Elda in Mailand

Elda in Mailand

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Für Besnik gab es kein Zurück mehr. Er erlaubte Elda schweren Herzens in Mailand zu studieren. Wäre da nicht vor Jahren dieses blöde Versprechen an sich selbst gewesen, dass er alles tut, damit seine Tochter die bestmögliche Ausbildung bekommt. Manchmal möchte er den jungen, naiven Besnik für diese dämliche Aussage ohrfeigen. Doch jetzt war es zu spät dafür.

Flora, seine Frau, lief schon seit Tagen mit geschwollenen Augen durch das große Haus. Als Elda vor dem Studentenvisumsantrag saß und sie in ihrer mädchenhaften Schrift Druckbuchstabe um Druckbuchstabe einfügte, rissen bei Flora wieder alle Dämme. Schnell huschte sie in die Küche und schnitt Zwiebeln. Wenn sie eh schon weinte, dann sollten wenigstens ihre Kinder denken, es käme von den Zwiebeln. Dass sie dabei herzzerreißend schluchzte blieb ihren Kindern trotzdem nicht verborgen.

Elda wusste, dass ihr neuer Lebensabschnitt nicht nur Freude für die Familie bedeutete. Aber sie redete sich ein, dass es wie mit einem Pflaster ist: Lieber schnell und ruckartig „abziehen“ als langsam und schmerzhaft. Sie musste alles ausblenden um den Schritt in die große, weite Welt zu wagen. Anders ging es nicht.

Am nächsten Tag hatte sie einen Termin beim italienische Konsulat in Tirana. Bevor das Konsulat aufmachte, genoss sie noch eine Tasse Espresso im schräg gegenüberliegenden Sophie Café. Sie ließ sich in die braune, abgewetzte Ledercouch sinken und begutachtete das frühe Treiben Tiranas. „Faleminderit! [Danke]“ bedankte sie sich höflich bei der freundlichen Bedienung, die ungefähr in ihrem Alter war.

Sie dachte nach. Nein, so wollte sie nicht enden. Sie wollte mit ihrem Studium keine Kellnerin oder Barista werden. Und das scheint ohne die nötigen Kontakte oft der einzige Weg in Albanien zu sein. Sie wollte weg von Tirana und internationale Erfahrungen sammeln. Hier würde sie nur das gut behütete Mädchen bleiben, dass von allen unterschätzt wird.

Entschlossen trank sie den letzten Schluck ihres Espressos, kramte in ihrer Tasche und holte eine 100 Lek (0,81 Eur) Münze aus ihrem Portmonnaie. Als sie diese auf den Tisch legte um zu zahlen, fiel ihr die kleine, gerollte Botschaft auf, die zu jedem Getränk bei Sophie Café gereicht wird. Sie glaubte nicht an sowas. Aber was schadete es schon, diese Nachricht zu lesen? „Hapi krahet dhe fluturo zog i vogel! Bota eshte jotja! [Öffne deine Flügel und flieg, Vögelchen! Dir gehört die Welt].“ stand da. Sie lächelte und schob die Nachricht zu den Familienbildern in ihrem Geldbeutel. Kurz darauf überquerte sie die Straße und marschierte auf das italienische Konsulat zu. „Takim? [Termin?]“ fragte der Pförtner forsch. „Ja!“ antwortete sie und reichte ihm ihren Reisepass. „Va bene! Entri, signora! [In Ordnung! Treten Sie ein!]“ sagte der Pförtner.

In der herrschaftlichen Villa im mediterranen Stil ging alles ganz schnell. Unterlagen wurden geprüft, es wurde gestempelt, ihr Pass wurde mit einer Lupe auf die Echtheit überprüft und der Beamte sagte mit seiner tiefen, sonoren Stimme: „Va bene, signorina. Dura un giorno. Ci vediamo domani. Il visto d’ingresso per motivi di studio sará pronto domani mattina. [In Ordnung. Es dauert einen Tag. Wir sehen uns morgen. Das Einreisevisum für Studenten ist morgen Vormittag fertig]“

„Domani mattina…“ hallte es in ihrem Kopf nach. „Morgen Vormittag also. Das heißt, sie kann an der Einführungs- und Orientierungsphase in Mailand teilnehmen und das wiederum heißt…“ Sie musste kurz nachrechnen. „…sie würde wohl Ende der Woche nach Mailand fliegen. Wow!“ Plötzlich war ihr Traum so unglaublich nah. Beschwingt fuhr sie die wenigen Kilometer nach Hause.

