
Auffallend anders
Sie als Leser*innen sind auf zack. Das bemerke ich immer wieder. Man kann Ihnen nichts vormachen. Auch nicht, dass der Freitagsrapport heute und auch letzte Woche nicht an einem Freitag, sondern an einem anderen Wochenendtag erschien. Ich glaube, allein diese Tatsache erklärt mein momentanes Arbeitspensum schon recht präzise. Ansonsten sehen Sie es vermutlich auch daran, dass ich momentan kaum Artikel lesen, liken oder kommentieren kann. Immerhin – der Freitagsrapport erscheint (bis jetzt) noch in der korrekten Kalenderwoche. 😉 Dennoch, wie ich Sie kennenlernen durfte, sind sie überaus tolerante und weltoffene Leser*innen, die sich von dieser Lappalie nicht beirren lassen. Deswegen bleibt mir nur zu sagen: Hier ist er – der Freitagsrapport der KW50.
Noi a Milano [Wir in Mailand…]
Wie es ist, einen weiblichen Teenager daheim zu haben, durfte ich dieses Wochenende erfahren. Hallelujah! Elda, die römische Nichte, die in Mailand studiert, war zu Besuch. Faktisch gehört sie mit ihren 24 Jahren vermutlich nicht mehr zu der Gruppe der Teenager. Doch Ihr Verhalten ließ ab und an anderes vermuten.
Sie wollte uns für ein Wochenende in Frankfurt besuchen, was wir sehr schön fanden. Die Theorie dazu war: Sie kam Freitagabend und flog Sonntagfrüh. Die Praxis war… nun ja. Schauen Sie selbst:
Am Freitagabend hatte ihr Flug zwei Stunden Verspätung. Was ich nicht wusste: Das war ein großes Glück, sonst hätte sie diesen verpasst. Woran das lag, lernte ich im Verlauf des Samstagvormittags. Wir frühstückten, ich fragte, was sie gerne essen möchte und sie gab nur „Espresso, bitte.“ an. Ob sie denn gar nichts essen wolle, wollte ich als besorgte Mutter und engagierte Tante wissen. „Nein, nein. Guarda… noi a Milano non facciamo colazione. [Schau…. wir in Mailand frühstücken nicht.].“ Ach ja, ich vergaß, dass sie seit etwa zwei Jahren in Mailand wohnte und sich gerne als geborene Mailänderin sieht. „So gar nicht?“, wollte ich wissen. „Guarda, zia…. [Schau, Tante….]“, fing sie wieder etwas belehrend an, „Ich schaffe es meistens nicht so früh aus den Federn. Und sobald ich wach bin, brauche ich 45 Minuten im Bad, um ausgehtauglich zu sein. Dann bleibt meist nur Zeit für einen Espresso und ich muss schon zur Trambahn rennen.“ Ich nickte. 45 Minuten im Bad habe ich das letzte Mal 2019 gebraucht. Ich schminkte mich überseetauglich, auf dass das Makeup einen langen Nachtflug (und in meinem Fall auch eine Notwasserung im Atlantik) überstehen könnte. Dann presste ich mich in meine Flugbegleiterinnnen-Uniform, wobei in den 45 Minuten noch das Bügeln und Falten von vier Arbeitsblusen inkludiert war. Aber gut, in Mailand wird das wohl anders sein.
Samstagvormittag ging sie, nach besagten 45 Minuten im Bad, mit ihrem Onkel, dem Römer, etwas durch die Stadt, um instagramtaugliche* Bilder für ihren Account zu schießen. Als ich an ihrem Zimmer alias dem Kinderzimmer vorbeischwänzelte (zu diesem Zeitpunkt war sie schon mehr als eine Stunde außer Haus), bemerkte ich, dass Licht brannte. Seufzend schaltete ich die Lampe aus.
