Danke. Auf Wiederhören.

„Ach, macht’s doch allein!“ möchte ich meinen Familienmitgliedern zurufen. „Macht’s doch einfach allein. Dann spar ich mir die Zeit, den Schweiß und das tiefe Einatmen.“

Mein Papa möchte seinen 70. Geburtstag feiern. Nächstes Jahr. An Pfingsten. Weil er ein Frühsommerkind ist und weil Pfingsten gut passt. Die Wiesen blühen im Voralpenländischen und der hübsche Löwenzahn, seine Lieblingsblume, schmückt diese fast schon verschwenderisch-prachtvoll.

Doch bis wir meine Mutter soweit hatten, dass sie zustimmte, an diesem speziellen Tag in die Pension Baumgartner zu fahren, vergingen Wochen. Oder Monate. So genau erinnere ich mich nicht mehr. Meine Mutter wollte uns den Aufwand nicht zumuten 400km durch Deutschland zu fahren. „Der Pfingstverkehr! Alle fahren’s da.“ war ihr Argument. „Aber Mama, wo ist denn der Unterschied? Ob wir nun 350km zu euch oder 400km zu eurer Lieblingspension fahren? Wir sitzen ja dann eh schon im Auto.“

Irgendwann packte ich das Totschlag-Argumente jeder bayerischen Hausfrau aus: „Aber Mama, schau doch mal: Wir fahren alle in die kleine Frühstückspension, die sich Papa wünscht. Und du hast keine Arbeit. Es muss kein Kuchen gebacken werden, die Gästezimmer in eurem Haus müssen nicht geputzt und vorbereitet werden und du kannst dich einfach auf den Balkon mit dem Blick auf den Wendelstein verziehen, wenn’s zu viel wird.“ Sie blinzelte zweimal. Das machte sie immer, wenn sich die Idee in ihren Kopf frisst. So als ob die Augen versuchen würden, die Idee noch schnell wegzuwischen bevor sie sich zu tief eingräbt.

„Hm…joa! Okay, Mausi ( so werde ich nach fast 30 Jahren immer noch gennant), dann mach ma des so!“ sagt sie. „Aber wer kümmert sich dann um die Buchungen? Wer organisiert alles? Ich mag einfach koan Stress mehr ham!“ Turtle guckt mich an. Und ich guck Turtle an. „Wir beide machen das.“ antworten wir unisono. „Ah ja, gut. Dann macht’s ihr zwei des!“

Papa grinst zufrieden am Tisch. Und mir hätte das Grinsen vergehen sollen. Das ahnte ich aber damals noch nicht.

Ich fragte erst einmal alle Geschwister, ob sie Zeit hätten. „Ganz modern – via Smartphone.“ wie der Papa sagt. Innerhalb von 15 Minuten hatte ich alle zusagen und machte mich ans Werk. Ich schrieb der Pension Baumgartner eine Email. Mühsam gliederte ich die verschiedenen Familienzusammensetzungen und Zimmerwünsche auf. Ein Doppelzimmer – aber mit Zustellbett – für meinen Bruder + Anhang. Ein Einzelzimmer, aber möglichst nicht bei den Zimmer mit den Kindern. Turtle schläft gern aus. Ein Doppelzimmer (Nr. 37! Unbedingt!) für unsere Eltern. Wegen dem schönen Wendelsteinblick. Ein Babybett für den Bambino.

