Betreutes Gärtnern

„Era l‘ultima volta! [Es war das letzte Mal!]“, motzt der Römer und schultert den zweiten Sack Erde, um ihn vom Erdgeschoss in die Wohnung zu tragen. „Veramente! [Wirklich!]“, setzt er nach, als er an der Wohnungstür angekommen ist. Trotzig wirft er den Erdsack in unseren Eingangsbereich. Ich gucke bedröppelt und auch ein bisschen schuldbewusst.

Jedes Jahr nötige ich den Mann, mir beim Gärtnern auf dem Südbalkon zu helfen. Dabei will der arme Kerl doch einfach nur eine Sonnenliege auf eben genanntem Wohnungsteil aufstellen. Diese hat aber aufgrund meiner grünen Schützlinge keinen Platz. Deswegen schweige ich, als er den Erdsack in den Wohnungsflur pfeffert.

Es ist verflixt schwer. Ich hätte so viel zu sagen.

Um nicht doch noch mein Schweigen zu brechen, mache ich mich nützlich und greife mir den 40 Liter Sack feinster Tomaten- und Kräutererde, nur um ihn durch das Wohnzimmer und das Schlafzimmer zum Balkon zu zerren. Doch mein Gatte hält mich fest. „Dai, lo faccio io. [Komm, das mache ich.] Aber danach will ich nichts mehr mit deinen Balkonpflanzen zu tun haben!“, mahnt er und schultert erneut den 40 Liter Plastiksack.

Wir wissen beide, dass sein letzter Satz gelogen ist. So wie jedes Jahr. Natürlich wird er etwas mit meinen Balkonpflanzen zu tun haben (müssen). Dennoch bedanke ich mich überschwänglich: Man will ja nicht gleich am Anfang der Gartensaison sein bestes Pferd im Stall verlieren.

Chilli mit der Erde – vom Künstler Peng

„Di niente.[Gern geschehen.]“, grummelt er und lässt den zweiten 40 Liter Sack Erde neben den ersten, der bereits auf dem Balkon liegt, plumpsen.

80 Liter Blumenerde liegen nun dort und was haben wir für ein Glück mit dem Wetter! Perfekt zum Gärtnern. Tiefe Zufriedenheit durchströmt mich.

Das römische Rumpelstilzchen überblickt trotzig den Südbalkon. Die Sonne knallt auf die Holzfliesen. Das perfekte Wetter zum Sonnenbaden. Doch nur meine Pflanzen werden in diesen Genuss kommen. Und dafür brauchen sie nicht mal eine Sonnenliege. Wie praktisch!

Was an Balkonen übrig bleibt, ist der stiefmütterlich behandelte Nordbalkon. An heißen Tagen sind wir froh, im Schatten zu sitzen. Aber wie viele heiße Tage gibt es in Frankfurt schon?

Ob mein Mann damals bei der Hochzeit ahnte, dass ich irgendwann (und dabei stets bemüht) unter die Frankfurter Balkongärtnerinnen gehen werde? Vermutlich nicht. Er wäre mit wehenden Fahnen zurück nach Rom gereist. Ohne mich und meine Pflanzen, versteht sich.

Aber jetzt stehen wir hier, schweigend, auf diesem Balkon. Er weiß, dass ich auch dieses Jahr nicht mehr als meine unbändige Motivation fürs Gärtnern mitbringe.

Und: Er weiß auch, dass ich auf seine Hilfe und noch mehr auf seine Expertise angewiesen bin.

Dazu müssen wir etwas zurückgehen in der Geschichte: Alle Schulferien verbrachte mein römischer Gatte im albanischen Garten Eden, im Haus seiner Oma. Dort wuchsen diverse Feigenbäume, Tomaten, Paprika, Gurken, kungull [alb. Kürbis], Zwetschgen, Äpfel, Trauben und was nicht alles. Überall zierpte und zwitscherte es. Der nahegelegene Bergbach sorgte für ausreichend Wasser in den langen, heißen Sommermonaten. Man brauchte kein Gemüse hinzu zu kaufen, denn es reichte für die kinderreiche Familie und alle nahen und fernen Verwandten.

Der Römer erzählt mir noch heute, dass der Feigenbaum in sein Schlafzimmer-Fenster wuchs, so dass er sich bereits am Morgen an den honigsüßen Feigen bedienen konnte. Ja, beinahe wuchsen sie ihm in den Mund.

