Stillen – wie ich es mir vorstellte und wie es wirklich für mich war

Heute habe ich gemalt für Sie. Okay, nicht heute, sondern schon vor Monaten. Aber ich habe dennoch gemalt für Sie. Vielleicht auch nicht speziell für Sie, sondern eher für mich und das aus rein auto-therapeutischen Gründen. Na gut, ich revidiere den ersten Satz. Einigen wir uns auf: Ich habe gemalt. Was, das sehen sie ganz am Ende des Textes.

Doch um meine Gemälde zu erklären, muss ich etwas ausholen:

Ich wollte schon viel eher über das Thema Stillen schreiben, aber immer, wenn ich soweit war, kam etwas dazwischen. Und das war gut so, denn ich brauchte meine Zeit und den nötigen, zeitlichen Abstand der Geschehnisse um offen darüber schreiben zu können.

Wissen Sie, ich dachte es ist ganz einfach: Man hält das Baby an die Brust und es trinkt. Fertig!

Doch sei einfach war es leider nicht: Im Krankenhaus – Signorino war gerade geschlüpft – fing es damit an, dass mir am Anfang keiner richtig zeigte wie das Stillen funktionierte. Ich versuchte es immer wieder, hatte aber nicht den Eindruck, dass es effektiv war. Als ich abends um 22 Uhr allein im Stillzimmer war und an dem Stillkissen zippelte und zuppelte kam eine wunderbare Kinderkrankenschwester rein, die eigentlich nur einen Schluck Wasser – ganz in Ruhe – trinken wollte. Sie war die erste, die mir an Tag 2 zeigte wie es geht. Und Signorino trank. Ich heulte vor Glück – und Hormonen.

Daheim angekommen, Tag 3, versuchte ich es wieder. Ich versuchte es in allen möglichen und unmöglichen Positionen, die Sie sich vorstellen können. Es wollte nicht klappen.

Am nächsten Tag kam meine Hebamme. Sie gab mir den Tipp mit Stillhütchen zu stillen und es klappte wunderbar. Alles war in Butter – ich wusch und sterilisierte die Stillhütchen täglich und Signorino trank.

In Woche 5 kam meine Hebamme auf die Idee, dass es nun Zeit wäre, die Stillhütchen aufzugeben. Signorino sollte es alleine probieren. Außerdem habe er nicht zugenommen – seit 7 Tagen. Das geht so nicht.

Und ab da begann die Farce. Ich sollte abpumpen und Bockshornkleekapseln nehmen, dazu Stilltee, Mineralsalze und ein Stillsaft wäre auch nicht schlecht – zusätzlich zum Stillen. Es war Freitag Nachmittag als sie mir das sagte. „Ich brauch‘ doch ein Rezept, damit die Apotheke mir eine Milchpumpe leiht.“ wandte ich ein. „Theoretisch schon, aber frag halt ganz lieb.“ war ihre Antwort. Der Römer, Signorino und ich klapperten vier Apotheken ab. Drei davon hatten keine Milchpumpen vorrätig. Die Vierte durfte mir keine Milchpumpe ohne Rezept geben. „Aber hier, bitteschön, die Bockshornkleekapseln, 14,80 Euro. Tschüss!“ waren die Worte der Apothekerin.Wir gingen aus der Apotheke ins nasskalte, graue Winterwetter hinaus. Es war Ende Januar und ich war am Ende.

„Eine Mutter, die nicht stillen kann? Signorino braucht doch Muttermilch. Er kann kein Milchpulver trinken. Das geht doch nicht!“ machte ich mir selbst zum Vorwurf. In der Schwangerschaft versprach ich mir, wenn es mit dem Stillen nicht klappen sollte, dass er dann natürlich – und ganz ohne Probleme – Milchpulver bekommt. Von Hormonen gebeutelt, noch dazu als Neumama, zerfleischte ich mich selbst mit spitzen Kommentaren und Vorwürfen.

Daheim angekommen bestellte ich online eine Milchpumpe, die am nächsten Tag per Express geliefert werden sollte, denn ich sollte schnellstmöglich anfangen abzupumpen. In der Zwischenzeit kaufte der Römer Fläschchen und PRE Milchpulver. Vorsorglich. Denn er sah wie sehr ich mich quälte und – was noch viel wichtiger war – wie sehr sich Signorino quälte.