Sehr nett antwortete mir Frau Baumgartner. Aber sie ging nicht auf eine einzige meiner Fragen ein. Sie schrieb nur: „Wir haben genug Zimmer für alle. Kein Problem. Und ganz neu: Unsere Premium Zimmer in der oberen Etage. Die san herrlich, weil die a kloane Couch drin haben.“

„Danke, liebe Frau Baumgartner, aber ich müsste die Zimmer so und so und so reservieren. Was können Sie uns denn vorschlagen?“ fragte ich die nette Dame. Prompt kam eine Antwort zurück. „Ah, mit dem Babybett, des wird eng in den normalen Zimmer. Da müsst ma die Bergblickzimmer reservieren.“

Währendessen stand ich mit meinem Vater im ständigen Kontakt. Noch ist seine Demenzerkrankung noch nicht so ausgeprägt, dass er nicht mehr reise- oder zurechnungsfähig ist. Aber man merkt trotzdem, dass es nicht mehr so einfach ist wie früher. „Buch halt einfach irgendwas! Aber für uns die Nr. 37. Oder Nr. 38. Die haben doch den schönen Wendelsteinblick. Und des gfällt da Mama so gut!“

Frau Baumgartner schlug mir unterdessen vor, dass „mir zwei beide“ besser telefonieren. „Sie kennen ja unser Haus gar net. Des muss ich erklären.“ Ich rief sie also an. Sie erklärte mir die Möglichkeiten und die dazugehörigen Zimmernummern. „Mir san ja a ganz kleines Haus. A Familienpension. Deswegen erklär ich Ihnen des. Damit Sie sich des besser vorstellen können.“ Am Schluss einigten wir uns auf die neu renovierten Zimmer in der obersten Etage – alle mit Wendelsteinblick. Ich rief meinen Vater an und informierte ihn, dass es nicht Nr. 37 oder 38 wird, sondern was besseres. „Aha.“ sagte er kurz und knapp. „Ja, gut. Danke. Auf Wiederhören!“ So beendet er mittlerweile all seine Gespräche – egal ob mit der Familie oder nicht. „Ihnen auch – Auf Wiederhören.“ gab ich zurück und musste grinsen. Fünf Minuten später rief er noch einmal an.

„Also, nächstes Mal buch ich’s lieber selber. Nr. 37 oder 38 wär mir lieber. Aber gut, jetzt ist’s schon so.“ lamentiert er sich. Noch so ein Nebeneffekt der Demenz. Das Beste interessiert ihn nicht. Er will nur noch das, was er bereits kennt. Das vergesse ich leider manchmal. „Nach sieben Emails mit Frau Baumgartner und zwei Telefonaten würde ich ungern was ändern. Aber du kennst sie ja gut. Ihr seid ja Stammgäste. Sag ihr doch, dass du lieber in die Nr. 37 oder 38 willst.“ versuche ich zu beschwichtigen. „Naaaa! Des basst jetzt scho. Aber nächstes Mal würd ich’s lieber selber buchen.“ nörgelt er weiter. „Ja, Papa, nächstes Mal machst du’s einfach selber.“ gebe ich auf. „Danke. Auf Wiederhören!“ verabschiedet er sich.

Weitere fünf Minuten später ruft meine Mama an: „Mausi, gut hast des gmacht. Lass dir da nix einreden. Des ist die Krankheit. Des is net dei Papa. Ich bin gern in den Premiumzimmern. Da schlaft ma viel bequemer.“ versucht meine Mama mich aufzumuntern. „Danke, Mama. Ich habe mich wirklich angestrengt es allen Recht zu machen.“ sage ich geknickt. „Ich weiß, Mausi. Und ich bin sehr stolz auf dich. Da Papa mag halt keine neuen Zimmer, weil er sich an den alten Sachen festklammert. Des gibt ihm Sicherheit, wenn sein Kopf ihm schon ab und zu Streiche spielt. Lass dich net so runterziehen.“ Das Gespräch mit meiner Mama hat den selben Effekt wie eine heiße Tasse Kakao und Pfannkuchen mit Aprikosenmarmelade an einem verschneiten, grauen Tag. Danach geht’s mir wieder gut.

Ich mag nicht mehr. Sollen sie doch nächstes Mal alles selber buchen. Aber ohne mich.

Danke. Auf Wiederhören.