Dazu muss ich Sie auf einen kleinen Exkurs mitnehmen: Es kostete mich 3 (!) Jahre, dem Römer beizubringen, dass das Licht ausgeschaltet werden kann soll, sobald man den Raum verlässt. Ein Glück haben wir Elektrizität, so dass uns dies die Chance gibt, einfach und mühelos den Lichtschalter zu betätigen. Die Zeit der Petroleumlampen sei vorüber, betonte ich dann meist am Ende meines Monologes, und legte demonstrativ den Lichtschalter ein paar Mal um, damit man sieht wie unkompliziert die Bedienung ist.
Wenig später, Signorino und ich waren komplett angezogen und ausgehbereit, rief ich den Römer an und fragte, ob wir uns alle zusammen im Stadtzentrum treffen wollen. Aber ja, das wollten sie. Wir fuhren mit der S-Bahn zur Hauptwache und trafen den etwas genervt wirkenden Onkel und seine auf dem Handy tippende Instagram*-Nichte. Sie blickte kurz auf und begrüßte uns. Dann tippte sie weiter. Als sie fertig getippt hatte, schlenderten wir die Einkaufsmeile „Zeil“ entlang, wobei schlendern das falsche Wort an einem Samstag kurz vor Weihnachten ist.
Wir Damen plauderten etwas, während der Römer sich aufopfernd um seinen Sohn kümmerte. „Und was machst du meistens so am Wochenende?“, fragte mich Elda. Ich verstand die Frage nicht. Vermutlich lag das daran, dass es das Wochenende im klassischen Sinne nicht mehr für mich gab. „Ich kümmere mich um Signorino.“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Sie fixierte mich etwas irritiert, so als ob ich die Frage nicht richtig verstanden hätte. „Ja, ja, aber hast du irgendwelche Hobbies?“, wollte sie wissen. Ich lachte in mich hinein. Welche Hobbies hat man schon mit einem aktiven 2-jährigen? Und wie sollte ich Signorino verkaufen, dass Mama jetzt ihrem Hobby nachgeht? „Signorino, Mama geht jetzt mal zwei Stunden malen. Wenn was ist, klopf einfach an.“ Die Vorstellung ließ mich innerlich zerbersten vor lachen. „Ähm… ich habe nicht so wirklich Zeit dafür. Und du?“, spielte ich ihr den Ball zurück. „Allora, noi a Milano [Also, wir in Mailand…] lieben es, uns am Wochenende auf einen Aperitif zu treffen. Ich kenne mittlerweile alle guten Bars (würde man das bei Instagram als #Leberzirrhose verbuchen?) und brauche üüüberhaupt keinen Stadtplan mehr. Dann war ich letztens in der Pinakothek im Viertel Brera. Fantastisch! Freunde einer Freundin studieren Kunst und wir verbrachten 5 Stunden in diesem Museum. Klar, wenn dir Kunststudenten die Werke erklären, entdeckst du plötzlich Details, die dir als Laie überhaupt nicht auffallen. Außerdem lieben wir Mailänder es, am Wochenende wegzufahren. Ein Wochenende in Rom, vielleicht auch in Paris. Mit den Lowcost Airlines können wir Mailänder uns das einfach super leisten.“, erklärte sie mir die Welt. „Diese Mailänder müssen ein echt aufregendes Leben haben.“, resümierte ich gedanklich für mich. Doch meine Gedanken wurden jäh von einer Frage Eldas unterbrochen: „Und? Wo fahrt ihr am Wochenende hin, wenn ihr einen Weekend-Trip organisiert?