Römische Missverständnisse im Café

„Ma no! Non ancora.[Aber nein! Nicht schon wieder.]“, stöhnt der Römer resigniert und starrt sein Original französisches Brioche auf dem matten Teller entsetzt an. Der mit Hagelzucker gesüßte Hefebrocken starrt mürrisch zurück. „Jedesmal passiert mir das. Es will einfach nicht in meinen Kopf gehen!“, erklärt er mir verzweifelt und schmachtet dabei mit großen Augen mein Pain au Chocolate an. Verständnisvoll nicke ich und beiße von meinem süßen Blätterteigteilchen ab. Als sein Blick immer sehnsüchtiger wird, gebe ich ungefragt nach. „Hier, bitte schön.“, sage ich, wische mir die Blätterteigkrümel aus dem Mundwinkel und schiebe ihm das beinahe intakte Süßgebäck hinüber. Er lächelt selig und kaut zufrieden unter lauter „Aber das wäre doch nicht nötig gewesen“-Beteuerungen mein Pain au Chocolate, nur um mir dann den traurigen Hefeklumpen an meine Seite des Tisches zu schieben.

Pain au Chocolate – alles besser als der Hefekloß

Blasiert starrt mich das unerwünschte Gebäckstück des Römers an. Während ich auf den flinken Kellner warte, zupfe ich ein, zwei Hagelzucker-Körner von der glatten Oberfläche. „Entschuldigen Sie bitte, könnten Sie mir etwas Marmelade zum Brioche bringen?“, frage ich den an mir vorbeiflitzenden Kellner. „Sehr gerne, Madame. Kommt sofort.“, spricht dieser am Vorübergehen.

Als der Römer sein, nein, mein Gebäck beinahe vertilgt hat, kommt er ins Sinnieren: „Warum kann man in Italien eigentlich ein ‚Brioche‘ bestellen und bekommt ein süßes Croissant und in Frankreich und Deutschland bekomme ich einfach nur einen spärlich gesüßten Hefekloß?“, will der Römer von mir wissen und guckt mich so durchdringend an als würde sich die Antwort auf diese Frage schon irgendwo in meinem Kopf auftun, würde man mich nur ausdauernd genug anstarren. Dabei weiß ich es auch nicht. Ich zucke mit den Schultern und murmle ein „Boh. [ital. umgangssprachlich für „non lo so“ – ich weiß es nicht]. Dann streiche ich etwas Aprikosen-Marmelade, die der Kellner mittlerweile auf unseren Tisch gestellt hat, auf meinen Hefekloß. Doch mein Gatte will sich mit dieser Antwort nicht zufrieden geben. Er will es, mal wieder, ganz genau wissen. „Vielleicht liegt die Wurzel des Problems in der Vergangenheit? Lo imagino così [Ich stelle mir das so vor:]Ein Italiener reiste nach Frankreich, war ganz begeistert von den süßen Croissants und vergaß bei all dem Genuss den korrekten Namen. So teilte er seinen Verwandten, Freunden und Bekannten in seiner Heimatstadt mit, dass dieses exquisite Gebäck „Brioche“ heißt. Die gesamte Verwandtschaft tüfteltean einem Rezept, um die Brioches kulinarisch zu rezitieren und es gelang ihnen: Eine etwas süßere Variante des Croissants entstand. Weil es Nonna Vincenza noch nicht süß genug war, nahm sie die Bratenspritze und garnierte es mit ihrer soeben eingekochten Aprikosemarmelade. Und eccolo – das war die Geburtsstunde des italienischen Brioches!“, fantasiert der Römer sich diese Geschichte zusammen. Ganz unmöglich erscheint mir diese Fabel nicht und so stimme ich ihm zu. Ja, so muss es gewesen sein, damals, in Italien. Beinahe angekommen am letzten Bissen des französischen Brioches, wittere ich meine Chance als italbanische Integrationskraft – auch im ganz eigenen Interesse: Ich muss ihm das korrekte Wort beibringen, damit wir bei zukünftigen Café-Besuchen das Hefekloß-Debakel umgehen können. „Beim nächsten Mal würde ich dir raten, einfach ein Croissant zu bestellen. Damit bist du immer auf der richtigen Seite.“, schlage ich – ganz selbstlos – vor. Der Römer guckt mich fragend an. Ja, das könne er machen, sagt er. Alleine aus jahrzehntelanger Gewohnheit will ihm dieses Wort nicht über die Lippen kommen. Ob es denn kein deutsches Pendant für dieses französische Wort geben würden. Ich dachte nach: „Das deutsche Wort…Wie war das noch gleich?“.

Zwei Croissants oder Kipferl oder Hörnchen

Dazu muss ich sagen, dass ich bin in Bayern aufgewachsen bin und sich damit gewisse, sprachliche Eigenheiten in meinem Wortschatz befinden. So dauerte es Jahre in Hessen bis ich die passenden Pendants für die Wörter „Wäscheklupperl“ [Wäscheklammern] und „Tragl“ [Getränkekisten] aktiv anwenden konnte. „Kipferl ist sicher das falsche Wort.“, beginne ich meine Überlegung. „Vielleicht sagt man dazu Hörnchen?!“

Ich lasse die Frage im Raum stehen. Nein, so genau wusste ich es auch nicht. Der Römer murmelt die beiden Wörter vor sich hin. Bei seiner Aussprache der beiden Wörter („Kipfl“ und „Ohrn-chen“) war ich mir nicht ganz sicher, ob nicht doch wieder ein Hefekloß auf seinem Teller landen würde – aus purem Unverständnis und vielleicht auch aus Mitleid. Drei, vier Mal üben wir die korrekte Aussprache, bis das „Ohrn-chen“ ein „Örnchen“ und das „Kipfl“ ein „Kipfal“ wurde. Der Römer strahlt stolz.

„Dann bestelle ich einfach zukünftig ein Vanillekipferl.“, spricht der Römer voller Inbrunst. „Das werden die hier auch verstehen. Ein Kipferl mit Vanillecreme.“ Ich musste lachen, weil ich mir vorstellte, wie ein einziges, mickriges Vanillekipferl-Plätzchen auf seinem Teller landet. Kurz überlege ich, ob ich auch dieses Missverständnis ausbügeln soll, aber ich mag Vanillekipferl deutlich lieber als Hefeklumpen und so rate ich ihm Folgendes: „Dann bestell mindestens zwei Vanillekipferl. Glaub mir, von einem Vanillekipferl wirst du nicht satt.“

Vanillekipferl – auch so ein Missverständnis, das wir in nächster Zeit klären sollten.

Kindermund #3

Momentan wird an der Frankfurter S-Bahn-Stammstrecke gebaut. Natürlich geschieht dies in den letzten Wochen, die wir das Kind noch auf die andere Seite der Stadt, zur Kita, bringen dürfen und hört auf, wenn wir beim neuen Kindergarten in unserem Viertel (Bericht steht noch aus) anfangen dürfen.

