Was mir fehlt

Mir fehlt etwas. Nicht im gesundheitlichen Sinn – und dafür bin ich sehr dankbar. Mir fehlt auch kein Gegenstand. Mir fehlt ein Gefühl, ein Abenteuer, eine gewisse Freiheit, wenn Sie so wollen.

Mir fehlt der Geruch des Flugzeugs, wenn man morgens um 4 Uhr in den eiskalten Stahlvogel einsteigt. Müde taumelnd erklimmt man die Treppen, wissend, dass man das Flugzeug vorbereiten muss.

Mir fehlt der Flugzeugkaffee, den man noch schnell trinkt, bevor die Gäste kommen.

Mir fehlt das „Excuse me, I have a question! I have a connecting flight…“ das man von jedem zweiten Passagier bei Verspätungen hört.

Mir fehlt die Airline Basis.

Mir fehlen die kurzen Flüge nach Hamburg, bei denen jeder zweite Passagier drei Getränke ordert. Mir fehlt die Bitte des schnöseligen Economy Passagiers auf einer 25-minütigen Kurzstrecke nach grünem Tee.

Mir fehlt das hilflose Umgucken des zuletzt einsteigenden Passagiers, der sich im voll ausgebuchten Flugzeug umsieht, wo denn noch ein Plätzchen für seinen Schrankkoffer sein könnte.

Mir fehlen die russischen Einreisebeamten, die meinen Namen so aussprechen, dass ich ihn beim ersten Mal nicht verstehe. Mir fehlen ihre prüfenden Blicke, ob ich auch wirklich die bin, die ihnen streng im Ausweis entgegen starrt.

Mir fehlen die Flüge nach Italien. Rom, meist voller Amerikaner, Mailand, meist voller Banker. Neapel, meist voller Neapolitaner, die ich nicht verstehe. Venedig, meist voller Kreuzfahrttouristen, bereits in Segelschuhen als würden sie das Schiff allein nach Dubrovnik segeln.

Mir fehlen die Gäste, die einen Rollstuhlservice angemeldet haben und beim Aussteigen auf wundersamer Weise doch wieder mühelos gehen können.

Mir fehlen die Caterer, die einem die abgecaterte Schokolade der anderen Flugzeuge anbieten.

Mir fehlen die New Yorker Flugzeugreiniger, die immer schon ihr Fahrzeug von der hinteren Tür abgezogen haben und nun wollen, dass man die wahnsinnig schwere Boeing Tür in seinen schwindelerregenden High Heels schließt, in dem man sich 25 Meter über dem Abgrund rauslehnt und an der Tür zieht und zerrt bis einem ein zwei Meter großer Techniker zu Hilfe kommt.

Mir fehlt die Morgenroutine mit dem Anderen, die wir an der Westküste hatten. Das Frühstück bei Bacco in Seattle um 8 Uhr morgens. Unsere Idee von einer Kaffeehauskette, die wir „Plörry“ nennen, weil amerikanischer Kaffee genau das für uns ist: Plörre!

Mir fehlt Moskau. So gerne war ich in Moskau, so gerne habe ich die russischen Staatsbürger geflogen. So gerne war ich im Hotel, am Kreml, in der Stadt.

Mir fehlt Paris, Amsterdam, Seattle, Vancouver, Hamburg.

Berlin nicht. Berlin Flüge sind schrecklich. Die können einem nicht fehlen. 😉

Mir fehlen die Fluggäste, die fragen, ob ich Israeli sei. Der Nachname wirke so.

Mir fehlen die vielen Geschichten, die vielen Motive, warum Fluggäste reisen.

Mir fehlt der Abschiedsschmerz, den man oft in den Gesichtern der Fluggäste sehen kann.

Mir fehlt der Moment, in dem man Passagiere besser kennen lernt. Sie erzählen einem, warum sie beim Start weinten. Sie berichten von ihren Ängsten, ihren Sorgen, ihren Hoffnungen. Mir fehlen ihre Umarmungen am Ende des Fluges, weil man sich Zeit genommen hat für sie.

Mir fehlt das frühe Landen um 6 Uhr morgens, nachdem man die ganze Nacht durchgearbeitet hat.

Mir fällt das „Kommste? Gehste? Gut siehste aus!“ von Kollegen, wenn man müde über die Airline Basis schlappt.

Mir fehlt der Moment der Hoffnung (und Verzweiflung zugleich), wenn man viel zu viel im Ausland eingekauft hat und der Zoll – Gott sei’s gedankt – nicht da steht und kontrollieren will.