“. Der Römer guckte mich an. Ein aufflammendes Lachen zuckte über sein Gesicht. Ich wusste in diesem Moment, dass sich der gleiche Film in unserem Kopf abspielte: Ein Wochenendtrip mit Signorino? Mittwochs unzählige Taschen voller Kinderkram packen (mit Packliste), donnerstags Proviant in rauen Mengen und unterschiedlichen Konsistenzen (Quetschie, Riegel, Brezeln,… der falsche Proviant lässt Krokodilstränen freien Lauf) einkaufen, freitags gestresst und abgehetzt an der Sicherheitskontrolle mit Kind stehen. Die Windel ist zum Zerbersten gefüllt. Das Kind ist nölig. Übermüdet in der Unterkunft ankommen. Samstags irgendwie den Tag bestreiten. Kulturprogramm? Klar, wenn man will, dass das Kind wie irre durch die Uffizien rennt und Sachen umwirft. Ganz zu schweigen von der Kunst, die man eh nicht mitbekommt. Samstagabend wieder alles einpacken. Sonntag gestresst zum Flughafen hetzen. Flug mit aktivem Kleinkind, dass nicht ruhig sitzen will. Stinkewindel im Flieger wechseln (eine Erfahrung für sich – auf 10000 Metern Höhe). Einreise. Kind heult in der S-Bahn, weil müde. Endlich alle daheim – wir bräuchten dann mal eine Woche Urlaub. Der Römer sagte nur: „Momentan ist keiner geplant…“ und wollte das Thema wechseln. Doch Elda ließ sich nicht abschütteln. „Paris.“, antwortete der Römer schließlich knapp auf eine mögliche Destination. Einer 24jährigen, kinderlosen Studentin zu erklären, dass ein Wochenendtrip unmöglich ist, würde den Rahmen und vermutlich auch ihre Vorstellungskraft sprengen. „Ah, schön! Wir in Mailand finden Paris ganz wunderbar. Natürlich ist die Stadt nicht so reich an Kultur wie beispielsweise Rom oder Mailand, aber faszinierend ist die Stadt allemal.“, erläuterte uns unsere welterfahrene Nichte Elda. „Was macht ihr dann an einem Wochenendtrip typischerweise?“, hakte sie nach. „Schlafen.“, antwortete der Römer. Elda war verwirrt. „Ähm…aber schaut ihr euch dann nicht die Stadt an, geht in Museen, vielleicht sogar ins Kino?“, wollte sie von uns wissen. „Nein.“, antwortete der Römer. „Wir sind Eltern. Wir wollen nur schlafen.“ So ganz schien uns Elda diese Story nicht abzunehmen, aber sie hakte auch nicht mehr nach. Dem Onkel widerspricht man nicht. Den Abend verbrachten wir mit Pizza und einem Film, bei dem sich Signorino lautstark langweilte, auf dem Sofa. Gegen 22 Uhr brachten wir das müde Kind ins Bett.

Am nächsten Morgen, der Abflug Eldas sollte planmäßig um 10:50 Uhr starten, unterrichtete sie den Römer zwei Stunden vor besagtem Abflug, dass sie vermutlich einen PCR- oder Antigen-Test brauche um in Italien einreisen zu dürfen. Dem Römer, der damit kalkulierte, dass es vollkommen reichen würde, 60 Minuten vor Abflug am Flughafen zu sein, fiel alles aus dem Gesicht. „Wie? Einen Test? Jetzt? Es ist 08:45 Uhr. Du fliegst in zwei Stunden ab.“, hinterfragte er aufgebracht ihre Angaben. „So ganz genau verstehe ich die Webseite nicht. Ich glaube, ich kann auch einfach in Quarantäne oder so? Dann sag‘ ich halt bei meinem Praktikum Bescheid, dass ich in Quarantäne musste.“, versuchte sie sich herauszuwinden. „Du kannst doch nicht dein Praktikum in Gefahr bringen? Was ist denn das für eine Arbeitsmoral? Zeig mir mal die Webseite!“, forderte sie der Römer auf. „Du kannst nur in Quarantäne, wenn du nicht geimpft oder genesen bist. Aber einen Test brauchst du trotzdem. Elda, der Flug ist in zwei Stunden!!!“, herrschte er sie an. „Ja… schaffen wir schon.