Tag 4 des Streiks: Dal Makhani in Lappland
Samstag, 27.01.2024
Mein Wecker sollte eigentlich um 06:00 Uhr klingeln, aber seit 5:30 Uhr bin ich wach. Ich versuche nochmal einzuschlafen, doch es will nicht gelingen. Also stehe ich um 05:45 Uhr auf, mache mir einen Tee, einen Kaffee und beschwere mich innerlich, dass niemand eingekauft hat und ich somit keine Kekse frühstücken kann. Dass dieser jemand ich bin, der sich gestern gegen den Supermarkt entschieden hat, fällt mir kurz darauf ein. Ich beschließe Nachsicht mit mir zu haben: Kann ja mal passieren.
Ein bisschen kommt mir das mit dem Bahnstreik vor wie ein Zeitloch: Ich habe heute, am Samstag, um 09:30 Uhr Briefing und muss hier um 07:30 Uhr aus dem Haus, um halbwegs pünktlich zu sein. Morgen habe ich mein Briefing 40 Minuten früher und gehe zur gleichen Zeit wie heute aus dem Haus. Bei allem Verständnis für Tarifverträge, nervt mich dieser Bahnstreik mittlerweile. 6 Tage sind echt lang. Besonders, wenn man in diesem Zeitraum insgesamt 8 An- oder Abreisen hat.
Nach dem Frühstück gucke ich nochmal in meinen Handgepäckskoffer, ob ich alles dabei habe. Eigentlich brauche ich bei einer Tagestour kein Gepäckstück, aber der Teufel ist ein Eichhörnchen und ich würde ungern mit kaputtem Flugzeug bei -10 Grad in Ivalo stranden. Ganz besonders nicht, wenn ich nur die dünne Polyester-Uniform anhabe. Somit werfe ich meine private Winterjacke, meinen Schal und meine Mütze in den Koffer. Das hat auch einen anderen Grund: Natürlich wird man am Bahnsteig von Mitreisenden angesprochen und zu verschiedenen Bahnverbindungen befragt. Ich verstehe es und würde es genau so machen: Bei einer Person in Uniform ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie einen gewissen Freundlichkeits- und Servicestandard hat und gerne hilft. Dennoch bin ich nach 10 Stunden voller Gezerre, Diskussionen, Smalltalk, Service und eventuell noch ein medizinischer Notfall an Bord ziemlich ausgelaugt und möchte ich hauptsächlich eines: Meine Ruhe!
Deswegen bin ich ein großer Freund davon, öffentliche Verkehrsmittel in Privatklamotten zu benutzen und mich vor Antritt der Fahrt in den Umkleidekabinen auf der Basis meines Arbeitgebers umzuziehen.
Den Hinweg bestreite ich dabei meist mit Uniform, weil ich noch „frisch“ bin. Auf dem Rückweg bin ich dann incognito.
So, jetzt aber schnell durch die Zauberkugel – diesmal mit dem Gala-Make-Up. Unsere damalige Leiterin des Make-Up-Kurses für Flugbegleiter:innen sagte immer, dass das Kabinenlicht so viel Farbe schluckt und man gerne kräftig Rouge auftragen darf. Ich habe da so meine Zweifel, aber ungeschminkt möchte ich auch nicht in der Kabine stehen.
Huch! Schon 07:20 Uhr: Jetzt muss ich aber Gas geben, sonst ist die Tram weg. Meine Frisur will nicht so recht halten, also mache ich einen Dutt. Bei meinen kurzen Haaren sieht das aus, als hätte mir jemand einen braunen Bommel in den Nacken geklebt. Zwei Haarklammern und ein bisschen Haarspray später, sieht es okay aus. Ich suche meinen Uniform-Schal, schließe meinen dunkelblauen Gehrock und schlüpfe in die schwarzen, gefütterten Glattlederschuhe. Es sind fürchterlich hässliche Dinger, aber sie sind uniformkonform. Ich habe mir nämlich überlegt, sollten wir im finnischen Ivalo, so der Name meiner Destination, evakuieren müssen, dann hätte ich gerne warme Füße.
An der Trambahnhaltestelle warten bereits ein paar Menschen. Schon fährt die Tram ein und ich setze mich. Am Hauptbahnhof sehe ich die ersten Cockpit- und Kabinenkolleg:innen, die den gleichen Zug wie ich nehmen wollen. Im Zug setze ich mich neben einen Kabinenkollegen und wir tippen beide in unserem Handy herum. Da wir auf Klappsitzen sitzen, die an der Wand befestigt sind, setzt sich noch jemand neben mich. Er guckt immer wieder zu mir und ich starre in mein Handy. Vermutlich will sich der junge Herr unterhalten. Ich würde um diese Uhrzeit gerne darauf verzichten und hypnotisiere mein Handy. Es scheint zu wirken.