Und was an Obst und Gemüse übrig blieb, wurde für den Winter eingekocht und im Steinkeller gelagert.

Da mein Mann Omas Liebling war und alles zusammen mit der alternden Dame machte, zeigte sie ihm wie man richtig gärtnert, auf was man zu achten hatte und wie man die größte Ernte einfährt.

Währenddessen wuchs ich im 1400 km entfernten Dörfchen in Bayern auf. Mit Müh und Not, und unter lauter Bitten und Betteln, überzeugte ich meine Eltern davon, zwei klägliche Tomatenpflanzen kultivieren zu dürfen. Ich durfte, aber eine reiche Ernte war es nicht. Zwei, drei Tomätchen kamen dabei heraus, aber ich war stolz wie Oscar. Meine Leidenschaft fürs Gärtnern wurde geweckt. Nur leider hatte ich nach meinem Auszug aus dem Elternhaus weder Garten, noch Balkon.

Es sollte Jahre dauern bis ich einen Südbalkon mein Eigen nennen durfte. Und so mache ich mich seit 2 Jahren an die Arbeit.

In leeren Joghurtbechern und alten Töpfen kultiviere ich Anfang März Tomaten und Chillipflanzen.

Pflanzen im Anzuchttopf

Wie jedes Jahr meine ich es zu gut und versenke zehn Samen pro Topf. Blöderweise gehen auch alle zehn Samen auf und buhlen verzweifelt um Sonnenlicht und Platz.

„Wow, das sind echt viele Tomatenpflanzen. So viele große Töpfe habe ich gar nicht. Ob wir nochmal schnell zum Gartencenter fahren sollen?“, frage ich mich laut. So laut, dass der Römer es gar nicht überhören kann. Er hebt dann pikiert die rechte Augenbraue. „Certo che no! [Sicher nicht!]“, protestiert er. „Du musst aussieben, pikieren. Die großen Kräftigen, die behältst du. Und den anderen sagst du Aufnimmerwiedersehen!“, erklärt er mir streng. Dabei zeigt seine Körpersprache deutlich, dass dieser Mann nicht gärtnern will.

Und wie jedes Jahr gucke ich ihn schockiert an, wenn diese Aussage fällt. „Aber ich habe sie doch eigenhändig gepflanzt! Ich kann sie doch jetzt nicht einfach entsorgen!!“, beklage ich mich und der Römer verdreht die Augen. „Dann mache ich das eben!“, gibt er zurück und ich verlasse den Balkon, um das Massaker nicht mitansehen zu müssen.

Während ich im Wohnzimmer bin, braucht Signorino etwas von mir. Mit ‚etwas‘ sind Pfannkuchen gemeint und so machen wir schnell Pfannkuchen.

Der Römer kehrt derweil nicht mehr vom Balkon zurück. Vermutlich ist er eingeschnappt. Als ich 30 Minuten später nach ihm schaue – das Kind verspeist gerade fröhlich seinen marmeladengefüllten Pfannkuchen – sehe ich ihn zufrieden gärtnernd auf dem Balkon. Mit viel Fingerspitzengefühl setzt er die Tomaten- und Chillipflänzchen um, gießt sie sanft, streichelt ihnen nochmal über die Blätter und redet ihnen gut zu, dass sie kräftig wachsen sollen.

Sie werden so schnell groß! Mittlerweile sind sie größer als Signorino.

„Oh, klasse, du hast ja beinahe alle Pflanzen umgesetzt.“, strahle ich ihn an. Sein Blick verfinstert sich, als ihm einfällt, dass es ihm doch gar keinen Spaß macht zu gärtnern. „Si, ma era l‘ultima volta [Ja, aber das war das letzte Mal!]! Danach will ich nichts mehr mit deinen Tomatenpflanzen zu tun haben!“, gibt er barsch zurück. „Okay!“, pflichte ich ihm bei und grinse.

Manchmal dauert es bis man sein Potenzial entfalten kann.

Das Gärtnern mag meine Leidenschaft sein, aber der Römer kann sich gegen seine grünen Gene nur schwerlich wehren. Mit viel Liebe, Geschick und Wissen pflegt und hegt er meine Nutzpflanzen auf dem Balkon. Nur ansprechen darf man ihn darauf nicht, denn sonst wird er sauer! Schließlich will der Gärtner doch nichts mit „meinen“ Pflanzen zu tun haben.