So kommt es, dass wir nicht die durchgehende S-Bahn nehmen können, die uns ein paar hundert Meter von der aktuellen Kita rauslässt, sondern auf Straßenbahn, S-Bahn und U-Bahn angewiesen sind.

Der Römer bevorzugt die Straßenbahn, die direkt vor der Kita hält, aber einmal durchs Bahnhofsviertel gondelt und zum Teil wunderliche Gestalten ein- und auslädt. Signorino und ich mögen lieber die Kombination aus S- und U-Bahn, bei der wir am Hauptbahnhof umsteigen, um dann noch ein paar Meter zur Kita zu rollern.

Heute, wir stiegen gerade am Frankfurter Hauptbahnhof um, roch es im Zwischengeschoss beißend nach Urin. Ich verzog die Nase und eilte mit Kind in Richtung U-Bahn.

Signorino verzog nicht die Nase, stattdessen guckte er sich immer wieder um und schien nachzudenken. Als wir auf der Rolltreppe Richtung U-Bahn-Steig waren, hatte er sein Urteil gefällt: “Oh. Da hat jemand eine volle Pipi-Windel.” Ja, auch so kann man es ausdrücken. Jemand hatte eine sehr volle Pipi-Windel.

Ein Stück Rhabarberkuchen vor dem Frankfurter Römer: Aussicht und Duft wären mir deutlich lieber gewesen.

Die Weiterfahrt verlief, zum Glück, ohne Pipi-Windel-Geruch.

Ein ganz normaler Donnerstag

Ein ganz normaler Donnerstag

Das Auto ist in der Werkstatt zum Service. Bereits um 07:30 Uhr erreicht mich eine SMS der Werkstatt mit einem verlinkten Video. Mir erscheint es seltsam und ich lasse online erst den Link überprüfen, ob es nicht doch eine Phishing Nachricht ist. Ist es nicht und so klicke ich selbstbewusst auf den Link. Mein Auto steht in der Werkstatt und wird gefilmt. Die Tonspur, gesprochen von Chefmechaniker Sven Schmitz, verrät mir, dass die Reifen, die Bremsen, die Scheibenwischer und was nicht alles in Topform sind. Dann nähert sich die Kamera zu dem Übergang zwischen Frontscheibe und Motorhaube. “Hier hat sich Laub gesammelt. Ganz normal für die Jahreszeit! Nur müssen wir das jetzt entfernen. Wie Sie sehen, steht das Wasser hier bis oben. Nicht, dass das noch in den Innenraum läuft. Wir putzen Ihnen das und stechen den Ablauf nochmal frei. Ich denke, wir werden heute Nachmittag damit fertig. Gesamtkostenpunkt: eine halbe Frankfurter Wohnungsmiete.”

Puh! Teures Laub.

Ich bringe das Kind in die Kita und fahre weiter zu meinem ärztlichen Service-Termin. An der Anmeldung flüstert eine junge Frau sehr laut und trotz angemessenem Diskretionsabstand, dass sie bitte auch auf Chlamydien getestet werden müsste. Eine ältere Frau, die auch an der Anmeldung wartet, mustert die junge Frau sehr interessiert. „Lieber lässt sie sich früher als später testen.“, denke ich.

Bei meiner Routineuntersuchung (ohne Extrawünsche) ist alles in Ordnung, alles unauffällig. „Hier bitte, die jährliche Überweisung ins Brustzentrum.“, spricht Frau Dr. Dingens. „Tschüss, bis in einem halben Jahr!“

Danach traf ich meinen guten Freund, den Anderen, in einem Frankfurter Café. Es hat relativ neu aufgemacht und ich las davon in einer Zeitung. Sehr nettes Personal, total voll, die Speisen, Getränke und das Interior sind sehr für das sozialmedial-affine Publikum gemacht. Ich komme mir ziemlich alt und ziemlich unhip vor, aber mir schmeckt‘s trotzdem und mir gefallen die Gespräche mit dem Anderen. Mehr erwarte ich nicht von meinem Café-Besuch. Wir treffen uns so selten, was primär an mir und meinem straffen Zeitplan liegt, dass es eine willkommene Abwechslung ist, ihn live und in Farbe zu sehen. Während wir dort sitzen, ruft mich Chefmechaniker Sven Schmitz an. Das Auto ist fertig und darf noch einmal durch die Waschanlage. Ich bedanke mich (und fahre auf dem Rückweg vielleicht beim Hauptbahnhof vorbei, um meine linke Niere zu verkaufen).

Der Andere will noch in die Innenstadt, da er etwas bestellt hat. Ich komme mit und kaufe Hausschuhe. Der Mann klaut grundsätzlich meine Hausschuhe und langsam wird es mir zu kühl an den Füßen. Ich kaufe furchtbar kitschige Hundehausschuhe, auf dass er sie nicht klauen möchte. Obwohl, aktuell trägt er mit Vorliebe auch meine mintgrünen Hausschuhe mit den auffälligen Sternen. Das scheint ihn nicht zu schrecken.

Danach sammle ich Signorino von der Kita ein. Er spielt mit seinem italienischen Freund L. und seinem deutschen Freund H.. Sie bauen zu dritt und äußerst vergnügt einen Turm und ich frage mich, warum ich ihn immer so früh abhole. Nächste Woche frage ich nach einer späteren Abholzeit.

Daheim angekommen wasche ich Wäsche, da ich übers Wochenende alleine nach München fahren werde. Gleichzeitig hoffe ich darauf, meine Hausarbeit im Zug fertigstellen zu können, denn ich würde gerne mit dem nächsten Thema „PR Interview“ weitermachen. Ja, das ist wirklich ein Thema. Soviel zum Medienkodex des Netzwerks Recherche: Journalist:innen machen keine PR. Angehende Journalist:innen anscheinend schon – im Studium. 😉

Haben Sie einen entspannten Abend und halten Sie die Ohren steif!

Unser 75. Geburtstag

Am Montag war es soweit: Der Römer und ich sind 75 Jahre alt geworden. Passenderweise suchten wir uns damals, unwissentlich voneinander, den gleichen Geburtstag aus, den 10.Oktober oder 10.10., wenn Sie so wollen. Ein Geburtsdatum wie ein Binärcode.

Der Plan für den vergangenen Montag war der folgende: Das Kind mit der S-Bahn zur Kita zu bringen; Frühstück im Café – ganz in Ruhe; Bummeln und Stöbern im Stadtzentrum; Mittagessen – ganz in Ruhe; einen kleinen Abstecher zum japanischen Lieblingscafé, um Geburtstagskuchen zu holen; Kind einsammeln; Kuchen essen; Abends Pizza. Gute Nacht!

