
Des Römers liebste Nichte, Elda, beschloss, dass es nun an der Zeit ist, die erste, in Albanien groß gewordene Frau in der Familie zu sein, die allein im Ausland studierte. Ihren Bachelorabschluss hatte sie schon in der Tasche – jetzt war der Zeitpunkt gekommen, den Master zu machen.
Sie brachte die Idee zuerst beim Römer hervor. Ihren Onkel zu überzeugen, war nicht gerade schwer. Aufgewachsen in Rom, war er Feuer und Flamme, dass seine „kleine“ 22jährige Nichte im Ausland studieren sollte. Am Ende des Gesprächs presste sie ihre Lippen aufeinander und sagte: „Sag mal, dajë (Onkel – mütterlicherseits), könntest du es meinem Vater sagen?“ Sie guckte ihn mit großen, Adria blauen Augen an. Er lachte. „Ja, ich kann’s versuchen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass dein Vater seine einzige Tochter ins Ausland gehen lässt zum studieren…also… puh…die ist gering.“ antwortete er wahrheitsgemäß.
Am nächsten Tag traf er sich mit Besnik, Eldas Vater. Bei einem Espresso saß man in Besniks Bar und unterhielt sich. Ganz vorsichtig schnitt der Römer das Thema an. „Sag mal, Besnik, Elda sollte ihren Master machen. Ein Bachelor allein bringt ihr ja nun nichts.“ Besnik nickte. Ihm war die erstklassige Ausbildung seiner Tochter sehr wichtig. „Aber an der Universität von Tirana… du weißt ja wie es ist! Man bekommt nur die besten Posten, wenn man zufällig die Tochter des Dekans ist. Für die anderen bleiben auch nach einem Masterstudiengang wenig Perspektiven übrig.“ Besnik runzelte die Stirn, musste aber zustimmen. „Im Ausland wäre das anders. Dort hätte man mehr Möglichkeiten. Gerade wenn es um ihren Studiengang, Wirtschaft, geht. Und guck mal, wie sich das in einem Lebenslauf macht, wenn deine Tochter im Ausland studiert hat. Das wäre eine ganz andere Qualifikation. Du legst doch immer soviel Wert auf eine angemessene Ausbildung. Das wäre ihre Chance!“
Besnik starrte dem Römer lange in die Augen. Ich, als stiller Beisitzer, dachte nur: „Entweder er wirft jetzt den Tisch um und zieht wutentbrannt ab oder er fängt an zu weinen. Da sich letzteres als albanischer Mann nicht schickt, wird es wohl ersteres werden.“
Es kam nur ein Laut aus Besniks Mund: „Hm!“ Ja, man kann „Hm!“ mit einem empörten Ausrufezeichen am Ende intonieren. Es war auch kein grübelndes „Hmmm…“, vielmehr ein „Hm!“ das diesen abstrusen Gedanken wegzuwischen versuchte. Seine einzige Tochter! Im Ausland! Womöglich noch allein! Und überhaupt: Was sollen die Leute denken? Er schickt doch seine Tochter nicht ins Ausland. Nein, nein! Das kommt nicht in Frage! Das alles lag in seinem „Hm!“. Und seinem Blick. Durchdringende, braune Augen, die gar nicht mehr so warm lächelten wie sie es sonst immer tun.
Doch der Römer wäre nicht der Römer, wenn er hier aufgeben würde. „Erinnerst du dich noch als ich klein war und du meine Schwester getroffen hast? Ihr habt mich als Alibi benutzt, dass ihr euch heimlich sehen könnt. All die Jahre habe ich dieses Geheimnis für mich behalten. 35 lange, lange Jahre…. Niemand weiß davon. Vielleicht solltest du dir das mit Elda nochmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen.“ Oha. Der Römer griff zu einer richtigen Granate. Der Kampf ist eröffnet, dachte ich nur.
Besnik starrte ihn an. Schockiert. Klar, er war seit 30 Jahren mit der Schwester der Römers verheiratet, sie hatten zwei Kinder, doch wäre es unschön, wenn seine hochgeschätzten Schwiegereltern das nun herausfinden würden. Was würden sie von ihm denken? Von ihrer Tochter?
„Ich überleg’s mir….“ sagte er. „Sprich mich in zwei, drei Tagen nochmal darauf an. Aber währenddessen behältst du Stillschweigen. Über alles! Besonders über deine verrückte Idee und diese Geschichte von damals!“