[Teil 1 verpasst? Hier geht’s lang]
Tag 2 des Streiks: Richtige Kommunikation zwischen Kolleg:innen und ein De-Briefing
Donnerstag, 26.01.2024
Es wird anstrengend, gegen 05:30 Uhr aufzustehen, muss ich zugeben. Ich hieve mich dennoch aus dem Bett. Einzig der Gedanke, morgen bis 8 Uhr „ausschlafen“ zu können, gibt mir Kraft. Heute sind noch zwei Tests zu bestehen. Danach warten nur noch die Praxiselemente. Heute geht es unter anderem auch um den Austausch mit den Cockpit-Kolleg:innen, um sich auch an Bord in sicherheitsrelevanten Situationen richtig zu verstehen.
Zum Frühstück kriege ich kaum etwas herunter. Also klammere ich mich an meinem Kamillen-Tee fest und knabbere ein paar Mini-Salzbrezeln. Lang hält dieser Zustand eh nicht an, denn ich muss duschen und mich fertig machen.
Einmal durch die Zauberkugel im Bad – und zack, bin ich ein neuer Mensch. Ich gehe zur Tram und erreiche die frühe Verbindung um 06:47 Uhr, gefolgt vom Regionalzug um 06:59 Uhr, diesmal von Gleis 21. Wie auch gestern bin ich so früh am Flughafen, dass ich beschließe, zu Fuß zum Trainingscenter zu gehen.
Angekommen an meinem Zielort, gehe ich in die Kantine, kaufe mir eine Flasche Wasser und eine Breze(l) (heute ist so n brezeliger Tag) und klicke meine Testfragen durch. Ab und an gucke ich von meinen Dienst-Tablet auf und beobachte die neuen Flugbegleiter:innen, die gerade geschult werden. Sie müssen in Uniform zum Grundlehrgang erscheinen, während wir alten Hasen in Privatklamotten zu unseren „Recurrents“ kommen dürfen. Die neuen Kolleg:innen sind wie aus dem Ei gepellt, der Lack ist gerade frisch aufgetragen (anders ist das bei uns alten Hasen), sie sind total stolz, die Uniform zu tragen und die Damen stolzieren mit ihren High Heels wie ein Storch durch den Salat.
Im Lehrsaal werden uns als erstes die vier Cockpit-Kollegen vorgestellt, dann werden die beiden Tests geschrieben. Und siehe da: Alles bestanden. Kein Gespräch mit dem Teamleiter, woran es lag, dass man nicht bestanden hat und keine Nachprüfung. Juhu!
Der Druck ist somit raus. Danach geht es in eine längere Kommunikationsübung mit den Cockpit-Kollegen. Wir Flugbegleiter:innen sehen eine Szene und müssen sie möglichst getreu an die Cockpit-Kollegen weitergeben, die die Szene nicht gesehen haben. Sie können nur eine Entscheidung aufgrund unserer Beschreibung treffen, denn wir sind die Augen der Kabine. Ganz interessant, was bei den Cockpit-Kollegen ankommt und was wir tatsächlich in der Kabine gesehen haben. Der Konsens der Cockpit-Kollegen war: „Oh! So schlimm hätte ich es mir tatsächlich nicht vorgestellt.“ Da Kommunikation nicht linear ist, ist es so schwierig, unter Stress eine Beobachtung weiterzugeben, die die Grundlage zu einer Entscheidungsfindung ist. Deswegen üben wir das jedes Jahr.
Danach geht es in den „Feuer-Container“ zum Feuerlöschen. Jeder muss mal. Rauchschutzhaube auf, Schutzhandschuhe an, Feuerlöscher in die Hand und schon darf man den Brand löschen. In 12 Minuten ist die gesamte Gruppe durch. Schließlich wartet noch der Hands-On-Raum auf uns: Wir müssen verschiedene Aufgaben zu unserem Equipment an Bord lösen. Sehr interessant, denn im Fliegeralltag hat man keine Zeit, sich das Equipment in Ruhe anzusehen. Hier kann man nach Herzenslust ausprobieren und sein Wissen auffrischen.