Dieses Vorhaben klang zu schön um wahr zu sein. Vermutlich wurde es deswegen nicht wahr.

Alles fing damit an, dass Signorino bereits um 3 Uhr morgens unterbewusst gratulieren wollte. Er schrie „Mama! Mama!“ und der Römer stand auf, weil er näher an der Schlafzimmertüre und somit näher an Signorinos Zimmer schläft. Ein Mann wie ein Goldstück. Ich kann es nur oft genug erwähnen. Leider war Signorino nicht damit einverstanden, dass Papa auftauchte, wo er doch explizit nach mir gerufen hat und so schälte sich der kleine Kerl aus dem Kinderbett, huschte den dunklen Gang entlang bis zu unserem Schlafzimmer und rief noch einmal „Mama! Mama!“. Daraufhin hob ich ihn ins Bett und er kuschelte sich an mich. Der Römer schnarchte derweil schon unbeeindruckt im Kinderzimmer vor sich hin. Von 0 auf Tiefschlaf in wenigen Millisekunden ist nur eines von vielen verborgenen Talenten meines Gatten.

Währenddessen begann in meinem Bett das unsägliche Spiel, in dem das Kind bereits schläft, jedoch unbedingt und absolut unwirsch meine Hand streicheln muss, um gut weiterschlafen zu können. Sie können sich vorstellen wie wach man ist, wenn einem permanent und mit fahrigen Bewegungen über die Hand gestreichelt wird. Sobald man die Hand entzieht, sucht Signorino nach dieser Hand und sollte er sie nicht finden, fängt er herzzerreißend an zu weinen. Bis 6 Uhr morgens ging das Spiel so, dann schlief ich erschöpft ein – oder das Kind hörte endlich auf, meine Hand zu streicheln. So genau weiß ich das nicht mehr.

Nur anderthalb Stunden später weckte mich mein Handy mit dem Klingelton „Glasperlen im Wind“ und ich wollte weder Glasperlen, noch Wind und schon gar nicht geweckt werden nach dieser kurzen Nacht. Hauptsächlich wollte ich meine wohlverdiente Ruhe und noch einige, wenige Stunden Schlaf. So sicherte ich Signorino mit einem Kissen, dass er nicht vom Bett stürzen konnte und torkelte schlaftrunken ins Kinderzimmer zu meinem noch immer schnarchenden Gatten. Ein „Guten Morgen, mein Schatz. Alles Gute zum Geburtstag.“ kam mir dabei nicht über die Lippen. Vielmehr grummelte ich ein „Du bringst Signorino heute alleine in die Kita, oder? Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen und du hattest hier deine Ruhe.“. Kalte, harte Elternsprache – reduziert auf das wichtigste: Rhetorischer Fragesatz inklusive einer Begründung, die der Römer wahrlich nicht negieren konnte. Alle Argumente waren auf meiner Seite. Er musste es nur einsehen. „Ja, kann ich machen.“, murmelte der Römer sehr müde in sein Kissen. Ich nickte, machte auf dem Absatz kehrt, legte mich wieder ins Bett neben Signorino und versuchte einzuschlafen. Nach kurzer Zeit tauchte der etwas schlaftrunken wirkende Römer im Schlafzimmer auf. „Wir können auch alle daheim bleiben.“, schlug er leise vor, um das Kind nicht zu wecken. Ich willigte mit einem „Hm“ ein und drehte mich um. Nach mir die Sintflut. Der Mann hatte daraufhin den eher fragwürdigen Einfall, sich in das eh schon zu knapp bemessene Bett zu quetschen. Noch ehe seine Haarspitzen das Kissen berührten, schnarchte er bereits wieder. Das Kind nahm dies wohl zum Anlass, sich auf den Rücken zu drehen und den Seestern zu machen. Und ich klammerte mich an den wenigen, noch verbleibenden Zentimetern der Matratze fest und versuchte nach Leibeskräften einzuschlafen. Natürlich sollte es mir nicht gelingen. So zog ich gegen 07:55 Uhr ins Kinderbett um, was keine glorreiche Idee war, denn das Zimmer liegt zur Straßenseite. Gerade war die Rushhour der Grundschulkinder, die fröhlich singend, jauchzend, plappernd in die Grundschule gingen. Manche stritten sich auch. Unbedingt wollte ich einschlafen, denn ich war hundemüde und wollte später unseren Geburtstag gebührend feiern, aber es wollte und wollte mir nicht gelingen. So gab ich um 08:30 Uhr auf, denn ich sah endlich ein, dass es Zeitverschwendung war, wach im Kinderbett zu liegen.

Müde stellte ich die Kaffeemaschine an, ließ den Wasserkocher seine Dienste tun und kramte nach Frühstückskeksen. Dann rief ich in der Kita an, um Signorino für heute abzumelden. „Aber wir hoffen, dass er morgen wieder in die Kita gehen kann.“, säuselte ich. Die Erzieherin wünschte ihm gute Besserung und legte auf.

Gegen 09:45 Uhr erhoben sich das andere Geburtstagskind und Signorino. Mir war übel wie lange nicht mehr, was nicht am Kaffee lag, sondern viel mehr an dem tags zuvor vertilgten Käsekuchen. Es war eine Übelkeit, die nicht in der Kloschüssel enden wollte, das merkte ich schnell. Viel mehr war es eine, die einzig dem Zwecke diente, einem gehörig den Tag vermiesen zu wollen. Sie hielt sich latent im Hintergrund, aber sobald man mehr als zwei Schritte tat, erinnerte sie einen wieder daran, dass sie auch noch anwesend war und dies auch weiterhin sein werde. Der Römer hingegen war komplett verschnupft und rührte sich bereits zum Frühstück ein Erkältungspülverchen an. Der Kleine hingegen war gut gelaunt, ausgeschlafen und froh, dass er auch diesen Tag mit uns verbringen durfte. Als wir fertig gefrühstückt hatten, wünschten der Römer und ich uns „Alles Gute zum Geburtstag“ und besiegelten diesen Wunsch mit einem großen Kuss. Signorino blickte uns an als würde er sagen wollen: „Ich hab’s immer geahnt: Ihr seid tatsächlich ein Paar.“. Dann bekam auch er einen dicken Kuss.

