Mülleimer-Jagd in Rom – das Rom-Tagebuch [Tag 5]

Samstag, 27.08.2022

Ha! Es hat nur fünf Tage gedauert und ich bin morgens nicht mehr unleidlich. Es stimmt schon, was man sagt: Man gewöhnt sich an alles. Auch an das quietschende Bett und alle anderen Störfaktoren, die meine Schlafhygiene beeinträchtigen. Meinen nächtlichen Erfolg kann keiner der männlichen Farnientes nachvollziehen, denn groß und klein schlafen Nacht um Nacht wie die Babys.

Leider ist mein Erfolg nur von kurzer Dauer, denn es juckt unangenehm an meinen Armen und Beinen. Noch vor dem Frühstück tupfe ich das Gel, das der Römer in der Apotheke erwarb, auf die roten Mückenstiche. Langsam, ganz langsam wird es besser.

Während ich noch tupfe, holt der Römer bereits Frühstück bei unserem neuen Stamm-Café „Il Siciliano“. Wenn einer Süßgebäck kann, dann definitiv die Sizilianer:innen. Nach vorheriger Absprache mit dem Römer, beschlossen mehr ich als er, dass Signorino heute kein Croissant bekommt. Nicht etwa, weil wir besonders gemeine Elterm sind, sondern viel mehr, weil er seit Tagen nur ein einziges Mal von dem Süßgebäck abbeißt, um dann lieber Kekse zu essen. Sehr zum Leid meines immer enger werdenden Hosenbundes, müssen der Römer und ich das Signorino’sche Croissant vernichten. Auch mein Magen rebelliert, denn nach eineinhalb pappsüßen Croissants mit Creme-Füllung fühle ich mich etwas schwerfällig in der Magengegend. Der Römer stimmte meinen Ausführungen natürlich voll und ganz zu bevor er das Haus verließ. Das macht er oft, um sich unnötige Diskussionen zu ersparen.

Nach wenigen Minuten kommt er mit einer Papiertüte gefüllt mit zwei großen Croissants und einem Mini-Croissant zurück. Signorino habe ihm so Leid getan, da musste er ihm zumindest ein kleines Marmeladencroissant mitnehmen. Es sei nur so groß wie zwei Kinderhände und deswegen absolut in Ordnung. Unser Nachwuchs freut sich sehr über das kleine Croissant, beißt ein einziges Mal davon ab und legt es auf meinen Teller. Dann widmet er sich den Keksen und will Milch dazu. Immerhin ist das Signorino’sche Croissant so klein, dass die Hälfte davon mich und meinen Magen kaum belastet.

Danach beginnt wie immer die Ideenfindung für das heutige Ausflugsprogramm. Wir kommen nicht recht weiter und so beschließen wir zuerst dem Laden gegenüber einen Besuch abzustatten.

Seit Tagen kann ich vom Küchenfenster unserer Ferienwohnung aus die Fußmatte des Ladens sehen, auf der „Ciao Patatoni!“ steht und ganz unter uns: Ich würde meine linke Niere verkaufen, um so eine Fußmatte in Frankfurt zu haben. So treten wir ein und gucken uns interessiert um, während ich nichts anderes als diese Fußmatte im Sinn habe. Leider entdecke ich sie nirgends. Immerhin entdeckt der Römer etwas und zwar rosa Baby-Tennissocken mit der Aufschrift „Daje!“ [röm. Komm schon!]. Er verliebt sich in die keinen Daje-Socken und will sie für die frisch geborene Tochter eines italienischen Freundes in Frankfurt kaufen. Gesagt, getan. Er schreitet zur Kasse und ich instruiere den Römer, doch bitte UNBEDINGT nach dieser Fußmatte zu fragen. Zögernd dreht er sich noch einmal zu mir um. Ich zische ein leises „Daje! Na los, mach schon!“. Ja, ich meine das tatsächlich bitterernst. Als auch er bemerkt, dass ich nicht scherze, fragt er das Verkaufspersonal höflich nach der Fußmatte. „Ah, das tut mir Leid.“, sagt der Ladenbesitzer. „Diese Fußmatte war eine Sonderanfertigung für uns. Sie ist leider unverkäuflich.“ Der Römer bedankt sich, zahlt und wir verlassen mit den Babysöckchen das Ladengeschäft. „Alles muss man selber machen.“, stelle ich fest und suche bereits nach „Fußmatten zum selber designen“ im Internet. „Muss das jetzt sein?“, will der Römer wissen. Jetzt bemerke ich selber, dass das tatsächlich ein bisschen dämlich ist und vertage die Fußmattensuche auf einen späteren Zeitpunkt. Wir bringen die Geschenktüte in die Ferienwohnung und beschließen von der Piazza Trilussa ein Taxi zur spanischen Treppe zu nehmen. Für 8,70 Euro bringt uns ein älterer Herr sehr zügig zu eben dieser. Als wir zahlen, bemerke ich wieder einmal, wie günstig Taxifahren in Italien ist. Wir bedanken uns und steigen aus.