Besnik fragte sie, wie es gelaufen sei. „Mire! [Gut!]“ war ihre knappe Antwort und sie grinste. „Shume mire [Sehr gut]!“ Sie erklärte, dass das Visum morgen fertig sei und sie demnach nicht die erste Phase an der Universität verpassen würde, wenn sie Freitag flöge. Besnik schluckte und nickte.

„Wo ist eigentlich Mama?“ fragte Elda. „Sie schneidet Zwiebeln.“ antwortete Besnik und versuchte ein Lächeln anzudeuten, dass ihm nur schwer gelang. „In letzter Zeit gibt es ziemlich viele Gerichte mit Zwiebeln, findest du nicht?“ fragte Elda. „Hm….“ stimmte Besnik gedankenversunken zu.

Am Abend tagte der Familienrat. Es gab – wie sollte es anders sein – französische Zwiebelsuppe. Anwesend waren Toni, Elda, ihre Eltern und Tonis Frau. „Okay, aufgepasst: Elda wird nach Mailand fliegen. Mama und ich können die Geschäfte hier nicht Ruhen lassen. Toni! Du wirst mit Elda mitfliegen und dich um alles kümmern. Dein Italienisch ist sehr gut und ich werde sie vorerst nicht allein in einer fremden Stadt lassen. Ich habe schon mit Afrim, meinem Studienfreund, telefoniert. Dort werdet ihr für’s erste wohnen bis Elda eine eigene Wohnung gefunden hat. Es wird nicht allzu lange dauern.“ erklärte Besnik. Alle nickten. „Die Tickets habe ich schon buchen lassen. Freitag um 14:30 Uhr fliegt ihr.“

Alle nickten. Flora verließ schniefend den Tisch um nach der Suppe zu sehen.

Die folgenden Tage war Elda damit beschäftigt, ihr Visum abzuholen, sich von ihren Freundinnen zu verabschieden, ihre Verwandten noch ein letztes Mal zu drücken und ihre Sachen zu packen. „Wie viele Koffer darf ich mitnehmen?“ fragte sie Besnik. Vor ihr waren drei große Koffer geöffnet und bereits gut gefüllt. „Einen.“ antwortete dieser knapp. „Einen?!?!?“ fragte sie schockiert. Ihr Vater nickte belustigt. „Tja, Kind. Im Ausland zu wohnen hat nicht nur Vorteile.“ gab er ihr lachend zurück. „Aber Papa!!“ wollte sie protestieren. „Schatz, da musst du jetzt durch.“ sagte er und verließ den Raum. Irgendwie schaffte sie es einen Koffer zu packen. Was keiner außer Toni wusste: Sein Koffer war nochmal zu 2/3 mit ihren Sachen belegt. Er würde nicht soviel brauchen für die wenigen Tage und wusste wie wichtig all die Kleidungsstücke für seine kleine Schwester waren.

Am Freitag ging die Reise los. Alles war aufregend. Die Tage vergingen wie im Flug und die beiden Geschwister suchten mit Afrims Hilfe händeringend eine kleine Wohnung für Elda. Erfolglos! Es war September und sie waren bei weitem nicht die einzigen, die nun eine bezahlbare Unterkunft suchten.

Nach einer Woche rief der verzweifelte Toni bei seinem Onkel, dem Römer, an. Er klagte von seiner Erfolglosigkeit. Der Römer musste lachen. „Was dachtet ihr denn? Dass ihr innerhalb von zwei Tagen eine Wohnung findet?“ belächelte er die beiden Geschwister. „Das kann Wochen oder Monate dauern.“ Toni räusperte sich. „Aber in Tirana…“ wollte er ansetzen. „Ja, in Tirana ticken die Uhren anders. Das hier ist Mailand.“ erklärte der Römer. „Aber wie gut, dass ihr mich habt. Ich werde mich bei ein paar Freunden erkundigen, ob jemand eine Wohnung für Elda hat.“

Der Römer kramte all seine Kontakte aus. War da nicht die Tante der Dottoressa der alten Praxis, die in Mailand vermietete? Und gab es nicht den Bruder seines Freundes Fabian, der dort seit Jahren wohnte?

