[Ein Nachbericht unserer Valencia-Reise Anfang Mai]
Standardmäßig planen wir 45 Minuten vor Boardingbeginn am Flughafen zu sein. Das reicht für uns voll und ganz aus und gibt uns genug Zeit, noch ein Heißgetränk oder einen Snack im Sicherheitsbereich des Flughafens zu uns zu nehmen. Wann immer es geht, reisen wir nur mit Handgepäck und jeweils einem personal item, wie es in der Buchungsbestätigung der Fluggesellschaft so schön heißt.
Das hat diverse Gründe:
1. Keiner von uns will viel früher am Flughafen sein als unbedingt nötig.
2. Keiner von uns will eine Stunde am Kofferband des Zielortes auf einen Koffer warten.
3. In den letzten Jahren waren die Chancen groß, dass der Koffer gar nicht erst mitkam und somit konnte man seinem Koffer hinterherlaufen.
4. Sollte der Koffer ankommen, dürfen wir in zwei von drei Fällen danach zur Reparatur, weil der Koffer ein Rad ab hat.
Doch zurück zur Geschichte: Noch vor der Sicherheitskontrolle bei Terminal 1 A werden wir von einem netten Mitarbeiter abgefangen. Ob wir wüssten, dass wir überaus komfortabel die Familienkontrolle neben dem Gant-Shop in Richtung 1 B nutzen könnten. Ich wusste es nicht und will noch mit einem “Aber wir haben den Smartway* gebucht” widersprechen, da nickt der Römer bereits und zieht mich Richtung Terminal 1 B. Seit er Deutscher ist, reagiert er sehr linientreu auf Anweisungen.
Diese Entscheidung wird die Dämlichste sein, die wir an diesem Tag treffen werden.
Wissen Sie, ohne mich über den grünen Klee loben zu wollen, aber ich spiele an der Sicherheitskontrolle in der 1. Bundesliga. Wirklich! In maximal zwei Minuten bin ich durch, alles ist verstaut und ich trotte zum Abfluggate.
Das kommt nicht von ungefähr, denn ich packe meinen Koffer und meinen Rucksack bereits so, dass es keinen Grund zur Beanstandung gibt: Jegliche Flüssigkeiten kommen in ein kleines Beutelchen, dass im Rucksack oben auf liegt. Elektronik kommt in mein Elektronikfach – auch sofort griffbereit. Meine Frisur ist an diesem Tag darauf abgestimmt, dass sie keine Probleme verursacht. Das bedeutet: Keine Klammern, keine Dutts. Offene Haare – mehr nicht. Auf einen Gürtel verzichte ich an diesem Tag. Die Hosentaschen sind leer. Die Schuhe sind niemals Stiefel oder Boots, sondern maximal Turnschuhe oder flache Sandalen. Ich schichte keine Blusen in meine Hose, so dass es Grund zur Beanstandung geben wird. Ja, es geht soweit, dass ich an der Sicherheitskontrollen immer das gleiche Outfit trage: Eine einfache Stoffhose ohne Gürtel, ein T-Shirt und eine Strickjacke, die ich schon einige Meter vor der Sicherheitskontrolle abnehme. Schmuck und Uhren trage ich ich an diesem Tag nicht.
Als Profi wird man nicht einfach so geboren. Ich hatte 10 Jahre Zeit, mir sämtliche Sicherheitskontrollen der Welt anzusehen. Saudi Arabiens Sicherheitskontrolle (Jeddah und Riad) fand ich dabei am angenehmsten, da Frauen in einen mit Vorhängen abgetrennten Raum geführt werden.
Mein Kryptonit sind langsame, wenig reisende Fluggäste. Dabei habe ich vollkommenes Verständnis für Menschen, die wenig reisen. Wirklich! Ich habe nur leider wenig Geduld. Es ist wie mit einem Sportwagen Schrittgeschwindigkeit in der Spielstraße zu fahren. Es geht schon und sicherlich ist es sinnvoll, aber Spaß macht das alles nicht.