Die Pumpe war günstig – und von bescheidener Qualität. Das wiederum erklärte den Preis. Es tat schrecklich weh und durch den ganzen Stress versiegte mein Milchfluss komplett. Gleichzeitig stand es ziemlich ernst um des Römers Vater. Herzinfarkt. Kurzerhand musste er nach Albanien fliegen. Und ich? War allein mit dem Säugling und dem Stillproblem. Dazu kamen noch „aufmunternde“ SMS von meiner Hebamme wie’s denn so läuft (im wahrsten Sinne des Wortes). Sie meinte es nur gut, aber mich setzte es furchtbar unter Druck. Kurzerhand – und unter Tränen – bekam Signorino die Flasche und war sehr, sehr glücklich damit. Zufrieden und müde schlief er nach dem ersten Fläschchen ein.

Während er seelig in seiner Wiege schlief, las ich mir die Milchpulververpackung durch: Stillen ist das Beste für Ihr Baby, denn Muttermilch versorgt das Baby mit allen wichtigen Nährstoffen. Darüber hinaus fördert Stillen die Mutter-Kind-Beziehung. Die Entscheidung, nicht zu stillen, kann nur schwer rückgängig gemacht werden und das Zufüttern von Säuglingsanfangsnahrung kann den Stillerfolg beeinträchtigen.“

Puh. Das saß. Auf der Packung stand, dass ich ein Versager bin. Zumindest interpretierte ich es so. Dass die Produzenten gesetzlich dazu verpflichtet sind dies zu schreiben, sagte mir meine Hebamme erst Wochen später.

Zwei Tage später ersteigerte ich eine bessere Milchpumpe und pumpte jede freie Minute, wenn Signorino schlief, ab. Folglich gab es keine freien Minuten mehr. Signorino schrie wie am Spieß, wenn er an die Brust sollte. Er wollte nur noch aus dem Fläschchen trinken. Ich wollte es auch, aber ich konnte meine Vorstellung der perfekten, stillenden Mutter nicht loslassen.

Zur gleichen Zeit versuchte meine Mutter, meine Schwester und der Römer mich davon zu überzeugen, dass ich auf mich hören soll. Doch all das half nichts und es machte die Situation noch schlimmer. Überall suchte ich Rat – und je mehr Ratschläge ich hörte, desto verwirrter war ich.

Ein paar turbulente Wochen gingen ins Land, immer zwischen Abpumpen, sterilisieren, Fläschchen, wiegen, Zunahme, Stagnation der Zunahme, etc. etc.

In Signorinos zehnter Lebenswoche sprach mich Dieter* an, der mich müde und traurig durch das Treppenhaus schleichen sah. „Medschen! Wat is passiert?“ fragte er mitfühlend. Ich versuchte zu lächeln. Es gelang mir nicht. „Hm….bist du nachmittags mit Signorino unterwegs?“ fühlte er nach. Ich schüttelte den Kopf. „Onkel Dieter kommt vorbei! Ich back nu eben schnell meinen Käsekuchen „Dieter Spezial“.“ sagte er und tätschelte meine Schulter. Ich nickte und schlich ins Haus.

Nachmittags klingelte Dieter mit einem herrlich duftenden Käsekuchen. Er kochte seinen berühmten Kakao. Nach dem ersten Bissen Kuchen und dem ersten Schluck Kakao, brachen bei mir alle Dämme. Ich erzählte ihm von all meinen Ängste, Sorgen, meiner Verzweiflung und meiner Überforderung der letzten Wochen. Er hörte sich alles ganz ruhig an und unterbrach mich kein einziges Mal.

Am Ende dachte er lange nach und sagte: „Hör ma! Die Estefania (Dieters Enkelin) haben wa auch mit dem Fläschchen gestillt. Und dat ist nu aber n‘ Medschen – auf zack is die! N‘ richtiger Wildfang. Und wat ham wir erst für ’ne Bindung!! Die kriegste gar nicht mehr los – so fest ist die Bindung seitdem ich auf sie aufgepasst habe während Carmen (Dieters Tochter) arbeiten war. Mach dat, wat DU für richtig hältst. Signorino hat seine Wahl schon getroffen – und wie ich das raushöre – du auch. Also los! Du weißt am besten wat ihr braucht! Denn du bist seine Mutter.“ erklärte Dieter mit seiner tiefen Brummbär Stimme.