Auf der Basis angekommen, trinke ich einen Espresso und esse ein Stück Marmorkuchen. Die Aufmerksamen unter Ihnen erkennen hier ein Muster. Ich checke mich über mein Dienst-iPad* ein und sehe, dass die anderen Kolleg:innen noch nicht eingecheckt sind. Total verständlich! Es sind noch 40 Minuten bis Briefingbeginn. Dann geht es an meine Flugvorbereitung: Ich lese die Informationen zum Flug nach Ivalo und drucke mir den “Spickzettel” aus, auf dem alle Namen der Kolleg:innen stehen und alle Zeiten, die relevant sein könnten (Ankunftszeiten, Uhrzeit vor Ort, Ruhezeiten für die Crew).
Und schon geht’s ab ins Briefing. Die Kabinenchefin weißt uns auf Besonderheiten hin und die Arbeitspositionen werden nach Seniorität vergeben. Trotz 8 Jahren Fliegerei bin ich das Küken und bekomme die ungeliebte Arbeitsposition inmitten der Passagiere. Es wird Zeit, dass neue Kolleg:innen eingestellt werden. 😉
Noch im Briefing werden wir auf eine Besonderheit hingewiesen: Ein Passagier hatte auf seinem Zubringerflug nach Frankfurt schwerwiegende, medizinische Probleme, möchte aber unbedingt mit uns weiter nach Lappland reisen. Ärztlich abklären will er es nicht. Eine der Kabinenkolleginnen meldet sich und gibt an, dass sie ausgebildete Ärztin ist und nur im Nebenjob fliegt. Der Kapitän, die Purserette und die medizinisch-ausgebildete Kabinenkollegin beschließen, sich den Gast am Gate anzugucken, um ein Urteil fällen zu können, ob er 3 Stunden mit uns nach Lappland fliegen sollte oder nicht.
Jetzt aber schnell durch unsere eigene Flugpersonal-Sicherheitskontrolle: Ich habe das Glück, nur den Sprengstofftest und nicht die ausführliche Kontrolle gewonnen zu haben. Ein Mal Ausweis abwischen, Gürtelschnalle, Hände. Alles negativ! Guten Flug!
Wir nehmen den Crewbus und werden zum Flugzeug gebracht.
An Bord angekommen arbeiten wir unsere Checklisten ab: Ist das technische Equipment an Bord, das wir brauchen? Funktioniert es? Sind Schwimmwesten da? Sitzgurte? Sicherheitskarten? So etwas eben.
Sobald die Checklisten fertig sind, geht das Dreiergespann (Kapitän, Kabinenchefin, Arzt-Kollegin) hoch zum Gate. Schnell ist man sich einig: Dieser Gast wird heute nicht mit uns mitfliegen. Das Risiko ist für ihn und uns zu groß.
Dann geht es auch schon los: Das Boarding beginnt. Ich stehe in der Mitte der Kabine und begrüße die Gäste, gebe Tipps zum Verstauen der Handgepäcksstücke und helfe dabei, den richtigen Sitzplatz zu finden. Außerdem gucke ich mir jeden Gast ganz genau an: Ist jemand auffällig? Betrunken? Krank? Jeder Eindruck zählt, denn die Regel besagt: Jedes Problem, das wir am Boden lassen können, lassen wir auch dort. Einen betrunkenen, aggressiven Passagier über der Ostsee braucht niemand.
Aber meine Gäste sind unauffällig. Es sind viele Deutsche und Franzosen in Outdoor-Klamotten. Dazwischen ein paar wenige Briten.
“Boarding completed. Cabin crew – all doors in flight.”, kommt über die Lautsprecher und ich stelle meine Türen in den „Flugmodus“: Das bedeutet, würde man die Türen jetzt öffnen, fallen Rutschen heraus und blasen sich auf. Perfekt zum Evakuieren, sonst eher unpraktisch.
Ich helfe beim Einweisen der Passagiere, die am Notfenster sitzen und klappere die Standardfragen ab: Deutsch? Englisch? Fühlen Sie sich in der Lage, das Notfenster zu öffnen, sollten wir evakuieren müssen?
Ich blicke in nickende Gesichter. Wundervoll! Genau so habe ich es mir vorgestellt.
