It’s not easy, but we make it look easy.

New York, Flughafen John F. Kennedy, irgendwann im Jahr 2017. Abflug 21:50 Uhr Ortszeit. In Deutschland ist es 03:50 Uhr morgens.

Ein gut gelaunter Stationsleiter kommt vom Upper Deck einer Boeing 747-8 ins Maindeck nach unten, scherzt mit uns und flötet „Problem solved. Der Gast auf 82 C ist jetzt auf 83 C. War ein double seating. Kann passieren.“ Er lächelt sein strahlend weißes Lächeln. Wir lächeln zurück. „It’s not easy.“, antworte ich und gähne in meine Armbeuge. Dann begrüßen wir die letzten beiden Gäste, die müde, mit einem Nackenhörnchen um den Hals ins Flugzeug schlurfen. „Darling, it’s not easy. But we make it look easy.“, antwortet Sam, der Stationsleiter. Dabei täuscht er eine Pirouette an und vorbeugt sich. Wir grinsen, obwohl wir gerade alle lieber schlafen oder bei unseren Lieben auf der heimischen Couch sitzen würden. „So, hier kommt der Abschluss. 7 Passagiere vorne in der First, 80 in der Business und 276 hinten in der Economy. Full house. Good luck, guys! Ihr könnt die Türe schließen.“ Meine Kollegin schließt die Türe 2L. Die Kabinenchefin gibt übers Cabin Interphone ihr Kommando „Cabin crew, all doors in flight.“ Wir stellen unsere Türen um. Let’s go!

An den Satz „It’s not easy, but we make it look easy.“ musste ich denken, als Ver.di zum Streik der Bodenmitarbeiter einer deutschen Fluglinie aufrief. Als ich den einseitigen Meinungsbeitrag von Alexander Hagelüken in der Süddeutschen Zeitung las, musste ich schon sehr schlucken. Verständnisheuchelnd beginnt er seinen Artikel, um dann die ganz große Keule herauszuholen. So fragt er „Ist es wirklich nötig, Urlaubern am Mittwoch diesen zusätzlichen Chaostag zu bescheren?“

Lieber Herr Hagelüken, die so kurze wie einfache Antwort lautet: Ja, ist es.

Sie sind Journalist. Werden Sie regelmäßig mit Polizeischutz in den Feierabend begleitet, weil die Nerven mancher Passagiere Leser:innen so dermaßen blank liegen, dass sie handgreiflich werden? So handgreiflich, dass sie den Kopf eines Bodenmitarbeiters nehmen und ihn mit voller Wucht gegen einen Check-In-Automaten schleudern, so dass der Bodenmitarbeiter daraufhin seinen Feierabend im Krankenhaus beim Platzwunden-Nähen verbringt? Rät Ihnen Ihr Arbeitgeber, besser Turnschuhe zur Uniform zu tragen, damit Sie notfalls schnell davon laufen können? Werden Sie tagtäglich angeschrien, obwohl Sie für die Flug-Ops absolut nichts können? Machen Sie trotzdem Ihren Job mit einer Engelsgeduld, behalten Sie Ihre Nerven, atmen lieber zwei, drei Mal tief durch und gehen dann trotzdem tagtäglich zum Dienst? Ziehen Sie sich erst an Ihrer Arbeitsstelle Ihre Uniform an, weil Sie Angst haben, auf dem Weg zur Arbeit nicht nur verbal angegangen zu werden, wenn die hiesigen Sommergewitter mal wieder dafür sorgen, dass eben keine Maschine mehr aus Frankfurt herausfliegen dürfen?

Lieber Herr Hagelüken, die Gedanken sind frei. Meinungen sind es auch. Aber bitte informieren Sie sich doch vorab, wie es wirklich hinter den Kulissen ausschaut. Dafür brauchen Sie weder Interviews mit Bodenmitarbeiter:innen führen, noch die Presseabteilung der Fluggesellschaft bemühen. Setzen Sie sich einen Tag an den Flughafen, gerne an den Flughafen Frankfurt Rhein-Main-Airport, beobachten Sie, hören Sie einfach nur zu. Mehr braucht es nicht, um sich ein Bild der katastrophalen Situation und der unglaublichen Leistung der Bodenmitarbeiter:innen zu machen. Und dann, lieber Herr Hagelüken, wäre Ihre Meinung vermutlich eine andere.