Und komischerweise machte es bei Kakao und Kuchen – mit Dieters Satz in den Ohren – plötzlich klick.

Ich stillte ab. Wir fütterten Pre Milch und tun das noch heute. Signorino ist ein zufriedenes, speckiges Baby, das sowohl vom Römer gern gefüttert wird, als auch von mir.

Aber es brauchte eben seine Zeit bis der Knoten geplatzt war. Dennoch habe ich meine Lektion gelernt: In der Theorie ist es immer einfach zu sagen, dass man auf seine Intuition hört. In der Praxis ist man oft im Kampf mit sich selber, dass es seine Zeit dauert bis man sich vollends selbst vertraut. Aber es zahlt sich aus!

*Ich kann leider nur kölsch wiedergeben – berlinerisch übersteigt meine Fähigkeiten. Deswegen redet Dieter in meinen Texten nun kölsch

Stillen – wie ich es mir vorstellte
Stillen – wie es (für mich) wirklich ist

Andere Zeiten, andere Sitten. Andere Länder, andere Sitten.

„Jeder Jeck ist anders.“ sagt man so schön in Köln. Aber nicht nur jeder Jeck, auch ganze Kulturen sind anders.

Es geht mal wieder um das beliebte Thema Schwangerschaft. Sie sehen es mir nach, liebe Leser, aber mein Kosmos ist klein geworden. Seit sechs Monaten bin ich von der Arbeit befreit und außer dem beliebten Babythema und ab und an Themen des Römers, die ich an mich reiße, passiert hier nicht mehr viel.

In einem Kommentar hierzu erzählte ich, dass meine Mutter damals, nach jeder der vier Geburten, ein schönes Glas Sekt angeboten bekommen hat und natürlich, wie es damals Usus war, dankend angenommen hat. „Das erklärt einiges.“ sagte Turtle und knuffte mich in die Seite. „Ja, bei dir!!“ konterte ich zurück und knuffte sie zurück. Wir mussten kichern und sie streckte ihre Zunge raus. „Kinder, Kinder! Ich erklär euch auch warum: 1. Fällt man in ein hormonelles Tief nach der Geburt. Man hat es als Prävention zur Postnatalen Depression benutzt. 2. Es ist sehr nett, nach der harten Abend ein wohlverdientes Gläschen Sekt zu trinken. Auch zum Anstoßen mit eurem Papa war das nett. 3. Sekt steigert die Milchproduktion. So hat es uns die Hebamme gesagt. Sie wies uns sogar an, dass wir daheim öfter einmal ein Sektchen aufmachen. Denn letztens: Sekt beruhigt Nerven und Geist.“ Turtle musste lachen: „Na, wenn das so ist. Nun mal her mit dem guten Tropfen. Wir stoßen an.“ Unsere Mutter guckte empört: „Bist du wahnsinnig! Heute ist das nicht mehr denkbar.“

Doch kommen wir zu einem anderen Land und seinen Sitten – Italien. Meine Schwägerin, die Schwester der Römers, ist eine gertenschlanke Erscheinung. Hochgewachsen, dunkelblond und sportlich. Als sie ihrem Frauenarzt erzählte, dass sie plant schwanger zu werden, wies dieser sie an, dass sie jetzt nochmal im Fitnessstudio eine Schippe drauf legen soll. Sie sollte aktiv ihre Muskeln trainieren, damit sich der Körper (oder vielmehr sie) nach der Schwangerschaft an ihre alte Form erinnert. Als wir sie besuchten, als sie dann schwanger war, konnte ich beobachten wie sie ungefähr 3-4 Tassen Espresso am Tag trank. Ich fragte den Römer abends, ob das normal sei. „Klar, Espresso ist kein Problem. Du kannst soviel trinken wie du möchtest.“ Ich guckte irritiert und erklärte ihm wie es in Deutschland gehandhabt wird. „Aber bei uns trinken doch schon 3-jährige Cappuccino.“ Das stimmt! Ich erinnerte mich an die Zeit als Au Pair als der kleine Ricchi mit seinen 3 Jahren am Frühstückstisch saß und nach einem Cappuccino verlangte. Ich prustete damals los und schüttelte den Kopf. Er guckte mich empört an und ging zu seinem Vater – petzen. Der machte ihm – ganz selbstverständlich – einen Cappuccino. Ich guckte ihn entgeistert an. „Meno caffé, ma più latte per i bambini.“ [Weniger Espresso, aber mehr Milch für die Kinder] Ja, ja. Das hatte ich schon verstanden. Aber in meinem Kopf machte es immer noch keinen Sinn. Das sah er mir auch an. „Non fa nulla! I bambini si abituano piano piano. Con 6 anni può bere un cappuccino normale.“ [Das macht gar nichts! Die Kinder gewöhnen sich langsam daran. Mit 6 Jahren kann er einen richtigen Cappuccino trinken] Na, das beruhigte mich jetzt aber ungemein. Und es erklärt die ganze Kultur in einem Getränk.