Dann beginnt das Ballett: Wir tanzen die Sicherheitsvorführungen vor. Diesmal auch mit Schwimmweste, da es über die Ostsee geht. Jedes Mal, egal wie vorsichtig ich dieses Ungetüm über meine Haare fädle, sehe ich danach aus wie Pumuckl.
Dann gehen wir “checken”: Sind alle Sitzgurte geschlossen? Alle Tischchen hochgeklappt? Die Sonnenblenden oben? Es sieht gut aus in der Kabine und so setze ich mich auf meinen Platz, schnalle mich an und melde meinen Kabinenabschnitt klar.
Wir rollen zur Startbahn. Plötzlich springt ein Herr mittleren Alters am Notausgang auf. Er müsse „nur noch mal eben, aber ganz dringend, auf Toilette“. Ich bitte ihn, es zu verschieben. Er sagt, er muss aber jetzt. Verbieten kann ich es ihm nicht und er sprintet auf die Toilette. Ich rufe die Kabinenchefin an und gebe ihr weiter, dass die Kabine “unklar” ist. So können wir nicht starten. Es wäre zu riskant für den Passagier mit 300km/h auf der Toilette in den Himmel geschossen zu werden. Die Kabinenchefin informiert den Kapitän darüber. Nach 1,5 Minuten kommt er erleichtert heraus, setzt sich und ich weise auf das Schließen des Sitzgurtes hin. Dann rufe ich die Kabinenchefin an, um die Kabine wieder klar zu melden. Sie gibt es dem Kapitän weiter und keine Minute später sind wir in der Luft. Hallelujah!
Auf Reiseflughöhe angekommen, schnallen wir uns ab und beginnen mit dem Service. Insgesamt 2 Stunden verkaufen wir Snacks, Sandwiches und Getränke in der Economy Class. Es geht zu wie auf dem Rummel! Die Gäste haben wirklich Hunger. Kein Wunder – es ist ein Dreistunden-Flug.
Dann räumen wir ab und ich gehe nach vorne zum Plaudern, weil die Kolleginnen hinten zwar nett sind, aber nicht spritzig-witzig, wie ich es bevorzuge. Ein bisschen geschnattert, ein paar Pralinen probiert und siehe da: Der Landeanflug beginnt. Ich merke es schon auf den Ohren. Kurzer Blick aus dem Fenster: Von oben ist alles weiß und waldig. Sehr vereinzelt sieht man Straßenlichter oder Häuser. Spannend!
Das gleiche Spiel wie beim Start beginnt: Kabine checken, Kabine klar melden. Diesmal will keiner auf Toilette.
In Ivalo angekommen ist es kalt. Richtig kalt. Brr! -5 Grad zeigt mein Handy an. Ich unterhalte mich mit den Passagieren, die darauf warten, dass sich die Türen öffnen. Ein Fluggast gibt an, dass -5 Grad sehr human ist. Sonst hat es -20 Grad. Ich bin froh, dass ich meine warmen Schuhe anhabe.
Als die Fluggäste ausgestiegen sind, kommt das Cleaning-Personal an Bord. Ich setze mich und esse mein Crew-Meal, das ich mir am Vortag über unsere App bestellt habe: Dal Makhani für 3 Euro. Die indischen Gerichte sind super klasse bei uns. Gerne esse ich Naturjoghurt dazu, aber heute habe ich keine Zeit für solche Sperenzchen, denn wir wollen wieder zurück und hinken dem Zeitplan etwas hinterher. Dann tanken wir, während die Fluggäste einsteigen. Nach wenigen Minuten kommt: „Das Tanken ist beendet! Das Tanken ist beendet!“ Perfekt!
Die Gäste des Rückflugs bestehen aus Deutschen und Franzosen. Also analog wie beim Hinflug. Ein paar Italiener sind auch dabei. Ach ja, und viele Gäste, die nach London weiter wollen. Sie sind etwas nervös, dass sie ihren Weiterflug verpassen. Ich versuche sie zu beruhigen, aber man sieht in ihren Gesichtern, dass es nicht fruchtet.
Dann helfe ich ein bisschen beim Gepäck verstauen. Eine Dame sitzt ziemlich eingequetscht auf ihrem Sitzplatz. Ich frage sie, ob wir ihr Kissen verstauen sollen. „Das ist kein Kissen. Das ist mein Rentierfell!!“, protestiert sie scherzhaft. Daraufhin frage ich sie, ob ich ihr Rentier verstauen darf. Sie ist dankbar und ich muss versprechen, dass ich vorsichtig bin. Dann schließe ich die Gepäckfächer, schnelles Sicherheits-Ballett, Kabine checken, klar melden und ab geht’s nach Frankfurt.