Mir fehlt das Flüge requesten, dass Freunde besuchen, dass Orte vermissen.

Mir fehlt das quirlige Einsteigen. Mir fehlen Fluggäste, die schon aufstehen, während wir noch zum Gate rollen.

Mir fehlt der Statusgast auf 1C, der im Notfall als Souffleur einspringt und „Hamburg“ flüstert, wenn der Kabinenchef vergessen hat, wo wir gerade sind.

Mir fehlen die vielen interessanten Gespräche unter uns Kollegen. Jeder kommt aus einem anderen Bereich, meist hatte jeder von uns auch einmal einen „richtigen Job“. Von (Tier-)Arzt*in bis Architekt*in, von PR Manager*in bis Yogalehrer*in, von Dr. Dr. bis Ethnolog*in – Sie finden alles bei uns an Bord. Sie wissen es nur nicht, weil Sie nur die Uniform sehen.

Mir fehlen die amerikanischen Kollegen, die im Sommer Europa unsicher machen und uns meist Geschenke mitbringen, wenn Sie mit uns fliegen.

Mir fehlt der Crewbus(fahrer), der uns über das Rollfeld braust.

Mir fehlt unsere Sicherheitskontrolle, bei der ich jedesmal hoffe, nur den Sprengstoff-Abstrich Test machen zu müssen und nicht das komplette Programm. Mir fehlen die Sicherheitsleute dort, die mir bei jedem zweiten Mal „Haaaalt! Dein Koffer!“ nachbrüllen, weil ich nur an mein Handgepäck denke.

Mir fehlt sogar das Briefing, die dumme Kollegin hinten links, die motzigen Gäste, die rutschige (weil vereiste) Fluggasttreppe im Winter. Ach, sogar der Frühstücksservice, den ich völlig übermüdet durchführe.

Mir fehlt das gemeinsame Flugrequesten mit Freunden. Das überhebliche „Ach ne – lass uns lieber nach New York fliegen! Boston hab ich schon Anfang des Monats im Plan.“

Mir fehlt meine billige Polyester Uniform, die vor Neid erblasst, wenn sie die italienischen Kollegen mit ihrem maßgeschneiderten Zwirn sieht, der jedes zweite Jahr (wenn nicht jedes) ausgetauscht wird.

Mir fehlt das völlig erschöpfte Einschlafen und das völlig geräderte Aufwachen. Das „Ankunftstag 😴😏“-Schreiben an Freunde, wenn sie fragen wie’s mir geht.

Mir fehlt alles.

Wissen Sie, so gut wie jeder von uns – in der adretten Uniform – hatte einmal einen „richtigen“ Beruf. Aber keiner war und ist so schön wie dieser. Wir machen es aus purer Leidenschaft. Das frühe Aufstehen, der Verzicht auf Familie und Freunde an besonderen Tagen, das Vermissen, das Alleinsein. Uns hat keiner dazu gezwungen. Denn für die meisten von uns ist es der schönste Beruf auf Erden.

Zu sehen wie sämtliche Fluglinien den Bach runtergehen tut weh.

Kommentare von irgendwelchen missgünstigen, zu Tode gelangweilten Mitmenschen zu lesen, die nichts besseres zu tun haben, als als außenstehender Hans Dampf die Lage zu beurteilen und den Firmen das Ende zu wünschen, sind mir egal. Denn wissen Sie, diese Menschen haben nie gefühlt und erlebt, was wir erlebt haben. Diese Menschen hatten immer nur einen billig austauschbaren Job – und keine Passion. Sie beschweren sich Montagmorgens, dass sie arbeiten müssen und sehnen bereits Montagmittags das Wochenende herbei.

Wir sehnen die Fliegerei herbei, wenn wir am Boden sind und unsere Familie, wenn wir fliegen.

Leonardo Da Vinci sagte es sehr treffend. „Wenn du das Fliegen einmal erlebt hast, wirst du für immer auf Erden wandeln, mit deinen Augen himmelwärts gerichtet. Denn dort bist du gewesen und dort wird es dich immer wieder hinziehen.“

Und so hoffen wir alle, dass wir wieder fliegen dürfen. Denn es fehlt mir, das Fliegen.

This is no dobre-dan-country

This is no dobre-dan-country

Sie sind stolz auf ihre Sprache, keine Frage. Über 7,6 Millionen Menschen sprechen Albanisch. Dieser erlesene Kreis von Albanisch Sprechern macht die Sprache wahrscheinlich so besonders.