Doch zurück zu meiner Schwägerin: Ich sah sie jeden Tag Salat essen. Auch Brot verbot sie sich. Etwas irritiert fragte ich den Römer auch hier nach. „Du wirst bei jeder Untersuchung gewogen. Und die Obergrenze sind 12 kg – je nach Größe. Sollte die Gewichtskurve zu einer höheren Zahl tendieren, dann werden die Mütter auf Diät gesetzt. Und bei meiner Schwester ist das wohl so.“ erklärte er. „Auf Diät? Na klar sollte man nicht 25 kg zunehmen, das verstehe ich. Aber 12 kg als Obergrenze?! Das kommt doch auch darauf an, was dein Ausgangsgewicht war. Sie wog ja vorher schon kaum was, da würden ihr ein paar Pfunde extra doch ganz gut tun.“ wendete ich ein. „Offiziell heißt es: Wegen der Gesundheit von Mutter und Kind. Aber wenn man sich einmal in das Thema einliest, dann geht es darum, dass die Frau auch nach der Geburt noch attraktiv wie zuvor sein soll. Und eben kein camion [LKW].“ gab er zu. Mein Unverständnis stand mir ins Gesicht geschrieben.

Doch nun zu einem anderen Land: Albanien. Hier gibt es nicht viel zu erzählen. Die meisten der römischen Geschwister wurden per Hausgeburt auf die Welt gebracht. Ultraschall gab es nicht und Vorsorgeuntersuchungen auch nicht. „Es wird schon gut gehen.“ und das traf bei meiner Schwiegermutter in sieben von sieben Fällen zu. Sie hatte Glück – und Gottvertrauen. Als wir ihr die Ultraschallbilder zeigten, war sie ganz entzückt. Von ihren Töchtern und Schwiegertöchtern war ich die einzige, die eine ganze Kollektion hatte. Sie streichelte die Bilder und murmelte: „So ein schöner Junge.“ Zugegeben, mehr als seine Silhouette konnte man nicht erkennen, aber sie war blitzverliebt.

Als ich wenig später Wasser mit Kohlensäure bestellte, hefteten sich drei irritierte Augenpaare an mich. Meine Schwiegereltern und der Kellner guckten als hätte ich sie mit dem Tod bedroht. „Aber sie sind doch schwanger.“ stammelte der Kellner. „Ähm ja…“ ich guckte den Römer hilfesuchend an. Vielleicht war meine Aussprache doch nicht so gut wie ich dachte und ich hatte versehentlich etwas alkoholisches bestellt. Aber dem war nicht so. Der Römer bestellte mir stilles Wasser um diese unangenehme Situation zu beenden. Er flüsterte mir ins Ohr: „Erklär ich dir später.“ Na, auf die Erklärung war ich gespannt! Nach dem Essen erzählte er, dass schwangere Frauen in Albanien kein Wasser mit Kohlensäure trinken sollten. Das könnte zu Fehlbildungen, Abgängen oder einer schwierigen Geburt führen. Aha. Aber es ist doch nur Wasser. „Ich bestell dir nächstes Mal einfach heimlich Wasser mit Kohlensäure.“ sagte er und zwinkerte mir zu. „Ich kann’s kaum erwarten.“ gab ich zurück und musste lachen.