Der Römer klapperte alle ab. Innerhalb von wenigen Stunden hatte er zwei heiße Tipps. Nicht ganz günstig, aber was ist schon günstig in Mailand?

Er überbrachte die frohe Botschaft direkt an Elda. Sie freute sich sichtlich. Man machte einen Besichtigungstermin aus und die zwei Geschwister schauten sich die beiden Wohnungen an. Eine lag vier Straßen von der Uni entfernt. Ein süßes, kleines Apartment in einem schönen Palazzo. Da wollte sie hin. Es war die Eigentumswohnung von Fabians Bruder.

Elda berichtete abends dem Römer von den Besichtigungen. „Die Wohnung ist einfach perfekt. Klein, aber dennoch zwei Zimmer, eine kleine Küche, voll ausgestattet. Der Preis – nicht ganz billig. Aber noch am oberen Limit. Nur die Mietbedingungen scheinen mir komisch.“ erzählte sie dem Römer. Dieser fragte nach dem Warum. „Na ja, ich sagte, ich will mindestens zwei Jahre bleiben. Aber in den langen Semesterferien brauche ich die Wohnung nicht. Ich fliege doch heim nach Albanien. Also würde ich die Wohnung bis Anfang Februar mieten und dann wieder ab Ende März bis einschließlich Juni und von Juni bis September bin ich wieder nicht da, das heißt ich brauche die Wohnung wieder ab September. Und so erklärte ich Endrit, dem Bruder von Fabian, das. Er hat mich ausgelacht, aber ich weiß nicht warum. Er sagte nur: Ruf den Römer an und lass dir das alles nochmal erklären.“ führte sie lang und breit aus. Der Römer wusste nicht, ob er lachen oder schimpfen soll. „Ach Elda, Elda, Elda! Du musst noch viel lernen. Eine Wohnung kann man nicht nach Bedarf mieten. Du kannst einen Untermieter suchen, aber du kannst nicht monatsweise mieten. Das macht kein Vermieter mit.“ erklärte er geduldig. „Wenn du meinen Ratschlag willst: Unterschreib den Vertrag! Endrit ist ein guter Kerl und versucht dich nicht übers Ohr zu hauen“ versuchte er ihr zu helfen.

Sie seufzte. „Das ist hier alles viel komplizierter als ich dachte. So allein. Im Ausland. Aufregend – klar. Aber kompliziert.“ gab sie kleinlaut zurück.

„Ja und es werden noch viele, viele Dinge folgen. Hör auf deinen Onkel! Aber dennoch wird es eine wunderbare Zeit. Hab Vertrauen!“ ermutigte der Römer sie.

„Irgendwie kann ich’s kaum erwarten!“ gab sie aufgeregt zurück. „Ich – allein in Mailand. Wow!“

Fine – Fund – Ende

Elda geht nach Mailand

Elda geht nach Mailand

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„Absage, Absage, Absage!!! Maaaan! Sehen die nicht, dass ich eine der besten Studentinnen in ganz Albanien bin?“ wütet Elda. „Sind die denn wirklich alle so doof? Ich habe überall Top-Noten! Nur weil ich nicht aus den USA komme, sondern aus so einem blöden, kleinen, unwichtigen Land wie Albanien.“ ätzte sie weiter. Sie knallte die Unterlagen auf den Tisch, seufzte und lies sich mit verschränkten Armen auf den Stuhl am großen Esstisch plumpsen.

„Aber, aber, aber! Deine Vorfahren würden sich im Grab umdrehen! Wir sind ein stolzes Volk. Behandel dein Land mit Respekt und sei stolz darauf, was du bist und woher du kommst.“ mahnte sie Besnik. Doch er goß nur noch mehr Öl ins Feier mit seinen Worten.

„Ja, was denn? Nur weil wir Albaner sind, nehmen die mich nicht. Was soll denn sonst der Grund sein?“ fragte Elda aufgebracht und nun den Tränen nahe.

„Ich weiß es nicht. Es gibt viele Bewerber aus vielen Ländern. Und die Top-Unis warten nun mal nicht auf dich, mein Kind. “ setzte Besnik erneut an um sie zu bechwichtigen.

Es half nur wenig. Tagelang lief Elda mit einem unsichtbaren, schwarzen Schleier vor ihrem Gesicht herum. Ihre Laune war nicht mies, sie war auf einem Punkt, den man nur selten im Leben erreicht. Ihre Stimmung war vergleichbar mit dem Marianengraben -abgrundtief und keiner weiß, was da unten alles lauerte.