In der Mittagspause frage ich am Nebentisch, ob ich einen Stuhl ausborgen kann, der unbenutzt gegenüber zweier Herrn steht. Kapitän Wolfgang* und sein Kapitänsfreund Horst*, die laut ihrer Uniform bei einer Konzerntochter meiner Fluggesellschaft arbeiten, geben an, es würde gleich noch jemand kommen, weswegen sie die zwei Stühle dringend benötigen würden. Der aufmerksame Co-Pilot, der im gleichen Kurs wie ich ist, organisiert mir einen Stuhl und trägt ihn für mich an einen freien Platz in unserem Gruppengefüge. So geht kollegiales und zuvorkommendes Verhalten! Fun fact: Die angeblichen Bekannten von Kapitän Wolfgang und Kapitänsfreund Horst kamen nie. Ich wünsche beiden im Stillen, dass ihnen immer der Hemdsärmel beim Händewaschen herunter rutschen möge. Der Co-Pilot, die Kabinen-Kollegin und ich tauschen uns beim Mittagessen über unsere Kinder aus und wie viel Kraft uns die Fliegerei gibt, um den Alltag mit Kind zu stemmen. 😄
Dann geht es fröhlich weiter: Flugzeug-Attrappenübung – juhu! Wir gehen verschiedene Szenarien durch. Am Ende stellen wir ein Debriefing nach: Nach schwerwiegenden Ereignissen bespricht die Cockpit- und Kabinencrew den Vorfall. Eine Teilnehmerin des Kurses wird von ihren Emotionen gepackt, so dass sie den Raum verlassen muss: Bei ihr kam eine alte, sicherheitskritische Situation hoch. Eine der beiden Kursleiterinnen geht ihr nach und redet mit ihr. Danach ist die Kabinenkollegin so stabil, dass sie darüber reden kann und will, und mit uns ihre Erfahrung teilt. Sie betont, wie gut die psychologische Nachbetreuung des Konzerns ist. Spannend – und bewegend.
Kurzer Exkurs: Passend dazu ein Artikel des Münchner Merkur, der zwar faktisch richtig ist, aber einen großen Aspekt außen vorlässt: Nachdem die Crew den Passagier gefesselt hat, kehrten sie zurück nach München. Wären sie nochmals losgeflogen nach New York, wären sie über die Flugdienstzeit gekommen, weswegen der Flug gestrichen wurde. Das ist faktisch richtig. Wobei ich Ihnen sagen kann, selbst wenn die Crew nicht über die Flugdienstzeit gekommen wäre, wäre diese Crew nicht mehr nach New York geflogen. Um einen Passagier zu fesseln, bedarf es einiges – von beiden Seiten. Man fesselt nur im äußersten Notfall und es ist eine physische und psychische Ausnahmesituation. Und hier kommen wir zum Faktor Mensch: Als operierende Flugcrew ist man zwar voller Adrenalin, wenn man jemanden fesselt, aber man ist danach emotional gar nicht mehr in der Lage, weiterzufliegen und eine sichere Flugdurchführung zu garantieren. Der Autor des Artikels hat sicherlich nie für eine Fluggesellschaft gearbeitet und als Nicht-Flieger versteht man die hohe Belastung nicht, aber weitergeflogen wäre nach so einen Flug niemand. Nach so einem Vorfall gibt es ein De-Briefing und das hauseigene, psychologische Team empfängt einen. Danach kann es sein, dass man – je nach Typus Mensch und Vorgeschichte – erstmal länger nicht mehr fliegt.
Nach einer Feedback-Runde kommt der für mich schönste Abschluss: „Mögen all die Situationen, die wir hier üben, nie eintreffen und jetzt: Schönen Feierabend!“
Es geht also wieder zurück zum Flughafen Terminal 1. Anders als gestern Nachmittag, gehe ich zu Fuß. Die Regionalbahn habe ich eben gerade verpasst. Diesmal läuft es nicht so einfach wie am Vortag: Ich schlängle mich ein wenig seltsam nach Hause – streikbedingt: Eine Regionalbahn Richtung Aschaffenburg mit Umstieg in Frankfurt-Süd, dann eine U-Bahn ins Herz Frankfurts, um schließlich in die Tram zu steigen.
An der Trambahnhaltstelle bin natürlich ein Fuchs und quetsche mich nicht in die erste Tram, die anhält, sondern sehe, dass direkt dahinter die zweite Tram wartet, die ebenfalls in meine Richtung fährt. Und siehe da: Die zweite Tram ist so gut wie leer und klappert die gleichen Haltestellen ab wie die erste. Nur, dass die erste Tram bereits alle Leute, die an den Haltestellen warteten, eingesammelt hat.
Morgen heißt es: Ausschlafen bis 8 Uhr. Kind in den Kindergarten. Wochenendeinkauf und dann beginnt meine Vorbereitung auf das Recurrent die Airbus 320 Family.
Aber dazwischen fliege ich nochmal.
Wir lesen uns morgen gleich wieder, denn es geht mit dem Drabble-Dienstag weiter. Das macht richtig Spaß!
*Name von der Redaktion geändert
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