Wie ich den Römer kennenlernte (Teil 2)

[Überarbeitete Version – zuerst erschienen auf meinem alten Blog – am 20.10.2015]

Als wir bei ihm daheim angekommen waren, verbrachten wir viel Zeit im Bett. Er küsste so fantastisch, sanft, liebevoll, aber gleichzeitig stürmisch, wild und leidenschaftlich. Und dieser Hintern… er sah aus wie in Marmor gemeißelt.

Als unsere Triebe befriedigt waren, unterhielten wir uns. Denn was nützt das schönste Bettgeflüster, wenn das Gegenüber kaum einen Halbsatz herausbekommt?

Siehe da, seine Weltanschauung war die gleiche wie am Vortag. Sie gefiel mir sehr. Dazu der sanfte Klang seiner Stimme. Wie er melodisch das R rollte. Seine Stimme, die mal schneller und leidenschaftlicher, mal langsamer und samtiger wurde, je nachdem was er erzählte. Wie er einzelne Wörter akzentuierte und einzelne Silben so betonte, dass sich seine warmherzige Stimme ergoß wie flüssige Schokolade auf Profiteroles. Vielleicht lag es an der Sprache, die so viel melodischer war als die meine. Sicher aber lag es an seiner Stimme, die ein feines, männliches Timbre versprühte, das gleichzeitig so liebevoll und echt war.

Am frühen Nachmittag schlug er vor, dass wir einige Sehenswürdigkeiten in Rom besichtigen sollten. Ich hatte zwar in den letzten Tagen sämtliche, touristische Winkel Roms kennengelernt, doch ich willigte ein. Zehn Minuten von seiner Wohnung entfernt, befand sich das „Schlüsselloch“ Roms. Wir stiegen die steile Via di Porta Lavernale hoch auf den Aventin, einer der sieben Hügel.

Ganz Gentleman, ließ mir der Römer den Vortritt am Schlüsselloch Roms. Als ich gerade durch dieses schauen wollte, der Kirchturm der Basilica di Santa Sabina all’Aventino schlug gerade 12 Uhr, entfuhr dem Römer ein „cazzo!„. Ich blickte zu ihm, sichtlich schockiert, da sprudelte es heraus: „Oh dio! [Oh Gott!] Heute ist ein Rugby Spiel und ich habe es ganz vergessen. Ho promesso ai ragazzi che verrò. [Ich habe den Jungs versprochen, dass ich kommen werde] Aber jetzt bin ich hier.“ Er guckte mir tief in die Augen. „Und Rugby kann warten.“ fügte er noch hinzu bevor er mich küsste. Noch benommen von diesem Kuss, meldete sich mein Verstand und mit ihm mein Pflichtbewusstsein. Er hat es versprochen. Und Versprechen bricht man nicht. Ich blickte ihn an und fragte: „Und warum fahren wir nicht gemeinsam zu diesem Rugbyspiel? Ich wäre gerne dabei, wenn du dir das vorstellen könntest?“

Sichtlich irritiert guckte er mich an. „Ma davvero?“ [Wirklich?] fragte er. Ich nickte sehr ernst. „Wow…semplicemente non me lo aspettavo! [….ich habe es einfach nicht erwartet] Ich kenne keine Frau, die freiwillig zu einem Rugby Spiel mit mir gehen wollen würde.“ bemerkte er. „Jetzt kennst du eine. Mich!“ erwiderte ich lachend.

Wir fuhren mit dem Zug zum Rugbyspiel. Auf den Besucherrängen musste ich mich sehr beherrschen nicht laut zu lachen. Wie lange brauchen diese Frauen wohl, sich so zurecht zu machen für ein Rugbyspiel der Provinzliga? Die Haare waren ordentlich gelockt oder geglättet, die teure Designerhandtasche wurde liebevoll neben ihnen drappiert, ein Hauch von Armani lag in der Luft. Die männlichen Beiwohner des Spektakels waren ordentlich gekleidet und sprühten nur so vor Testosteron. Nur ich war ein Alien: zerzauster Dutt, schwarzer, abgetragener Mantel, schwarze Turnschuhe im Boxerstil, kein Make-Up. Dafür hatte ich den Glow meines Lebens – dem Römer sei Dank.

Sogleich wurde der Römer von allen begrüßt. Er war bekannt wie ein bunter Hund. Warum erfuhr ich später. (Er war für die medizinischen Belange der Spieler zuständig) Im Vorbeigehen hörte ich einen Testosteron getränkten Luxuswagenfahrer sagen: „Aaaah…sempre con un`altra ragazza.“ [Aaaah…immer mit einem anderen Mädel] Mr. Testosteron lachte laut und schallend. Der Römer hob nur gelangweilt eine Augenbraue. Ich ignorierte den Kommentar, denn ich konnte mir gut denken, dass der Römer kein unbeschriebenes Blatt war.