Als ich wieder fliegen darf, frage ich ihn, ob er in meiner fliegerischen Abwesenheit auf meine Pflanzen aufpassen könne. Er nickt wortlos. Bei meiner Rückkehr stehen die Pflanzen wie stolze Soldaten in ihren Töpfen. Feinsäuberlich vom Römer an ihre Stützen angebunden, strahlen sie mich an. Sie scheinen ein gutes Stück gewachsen zu sein. „Grazie!“, rufe ich dem Römer zu. Kurz huscht ein Lächeln über das römische Gesicht beim Anblick seiner, nein, meiner Pflanzen. Dann wird er wieder ernst. „Passt schon.“, murmelt der Pflanzenfreund, der keiner sein will.

Immerhin weiß ich, dass meine Pflanzen in besten Händen sind.

Des einen Leidenschaft, schafft beim anderen Leiden. Oder doch nicht? 😉

26 Antworten zu „Betreutes Gärtnern”.

  1. Avatar von anneeulia

    Schick deinen Mann mal bitte her…ich brauche Balkonkästen.
    Ich hab die Anschaffung aufs nächste Jahr verschoben aber dann muss ich definitiv neue haben.
    Ich muss mich mal um die Zimmerpflanzen kümmern, die kümmern vor sich hin.
    Und es sieht so aus das mein Oleander neu austreibt.
    Der wird noch umgetopft.
    Du kannst mir mal die Daumen drücken das mein Hibiskus es Ihm nach tut und keinen Frostschaden hat.
    Ich hab beide ratzekahl runter geschnitten.
    Der Oleander zeigt Blätter, der Hibiskus minigrüne Ansätze.
    Vielleicht hab uch ja Glück.
    🤣
    Dir viel Spaß auf Balkonia.

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    1. Avatar von Eva Farniente

      Das wäre die Geschäftsidee! 😄 Der wandelnde, grummelnde Gärtner. Er kümmert sich um die Balkonpflanzen, aber doof findet er es trotzdem. 😄
      Man sieht, du hast alle grünen Daumen voll zu tun.
      Liebe Grüße nach Balkonien!

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      1. Avatar von anneeulia

        Danke Dir dein Männe würde vermutlich ganz wo anders helfend unterstützen, wenn ER dieses Chaos hier sehen würde und mir erklären…“Junge Dame so kann man nicht wohnen.“
        Er hätte sogar recht, aber mein Balkon ist heilig.
        Mein Lavendel ist schon mal nicht angewachsen, die 3,50€ hätte uch mir definitiv sparen können.
        Ich mache morgen die Blüten ab. Dann gibts was fur den Kleiderschrank.😉
        Gruß zurück auch an den grummelnden Gärtner.🧑🏽‍🌾

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      2. Avatar von Eva Farniente
  2. Avatar von Mindsplint

    Bewundernswert, deine bzw. eure Geduld bezüglich des hin/an/um/pflanzens.
    Ich persönlich besitze leider weder einen grünen Daumen, noch Spaß an Gartenarbeit – trotz Balkon. 😎
    LG Bea

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    1. Avatar von Eva Farniente

      Früher sind wir abends ausgegangen, jetzt gärtnern wir. 😄
      Das kann ich total verstehen. Bist du dann die Fraktion „Draußen sitzen bzw. auf der Liege sonnen“ oder „Juhu! Die Wäsche wird im Sommer auf dem Balkon schneller trocken“? 😄
      LG und einen entspannten Restsonntag, Eva

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      1. Avatar von Mindsplint

        Mein Balkon hat nur bis um 11:30h Sonne und liegt anschließend im Schatten. Davon ab habe ich einen Bankirai-Holzboden, der keinen Schutz vor Dreck und Regen von oben spendet, so dass ich ihn wirklich nur bei stabilem Hochsommer mal poliere und zum draußen sitzen nutzen kann. Ansonsten lebt er ein Eigenleben ohne Beteiligung meinerseits. Schade, aber so ist es leider. :-/ Hoffe, das beantwortet deine Fragen. 🙂
        Viele liebe Grüße Bea, die ein wenig neidisch ist! 😀

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      2. Avatar von Eva Farniente

        Das macht natürlich Sinn, liebe Bea. Er ist also das Pendant zu unserem Nordbalkon. 😄 Hab’s fein, starte mit Karacho in die neue Woche und liebe Grüße, Eva

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  3. Avatar von Trude

    Der Römer ist wirklich ein Goldstück!