Lassen Sie sich dabei vom schönen Schein des Bodenpersonals nicht täuschen, aber zeigen Sie zumindest Verständnis dafür, dass die Bodenmitarbeiter:innen schlichtweg nicht mehr können. Die Geschäftsleitung hört Ihnen nicht zu, denn das Problem besteht nicht erst seit gestern, sondern seit Monaten. Als ich noch regelmäßig in Frankfurt flog, waren die anstrengendsten Tage, die der Sommergewitter oder des Wintereinfalls. In diesem Jahr ist jeden Tag Sommergewitter und Wintereinfall zugleich. Wie sollen sich die Bodenmitarbeiter:innen denn Gehör verschaffen, wenn Sie nicht da treffen, wo es weh tut und wo die Presse gezwungen ist, darüber zu berichten?

Der Stationsleiter in New York hatte damals sehr recht als er sagte „It’s not easy. But we make it look easy.“ Doch wenn man es nicht einmal mehr einfach erscheinen lassen kann, dann muss gehandelt werden, denn so sind die Zustände untragbar.

Was mir fehlt

Mir fehlt etwas. Nicht im gesundheitlichen Sinn – und dafür bin ich sehr dankbar. Mir fehlt auch kein Gegenstand. Mir fehlt ein Gefühl, ein Abenteuer, eine gewisse Freiheit, wenn Sie so wollen.

Mir fehlt der Geruch des Flugzeugs, wenn man morgens um 4 Uhr in den eiskalten Stahlvogel einsteigt. Müde taumelnd erklimmt man die Treppen, wissend, dass man das Flugzeug vorbereiten muss.

Mir fehlt der Flugzeugkaffee, den man noch schnell trinkt, bevor die Gäste kommen.

Mir fehlt das „Excuse me, I have a question! I have a connecting flight…“ das man von jedem zweiten Passagier bei Verspätungen hört.

Mir fehlt die Airline Basis.

Mir fehlen die kurzen Flüge nach Hamburg, bei denen jeder zweite Passagier drei Getränke ordert. Mir fehlt die Bitte des schnöseligen Economy Passagiers auf einer 25-minütigen Kurzstrecke nach grünem Tee.

Mir fehlt das hilflose Umgucken des zuletzt einsteigenden Passagiers, der sich im voll ausgebuchten Flugzeug umsieht, wo denn noch ein Plätzchen für seinen Schrankkoffer sein könnte.

Mir fehlen die russischen Einreisebeamten, die meinen Namen so aussprechen, dass ich ihn beim ersten Mal nicht verstehe. Mir fehlen ihre prüfenden Blicke, ob ich auch wirklich die bin, die ihnen streng im Ausweis entgegen starrt.

Mir fehlen die Flüge nach Italien. Rom, meist voller Amerikaner, Mailand, meist voller Banker. Neapel, meist voller Neapolitaner, die ich nicht verstehe. Venedig, meist voller Kreuzfahrttouristen, bereits in Segelschuhen als würden sie das Schiff allein nach Dubrovnik segeln.

Mir fehlen die Gäste, die einen Rollstuhlservice angemeldet haben und beim Aussteigen auf wundersamer Weise doch wieder mühelos gehen können.

Mir fehlen die Caterer, die einem die abgecaterte Schokolade der anderen Flugzeuge anbieten.

Mir fehlen die New Yorker Flugzeugreiniger, die immer schon ihr Fahrzeug von der hinteren Tür abgezogen haben und nun wollen, dass man die wahnsinnig schwere Boeing Tür in seinen schwindelerregenden High Heels schließt, in dem man sich 25 Meter über dem Abgrund rauslehnt und an der Tür zieht und zerrt bis einem ein zwei Meter großer Techniker zu Hilfe kommt.

Mir fehlt die Morgenroutine mit dem Anderen, die wir an der Westküste hatten. Das Frühstück bei Bacco in Seattle um 8 Uhr morgens. Unsere Idee von einer Kaffeehauskette, die wir „Plörry“ nennen, weil amerikanischer Kaffee genau das für uns ist: Plörre!

Mir fehlt Moskau. So gerne war ich in Moskau, so gerne habe ich die russischen Staatsbürger geflogen. So gerne war ich im Hotel, am Kreml, in der Stadt.

Mir fehlt Paris, Amsterdam, Seattle, Vancouver, Hamburg.

Berlin nicht. Berlin Flüge sind schrecklich. Die können einem nicht fehlen. 😉

Mir fehlen die Fluggäste, die fragen, ob ich Israeli sei. Der Nachname wirke so.

Mir fehlen die vielen Geschichten, die vielen Motive, warum Fluggäste reisen.

Mir fehlt der Abschiedsschmerz, den man oft in den Gesichtern der Fluggäste sehen kann.

Mir fehlt der Moment, in dem man Passagiere besser kennen lernt. Sie erzählen einem, warum sie beim Start weinten. Sie berichten von ihren Ängsten, ihren Sorgen, ihren Hoffnungen. Mir fehlen ihre Umarmungen am Ende des Fluges, weil man sich Zeit genommen hat für sie.