Mehrere Tage gingen ins Land. Es hagelte Absagen. Frankfurt sagte ab. Zürich sagte ab. Genf sagte ab. Rom meldete sich gar nicht. Elda war verzweifelt. Sie sah sich auch im nächsten Jahr wieder an der Supermarktkasse – mit ihrem Bachelor-Abschluss. „Dann hätte ich mir auch einfach das Studium sparen können.“ seufzte sie als sie mit dem Römer telefonierte. „Ich ende als Top-Studentin an der Supermarktkasse. Na, danke auch. Dann kann ich doch gleich den Sohn meines Nachbarn heiraten und ihm drei Kinder schenken. Wozu brauche ich Bildung? Wozu bitte?“ Sie klang verzweifelt und ihre Stimme war belegt. Mehrmals schniefte sie.

„Du wirst sehen, irgendwoher kommt ein Lichtblick. Keine Sorge.“ erwiderte der Römer.

Und er sollte Recht behalten.

Zwei Tage später kam ein Lichtblick. Ein Lichtblick aus Italien. Università di Milano – Lehrstuhl für economia [Wirtschaft]. Sie teilten Elda mit, dass sie angenommen wurde an eben dieser Universität. Sie flippte aus vor Freude und rief sofort den Römer an. Er gratulierte ihr herzlich und senkte dann seine Stimme: „Elda, es gibt nur ein Problem: Dein Vater hat dir drei Städte vorgegeben und sein Favorit war Frankfurt. Bitte sag ihm noch nichts. Ich kümmere mich darum. Schaffst du das?“ fragte er. Sie bejahte und quiekte vor Freude.

Der Römer recherchierte, telefonierte mit alten Freunden aus Mailand, informierte sich über diverse Möglichkeiten und rief dann kurzerhand Besnik an. Das Gespräch begann wie immer – mit einem harmlosen Geplänkel über die Familie, die Gesundheit, das Wetter und die Arbeit. Irgendwann kamen sie zum Thema Elda. „Ja, sie ist sehr traurig. Sie bekommt nur Absagen. Mein kleines Mädchen so zu sehen, tut mir in der Seele weh.“ erzählte Besnik. „Und wenn es eine Zusage geben würde?“ fragte der Römer unschuldig. „Das wäre toll! Klar, nicht jede Stadt wäre willkommen, aber zum Beispiel Mailand wäre doch ein Kompromiss. Ich habe einen alten Studienfreund dort. Blöd nur, dass ich ihr nur die drei Städte genannt habe. Und die Bewerbungsphase für dieses Jahr ist schon vorbei.“ seufzte Besnik. „Dann ist heute dein Glückstag, lieber Besnik. Ich habe deiner Tochter geraten sich auch bei anderen Universitäten zu bewerben und Mailand hat ihr zugesagt!“ gab der Römer stolz preis. „WAAAAAAAS?“ entfuhr es Besnik – und man wusste nicht, ob nur das reine Erstaunen und die Freude darüber mitschwang oder doch auch ein bisschen Wut.

„Bevor du es nun doch verteufelst, lass es mich erklären: Es gibt 14 Flüge am Tag nach Mailand – von Frankfurt aus. Wir sind in einer Stunde bei ihr, falls was sein sollte. Dein Studienfreund wohnt dort, aber auch einer meiner engsten Freunde. Mailand hat einen ausgezeichneten Ruf. Die Norditaliener sind ähnlich wie die Deutschen – eher ernst und arbeitsam. Von Albanien gibt es etliche Direktflüge und was noch wichtiger ist: Du würdest deiner Tochter einen Traum erfüllen.“ argumentierte der Römer ausführlich.

Besnik seufzte am anderen Ende der Leitung. „Und wie soll das alles gehen? Sie ist so jung und war noch nie im Ausland. Es lauern überall Gefahren. Bis ich bei ihr bin, vergehen mindestens 3 Stunden. Mein kleines Mädchen… ganz allein in Mailand.“

[Fortsetzung folgt – letzter Teil]

Elda geht ins Ausland?

Elda geht ins Ausland?

