, ich glaube nicht.”, antworte ich in der warmen Frankfurter Mittagsssonne. Ich zeige auf Signorino, der seine Freunde jauchzend über den Hügel zum Sportplatz jagt.
Ein guter Zeitpunkt nochmal über den Hinduismus und meine Indien-Schulung zu referieren. “Zurück zum Ursprungsthema: Die Dozentin, die lange in Indien gelebt hat, hat gesagt, dass es überall und ständig Botschaften gibt. Man muss nur eine Frage stellen und bekommt dann eine Antwort geschickt. Sie steht dann irgendwo geschrieben, zum Beispiel an einem Straßencafé, auf einem Schild oder auf einem Zettel.”, erkläre ich dem Römer nochmal. Der nickt gelangweilt. Man sieht, dass er nur mit einem Ohr zuhört und sich am liebsten am Mittagstisch wähnen würde.
Zwei Kinder mit ihren Eltern betreten den Spielplatz. Der Junge, etwa sieben Jahre alt, schlappt an uns vorbei. Auf seinem T-Shirt prangt ein Aufdruck, gut lesbar und in Großbuchstaben. “Snack Time” steht dort.
Der Römer grinst mich an. “Da! Da ist die Antwort auf meine Frage, ob wir jetzt endlich gehen können.”, stellt er freudig fest. “Das glaube ich jetzt nicht!!!”, murmle ich, dann muss ich lachen. “Okay, gehen wir. Anscheinend ist jetzt wohl Snack Time.”, gebe ich zurück. Es dauert ein bisschen, aber irgendwann haben wir das Kind am Sportplatz eingefangen. Wir treten den Heimweg an.
Der Hinduismus hat gar nicht so unrecht.
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