
Müde lächelnd lese ich einen sogenannten Lifestyle Blog. Die Überschrift des neuesten Artikels heißt: „Home away from home.“ Ich bekomme Pickel bei soviel schlechtem Marketing. Berichtet wird über ein x-beliebig austauschbares Hotel, das es erst seit kurzem gibt und gekennzeichnet wird der Artikel mit *Werbung (gesponsert).
Ich klappe den Laptop zu und schüttle den Kopf. „Home away from home…wie lächerlich.“ murmle ich und der Römer, der mit mir am großen Esstisch sitzt, guckt mich fragend an. „Na, ist doch so! Du kannst mir doch nicht erzählen, dass ein x-beliebiges, neues Hotel ein Zuhause, weit ab von Zuhause ist. Die wissen doch gar nicht, wie sich ein richtiges Zuhause anfühlt. Banausen!“ schimpfe ich.
Der Römer lächelt und sagt: „Ich zeig dir mal was…“ Er öffnet seinen Laptop und zeigt mir ein sehr kleines, zweigeschossiges Reihenhaus, hastig zwischen zwei Palazzi geworfen. Ein Schuhkarton, der sich mit einer gelassenen Selbstverständlichkeit zwischen den „großen Häusern“ behauptet. “Roma….“ seufze ich. Er tätschelt mir die Schulter.
„Questo e‘ la casa lontana da casa [Das ist das Zuhause weit weg von Zuhause]. Für uns ist es kein Wellnessbereich in einem überteuerten, anonymen Hotel. Es ist keine überfüllte Bar, kein Hotelbett und kein Frühstücksbuffet. Für uns ist es Rom. Wir kommen in Fiumicino [einer der Flughäfen Roms] an und fühlen uns zu Hause. Wir nehmen den Regionalzug und er tuckert uns zur stazione di Trastevere [Bahnhof Trastevere]. Dann die Tram „numero otto“ [Nummer 8]und dann gehen wir die wenigen Schritte über unebene Pflastersteine nach Hause.“ Des Römers Beschreibung verwandelt sich in meinem Kopf zu einem Film und nicke verträumt.
„Und das schönste ist, dass unser „Zuhause“ immer ein anderes ist. Mal sind wir enttäuscht, weil es ein modriges Erdloch ist, aber meist sind wir positiv überrascht, weil wir einen richtigen Schatz finden. Rund um die Via San Francesco Ripa – da sind wir daheim, denn unsere zweite Heimat ist und bleibt immer Trastevere….“ ergänzt er seine Ausführung.
Ich räuspere mich: „…oder Testaccio.“
„Daiiii [Komm schon!], jetzt kommt der alte Streit wieder auf. Welches ist das schönste Viertel Roms? No, da lass ich nicht mit mir diskutieren! Es ist Trastevere. Basta!“ führt er sehr emotional aus. „Okay… für dich ist es Trastevere. Für mich ist es Testaccio. Es ist einfach ein ehrlicheres Viertel und kaum ein Tourist verirrt sich hierher. In Testaccio wohnen die richtigen Römer, so wie ich.“ erkläre ich ihm stolz.
„Ma no! [Aber nein!] Non iniziare, ti prego! [Fang nicht damit an, ich bitte dich!] Nur, weil ich damals die Wohnung in Testaccio hatte, macht dich diese nicht zu einer Römerin. No, sicuramente no! [Nein, sicherlich nicht] Ich habe IMMER in Trastevere gewohnt. Erst in der „Via Goffredo Mameli“, dann nach einigen Jahren wohnte ich im „Vicolo dei panieri“ und schlussendlich, auch berufsbedingt, musste ich nach Testaccio umziehen. Erst wohnte ich an der lauten Via Marmorata und wenig später bin ich dann in die Via Luca della Robbia gezogen.“ führt er sehr präzise aus.
„Berufsbedingt? Du bist lediglich 500 Meter von einem Stadtviertel ins angrenzende Stadtviertel gezogen! Allein die Flussseite ist eine andere. Gib doch nach all den Jahren endlich zu, dass du Testaccio schöner findest!“ mosere ich.
„Achwo! Ma il traffico! [Aber den Verkehr!] Den darf man nicht unterschätzen. Es hätte eeeewig gedauert in die Arbeit zu kommen.“ versucht er mich zu überzeugen.
„Ja, 20 Minuten zu Fuß.“ ergänze ich äußerst nüchtern. „Ma che!!! [Aber was!!!] Erano 25 minuti in macchina. [Es waren 25 Auto-Minuten] “ will er mir einreden.
„Aber wer fährt denn 1,5 Kilometer mit dem Auto, wenn er zu Fuß gehen kann?! Besonders in Rom?!“ frage ich nun ganz provokant.
„Amore mio, du unterschätzt die Temperaturen. Kannst du dir vorstellen, vollkommen verschwitzt an deinem Arbeitsplatz anzukommen? Io no! [Ich nicht!] Ich hatte keine andere Wahl als umzuziehen!“
Ich verdrehe die Augen und dränge darauf die Diskussion zu beenden, da wir uns nur im Kreis drehen.
Am Abend klappt der Römer neben mir wieder den Laptop auf und schiebt ihn mir unter die Nase! „Okay, genau das! Das können wir buchen!“ sagt er sehr knapp.
Das sehr kleine, sehr absurd wirkende Häuschen von vorhin strahlt auf einem Buchungsportal. „Ist gerade frei geworden! Und da wir momentan nicht nach Albanien fahren können und wir eine Woche überbrücken müssen bis wir nach Bayern fahren…. Hm, das wäre vielleicht keine schlechte Idee!“ Ich klicke die Bilder durch. Zwei Etagen. Eigener Patio, Wohnzimmer, Küche, zwei Schlafzimmer, zwei Bäder. Ich sehe schon den fröhlich glucksenden Signorino über den Fußboden krabbeln. Der Innenhof wäre perfekt, wenn Signorino im ersten Stock schläft, man aber noch gemütlich etwas draußen trinken will. Die Wohnung war umgeben von netten Restaurants und Bars – auch alles zum Mitnehmen, was uns mit Signorino sehr entgegen kam, da romantische Abendessen vorerst nicht möglich sind. 😉
„Wow! Das wäre perfekt! Lass mich noch kurz nach Flügen schauen und los geht’s.“ stimme ich seinem Vorschlag zu. Die Flüge stellen kein Problem dar und flugs ist die Unterkunft gebucht.
„Ich muss dir was sagen…“ fängt der Römer grinsend an.
Ich warte gespannt auf seine weiteren Ausführungen.
„Die Unterkunft ist in TRASTEVERE! Und sie hat dir gefallen. Also ist Trastevere doch der bessere Stadtteil. Und komm mir jetzt nicht mit „Das hab ich nicht gewusst.“ Du hast dir die Lage auf Google Maps sehr genau angeschaut.“
„Äääähm…aber…ja! Das war eine Ausnahme. Ich wollte dir einfach einen Gefallen tun.“ stottere ich etwas überrumpelt. „Ma che! [Aber was!] Ausnahme!“ triumphiert der Römer. „Das ist die Bestätigung!“
Ich gönne ihm die Genugtuung. Wir Bewohner von Testaccio sind großherzig und großzügig, was andere Meinungen betrifft. Das können wir auch sein, wissen wir doch, dass das beste Viertel Roms konkurrenzlos „Testaccio“ ist.

[Wenigstens bei einer Sache sind wir uns einig: Das beste Café/die beste Bar ist das Baylon Café in der Via San Francesco Ripa, Rom. Werbung – sehr zu meinem Leidwesen ungesponsert! 😔😉]