Kurz darauf klingelte es drei Mal schallend an der Tür. Wir hatten nichts bestellt und erwarteten auch nichts. „Ignorier das einfach! Das wird für die Nachbarn sein.“, sprach ich zum Gatten und ging ins Bad. Dann klingelte es wieder zwei Mal. „Die Paketfahrer werden auch immer dreister. Lasst die armen Leute doch in Ruhe, wenn sie nichts bestellt haben.“, dachte ich, während ich mir das Gesicht wusch. Als ich es gerade abtrocknete, klingelte es wieder. „Io vado un attimo a vedere chi è. [Ich gehe einen Moment, um zu sehen, wer es ist.]“, erklärte mir der Römer und eilte die Treppe hinunter. Wenige Augenblicke später kam er mit einen dicken, fetten Blumenstrauß zurück. „Für dich. Sarà del tuo amante. [Das wird von deinem Liebhaber sein.]“, scherzte er und ich guckte ihn mit großen Augen an. „Die sind doch von dir!!“, rief ich freudestrahlend und bedankte mich sogleich. Kleinlaut gab der Römer zurück, dass sie definitiv nicht von ihm waren. „Oh.“, sprach ich und nahm den großen Strauß entgegen. Mit spitzen Fingern fummelte ich die Karte aus dem Umschlag. „Alles Liebe zum Geburtstag. Dein Büro-Team.“, las ich und war sehr glücklich. Meine Kolleginnen vom Nebenjob, der mittlerweile eher mein Hauptjob ist, hatten mich mit diesem floralen Gruß überrascht. Wie schön, solche Kolleginnen zu haben.

Meine Übelkeit trat vor lauter Freude wieder in den Hintergrund und so zog ich mich und dann das Kind rasch an. Der Römer war schon fertig bekleidet. Sogleich streifte ich mir den Mantel um, denn das Thermometer verriet, dass es 7 Grad Celsius in Frankfurt hatte. Brrrr! Eiskalt. Aber die Sonne schien trotzdem und wollte es sich nicht anmerken lassen, dass dies ein Oktobertag war. Als wir die Wohnung verließen, war mir wieder speiübel. An der frischen Luft wurde es nicht wirklich besser und in der S-Bahn erst recht nicht. Zu lauten Reggaeton-Klängen, die aus mitgebrachten Boxen eines Mitreisenden durch die S-Bahn wummerten, kamen wir im S-Bahntunnel kurz vorm Hauptbahnhof stehen. „Muy autentico. [Sehr authentisch]“, rief ein spanischsprechender Fahrgast dem Boxen-Besitzer zu und es entspann ein freundliches Gespräch auf Spanisch. Mir war immer noch übel, wir standen im dunklen Tunnel kurz vorm Hauptbahnhof und die laute Musik machte mich etwas unwirsch. In dieser Situation hätte ich mir weniger Authentizität gewünscht, um ehrlich zu sein. Nach fünf endlos langen Minuten ging die Fahrt weiter und wir hangelten uns von Haltestelle zu Haltestelle weiter bis wir an der Konstablerwache ankamen. Wir bummelten etwas durch ein Kaufhaus, aber Signorino beschwerte sich so laut und vehement, dass wir das Kaufhaus schnell wieder verließen. Da das Kind Strumpfhosen brauchte, löste ich meinen Geburtstagsrabatt im nächsten Bekleidungsgeschäft ein und erhielt vier wunderbare Strumpfhosen. Mehr nicht, denn das Kind findet Kaufhäuser doof und ließ sich auch nicht von diesem Fakt ablenken.

Der nächste Halt war die Kleinmarkthalle, die das Kind faszinierend fand. Dort kauften wir eine Brezel für Signorino. Zufrieden kaute das Kind und ich nutzte die Gunst der Stunde, um ein Stückchen zu stibitzen. Schlagartig war meine Übelkeit verflogen. Ob meinem Körper einfach nur ein „Bavarian Shot“ gefehlt hatte? Ich weiß es nicht, aber es war auch egal.

Wir schlenderten weiter Richtung japanische Lieblingsbäckerei*, ließen uns drei Stück Kuchen (ein himmlischer Cheesecake, ein schokoladiger Kaffeekuchen und eine fantastische Matcha-Schnitte) einpacken und schlugen dann den Weg Richtung Römer (dem Frankfurter Rathaus) ein.

Da das Wetter so herrlich war, kurvten wir durch die neue Altstadt, weiter zum Main und dort immer entlang bis Signorino einen Spielplatz von weitem entdeckte. Dort verbrachten wir eine Stunde und merkten uns diesen Ort für nächsten Sommer, denn der Spielplatz war wirklich weitläufig und schön angelegt.

Vom Willy-Brandt-Platz fuhren wir heim, bestellten von unterwegs etwas zum Mittagessen und kamen fünf Minuten vor Lieferung daheim ein. Nachdem essen, durften wir Geburtstagskinder abwechselnd ein Stündchen Mittagsschlaf machen, während der Kleine lieber Lego spielte.

Danach warteten die Kuchen auf uns. Signorino schmeckte keiner davon, was wir nicht weiter tragisch fanden (böse Eltern!). Er bekam ein Butterbrot und auch das war okay.

Abends waren wir so voll, dass wir Großen nichts herunterbekamen. Nur der Kleine machte Brotzeit. Dann ging er (für seine Verhältnisse) recht früh um 21 Uhr schlafen. Was für ein wunderbar bunter und aufregender 75. Geburtstag.

Und am nächsten Tag holten wir all das in einem Tag nach, was wir in einer Woche machen wollten: Wir brachten das Kind zur Kita und das Auto zur HU-Untersuchung, dann frühstückten wir „einen der besten Cappuccinos Frankfurts“ im Brühmarkt*, statteten dem Outlet und dem Drogeriemarkt in Bockenheim einen Besuch ab, kauften Gummistiefel für mich und Trainingshosen für Signorino und den Römer, um dann nach Hause zu fahren, ein Paket abzuholen, die nächste S-Bahn in die Stadt zu nehmen, Signorinos Hausschuhe umzutauschen, ein Ladekabel zu kaufen, Mittag zu essen, um dann den „für Frankfurt erstaunlich guten Espresso“ [O-Ton Römer] bei The Espresso Bar auszuprobieren. Dann holten wir das Kind ab. Puh! Ganz schön anstrengend eine Woche in einem Tag nachzuholen.

*Werbung aus Überzeugung, unbezahlt und unbeauftragt

WMDEDGT – Oktober 2022

Es ist Oktober. Es ist der Fünfte. Der Römer und ich sind daheim, da wir Urlaub haben und etwas Paar-Zeit verbringen wollten. Signorino ist pünktlich zu unserem Urlaub krank geworden. Und so fragt Frau Brüllen mit was wir nun den ganzen Tag verbringt. Sie nennt das WMDEDGT. Na, dann wollen wir mal gucken:

Kurz vor Mitternacht: Signorino weint. Der Römer übernimmt die frühe Nachtschicht wie gestern.

Zw. 00-04:00 Uhr: Immer wieder weint das kranke Kind, kann aber durch kuscheln beruhigt werden. Alle drei schlafen nicht bis gar nicht.

04:22 Uhr Schichtwechsel. Ich übernehme die späte Krankenschicht neben Signorino. In unser großes Bett will er auf gar keinen Fall. Also quetsche auch ich mich ins 90 Zentimeter Kinderbett.