Rosi wird meine e’bamma

Viel mehr Sachen müssten einem einfach egal sein. Denn immer, wenn mir Sachen egal waren in meinem Leben, dann gingen sie zu meinem Vorteil aus. Das war bis jetzt in jedem Bereich meines Lebens so. Das Universum regelt sich schon von alleine.

Letzte Woche verzweifelte ich noch daran eine Hebamme zu finden, schrieb wahllos Hebammen an und entweder hatte keine Zeit, um Weihnachten arbeiten sie grundsätzlich nicht, sie arbeiten nicht mehr als Hebamme oder sie sind schon komplett ausgebucht für Anfang Dezember.

Dieses Wochenende entschied ich mich dafür, dass es mir einfach egal ist. Wenn sich jemand meldet: Sehr gerne. Wenn sich gar keiner mehr meldet: Ich werde es schon allein hinbekommen. Irgendwie. Mit Youtube. (Ja, da findet man alles – von Babybaden bis Nabelpflege … man ahnt es nicht!)

Heute meldete sich Rosi. Rosis Praxis sieht – auf ihrer Homepage – ganz wunderbar aus. Das „über mich“ sprach mich sofort an und sie ist nicht weit weg. Sie schrieb mir sehr sympathisch, entschuldigte sich für die verspätete Antwort und schlug ein Telefonat in der selben Woche vor.

Ich wartete ungeduldig auf ihren Anruf, doch nichts passierte. Also musste ich am Montag selbst zur Tat schreiten. Ich rief sie an. Der Anrufbeantworter ging ran. Rosi hatte einen ganz wunderbaren, bayerischen Akzent. Sofort musste ich an meine Mama denken. „Grüß Gott, da ich momentan nicht erreichbar bin, schlag ich Eana [Ihnen] einfach vor, dass Sie’s später no’amoi [noch einmal] probieren. Auf Wiederhören und bis bald!“ Sehr sympathisch, aber leider brachte mich das keinen Schritt weiter. Ich gab mir eine Frist von 24 Stunden. In dieser Zeit wird sie schon zurückrufen. Und genau das passierte.

„Ja, grüß dich, ich bin’s die Rosi. Ich wollt mich nur amoi [nochmal] schnell melden um dir zu sagen, dass wir uns am besten persönlich kennalerna! Kimmst dann einfach zu mir in die Praxis, gell? Passt dir der Mittwoch guad?“ redete sie fröhlich darauf los. „Klar, Rosi. Mittwoch passt super! Ich hatte schon Angst, dass du abspringst.“ antwortete ich sichtlich erleichtert. „A geh! Natürlich net. I hob’s dir doch gschriem [geschrieben]. Wir Bayern müssen im Exil doch zamhalten!“ antwortete sie keck.

Also sieht es wohl so aus, als würde Rosi meine e’bamma werden. Ein Glück!

Die Deutschprüfung

Jetzt ist es also soweit. Auf den Moment haben wir zwei Jahre hingearbeitet:

Morgen fliegt der Römer nach Rom und macht seine Deutschprüfung. Warum er sie nicht in Deutschland macht, was viel naheliegender wäre? Vielleicht kann ich es mit einem kleinen Dialog, der vor Monaten stattfand, aufklären:

Der Römer beim Verben lernen in der Bibliothek

Amore, die Schule hat mir diesen Anmeldebogen zur Deutschprüfung mitgegeben. Im März wäre diese Prüfung. Aber ich glaube, dass ich im März noch nicht bereit bin. Ich brauche noch ein Monat mehr. Im April – da bin ich aber sowas von bereit.“ versucht der Römer mich zu überzeugen.

„Na gut, dann machst du sie halt im April. Der eine Monat hin oder her – das ist ja kein Problem. Und wo in unserer Stadt findet die Prüfung statt?“ fragte ich interessiert.

Ah… giusto! [richtig] Darüber wollte ich mit dir reden. In Rom findet die Deutschprüfung für mich statt!“ antwortete er mit einem gewinnenden Grinsen.