    Mein Mann liebte es, jedes Jahr gemeinsam mit mir unseren Balkon (Dachterrasse) zu bepflanzen.
    Auch in diesem Jahr hänge ich nach. Aber nächste Woche werde ich es wohl angehen …

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    1. Avatar von Eva Farniente

      Das kann ich genau so unterschreiben, liebe Trude. 😃

      Was für ein schönes, gemeinsames Hobby! Wenn beide einen grünen Daumen haben, macht es gleich doppelt Spaß.
      Ich drücke dir alle Daumen, dass du es angehst und ich bin mir sicher, du gestaltest dir dieses Jahr eine schöne Dachterrasse. 🌱🌿🌼

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  4. Avatar von gkazakou

    diese Art Arbeitsteilung wäre was für meine neu erwachte Gemüsegarten-Leidenschaft. Aber leider ist da nichts zu machen. Und so wachsen oder vertrocknen meine Pflänzchen abhängig allein von meiner Fürsorge.

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    1. Avatar von Eva Farniente

      Schade! Zu zweit macht es doppelt so viel Spaß. Also mir. Dem Römer weniger, sagt er. 😉
      Manchmal, wenn Zeit und Muße fehlen, gilt im Gemüsegarten eben: Survival of the fittest. 😄

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      1. Avatar von gkazakou

        Mein Mann hat tatsächlich keine Ahnung von Pflanzenpflege. Also ist ihm da nichts vorzuwerfen. Dass ich auch keine Ahnung habe, ist natürlich fatal. 😉

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      2. Avatar von Eva Farniente

        Das Gute ist natürlich: Es ist noch kein Experte vom Himmel gefallen. Das wird! 😃

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  5. Avatar von noch1glaswein

    Der Römer ist schon ein Oberschatz, aber das weißt du ja

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    1. Avatar von Eva Farniente

      Dem kann ich nichts mehr hinzufügen und werde mich an den Satz erinnern, wenn wieder achtlos Schuhe im Hausflur stehen und ich darüber stolpere. 😄

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  6. Avatar von Anke

    Ihr seid ein perfektes Team, würde ich sagen. Und Signorino erbt vielleicht den Enthusiasmus von Mama und die Expertise von Papa? Na Hauptsache, ihm schmecken erstmal die Tomaten vom Südbalkon.😋

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    1. Avatar von Eva Farniente

      Das hoffe ich, liebe Anke. Aktuell sieht es so aus, als hätte er Mamas Expertise und Papas Enthusiasmus. Aber das kann sich ja noch ändern.
      Habt ihr dieses Jahr auch wieder eine Tomatenpflanze?

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      1. Avatar von Anke

        Hihi. Ja, aber wir haben sie gekauft, um auf Nummer sicher zu gehen. Einige kleine (Kirsch-)Tomaten sind schon dran, fehlt nur noch regelmäßige Sonne. Sie steht auf dem Südbalkon. 🙂

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      2. Avatar von Eva Farniente

        Ich bin gespannt, auf eure Tomatenernte. Komm gut in die Woche und liebe Grüße aus Frankfurt! 😃

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      3. Avatar von Anke

        Danke. Dir auch einen guten Start!☀️

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      4. Avatar von Eva Farniente

        Danke dir! 😃

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  7. Avatar von Ira Moritz

    Liebe Eva, was für eine herrliche Geschichte, ich liebe sie!

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    1. Avatar von Eva Farniente

      Liebe Ira, das freut mich außerordentlich. 😃 Viele, liebe Grüße vom Südbalkon!

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  8. Avatar von Meggies Kochstudio

    Liebe Eva,
    willkommen in meinem Balkongärtchenstress
    Jedes Jahr das gleiche
    Aber wem sag ich es
    Du hast es so perfekt, identisch beschrieben
    🤩 🙏🙏
    Lg Meggie

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    1. Avatar von Eva Farniente

      Liebe Meggie,
      wir Balkongärtner haben es nicht einfach, oder? 😄 Aber es macht einfach zu viel Freude, als dass man es aufgeben wollen würde. Die ersten, süßen Tomaten der Saison lassen den Stress vergessen.
      Hab’s fein, liebe Meggie und liebe Grüße, Eva

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Ich bin Eva

Herzlich Willkommen auf meinem Familienblog zwischen den Kulturen! Hier geht es um all die Themen rund um die täglichen Herausforderungen als germano_it_albanische Kleinfamilie mitten in Frankfurt am Main.

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