08:00 Uhr Zeit für ein neues Fieberzäpfchen. Der Römer legt sich zu Signorino. Ich mache mir Frühstück und bereite mich darauf vor, beim Kinderarzt anzurufen. An sich ist der Kinderarzt klasse, aber erreichbar ist er nicht. Gestern riefen wir 7(!) Mal an. Es hob keiner ab. Gleichzeitig soll/darf man nicht in der Praxis ohne Termin vorbeikommen. Wenn heute keiner ans Telefon geht, ist mir das egal. Dann stehen wir um 10 Uhr ohne Termin und Telefonat auf der Matte.

08:30 Uhr Heute hat der Kinderarzt eine Bandansage, dass er gestern und heute im Urlaub sei. Der Römer hat den Auftrag, nachher bei unserer alten Kinderärztin anzurufen.

09:00 Uhr Er hat angerufen und kommt ins Bad mit der Info „09:30 Uhr.“. Mehr sagt er nicht. Ich rege mich auf, denn es ist vollkommen unmöglich, dass wir in 30 Minuten alle angezogen sind und auf der anderen Seite der Stadt, um den Termin wahrzunehmen. „Tranquilla [Beruhige dich]. Ich wollte dir nur sagen, dass der Kinderarzt ab 09:30 Uhr telefonisch erreichbar ist.“ Mein „Dann sprich in ganzen Sätzen, Mensch!“ schlucke ich runter. Wir sind aufgrund der angespannten Lage und des Schlafmangels bereits sehr dünnhäutig.

09:30 Uhr Alle Leitungen beim Kinderarzt sind frei und wir kommen durch. „Um 10:10 Uhr kommen Sie bitte vorbei.“, säuselt die Sprechstundenhilfe ins Telefon. Der Römer erklärt, dass Signorno, nachdem er die ganze Nacht wach war, noch schläft und wir zudem auf der anderen Seite der Stadt wohnen. „10:30 Uhr, dann. Aber das ist eine Ausnahme.“, spricht die Arzthelferin. Was der Römer nicht erwähnt hat, ist, dass wir ebenfalls noch im Pyjama sind. Wie die Irren machen wir uns fertig, wecken das Kind, lassen es frühstücken, ziehen es zeitgleich an und sind um 10:02 Uhr auf dem Weg zum Kinderarzt. Ich starte den Motor und gondle in den Osten. Zum Glück ist der Mainkai offen für den Autoverkehr.

10:30 Uhr Wir schaffen es pünktlich und dürfen noch 30 Minuten im überfüllten Wartezimmer warten. Dann sind wir endlich dran. Im Nebensatz erwähnt die Dottoressa, dass das Kind einen viralen Infekt hat und dazu eine Entzündung. Dann stellt sie fest, dass die Kinderzahnstellung eine KA-TA-STRO-PHE sei. Einen zehnminütigen Vortrag hält sie mir, dass das gar nicht geht und der Schnuller SOFORT weg muss. Ich sage nur „Ja.“. Mehr nicht. Natürlich hat sie recht. Aber den Ton finde ich mehr als kurios. Ein Gespräch ist nicht möglich, da sie einfach nur ein Standpauke halten möchte. „Gründe für den Schnuller findet man immer.“, beendet sie ihren Vortrag. Am Ende gibt sie mir noch ein Notfall-Zäpfchen, falls sich Signorinos Luftröhre aufgrund der Kehlkopfentzündung zu sehr verengen sollte und den Tipp, dass der Kleine morgen wunderbar wieder in die Kita gehen kann. Ich bedanke mich und denke „Ganz sicher nicht.“. Das Kind ist müde, hat keine Stimme, weint bei jedem Husten. Ich will das weder dem Kind, noch den Erzieher*innen, noch den anderen Kindern zumuten und finde es unverantwortlich, das Kind in diesem Zustand zu schicken. Ich würde so auch nicht in die Arbeit gehen, warum sollte ich Signorino so in die Kita gehen lassen?

11:15 Uhr Wir fahren nach Hause. Passend zu diesem miserablen Tag ist die Brücke kurz vor unserem Zuhause gesperrt. Die Umleitung führt uns 9km durch den Frankfurter Westen.

Immerhin hat der Römer einen riesen Spaß, die Einfahrt nach Frankfurt von der Autobahn aus zu fotografieren. Wir bestellen Pizza als wir daheim sind.

15:30 Uhr Wir sind alle müde, aber dennoch schläft keiner. Es wird viel gekuschelt und wir reden wenig, damit unser heiserer Signorino auch nicht reden muss. Dazwischen ruft Turtle an und fragt, wie es uns geht. Dann bricht der Römer zum Zahnarzt auf.

17:00 Uhr Der Gatte kommt zurück. Er habe „nur“ 200 Euro gezahlt für all die Vermessungen und Abdrücke für seine Zahnschiene. Ich schlucke. „Also gibt es heute wohl Ofengemüse. Irgendwo muss man ja sparen.“, denke ich noch so und schlürfe in die Küche. Ich schnipple das Gemüse und höre ein aufgeregtes und vollkommen hilfloses „Amore, si sta per addormentare. [Liebling, er ist gerade dabei einzuschlafen.] Was soll ich jetzt tun?“. Ich gebe zurück, dass ich ihn in den Schlafanzug stecken würde und zwar möglichst schnell. Irgendein Problem sieht der Römer dabei und fängt schon wieder an zu diskutieren. „Schatz, mach doch bitte ein Mal was ich sage. Nur ein einziges Mal. Bitte!“, gebe ich zurück und er steckt das Kind tatsächlich in Schlafanzug und Schlafsack. Ich bereite das Kinderzimmer schlaftauglich vor und der müde Signorino legt sich freiwillig ins Bett. Nach 30 Sekunden döst er. Da er normalerweise 3-4 Stunden später ins Bett geht, stellen wir uns auf eine lange Nacht ein, denn er wird um 22 Uhr sicher fit sein.

20:00 Uhr Zu denken, dass Signorino bis 22 Uhr schläft, war schon sehr optimistisch. Er ist wach und heiser, dazu weint er und vermutlich tut ihm alles weh. Wir Eltern leiden mit und versuchen, die Situation erträglich zu machen.

21:00 Uhr Über und stampft mal wieder eine Elefantenherde oder die Nachbarn, so genau weiß man das nicht. Ich lese etwas und gehe ins Bett. Die Nacht wird vermutlich nicht existent.

Let‘s call it a day.

Hausarrest für Heinz

Sonntag, 23:30 Uhr. Einer meiner Lieblingsnachbarn, Heinz, kommt gerade von der Trinkhalle heimgetorkelt. Er ist ein flotter Mitsechziger, graues, lockiges, etwas längeres Haar, schlank mit aufgesetztem Bierbauch und dabei top in Schuss. Sein Mountainbike fährt er in Frankfurt am liebsten mit passendem Fahrradtrikot und Helm aus und das meist jeden Tag.