Tatsächlich sind wir nicht wegen der Sehenswürdigkeit gekommen, sondern weil der Römer und ich in dieser Ecke ein Outlet kennen, das in der Vergangenheit immer tolle Angebote hatte. Leider können wir uns nicht mehr an den exakten Standort des Outlets erinnern und so irren wir ein bisschen zwischen den Luxusmarken umher und wundern uns über die Menschenschlangen, die sich vor so manchem Luxusgeschäft bildet. Als wir an einer Schlange vorbeigehen, bleibt Signorino stehen. „Hoch!“, spricht er und meint es ernst. Immerhin sind wir schon 50 Meter weit gegangen. Natürlich verstehe ich den kindlichen Wunsch getragen zu werden. Auf seiner Höhe sieht man nicht wirklich viel außer Schuhe, Knie und Hüften. Ich nehme ihn auf den Arm und schleppe ihn durch die Gassen. Er meldet sogleich seinen Wunsch nach „EEEIS!“ an und wiederholt es sicherheitshalber nochmal auf Italienisch, damit ihn auch wirklich jeder Elternteil verstehen kann. Da wir gerade erst gefrühstückt haben, beschließen wir, dass Signorino noch ein Weilchen ohne Eis auskommen kann. Stattdessen bekommt er seine Wasserflasche in die Hand gedrückt. Er guckt verdutzt, trinkt aber dann.

Am Outlet angekommen sind wir ziemlich enttäuscht. Die Auswahl ist sehr ausgedünnt. Da Signorino neben „Steine gucken“ auch „Kleidung gucken“ ziemlich langweilig findet, beschließt er die Treppe des zweistöckigen Geschäftes zu benutzen und zwar mehrmals und ohne Pause. Wir teilen uns auf: Erst schaue ich ein wenig durch die kleine Leicht-Daunenjacken-Auswahl, dann hat der Römer Zeit einen Blick in die Herrenabteilung zu werfen. Eh ich mich versehe, ist der Römer bereits in einem handfesten Verkaufsgespräch zu einer sehr eigenwilligen Trainingsjacke, die für mich eher nach Altkleidersammlung als nach Designerstück aussieht. Mein Gatte schwört Stein und Bein, dass das DIE Marke ist und nur Kenner dieses tolle Teil für den horrenden Preis schätzen würden. Ich stimme ihm zu. So muss es sein, denn anders kann ich es mir nicht erklären, wer mehr als fünf Euro für so eine furchtbar hässliche Jacke ausgibt. „Nur 150 Euro kostet sie.“, will mich der Römer überzeugen und ich falle aus allen Wolken. „150 Euro für eine Jacke, die du vermutlich nur daheim trägst?“, überschlägt sich meine Stimme. „Wie? Daheim? Ich werde die Jacke überall tragen.“, will mich der Römer überzeugen. „Bitte nicht.“, murmle ich. Signorino huscht derweil wieder die Treppe hoch und hat Gefallen daran gefunden, all die Schuhe, die pro Treppenstufe links und rechts platziert sind, zu tätscheln. Dazu begrüßt er sie, indem er ihre Farben erwähnt „Hallo Blau! Hallo Braun! Hallo Schwaaahaaz!“. Wenn ein Schuh hinsichtlich seiner Farbwahl besonders außergewöhnlich ist, sagt er nur „Hallo Schuhe!“ und tätschelt ihn ein bisschen weniger als die anderen. Während ich Signorino und die Schuhe beaufsichtige, sehe ich den Römer nachdenklich vor der aufgebügelten Trainingsjacke stehen. Er will diese Jacke, probiert sie noch ein, zwei Mal an, betrachtet sich im Spiegel auf der Verkaufsfläche und der Verkäufer redet auf ihn ein, dass diese Jacke ganz besonders „particolare“ [einzigartig] sei. Ja, so scheint es mir auch. Selten habe ich ein hässlicheresTeil gesehen. „Che faccio? [Was mache ich jetzt?]“, fragt mich der Römer. „Das musst du wissen.“, antworte ich und halte Signorino davon ab, einen Schuh samt Schuhkarton die Treppe hinunterzuwerfen. Der Römer seufzt. „Vielleicht kaufe ich sie später.“, spricht er. Wir wissen beide, dass dieses „Später“ nicht eintreffen wird. Sehr geknickt verlässt er den Laden. „Eis!!!“, ruft sich Signorino wieder ins Gedächtnis und der Römer ist damit beschäftigt für Signorino eine Eisdiele zu suchen. Wir landen in einem etwas edlerem Café mit furchtbar muffigem Personal. Die Eisverkäuferin gibt Signorino nicht einmal einen Waffelkeks auf sein überteuertes Schokoladeneis. Auch der Römer bestellt sich ein Scholoadeneis und ich frage mich, warum sie bei identischer Bestellung nicht einfach einen Becher zusammen genommen haben? Kurz danach weiß ich warum. Während ich den Nachwuchs mit Eis füttern darf und gleichzeitig aufpassen muss, dass er das Eis nicht zu schnell ist, da er sonst vor „Gehirnfrost“ schreit, löffelt der Römer in aller Ruhe sein Eis weg. Er hat leider, leider keine Hand frei, um das Kind zu füttern, denn schließlich würde sein Essen ebenso schnell schmelzen wie das des Nachwuchses. Verstehen Sie mich richtig, ich helfe Signorino sehr gerne, sein Eis zu essen. Jedoch wird das Erlebnis für mich etwas komplizierter, da ich einen hellrosa Hosenrock und ein weißes T-Shirt anhabe. Mit Argusaugen versuche ich, das Kind und mich sauber zu halten und gleichzeitig mit Schokoladeneis zu füttern, was furchtbar anstrengend ist. Als das Kind grundgereinigt ist und mein T-Shirt nur über einen winzigen Schokoklecks im Bauchnabelbereich verfügt, ziehen wir weiter. Der Römer sucht verzweifelt einen Mülleimer für die beiden Papp-Eisbecher, kann aber keinen finden und ärgert sich lautstark. Schritt um Schritt wird er wütender ob der mangelnden Mülleimer in der italienischen Hauptstadt. Schließlich, vor einer Kirche, finden wir einen und er versenkt erleichtert die beiden Verpackungen. „Das ist in Frankfurt schon besser.“, erklärt er mir und ich grinse. Ja, auch Frankfurt hat seine Vorteile.