Nun stehen wir an der Familienkontrolle, der Königsklasse der Langsamkeit. Es wirkt wie ein soziales Experiment: Wie lange werde ich brauchen, das Handtuch zu werfen und zu Terminal 1 A zu dackeln? Doch ich halte zähneknirschend durch, beobachte die pickepacke vollen Kinderwagen, die ahnungslos an die Sicherheitskontrolleure geschoben werden. Ich beobachte, wie Sicherheitskontrolleure mit einer Engelsgeduld erklären, dass sämtlicher Kladderadatsch aus dem Kinderwagen entfernt werden müsse, sonst könne man diesen nicht checken. Ich beobachte, wie Flüssigkeiten aus einer überdimensionierten Strandtasche einzeln zusammengesucht werden, wie Gürtel und Kleingeld nur auf Aufforderung in die graue Wanne der Sicherheitskontrolle gelegt werden. Ich beobachte, wie Mütter mit schlafenden Babys in Tragen durch die Sicherheitskontrolle gehen wollen und zehn Minuten diskutieren, warum sie die Trage denn nun abnehmen müssen. Das Baby schlafe schließlich. Ich beobachte, wie meine Geduld langsam bröckelt. Stück für Stück und unaufhaltsam.
Hier an der Familienkontrolle spielt sich mein persönlicher Albtraum ab. Wir warten 30 Min und kommen 2 Positionen voran. Wann immer jemand zu mir sagt, er müsse drei Stunden vor Abflug am Flughafen sein, werde ich an diese Familiensicherheitskontrolle denken müssen. Hier brauchen Sie die vollen drei Stunden, wenn nicht sogar mehr.
Plötzlich kommt Bewegung in die Szene: Eine Fluggast-Kontrolleurin schließt die Glastür kurz vor der Sicherheitskontrolle. Es geschieht unerwartet und ohne Vorwarnung. Sie murmelt noch ein ‘Polizeiliche Maßnahme. Wir müssen schließen.’ Die Show ist beendet.
Zurück bleiben verwirrte Eltern, die nicht recht verstehen, was das zu bedeuten hat. Nur wir und eine andere Familie reagieren blitzschnell und rennen zurück zu Terminal 1 A. Doch unsere Bordkarte wurde bereits an der Familienkontrolle gescannt und muss erst wieder freigeschalten werden. In aller Ruhe tippt die Dame am Einlass mit langen, spitzen Fingernägeln. Ich glaube, diese Fingernagelform nennt man Almond, also mandelförmig. Ich wünschte, ich hätte weniger Zeit mich mit ihrem Nageldesign auseinanderzusetzen, aber sie tippt so furchtbar langsam, dass ich auch noch ihren Nagellack studieren kann. Ein witziger Farbverlauf von rosa zu babyblau ist auf ihre mandelförmigen Fingernägel gepinselt worden. Schön gemacht, das muss man sagen! Der Römer teilt mir mit, dass der Flug sicher gleich weg ist. Er sieht uns bereits umgebucht auf der Abendmaschine nach Valencia fliegen. Es ist gerade 8:40 Uhr morgens. Wenn er recht hat, würde das ein verflixt langer Tag werden.
“You’re good to go.”, sagt die Dame mit den mandelförmigen Nägeln auf Englisch, weil der Römer mir auf Italienisch seine Befürchtung mitteilte. Dann schlängeln wir uns durch die Business-Sicherheitskontrolle mit unseren Economy-Tickets. An diesem Tag sei es uns verziehen!
Da immer drei Personen gleichzeitig an der Sicherheitskontrolle ihre Dinge in mausgrauen Wannen abgeben können, überhole ich zwei. Noch während der Herr vor mir den schwarzen Markengürtel aus seiner Anzughose fummelt, stehe ich bereits im Nacktscanner. Angezogen, versteht sich. Signorino wartet davor auf mich. Es gibt nichts zu beanstanden. Der Römer ist dicht hinter uns und hat ebenfalls andere Fluggäste überholt, die noch Flüssigkeiten herauskramen, obwohl das an dieser speziellen Sicherheitskontrolle gar nicht gewünscht ist.