„In Rom?!?!? Warum das denn?“ Mir fiel alles aus dem Gesicht.

Allora, è così: [Also, es ist so] Ich habe mir überlegt, dass ich die Prüfung natüüürlich in unserer Stadt machen könnte, ABER die Prüfer sind ja alle Deutsch. Aber in Rom sind die Prüfer nicht alle aus Deutschland, sondern Italiener, die gut Deutsch sprechen. Genau wie ich! Deswegen sollte es da doch viel einfacher sein.“ versuchte er mich zu überzeugen.

„Hm… lass mich das noch einmal zusammen fassen. Punkt Nummer eins: Du bräuchtest also ein Flugticket um nach Rom zu fliegen, anstatt einfach mit dem Fahrrad zur Prüfung zu fahren? Punkt Nummer zwei: Dazu möchtest du die DEUTSCH-Prüfung – und hier betone ich das Wort DEUTSCH – in Italien machen, weil es da einfacher ist, obwohl die Prüfung weltweit genormt ist – italienische Prüfer hin oder her. Ich verstehe.“ fasste ich unverständnisvoll zusammen.

Si, è cosi! [Ja, so ist es] Die Signora vom Institut hat mir auch schon geschrieben – sie freuen sich sehr mich Anfang April bei der Prüfung zu begrüßen.“ erwiderte er ganz selbstbewusst.

„Bitte was?! Du bist schon angemeldet?! Du führst hier dieses Drama auf mit dem Anmeldebogen deiner Schule, nur um mir am Ende zu sagen, dass du schon längst im April in Rom angemeldet bist?“ Meine Stimme überschlug sich förmlich und mir platzte der Kragen.

Der Römer fühlte sich einen Moment ertappt. Dann sah er seine Chance und fing ganz charmant an: „Aber Amoooore! Ich mach‘ das doch nur zu deinem Schutz. Du musst dich nicht stressen, ich habe ein besseres Gefühl und somit bestehe ich doch auf alle Fälle. Ganz sicher. Das ist doch eine ganz einfache Geschichte in Rom. Heimspiel sozusagen. Und – es ist alles schon geregelt. Du sagst doch immer, ich soll mich um mehr Sachen kümmern. Ecco! [Schau] Ich habe mich darum gekümmert und schon ist es dir wieder nicht recht. Was willst du eigentlich?!“ Der Römer zuckte mit den Achseln und klappte seine Unterlippe um.

„Mo-moment mal! Bitte verdrehe nicht die Tatsachen. Ich wollte, dass du mehr Sachen übernimmst – ja. Aber denk‘ doch bitte ab und zu rational!“ bemerkte ich aufgebracht.

Aooooo! [Römischer Ausruf] Aber das ist rational. Ich habe mich selbstständig zur Deutschprüfung angemeldet, schlafe bei Giovanni und zufällig ist am letzten Tag der Prüfung auch noch der Geburtstag von Paolo. Io prendo due piccioni con una fava. [Ich schlage zwei Fliegen mit einer Klappe] Taaaaack!“ versuchte er mich zu überzeugen.

„Mach einfach was du willst, aber versuche die Prüfung zu bestehen. Und egal was ist: Wenn du nicht mindestens fünf Cannoli (zwei mit Ricotta, zwei mit Mandeln und eins mit Pistazie) bei meiner sizilianischen Lieblingsbäckerei mitnimmst, dann brauchst du gar nicht zurückzukommen.“ knurrte ich.

„Aber die Cannoli muss man vorbestellen!“ versuchte sich der Römer aufzuregen.

„Ja, du bist doch jetzt so gut im selbstständig Organisieren. Dann sollte das doch ein Leichtes sein!“ grinste ich nun siegessicher an. „Allora, in bocca al lupo!“ [Na dann viel Glück]

„Crepi il lupo.“ antwortete der Römer zerknirscht und griff zum Telefon um meine Cannoli vorzubestellen.