Es ist heiß in Frankfurt, so dass wir abends die Fenster geöffnet haben, um ein paar Grad kühlere Luft ins Innere zu lassen. Ich liege auf der Couch und höre Heinz und einen Freund unten an der Straße palavern. Sie scheinen ziemlich einen Sitzen zu haben, was bedeutet, dass die Trinkhalle (frankfurterisch für Kiosk) heute wohl wortwörtlich genommen wurde. Heinz und sein Freund haben nur noch eingeschränkte Kontrolle über ihr Sprachzentrum.

Nachbarsfreund, leicht lallelnd: „Bidde schön, mein Freund. Du bisch zu Hause.“

Nachbar Heinz, ebenfalls stark lallend: „Ah ja…. [kurze Pause, aufgeregt] Ah nein, nein! Des isch des Einfahrtstor. Aber wenn ma scho mal da sind [rüttelt am Tor]… des isch zu.“

Nachbarsfreund, hickst: „Ah Heinz, du bisch ei gudde Seele! Einfach eine gudde Seele, gell? Der Robin Hood der Nachbarn mit Auto bisch du.“

Nachbar Heinz: „Na, bin ich net. Da isch mei E-Bike drin. Net, dass des wegkommt!“

Nachbarsfreund: „Auch gut, Heinz. Die nächste Ausfahrt bisch du….“

Die beiden gehen singend zur Haustüre, die fünf Meter vom Tor entfernt liegt.

Nachbarsfreund: „So, jetzt aber! Kriegsch den Schlüssel überhaupt nei?“

Nachbar Heinz: „Ja, ja, notfalls klingel ich die Helga wach.“

Nachbarsfreund, aufgeregt: Na, na, Heinz! Des machst du net. Wenn dei Frau aufwacht, kriegst wieder 4 Wochen Hausarrest, so wie beim letzten Mal. Des könn ma net riskieren!“

Nachbar Heinz: „Au ja! Kannsch du mir schnell mal mit dem Schlüssel helfe, Willi? Des Ding will und will net ins Schloss neigehe.“

Es scheint, als würden sie es mit vereinten Kräften versuchen. Irgendwann quietscht die ungeölte Eingangstür. Sie haben es geschafft.

Nachbarsfreund Willi: „Gud’ Nacht, Heinz! Hoffentlich kriegst du die Wohnungstür auf. Wenn net, schließ ich dich in mein Nachtgebet ein. Mach‘s gut, Heinzi!“

Nachbar Heinz, scheinbar noch in der Eingangstür stehend: „Willi? Du musch gradaus gehen. Net nach links! Net, dass du dich noch verläufst. Komm gut heim!“

Nachbarsfreund Willi, zurückschreiend: „Des klappt scho!“

Das wäre Heinz‘ Aussicht, falls er doch Hausarrest von Helga bekommt.

Wegen mir bitte keinen Stress

Im ICE von Frankfurt nach München. Ich sitze in einem Ruheabteil der 1. Klasse*. Wir steuern auf Aschaffenburg zu. Ein Herr, Mitte 60, graues, schütteres Haar, hellbeige Bundfaltenhose, nussbrauner Ledergürtel, das weiße Hemd ordentlich in die Hose drapiert, marschiert laut telefonierend an meinem Abteil vorbei.

„Luisa?! Wo bist du denn jetzt um Himmels Willen? WAS? Ich versteh‘ dich nicht? Wo du bist!! Aha…Aha…“

Er legt auf. Rennt wieder an meinem Abteil vorbei. 10 Minuten vergehen. Dann geht er abermals laut telefonierend im Stechschritt an meinem Abteil vorbei.

„LUISA?!?! Ja, Schatz!! WO bist du? Ich bin in Wagen 29! NEUN-UND-ZWAN-ZIG! Genau! Ja… Aha…aha. Nu komm doch mit den Kindern in meinen Waggon!! Ach woher… das ist nicht zu weit! „

Nach fünf Minuten, die Verbindung ist schlecht, legt er auf. Wir halten in Aschaffenburg. Ich sehe ihn von meinem Fenster aus auf dem Bahnsteig stehen. Er hält Ausschau. Anhand seiner Telefonate sucht er Luisa. Als der Schaffner zur Abfahrt pfeift, springt er zurück in den Waggon 29.

Nach wenigen Augenblicken läuft er wieder geschäftig telefonierend an meinem Abteil vorbei.

„Ja, Aschaffenburg wäre jetzt deine Chance zum Umsteigen gewesen!! Mensch, LUISA! Schatz! Wo seid ihr denn jetzt? Sag doch mal Kathi sie soll ans Te…. Luisa?! [Kurze Pause… es scheint als wäre die Verbindung abgebrochen] Ah… da bist du wieder! Luisa, wo sitzt ihr jetzt genau? Aha…aha… ja, die nächste Station ist Würzburg. Hm…hm…genau. Wagen 29! NEUNUNDZWANZIG!“

Bei so viel Aufregung kriegt sogar das Ruheabteil-Zeichen Risse

Die Zeit vergeht. Er telefoniert noch zwei weitere Male mit Luisa. Dann halten wir in Würzburg. Wieder steht er auf dem Bahnsteig und schaut, von wo Luisa und die Kinder angelaufen kommen. Wieder pfeift der Schaffner zur Abfahrt. Wieder eilt der Herr in Wagen 29, der mittlerweile nichts mehr mit einem Ruhewagen gemein hat, sondern viel mehr das Flair eines Großraumbüros vermittelt, was durchaus den lauten Telefonaten des Herrn geschuldet ist.

So langsam meldet sich eine leise Ahnung, warum Luisa und die Kinder Schwierigkeiten haben, Wagen 29 zu finden.

Abermals eilt das Perpetuum Mobile von Wagen 29 an meinem Ruhe(!)-Abteil vorbei:

„LUISA! Was war denn jetzt los?! Ihr seid ja wieder nicht… Luisa? [Die Verbindung scheint mal wieder unterbrochen, obwohl ich mittlerweile nicht mehr an Funk-Probleme glaube] Ah! Ja! Ja! Luisa! Wo seid ihr denn jetzt? Hm… Ja, nun kommt doch…. Genau, Nürnberg ist der nächste Halt. Da könntest du mit den Kindern zu mir wechseln. Wagen NEUN-UND-ZWAN-ZIG! 29! Genau! Wie, das lohnt sich nicht mehr?! LUISA? [wieder ein „Verbindungsproblem“, wie es scheint] Ah… ja… nu Stress dich doch nicht!!! Wir sind doch im Urlaub!! Nein, nein, wegen mir müsst ihr nicht den Waggon wechseln. Dann setz ich mich jetzt ganz entspannt hin und wir sehen uns in München. Genau! Bleibt da sitzen, wo ihr seid. Ganz ohne Stress soll unser Städtetrip beginnen. Macht euch eine schöne Fahrt, auch wenn wir nicht zusammen sitzen. Wir sehen uns dann in München! Luisa??“

Nach der ganzen Aufregung bin ich fix und fertig. Ich wünschte, ich wüsste, in welchem Wagen Luisa und die Kinder sitzen, um einfach mal meine Ruhe haben zu können.