Des Römers liebste Nichte, Elda, beschloss, dass es nun an der Zeit ist, die erste, in Albanien groß gewordene Frau in der Familie zu sein, die allein im Ausland studierte. Ihren Bachelorabschluss hatte sie schon in der Tasche – jetzt war der Zeitpunkt gekommen, den Master zu machen.

Sie brachte die Idee zuerst beim Römer hervor. Ihren Onkel zu überzeugen, war nicht gerade schwer. Aufgewachsen in Rom, war er Feuer und Flamme, dass seine „kleine“ 22jährige Nichte im Ausland studieren sollte. Am Ende des Gesprächs presste sie ihre Lippen aufeinander und sagte: „Sag mal, dajë (Onkel – mütterlicherseits), könntest du es meinem Vater sagen?“ Sie guckte ihn mit großen, Adria blauen Augen an. Er lachte. „Ja, ich kann’s versuchen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass dein Vater seine einzige Tochter ins Ausland gehen lässt zum studieren…also… puh…die ist gering.“ antwortete er wahrheitsgemäß.

Am nächsten Tag traf er sich mit Besnik, Eldas Vater. Bei einem Espresso saß man in Besniks Bar und unterhielt sich. Ganz vorsichtig schnitt der Römer das Thema an. „Sag mal, Besnik, Elda sollte ihren Master machen. Ein Bachelor allein bringt ihr ja nun nichts.“ Besnik nickte. Ihm war die erstklassige Ausbildung seiner Tochter sehr wichtig. „Aber an der Universität von Tirana… du weißt ja wie es ist! Man bekommt nur die besten Posten, wenn man zufällig die Tochter des Dekans ist. Für die anderen bleiben auch nach einem Masterstudiengang wenig Perspektiven übrig.“ Besnik runzelte die Stirn, musste aber zustimmen. „Im Ausland wäre das anders. Dort hätte man mehr Möglichkeiten. Gerade wenn es um ihren Studiengang, Wirtschaft, geht. Und guck mal, wie sich das in einem Lebenslauf macht, wenn deine Tochter im Ausland studiert hat. Das wäre eine ganz andere Qualifikation. Du legst doch immer soviel Wert auf eine angemessene Ausbildung. Das wäre ihre Chance!“

Besnik starrte dem Römer lange in die Augen. Ich, als stiller Beisitzer, dachte nur: „Entweder er wirft jetzt den Tisch um und zieht wutentbrannt ab oder er fängt an zu weinen. Da sich letzteres als albanischer Mann nicht schickt, wird es wohl ersteres werden.“

Es kam nur ein Laut aus Besniks Mund: „Hm!“ Ja, man kann „Hm!“ mit einem empörten Ausrufezeichen am Ende intonieren. Es war auch kein grübelndes „Hmmm…“, vielmehr ein „Hm!“ das diesen abstrusen Gedanken wegzuwischen versuchte. Seine einzige Tochter! Im Ausland! Womöglich noch allein! Und überhaupt: Was sollen die Leute denken? Er schickt doch seine Tochter nicht ins Ausland. Nein, nein! Das kommt nicht in Frage! Das alles lag in seinem „Hm!“. Und seinem Blick. Durchdringende, braune Augen, die gar nicht mehr so warm lächelten wie sie es sonst immer tun.

Doch der Römer wäre nicht der Römer, wenn er hier aufgeben würde. „Erinnerst du dich noch als ich klein war und du meine Schwester getroffen hast? Ihr habt mich als Alibi benutzt, dass ihr euch heimlich sehen könnt. All die Jahre habe ich dieses Geheimnis für mich behalten. 35 lange, lange Jahre…. Niemand weiß davon. Vielleicht solltest du dir das mit Elda nochmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen.“ Oha. Der Römer griff zu einer richtigen Granate. Der Kampf ist eröffnet, dachte ich nur.

Besnik starrte ihn an. Schockiert. Klar, er war seit 30 Jahren mit der Schwester der Römers verheiratet, sie hatten zwei Kinder, doch wäre es unschön, wenn seine hochgeschätzten Schwiegereltern das nun herausfinden würden. Was würden sie von ihm denken? Von ihrer Tochter?

„Ich überleg’s mir….“ sagte er. „Sprich mich in zwei, drei Tagen nochmal darauf an. Aber währenddessen behältst du Stillschweigen. Über alles! Besonders über deine verrückte Idee und diese Geschichte von damals!“

[Für die Fortsetzung bitte hier entlang]