Endlich ein Mülleimer vor einer Kirche.
Die Ansicht ohne Mülleimer und nach oben ist fast noch besser.

Mittlerweile, am Largo Argentino angekommen, wollen wir den Bus der Linie 8 nach Casaletto (Genau: à casa, al letto – nach Hause, ins Bett) nehmen. Leider lässt er heute auf sich warten. Es ist Mittagszeit und furchtbar heiß. Signorino will seinen Sonnenhut nicht tragen und wir streiten uns. Als der Bus kommt, gebe ich genervt auf. Im Bus braucht er keinen Sonnenhut. Da will ich mal nicht so sein. Angekommen an unserer Haltestelle bringt uns der Römer noch in die Wohnung, um dann zu La Ranella zu spurten. Diesmal bringt er erstaunlich viel Pizza mit, die wie immer klasse ist. Signorino isst am liebsten „Pizza Bianca“, also gebackener Pizzateig ohne alles mit Salz und Olivenöl.

Dann fängt der Kampf ums Mittagsschläfchen wieder an. Das Kind findet unsere Idee wie immer doof, ist aber müde. Sehr müde. Schließlich beschließt der Römer mit Signorino zu raufen. Laut kichernd kämpfen sie auf dem quietschenden Bett, um dann nach dem Kampf erschöpft nebeneinander zu liegen. Signorino trinkt Wasser und nickt dabei weg. Was für eine kluge Taktik. Vor 18 Uhr wacht der kleine Mann nicht auf.

Der Römer meldet an, eine schnelle „spesa“ [Einkauf] zu machen. Nach dem gestrigen Schreianfall Signorinos hüten wir uns davor, nochmal mit Signorino in einen Supermarkt zu gehen. Rasch flitzt der Römer in den Supermarkt im Souterrain unserer Ferienwohnung und kauft allerhand Nützliches und Unnützliches.

Danach das Übliche aus Duschen, einer kleinen Runde um den Block und Abendessen bis wir schließlich um Mitternacht im Bett sind.