Und das ist sie auch: ein ganz eigener Zweig der indogermanischen Sprachen gehört der albanische Sprache. Gelispelte Laute wie th und dh (und ja, da gibt es Unterschiede), gj das bei mir Krämpfe in der Zunge auslöst, ll-Laute, die zu Atemnot führen und ë das eigentlich eher ein ö ist, machen diese Sprache schwierig. Und von grammatikalischen Konstrukten möchte ich gar nicht erst anfangen. Deswegen beschränkt sich meine Konversation auch auf „Danke, gut! Und dir?“ und den üblichen Tageszeit abhängigen Grüßen.

Miremengjes oder Guten Morgen hätte man wohl im letzten Juli gesagt, so früh ging unser Flug nach Tirana. Es stand mal wieder eine Hochzeit an. Diesmal heiratete Toni, der Neffe vom Römer. Mit seinen 25 Jahren war er spät dran (für albanische Verhältnisse), aber was lange (höhö) wärt, wird endlich gut.

Wie manche meiner werten Leser wissen, arbeite ich bei einer deutschen Fluggesellschaft. Das bringt viele Vorteile mit sich, z.B. vergünstigte Flüge, FALLS (und hier kommt der Haken) noch Plätze frei sind. Nun, im Juli waren wenige Plätze frei. Um nicht zu sagen keine. Als wir online eingecheckt haben, schaute ich noch einmal nach den Passagier-Zahlen. Wenn wir nicht auf den Tragflächen mitfliegen wollten, dann wäre es eine glückliche Fügung wenn in letzter Minute ein (oder besser zwei) vollzahlende Passagiere ihren Flug verpassen würden oder aber stornieren.

Am Gate angekommen, drängte sich eine Menschentraube von reisewütigen Albanern. Juli. Ferienzeit. Jeder unbequeme, aber doch so moderne Sitzplatz in der Wartehalle war besetzt. Das sah nicht gut aus.

Als Mitarbeiter hat man die Möglichkeit einen „Jump Seat“ anzufragen. Dafür muss man sich in eine Liste eintragen und der Kapitän entscheidet, je nach ermessen, Auslastung und Gewichtsverteilung des Flugzeugs, ob er das genehmigen kann oder nicht.

Ich nahm meinen Mut zusammen und tigerte zu den Gate-Kollegen, die fleißig in ihrem PC rumhakten und schon äußerst gestresst wirkten. Ich setzte mein freundlichstes Lächeln auf: „Einen wunderschönen guten Morgen!“ fing ich an. Die Kollegin blickte kurz auf. Lächelte. Das war ein gutes Zeichen. „Ganz schön viel Stress für euch heute, was?“ setzte ich fort. Erst einmal Mitgefühl zeigen. Dann mit der Bombe ins Haus fallen. „Ich bin Kollegin.“ machte ich mutig weiter. Nun wurde ich von oben bis unten gemustert. „Und ich wollte ganz lieb fragen, ob wir uns auf die Jump Liste setzen dürfen?“

Die Kollegin guckte verwundert. „Auf die Jump Liste? Der Flug geht nach Tirana!!“ gab sie irritiert zurück. „Ja, genau da wollen wir hin.“ Ich zeigte auf den Römer. „Sein Bruder heiratet.“ Ich lächelte. Naja, Bruder, Neffe, in diesem Moment nehme ich es mit der Wahrheit nicht so genau. „Ach, das ist ja schön.“ gab die Kollegin zurück und schob mir die Liste zu. „Einmal bitte alle Details eintragen. Ihr fliegt beide bei uns, oder?“ fragte sie lächelnd. „Ich ja, der Römer nur privat. Aber er ist Jump erfahren.“ Das letzte Detail dieses Satzes stimmte nicht, aber die Kollegen haben wohl kaum Lust jemand absolut unerfahrenen zu erklären, was er im Notfall zu tun hat. „Ach super. Ich ruf schon mal den Kapitän an. Ihr könnt Platz nehmen oder euch einen Kaffee holen. Das wird ein bisschen dauern.“ erklärte uns die Kollegin.

Der Römer hörte nur das Wort caffé und war Feuer und Flamme, die Anweisung der Kollegin zu befolgen. Nach einem Espresso später, zurück am Gate, mittlerweile mit einem wachen Römer, waren so gut wie alle Gäste eingestiegen. Wir warteten. Nachdem kein Gast mehr anstand und der, wie es schien, letzte Bus zum Flugzeug abgefahren war, wurden wir aufgerufen.