Signorino wird abgetastet. Alles fein – und schon können wir zu Gate A24. Wir haben über die Jahre unser Familien-Reiseverhalten perfektioniert. Dabei springt Signorino auf einen unserer Handgepäckstrolleys und kann somit schnell und zügig überall hin transportiert werden. Ein netter Nebeneffekt ist, dass er keine Angst haben muss, von einem eiligen Fluggast überrannt zu werden. Freudig klammert er sich am Gestänge fest und wir rasen über Laufbänder zum Gate. A24 ist nicht gerade nah.
Als wir dort ankommen, ist das Boarding bereits im vollen Gange. Der Römer pocht darauf, direkt zur netten Dame am Check-In zu gehen, schließlich haben wir ein Kind unter 7 Jahren dabei. Ich hege ein paar Zweifel, aber befolge seinen Plan. Da die Bordkartensituation mit Kind an den automatischen Gate-Eingängen etwas schwierig ist, werden wir durchgelassen.
Zum Glück sind wir die ersten Gäste im zweiten Bus zum Flugzeug, denn der Airbus 320 steht auf einer Außenposition. Unser Kind macht alles phänomenal gut mit. Wirklich alles! Es gibt kein Gejammer, kein Gemotze, kein gar nichts. Um einen dauerhaft glücklichen Signorino zu sehen, müsste man nonstop reisen.
Der Bus bringt uns zur Außenposition des Flugzeuges. Die Gäste strömen heraus. Mit ihnen mein Mann, der beide Handgepäckskoffer trägt. Ich bin mit Signorino etwas langsamer und gemächlicher unterwegs. Später erzählt mit mein Mann, dass der Kabinenchef ‚Bei so vielen Koffern, kommt der wahrscheinlich gerade aus Hongkong‘ in Richtung seiner Kollegin hauchte. “So fühlt sich das an!”, antwortete mein Mann dem Purser, der etwas rot anlief. Er dachte nicht, dass mein Mann Deutsch sprechen würde.
Im Flugzeug setzt Signorino sich brav auf den Mittelplatz. Wir hatten im letzten Sommer mehrere Debakel mit der Sonnenblende, deswegen bekommt er von uns nur noch den Mittelplatz zugeteilt. Nach dem Start will er einen Film auf dem Tablet gucken. Bereitwillig setzt er sich die Kopfhörer auf, die er vor einem knappen Jahr noch als persönliche Beleidigung an seine Ohren verstand. Tja, und dann guckt er bis Valencia durch. Wir Eltern, die gewohnt waren, dass ein Flug mit Signorino ein schweißtreibender Vollzeitjob ist, drehen Däumchen. Keiner von uns dachte daran, sich ein Buch mitzubringen oder einen Podcast herunterzuladen. Also fangen wir an, die Bildergallerie des jeweiligen Handys aufzuräumen. Was man eben so macht, auf einem 2 Stunden 10 Minuten Flug, bei dem das Kind nichts will und nichts braucht.
Wir steigen aus und sind beinahe so etwas wie erholt. Vor Ort angekommen gehen wir zur Metro. Der Römer verlässt sich generell und immer blind auf mich. Und so will er von mir, die noch nie in Valencia war, wissen, wo wir hin müssen, ja, wie das alles hier funktioniere. Immer wieder wiederhole ich – am Ende sichtlich genervt – dass ich es auch nicht wüsste. Ich bin ja schließlich zum ersten Mal hier! “Anch’io! Ma tu sai tutto. [Ich auch! Aber du weißt alles.]”, gibt der Mann augenzwinkernd zurück und spielt auf meine Besserwisserei an.