Mir fehlt das frühe Landen um 6 Uhr morgens, nachdem man die ganze Nacht durchgearbeitet hat.

Mir fällt das „Kommste? Gehste? Gut siehste aus!“ von Kollegen, wenn man müde über die Airline Basis schlappt.

Mir fehlt der Moment der Hoffnung (und Verzweiflung zugleich), wenn man viel zu viel im Ausland eingekauft hat und der Zoll – Gott sei’s gedankt – nicht da steht und kontrollieren will.

Mir fehlt das Flüge requesten, dass Freunde besuchen, dass Orte vermissen.

Mir fehlt das quirlige Einsteigen. Mir fehlen Fluggäste, die schon aufstehen, während wir noch zum Gate rollen.

Mir fehlt der Statusgast auf 1C, der im Notfall als Souffleur einspringt und „Hamburg“ flüstert, wenn der Kabinenchef vergessen hat, wo wir gerade sind.

Mir fehlen die vielen interessanten Gespräche unter uns Kollegen. Jeder kommt aus einem anderen Bereich, meist hatte jeder von uns auch einmal einen „richtigen Job“. Von (Tier-)Arzt*in bis Architekt*in, von PR Manager*in bis Yogalehrer*in, von Dr. Dr. bis Ethnolog*in – Sie finden alles bei uns an Bord. Sie wissen es nur nicht, weil Sie nur die Uniform sehen.

Mir fehlen die amerikanischen Kollegen, die im Sommer Europa unsicher machen und uns meist Geschenke mitbringen, wenn Sie mit uns fliegen.

Mir fehlt der Crewbus(fahrer), der uns über das Rollfeld braust.

Mir fehlt unsere Sicherheitskontrolle, bei der ich jedesmal hoffe, nur den Sprengstoff-Abstrich Test machen zu müssen und nicht das komplette Programm. Mir fehlen die Sicherheitsleute dort, die mir bei jedem zweiten Mal „Haaaalt! Dein Koffer!“ nachbrüllen, weil ich nur an mein Handgepäck denke.

Mir fehlt sogar das Briefing, die dumme Kollegin hinten links, die motzigen Gäste, die rutschige (weil vereiste) Fluggasttreppe im Winter. Ach, sogar der Frühstücksservice, den ich völlig übermüdet durchführe.

Mir fehlt das gemeinsame Flugrequesten mit Freunden. Das überhebliche „Ach ne – lass uns lieber nach New York fliegen! Boston hab ich schon Anfang des Monats im Plan.“

Mir fehlt meine billige Polyester Uniform, die vor Neid erblasst, wenn sie die italienischen Kollegen mit ihrem maßgeschneiderten Zwirn sieht, der jedes zweite Jahr (wenn nicht jedes) ausgetauscht wird.

Mir fehlt das völlig erschöpfte Einschlafen und das völlig geräderte Aufwachen. Das „Ankunftstag 😴😏“-Schreiben an Freunde, wenn sie fragen wie’s mir geht.

Mir fehlt alles.

Wissen Sie, so gut wie jeder von uns – in der adretten Uniform – hatte einmal einen „richtigen“ Beruf. Aber keiner war und ist so schön wie dieser. Wir machen es aus purer Leidenschaft. Das frühe Aufstehen, der Verzicht auf Familie und Freunde an besonderen Tagen, das Vermissen, das Alleinsein. Uns hat keiner dazu gezwungen. Denn für die meisten von uns ist es der schönste Beruf auf Erden.

Zu sehen wie sämtliche Fluglinien den Bach runtergehen tut weh.

Kommentare von irgendwelchen missgünstigen, zu Tode gelangweilten Mitmenschen zu lesen, die nichts besseres zu tun haben, als als außenstehender Hans Dampf die Lage zu beurteilen und den Firmen das Ende zu wünschen, sind mir egal. Denn wissen Sie, diese Menschen haben nie gefühlt und erlebt, was wir erlebt haben. Diese Menschen hatten immer nur einen billig austauschbaren Job – und keine Passion. Sie beschweren sich Montagmorgens, dass sie arbeiten müssen und sehnen bereits Montagmittags das Wochenende herbei.

Wir sehnen die Fliegerei herbei, wenn wir am Boden sind und unsere Familie, wenn wir fliegen.

Leonardo Da Vinci sagte es sehr treffend. „Wenn du das Fliegen einmal erlebt hast, wirst du für immer auf Erden wandeln, mit deinen Augen himmelwärts gerichtet. Denn dort bist du gewesen und dort wird es dich immer wieder hinziehen.“

Und so hoffen wir alle, dass wir wieder fliegen dürfen. Denn es fehlt mir, das Fliegen.