*Wahnsinn, oder? Ich fühlte mich wie Gottes Geschenk an die Menschheit!

Fuck Ahmed, echt!

Heute fuhr ich alleine mit der S-Bahn, um Signorino von der Kita abzuholen. Sie war beinahe leer. Ich setzte mich in eine leere Sitzgruppe und klickte auf dem Handy herum. Mangels Kopfhörer war ich gezwungen, den Dialog der Jugendlichen in der Sitzreihe neben mir mitzuhören. Aber es hat sich gelohnt!

S-Bahn Graffiti

Schüler 2: “… und dann hat er gesagt, ich bin dick geworden.”

Ich schiele zu den drei Jungs hinüber. Drei schmächtige Teenager. Vielleicht 16, 17 Jahre alt. Keiner von ihnen ist dick.

Schüler 1: “Du bist doch nicht dick geworden! Du hast dich halt körperlich verändert. Also deine Muskeln sind vielleicht dicker geworden, Digga. Aber da ist kein Fett oder so.”

Schüler 2 zeigt den anderen beiden Jungs Bilder, vermutlich aus einem sozialen Netzwerk.

Schüler 2: “So will ich halt aussehen. Ich weiß selber, dass das harte Arbeit ist, aber ich will halt so aussehen.”

Die beiden anderen nicken verständnisvoll.

Schüler 1: “Ahmed soll einfach die Klappe halten!”

Schüler 2 (laut flüsternd): “Ich habe auch schon gehört, dass jemand die Klasse wegen ihm gewechselt hat. Der ist so schlimm!”

Schüler 3, der die ganze Zeit über nur zuhörte, meldete sich nun zu Wort.

Schüler 3: “Leute, ganz ehrlich: Ich hab keinen Bock auf den Scheiß. Wir sind in der 11. Klasse. Ich will nicht jeden Tag hören, wer zu dick, wer zu dünn, zu groß oder zu klein ist. Ich will einfach mit guten Leuten etwas lernen. Über ernsthafte Themen diskutieren und so. Das ist bei uns einfach Kindergarten. Fuck Ahmed! Echt!”

Wow! Ich wünschte, ich wäre in dem Alter schon so reflektiert gewesen und hoffe, dass die Jungs diesen guten Leuten begegnen und dass sie auf die Lästermäuler dieser Welt pfeifen können. Auf dem richtigen Weg sind sie auf alle Fälle.

Glück für 45 Cent

Glück für 45 Cent

Bei der gestrigen Geschichte aus der S-Bahn habe ich Ihnen Teil 2 unterschlagen. Deswegen folgt hier die Fortsetzung:

„Sie haben gar keine Maske auf! Das macht dann 50 Euro, bitte.”, spricht der Kontrolleur hinter mir. Er ist einer von zwei VGF-Mitarbeitern, die im Gang der S-Bahn stehen, mit der Signorino und ich in die Kita/Arbeit fahren. Sie reden mit einem aufstrebenden jungen Mann, Ende zwanzig, den das Duo ohne Maske erwischt. Ich recke meinen Kopf, um den jungen Maskenverweigerer noch besser sehen zu können, was gar nicht so einfach ist, wenn man ein recht großes Kleinkind auf dem Schoß hat. Wie sagt man in Italien so schön: „La curiosità è femmina. [Die Neugier ist weiblich.]“ Auch mich trifft das definitiv zu.

“Oh, aber … hm… heute musste es schnell gehen.”, antwortet der junge Mann, den ich mittlerweile eingehend gemustert habe. Dunkelblauer Anzug, dunkelbraune Haare, eine Werbeagentur würde ihn wohl als sportlich-maskulin betiteln. Jede seiner dunklen Strähne ist einzeln und mühsam mit Gel definiert worden. Vermutlich sind deswegen die Seiten so kurz geschoren, weil ihm schlichtweg die Zeit fehlen würde, den ganzen Kopf morgens Strähne für Strähne einzeln zu hegen und legen. “Helmut, die Ausrede habe ich ja noch nie gehört.”, witzelt der eine Kontrolleur mit seinem Kollegen Helmut. Das Kontrolleur-Team ist ungefähr im gleichen Alter. Gestandene Männer, graue Haare, die Uniform spannt etwas im Bauchbereich, weswegen beide die Uniformweste offengelassen haben. Kontrolleur Helmut grinst und spricht zum jungen Anzugträger: “50,- € kost‘ Sie die Maskenfreiheit im Zug.” Der andere Kontrolleur, der nicht Helmut heißt, hat ein Einsehen und sagt: „Jetzt mach ma da net lang rum! Ziehen’s schnell die Maske auf und wir gehen einfach weiter als wär nix g’wese.“ Der geschleckte, aber maskenlose Anzugträger druckst herum. „Ja, nun…“, stammelt er. Heute früh musste es schnell gehen und da habe er in der Eile überhaupt nicht an eine Maske gedacht und deswegen kann er auch keine aufsetzen. „Nach ‚Schnell-aus-dem-Haus‘ sieht seine perfekt definierte Frisur aber nicht aus.“, denke ich zynisch. Und in meiner Mutti-Blase füge ich meinen Gedanken noch hinzu: „Also ich bin in der Lage an Kind, Laptop, Firmenhandy, mein Handy, unterschriebenen Zettel für die Kita samt fünf Euro Ausflugsgeld, Schnuller, Trinkflasche, Sonnenhut, Nerven-Riegel und Sonnencreme zu denken und bin zehn Minuten später als gewöhnlich aufgestanden. Aber Mr. Finance-Frankfurt schafft es nicht an seine Maske zu denken?! Kommt ja auch überraschend nach 2,5 Jahren, dass er in den Öffis eine Maske tragen muss.“ Dann verbiete ich mir meine Gedanken. Was weiß ich schon vom Leben des Jungspundes? Das Äußere täuscht doch allzu gerne über die wahren Probleme eines jeden hinweg.