Am Eingang der Metrostation hat sich eine kleine Schlange vor den Automaten gebildet. Wir werden zur Fahrkarteninformation gewunken, damit wir dort eine Fahrkarte erwerben können. Die Dame spricht erst Spanisch und dann Englisch. Ich verstehe kein Wort. Berufsbedingt würde ich behaupten, dass ich viele akzentgefärbte Versionen der englischen Sprache verstehe oder zumindest grob dekodieren kann. Aber hier habe ich keine Chance. Ja, ich bin mir noch nicht mal sicher, ob sie Englisch spricht. Fragend und Hilfe suchend gucke ich zu meinem Mann. Er versucht nochmal mit der Dame ins Gespräch zu kommen und guckt mich danach fragend an. „Spanisch lernen!“ schreibe ich auf meine innere Wunschliste, denn das würde uns jetzt viele Nerven ersparen. Irgendwie schaffen wir es, die Zugfahrkarten zu kaufen. Ein bisschen unfähig fühle ich mich dennoch, dass ich so gar nichts verstanden habe.
Dann fahren wir mit der Metro bis Xàtiva. Das ist die U-Bahn Station am Hauptbahnhof Valencia. Von dort gehen wir zu Fuß in die Innenstadt. Signorino ist müde, macht aber immer noch gut mit. Beinahe wäre er uns in der U-Bahn eingeschlafen, wachte aber schnell auf, da eine ältere, spanische Dame dem rubio [span. Blonden] entzückt in die Wangen kneifen wollte. Seitdem war er wachsam und setzte sich demonstrativ auf die andere Seite. Recht hat er!
Leider können wir noch nicht in die Unterkunft, da wir zu früh da sind. So geben wir unsere Koffer in einem Schließfach ab und gehen Essen. Bei Le Favole* ist schon alles voll. Sie hätten aber einen tollen Spielplatz vor der Tür gehabt. So gehen wir zur Tochter-Pizzeria La Pizza*. Das Kind, bekannt für Tumulte aller Art, isst brav seine Pizza und bleibt sitzen. Ich erkenne meinen Spross nicht wieder.
Danach essen wir noch ein Eis, um Lebensgeister zu wecken. Es schmeckt uns allen sehr gut. Klar, es ist auch eine römische Kette. Und zwar die, die in der Nähe der ehemaligen römischen Wohnung im Stadtteil Testaccio war. Der Römer kann sich mehr schlecht als recht erinnern. Die Eissorte „biscotto della nonna” [Keks von Oma] schmeckt ihm dennoch vorzüglich.
Heimlich gelobe ich, mich nie wieder über Deutsche im Ausland lustig zu machen, die ein Schnitzel bestellen. Wir sind ja genauso nur mit der italienischen statt der deutschen Küche.
Unsere Check-In Zeit nähert sich. Die Unterkunft schickte mir eine Anleitung, wie wir ins Zimmer kommen. Am Klingelschild soll ich 100 eintippen, dann schnell einen Link öffnen und irgendetwas bestätigen. Mehrmals wird betont, dass man echt schnell sein muss, sonst klappt es nicht. Ich bin etwas panisch, dass ich echt langsam sein werde. Vielleicht sogar Familien-Sicherheitskontrollen langsam. Der Römer spricht mir Mut zu und siehe da, die elektronische Öffnung aller drei Türen klappt wunderbar.
In der Unterkunft angekommen ist dem Kind alles zu viel. So ist das bei den hochsensiblen Kindern. Irgendwann brechen sie zusammen, weil sie komplett überreizt sind. 40 Minuten weint das Kind, dass es nicht dieses Haus will. Es will hier nicht wohnen. Alles ist blöd. Wir sollen wieder heimfahren. Immer wieder versuchen wir zu erklären, dass das nicht unser neues Zuhause ist, sondern dass wir irgendwo schlafen müssen, wenn wir das Aquarium und den Zoo besichtigen wollen. Langsam, ganz langsam beruhigt sich das Kind. Wir ruhen uns etwas aus und atmen durch. Immer wieder fängt das Kind an zu schniefen und zu schluchzen.
Dann kaufen wir ein. Ein paar Dinokekse dürfen mit. Ein paar Grissini, Wasser, Kaffeekapseln und Kamillentee. Danach holt uns der Römer etwas zu essen. Es war ein langer, voller Tag und wir fallen ins Bett.
Tag 2 können Sie hier nachlesen.
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