Auf der Tribüne guckte der Römer das Spiel an. Ich hingegen guckte mir das Publikum an. Aus dem nichts fragte der Römer ernsthaft besorgt: „Hey…langweilst du dich?“ Ich lächelte und erklärte ihm, dass ich das Publikum unterhaltsamer als das Spiel fände, ich mich aber köstlich amüsiere. Er legte den Arm um mich und lächelte mich an.

Kawuuumm! Was war das denn? Dieses Ziehen in der Bauchdecke? Hm. Ich beschloss es zu ignorieren.

Nach weiteren 20 Minuten merkte der Römer an, dass er nun seine Pflicht erfüllt hätte und wir nun gehen könnten. „ICH langweile mich nämlich.“ sagte er. Wir machten uns auf den Weg. Es war mittlerweile früher Abend und er zeigte mir einige, verborgene Ecken Roms. Das magische Licht dieser Stadt beleuchtete die Szenerie so malerisch, dass einem das Herz überlief. Das spürte auch der Römer. „Ich muss dir etwas sagen.“ fing er an. Ich blickte in diese großen, azurblauen Augen und dachte nur: „Alles was du willst!“ sagte aber: „Ähm, was denn?“

Er guckte zu Boden und stammelte: „Ähm…ich kann nicht. Ich will nichts kaputt machen.“

„Was soll schon passieren?“ ermutigte ich ihn. „Ähm…nein, nicht so wichtig. Also hier hinten sind die terme di caracalla. Die sind sehr sehenswert….“ lenkte er ab. Doch „la curiosità è donna“ [die Neugier ist weiblich]. Für den Moment beließ ich es dabei, beschloss aber nachzuhaken, sobald sich die Gelegenheit bieten würde.

Am nächsten Morgen gingen wir frühstücken. Wir schlenderten durch das malerische Trastevere, er zog mich plötzlich zu sich und küsste mich voller Übermut in einer kleinen Gasse. Dann sprach er: „Was ich dir gestern sagen wollte… ich glaube… also… ich… ähm… wie soll ich dir das jetzt sagen?“ Aus dem Marmor gemeißelten römischen Gott war nun ein kleiner, schüchterner Junge geworden. Es musste ernst sein. Doch er wollte wieder nicht mit der Sprache herausrücken.

Ich erklärte ihm: „Weißt du, die meisten Menschen ärgern sich über Dinge, die sie nicht gesagt haben zu dem Zeitpunkt, wo sie sie hätten sagen können. Meistens hatten sie so große Angst vor der Reaktion der anderen, aber es war total unbe…“ Da entfuhr es ihm: „Ich habe mich in dich verliebt! Ich weiß nicht, wie du das gemacht hast, aber es ist irgendwie passiert. Wenn du mich anlächelst, bleibt mein Herz für eine Sekunde stehen. Wenn du mich mit deinen grünen Augen ansiehst, bleibt sogar die ganze Welt stehen. Wenn du mit mir redest, würde ich dich gerne vom Fleck weg heiraten. Wenn du mir zuzwinkerst, vergesse ich alle Sorgen, die ich habe. So jetzt ist es raus. Es tut mir Leid, falls ich etwas zwischen uns kaputt gemacht habe!“ Ich war so baff, dass ich erst einmal gar nichts sagen konnte. Wow. Da stehe ich in einer kleinen Gasse in Rom und dieser Adonis macht dir das schönste Liebesgeständnis, das ich je bekommen habe. Kann mich bitte jemand kneifen?

Ich konnte nichts anderes tun, als ihm einen Kuss zu geben. „Wow….ähm….also….dito. Ich habe mich auch in dich verliebt. Ich habe nur Respekt vor der Entfernung zwischen Rom und Frankfurt. Aber…eigentlich, wenn ich ganz ehrlich bin, macht mir an deiner Seite gar nichts mehr Angst.“

Er küsste mich und wir gingen schweigend, Händchen haltend und grinsend weiter. Jetzt wollte ich nicht an morgen denken. „Man wird eine Lösung finden.“ dachte ich und beließ es bei diesem Gedanken.

Am Abend sagte er: „Für dich würde ich überall hinziehen.“ Hat er das gerade wirklich gesagt? Er, der Rom liebt. All seine Freunde wohnen hier, er ist hier aufgewachsen, seine Familie ist hier, sein Leben ist hier. „Ich kann überall auf der Welt meinem Beruf nachgehen. Wir werden überall gebraucht!“ erklärte er mir. Ich guckte ihn an: „Das mag sein, aber du wärst nicht glücklich außerhalb Roms. Eine Rose, die aus Rom kommt, kann man nicht einfach nach Deutschland umsiedeln. Sie geht ein.“ antwortete ich. „Aber die Tomate kam sogar aus Südamerika und jetzt ist sie überall: in Spanien, in Italien,…“ antwortete er ernst. „Die Frage ist nur: bist du eine Rose oder eine Tomate?“ Wir kringelten uns vor Lachen.