Beim Rückflug verkaufen wir weniger: Logisch! Es gibt kaum mehr etwas zu kaufen. Dennoch: Die Leute haben Hunger. Wir melden es so weiter, auf dass die Fachabteilungen daraus den Schluss ziehen, zukünftig mehr zu beladen.
Im Flug schaue ich nochmal nach dem Rentier-Fell der Dame. Sieht gut aus! Alles fein. Ich melde es ihr und sie strahlt mich an. Gast glücklich, Rentier glücklich (obwohl… es kriegt ja nicht mehr viel mit), ich glücklich.
Gegen 19:15 Uhr landen wir in Frankfurt. Die Londoner Gäste bekommen einen Direkttransfer und entspannen sich sichtlich. Seit einem Artikel von Anke, muss ich bei jedem Direkttransfer an sie denken. Die meisten Gäste fahren allerdings mit dem normalen Bus zum Terminalbereich A.
Alle Gäste ausgestiegen? Nichts vergessen? Ach doch! Ein Herr kehrt zurück, der zwei Wollschals vergessen hat. Ich habe sie in der Zwischenzeit gefunden. Perfekt! Wir geben dem Busfahrer “den Daumen”, wie es bei uns heißt. Somit setzt sich der Bus in Bewegung und braust davon.
Der Mond sieht so toll aus, dass ich ihn fotografieren muss, während wir auf den Bus warten. Dann kommt er auch schon angerauscht und wir schließen die Flugzeugtür. Der Flieger soll heute noch weiter nach Lissabon gehen. Boa sorte, viel Erfolg, wie man so schön sagt.
Auf der Basis meiner Fluggesellschaft angekommen, verabschieden wir uns mit Handschlag oder Umarmung von den anderen Crew-Mitgliedern. Das ist der Standard und diese Regeln kann nicht gebrochen werden, egal wie dämlich die Crew war. Aber in meinem Fall hatte ich viel Glück!
Die Kabinenchefin wohnt bei mir ums Eck und fährt mich netterweise heim. Was für ein Luxus! Nur 20 Minuten später schließe ich daheim die Türe auf.
Blöderweise mit Hals- und Ohrenschmerzen.
“Mamaaaa!”, ruft Signorino und freut sich sichtlich. Dann geht er einige Schritte zurück und betrachtet mich kritisch: “Aber was hast du denn für ein Kostüm an?”, will er wissen. Ich glaube, er hat mich maximal 2x in diesem “Kostüm” gesehen. “Ein Flugbegleiter Kostüm.”, antworte ich ihm. “Nein, Mama, zieh es aus!”, weist Signorino mich empört an. “Magst du es nicht?”, will ich wissen. “Nein, Mama! Du sollst ein Kürbiskostüm anziehen.”, beharrt Signorino. Ich ziehe die Schuhe aus, gebe beiden Farnientes ein Küsschen und wasche mir ausführlichst meine Hände. Signorino weist mich während dem Händewaschen nochmals daraufhin, dass ich dieses Kostüm bitte ausziehen soll. Das Kürbiskostüm wäre deutlich besser für mich! Ich beschließe stattdessen eine Trainingshose und einen Hoodie anzuziehen. Signorino ist damit zufrieden.
Der Römer hat für mich gekocht und so esse ich erstmal. Die Hals- und Ohrenschmerzen sind immer noch da. Ich nehme eine Schmerztablette und hoffe, dass es besser wird. Nach einer Stunde tut es immer noch weh.
Ich hadere weiter mit mir: Morgen Früh soll ich schon wieder fliegen. Das würde ich auch gerne. Aber Hals- und Ohrenschmerzen werden meistens schlimmer im Flug und nicht besser. Nach 2 Stunden und gutem Zureden vom Römer rufe ich bei meiner Airline an und melde mich für den darauffolgenden Tag krank. Oh Mann!
Eine Krankmeldung hat auch noch einen weiteren Nachteil: Der gesamte Dienstplan wird durcheinander gewirbelt. Ich hoffe, mein Recurrent A320 bleibt im Plan und ich bekomme keinen weiteren Flugeinsatz. Denn sonst wird es schwierig mit der Betreuungssituation für Signorino. Warten wir es ab!
Am selben Abend erfahre ich, dass der Streik um einen Tag verkürzt wurde. Ob ich nochmal meinen Titel ändern soll? Ach was, das bleibt jetzt so.
*Werbung, unbezahlt und unbeauftragt.
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