Unweit entfernt vom Jungspund sitzt ein junggebliebener Mitsechziger. Hochgewachsen, kurzärmliges Karohemd, weiße, etwas längere Haare, Schnauzer. Einer, dem ich den Namen Wolfgang geben würde und vermutlich damit recht hätte. Er reicht dem Jungspund eine OP-Maske. „Unbenutzt natürlich.“, sagt er und zwinkert, was ich ganz genau sehen kann, denn ich recke und strecke angestrengt meinen Kopf, um von diesem morgendlichen Schauspiel ja nichts zu verpassen. Der Jungspund strahlt Wolfgang an. „Vielen, vielen Dank! Das ist aber nett. Das zahle ich Ihnen aber. Wie viel macht das?“, näselt der Jungspund. „45 Cent.“, antwortet Wolfgang trocken. Der Jungspund holt seinen Geldbeutel aus seiner Ledertasche, kramt, findet nicht die passenden Münzen, kramt weiter und versucht mühsam ein paar Münzen zusammenzusammeln, die im besten Fall 45 Cent ergeben. Ich denke noch: „Mein Gott, gib Wolfgang doch jetzt einfach 2 Euro. Alleine schon deswegen, dass er dich gerettet hat vor deiner 50 Euro Strafe.“ Doch Wolfgang steht bereits an der S-Bahn-Tür und wartet darauf, dass die Bahn an der Haltestelle Ostendstraße zum Stehen kommt. Grinsend beobachtet er das Schauspiel des Münzen suchenden Jünglings, bis er ihn mit dem Satz ‚Lass‘ gut sein, Bub! Ich war a amal jung. Da hat man ganz andere Sachen im Kopf.‘ erlöst. Spricht’s, die Türen gehen schrill piepend auf und er verschwindet Richtung Rolltreppen. „Da haben Sie jetzt aber Glück!“, kommentiert der Kontrolleur Helmut. „Was ich Ihnen nämlich noch verschwiegen hab: Eine Anzeige hätt’s auch noch für sie gehagelt. Vielleicht nehmen Sie sich nächstes Mal morgens mehr Zeit. Nur so als Tipp.“ Diesmal lacht der andere Kontrolleur. „Du Helmut, wollten wir nicht auch an der Ostendstraße raus?“, fragt der namenslose Kontrolleur seinen Kollegen Helmut. „Au ja! Jetzt aber schnell.“ Beide wackeln aus dem Zug. Der Jungspund greift zum Telefon. „Jan, du glaubst nicht, was mir gerade passiert ist!“

Verdammt! Ostendstraße! Hier müssen wir auch raus. Ich renne mit Kind und Rucksack aus der S-Bahn, gerade als die Türen anfangen sich piepsend zu schließen. Geschafft! Wir sind an der richtigen Station gerade noch so herausgesprungen.

Glück muss man haben.

Frankfurt, c’est moi!

“Frankfurt, c’est moi!”, scheint das absolutistische Motto des Frankfurter Königs Oberbürgermeisters Peter Feldmann zu sein. Und obwohl ihn die wenigsten im Amt haben wollen, mutet es an, dass er gekommen ist, um zu bleiben. So wurde am 01.06.2022 ein Antrag gem. § 17 (3) GOS mit der Nummer 408 von den Grünen, der SPD, FDP und der Partei Volt vorgelegt. Dort ist vermerkt, dass der Oberbürgermeister Peter Feldmann kein weiteres Vertrauen mehr für die weitere Amtsausführung genießt. Als Begründung wird unter anderem der AWO-Skandal und sein Fehlverhalten der letzten Wochen genannt. Weiter steht im Antrag geschrieben, dass Peter Feldmann „offenkundig nicht in der Lage ist sein Amt weiter angemessen auszuüben.“ Er wurde aufgefordert, sein Amt niederzulegen oder positiver formuliert „mit sofortiger Wirkung sein Amt zur Verfügung zu stellen“. Andernfalls werde man am 14. Juli 2022 mit der Einleitung des Abwahlverfahrens beginnen. (Quelle: ParlamentsInformationsSystem)

Doch wer ist Peter Feldmann überhaupt? 1958 in Niedersachsen geboren und aufgewachsen in Frankfurt-Bonames machte er sein Abitur an der Ernst-Reuter-Schule in Frankfurt. Nach dem Studium der Politologie und Sozialbetriebswirtschaft, wurde er Leiter der Stabstelle der Arbeiterwohlfahrt. 2012 wurde er als Nachfolger von Petra Roth ins Amt des Oberbürgermeisters gewählt. (Quelle: Magistrat Frankfurt)

Mittlerweile ist er auch bei der Presse in Ungnade gefallen. Die Bild-Zeitung gab ihm beispielsweise die Spitznamen „Pattex-Peter“, da er an seinem Amt klebt wie der bekannte Kraftkleber oder auch, etwas uncharmanter, „Peinlich-Peter“.

„Peinlich-Peter“ (Quelle: Bild-Zeitung) machte unlängst seinem Spitznamen alle Ehre, als er im Flugzeug nach Sevilla eine Ansprache hielt, in der er, wie er dachte, einen lockeren Spruch zum Aufheizen in die hitzige Fußball-Fan-Menge abfeuerte. Die Flugbegleiterinnen wurden damit beschrieben, dass sie ihn „hormonell am Anfang erstmal außer Gefecht gesetzt haben“. Ein kecker Spruch, der sicher für einige Lacher in einer überfüllt-schwitzigen Fußballerumkleide gesorgt hätte. Jedoch war Peter Feldmann nicht in einer Fußballumkleide der Ü60 Gruppe eines hessischen Provinzvereins, sondern als oberster Frankfurter in seiner Rolle als OB in einem Flugzeug nach Sevilla. Der technische Fortschritt ist Fluch und Segen zugleich, wenn jede und jeder von uns zur/m Reporter:in wird und so landete der Clip in Blitzgeschwindigkeit im Internet, wo Feldmanns Kritiker:innen diesen dankend als gefundenes Fressen aufgriffen.

Auch die Bürger:innen Frankfurts wehren sich gegen OB Feldmann. Unlängst entdeckte ich diesen Aufkleber im gediegenen Frankfurter Westend.

Nun lernt man selbst in den einfachsten PR-Fibeln, dass es eine desaströse Strategie ist, sich bei einem von der Öffentlichkeit deklarierten Skandal, als Opfer der Umstände darzustellen und die Schuld für sein eigenes Fehlverhalten bei anderen zu suchen. Vielmehr kann man am Anfang eines Skandals das Ruder noch einmal herumreißen, in dem man als Sünder zu Kreuze kriecht und absolute Besserung gelobt. Irgendwann wird die Welle der Schmach schon absinken und man kann geschickt seine eigens dafür konzipierten „White-Washing-Strategien“ positionieren. Doch in diesem Fall möchte ich mir den Hinweis erlauben, dass ein mit einem Minimum an Restwürde gewählter, freiwilliger Abgang ein weitaus besserer Ausgangspunkt für die Zukunft Peter Feldmanns wäre als eine erzwungene Abwahl.

Oder wie der deutsche Politiker Haluk Yildiz dem Oberbürgermeister Peter Feldmann bei der gestrigen Stadtverordnetensitzung nahe legte: „Gehen Sie mit Gott, aber gehen Sie.“