„Weißt du, mit meinem Job und meinem Leben ist es viel einfacher in Rom zu wohnen als für dich nach Deutschland umzusiedeln. Die Sprache spreche ich bereits. Ich brauche keine neue Arbeitsstelle. Ich kann meine behalten. Ich fliege zur Arbeit und von der Arbeit wieder nach Hause. Zu dir.“ entgegnete ich ihm. „Aber du magst Rom doch gar nicht. Es ist dir zu laut, zu hektisch, zu stickig, zu schlecht organisiert. Es sind dir zu viele Touristen, zu viele Römer, zu….“ setzte er an. „Vielleicht bin ich nicht verliebt in Rom, aber ich bin verliebt in dich. Weißt du, wir machen es so: wir gucken, wo das hinführt mit uns: In den kommenden Monaten muss ich nicht viel arbeiten – vielleicht 2-3 Flüge im Monat. Zwischen April und Oktober arbeite ich hingegen sehr viel. Wir warten den kommenden Sommer ab und im Oktober entscheiden wir, ob ich probeweise für einen Monat nach Rom ziehe. Wir lassen es auf uns zukommen.“ Damit war er einverstanden. Warum viel nachdenken über Probleme, die man vielleicht gar nicht hat?

Abends, beim Essen, erzählte er mir: „..und dann… vor drei Wochen am Samstag, als ich meinen Geburtstag feierte…“ Ich unterbrach ihn. „Moment… WANN ist dein Geburtstag??“ Er sagte MEIN Geburtsdatum. Ich begann schallend zu lachen. „Ich habe am exakt gleichen Tag Geburtstag.“ Wir konnten es nicht glauben und seine Freunde, denen das Restaurant gehört, guckten uns irritiert ein. „Hey, Ale, komm mal her.“ rief er seinem Freund zu. Ale kam zu uns an den Tisch. „Wann habe ich Geburtstag?“ Ale entgegnete mein Geburtsdatum. Wir kriegten uns nicht mehr ein vor Lachen. „Ale, sie hat am selben Tag wie ich Geburtstag.“ Auch Ale konnte es gar nicht glauben. Ich fragte den Römer zu welcher Uhrzeit er geboren wurde: „Ich glaube um 2 Uhr nachts…“ beantwortete er meine Frage. „Du lügst doch!!!“ sagte ich. „Ich bin um 2:50 Uhr geboren.“ Ale kriegte sich fast nicht mehr ein. „Also seid ihr quasi Zwillinge.“ Ja, wir sind quasi Zwillinge.

Abends in seinem Bett buchte ich meinen Rückflug. Ich stellte mir den Wecker auf 4 Uhr nachts und kuschelte mich an ihn. „Wo führt das mit uns hin?“ fragte er. „Ich weiß es nicht… Che sarà, sarà, amore! [Was sein wird, wird sein]“ antwortete ich. „Speriamo bene…“ [Hoffen wir das Beste] war seine Antwort. „Ja, hoffen wir das Beste.“ sagte ich schlaftrunken.

Ich schlief in seinen Armen ein. 2 Stunden später klingelte der Wecker. Ich machte mich fertig. Als ich die Badtür einen Spalt offen lies, sah ihn schlafend… eingewickelt in seine Decke… Tränen kamen hoch… Ich schluckte sie runter. Stark sein!

Er rief mir ein Taxi, zog sich an, brachte mich runter, gab mir einen Kuss und noch einen und noch einen… „Ich muss los.“ sagte ich. „Ich weiß.“ antwortete er. Er küsste mich ein letztes Mal. Ich stieg ins Taxi, sagte, dass ich nun wirklich los müsse, sonst würde ich meinen Flug verpassen. Er winkte. Als wir um die Ecke bogen, sah ich ihn wie er sich mit der Hand über die Augen wischte, als er die Haustür aufsperrte. Ich fuhr zum Flughafen, nahm das Flugzeug und stürzte mich hier sofort wieder in die letzten Vorbereitungen für meinen Umzug von München nach Frankfurt. Bloß nicht nachdenken! Besonders nicht über all die Schwierigkeiten, die so eine Fernbeziehung mit sich bringt. Das Vermissen, das Gefühl, nie richtig daheim zu sein. Nein, nein! Ich verdrängte alles.

Es gibt dieses gewisses Klischee über Italiener. So lasse ich es eben laufen wie es läuft. Was sein wird, wird sein. Ich bin vorsichtig bei dieser Geschichte, nicht übervorsichtig, aber vorsichtig. Er meldet sich alle paar Stunden bei mir – von sich aus. Er erzählt von seinem Leben, anscheinend hat er schon seinem besten Freund von mir erzählt: „Okay…jetzt also nur noch die eine und keine andere mehr?“ fragte er wohl. Wir werden sehen, wo das hinführt… Im November kommt er wohl vorbei… speriamo bene.

[Nachtrag: Liebe Leser, das war die Geschichte vom Römer und mir. Wie Sie wissen, wurde aus einem „speriamo bene“ eine Ehe und ein wunderschöner, kleiner und quirliger Signorino. Life is what happens to you while you’re busy making other plans.]