„Aaaaalso, ihr Süßen“, begann die mittlerweile sichtlich entspannte Kollegin, „für den jungen Mann haben wir einen Sitzplatz. Sogar einen Fensterplatz. Also ganz klasse! Für dich“, sie guckte nun mich an, „haben wir einen Jump Seat. Im Cockpit. Deinen Mitgliedsausweis hast du dabei?“ fragte sie. „Klar, der ist hier.“ antwortete ich und zeigte ihn vor. „Na super, dann bestell ich euch einen Bus und euch zwei Hübschen eine tolle, tolle Hochzeitsfeier in Dingens…ääh…Tirana.“ wünschte sie uns. Wir bedankten uns überschwänglich und gingen zum Bus.

Im Flugzeug angekommen bedankte ich mich bei der diensthabenden Crew für den Jump Seat. Im Cockpit wurde mir mein Sitz umgeklappt, ich zurrte mich fest und wir hielten einen sehr langen (1:30h) Smalltalk.

Ich bekam auch Kopfhörer um mitzuhören, was der Co-Pilot Stefan mit der Flugsicherung besprach. Wir flogen über Österreich, der Co-Pilot begrüßte die österreichische Flugsicherung mit einem herzlichen „Servus, Airline XY 123…„. In Kroatien angekommen begrüßte er die Flugsicherung mit einem freundlichen dobre dan – nicht ganz korrekt, aber man Verstand und schätzte den Gruß. Generell bleibt zu sagen, dass viele Piloten, die für’s Funken zuständig sind, gerne als Wertschätzung den landestypischen Gruß beim ersten Kontakt mit der neuen Flugsicherung benutzen. Also Buongiorno in Italien und Buenas dias in Spanien, usw..

Als wir dann in den albanischen Luftraum eintraten, begann der Co-Pilot wieder mit einem äußerst freundlichen dobre dan, gefolgt von unserer Flugnummer.

Ich guckte gespannt, wusste ich doch, dass dobre dan nicht nur der falsche Gruß ist, sondern auch noch, je nach Gesprächspartner, nicht gerade freundlich aufgenommen wird. Fünf quälende Sekunden passierte nichts. Als der Co-Pilot wieder anfangen wollte mit dobre dan kam eine Antwort von der albanischen Flugsicherung. Erst war nur ein Räuspern zu hören. Dann ein Schlucken und dann kam mit tiefer, ernster, akzentreicher Stimme: „Sir, this is no dobre-dan-country!!!“ Ich lachte Tränen. Stefan war sichtlich rot geworden und stammelte „Ääääh…ähhh….I mean, good morning….anyway… Airline XY 123…“ Und das Gespräch ging weiter.

Als er eine kurze Funkpause hatte, stammelte er: „Ich dachte, ganz Osteuropa sagt dobre dan oder zumindest etwas in der Art.“ Ich lachte. „Alle – bis auf Albanien. Sie sprechen keine slawische Sprache und deswegen sind sie no dobre-dan-country.“ antwortete ich. „Mensch, voll in die Nesseln gesetzt. Wie mach ich das wieder gut? Er scheint ja sehr nüchtern zu sein.“ gab Stefan zurück. „Sag doch beim Verabschieden einfach „Danke, Auf Wiedersehen“ auf Albanisch.“ wendete ich ein. „Okay, schreib mir das mal hier auf den Block. Das hört sich gut an. Wir müssen ja schließlich wieder zurückfliegen. Und bei meinem Glück wird es keinen Schichtwechsel geben.“ sagte der Co.

Ich notierte ihm „Faleminderit. Mirupafshim.“ übte ein paar Mal mit ihm und war sichtlich stolz als er es höflich zur Verabschiedung vortrug. Zurück kam ein erfreutes „Mirupafshim.“ Sie waren wieder Freunde.

Angekommen in Tirana wartete ich an der vorderen Tür des Flugzeugs auf den Römer. Neben mir die nette Kabinenkollegin und der Co Stefan, die beide den Gästen Auf Wiedersehen sagten. Stefan, mit seinen neuen Sprachkenntnissen, zauberte jedem Albaner ein Lächeln ins Gesicht als er sich bei ihnen auf Albanisch bedankte und verabschiedete. Als der Römer vorbeikam, hakte ich ihn unter, bedankte mich nochmal bei der Crew und verabschiedete mich. „Faleminderit. Mirupafshim.“ sagte Stefan augenzwinkernd.

Auf der Flugzeugtreppe sagte der Römer: „Siehst du, sogar der Co konnte zwei Wörter Albanisch. Das finde ich toll. Albanisch wird immer wichtiger.“ Ich musste grinsen: „Ja, den Eindruck habe ich auch….“