“, murmelte sie. Der Römer zog sich in flott an, stülpte eine Mütze über seine verwuschelten Haare und drängte zum Aufbruch. „Aber ich war noch gar nicht fertig im Bad. Nur die linke Seite meiner Haare ist gelockt. Wie sieht das denn aus? So kann ich nicht fliegen!“, wollte Elda insistieren. „Sag mal?!“, motzte der Römer. Er wechselte ins Albanische und sein Blick verfinsterte sich. Elda zog sich missmutig die stylischen Winterstiefeln in weinrot an, warf sich ihren Mantel über und klemmte sich die türkisfarbene Marken-Luxustasche unter den Arm. „Ciao zia! [Tschüss, Tante!]“, sprach sie und umarmte mich zum Abschied. „Ci vediamo… [Wir sehen uns] Vielleicht für ein Wochenende in Mailand?“ Ich nickte. Ja, vielleicht. 😉 Der Römer drängte zum Aufbruch. Ein Taxi wollte er nicht nehmen, denn er gab an, dass die S-Bahn genauso schnell wäre. Ich aktivierte meine flugbegleitenden Freunde. Der Andere stand mir mit Rat und Tat zur Seite. Er informierte mich über die Teststation am Fernbahnhof in Frankfurt, sagte, ich solle unbedingt einen Termin vorab buchen, recherchierte nach Alternativflügen am selben Tag und zu Orten, die in der Nähe von Mailand liegen würden. Zu dritt (Der Andere, der Römer und ich) schafften wir es, dass Elda rechtzeitig einen Antigentest in der Hand hatte und pünktlich durch die Sicherheitskontrolle schritt. Am Ende schrieb sie ihrem Onkel vom Gate aus: „Grazie, zio. [Danke, Onkel] Normalerweise verpasse ich immer 80% meiner gebuchten Flüge, aber heute hat es nochmal geklappt. P.S.: Ich habe nochmals nachgelesen. Ich hätte gar keinen Test gebraucht, da meine Abwesenheit weniger als 48 Stunden betrug. Aber sicher ist sicher.“ Der Römer rief mich aufgebracht an. Die Nerven lagen blank – schließlich war er ungeduscht, ungestylt und ohne Espresso aus dem Haus. Ich hörte mir geduldig seinen Emotionsausbruch an. Als er daheim war, ließ ich einen Espresso aus der Maschine, die ofenfrischen Croissants lagen bereits auf dem Tisch und Signorino schmiss nur die Hälfte seines Schokokuchens auf den Boden. Die Welt hing wieder voller Geigen. So schön der Besuch war, ich bin froh, wieder in trauter Dreisamkeit daheim zu sein. Wir in Frankfurt sind eben für so viel Action nicht gemacht. Mag sein, dass das in Mailand anders ist. 😉
Il 7 [Der Siebte]
Es ist nicht einfach, zweisprachig aufzuwachsen. Und so kam es, dass Signorino nun denkt, dass die kleinen Schokolädchen aus dem Adventskalender „sette“ [sieben] heißen. Woran das lag? Am siebten Dezember ging der Römer am Adventskalender vorbei und seufzte wollig „Ah, è il sette. [Ah, es ist der siebte.]“ um dann das Türchen Nummer sieben zu öffnen und ein Minischokoladen-Ei herauszuziehen. Signorino, der hinter ihm stand, wollte nun auch ein „sette“ und wiederholte aufgeregt das Wort. Erst als er einen kleinen Schokostern bekam, verstummte er zufrieden. Seitdem müssen wir jeden Tag gemeinsam „sette“ öffnen. Auch der Hinweis, dass der Kalender Adventskalender heißt, schien ihn nicht davon abzubringen, ihn weiterhin „sette“ zu nennen.
*Werbung, unbezahlt und unbeauftragt
In diesem Sinne: Haben Sie ein entspanntes Restwochenende, ganz viel Schokolade aus „sette“ und bis zum nächsten Mal!