Freitag, 12 Uhr: „Guten Tag, Müller, die Erzieherin von Signorino. Sie müssten ihn bitte abholen. Er hustet sehr stark und hat Temp…“, spricht die Stimme aus meinem Telefon.
„Frau Müller, ich muss Sie hier unterbrechen. Ich sitze im Flugzeug auf 22F und wir rollen gerade zur Startbahn. Ich muss das Handy jetzt ausschalten. Könnten Sie bitte meinen Mann anrufen?“, unterbreche ich Frau Müller.
„Ja, schon. Aber ich habe nur Ihre Telefonnummer.“, spricht Frau Müller.
Die Telefonnummer des Römers habe ich in den letzten Monaten mindestens drei Mal im Kindergarten abgegeben. Aber gut. Es ist jetzt wie’s ist.
„Ähm… ja, Moment!“, flüstere ich und mache mich möglichst unsichtbar. Mein Handy sollte schon längst in Flugmodus sein. Dabei schiele ich aus dem Fenster. Wir haben gerade die „Fry to Fly“-Werbung mit der überdimensionierten Pommes am Frankfurter Flughafen passiert. Dort, wo die großen Kerosin-Tanks stehen. Ab hier ist es nur noch ein Katzensprung zur Startbahn. Ich stecke mir die Kopfhörer in die Ohren, suche nach der Praxisnummer meines Mannes im Internet. Auf dem Handy erreicht man ihn während der Arbeitszeit nicht. Natürlich finde ich die blöde Nummer nicht, denn es gibt zwei Praxen mit dem gleichen Namen.
„Moment!“, sage ich wieder. Frau Müller wartet geduldig. “Ah ja. Hier! Also 069 für Frankfurt…”, flüstere ich leise und hoffe, dass mich kein Fluggast bei der Crew verpfeift. “Cabin Crew, prepare for takeoff!”, unterbricht mich die Durchsage des Co-Piloten.
Innerlich laufe ich Amok. Das ist doch gerade ein ganz schlechter Witz!
“Okay, jetzt schnell: 069-12-12-12-123.”, rattere ich die Nummer hastig herunter. Wir biegen auf die Startbein ein. “Ich wiederhole…”, fängt Frau Müller gemächlich an und ich stöhne innerlich. “069-12-12-12-123, korrekt?”, fragt sie. “Ja. Korrekt. Wir starten jetzt. Tschüss!”, wimmle ich sie ab und lege auf. Auf Ihre Verabschiedung kann ich nicht warten. Blitzschnell stelle ich das Handy auf Flugmodus und schon heulen die Triebwerke auf. Nach wenigen Momenten erhebt sich der Airbus A320 mit dem obligatorischen Rasenmähergeräusch von der Startbahn 1 8.
Was für ein Start in das Geburtstagswochenende meiner Mutter!
Meine Hand zittert vor lauter Adrenalin. Mein Blick hält sich an Groß-Gerau und Weiterstadt fest, die recht schnell vorbeiziehen. Nun stecke ich in dieser Metallröhre fest, die mich in München wieder ausspucken wird, während Frau Müller hoffentlich meinen Mann erreicht und das kranke Kind abgeholt wird. Dabei war es doch seit zwei Tagen genesen?
Als ich in München lande, teilt mir der Römer mit, dass sie bereits auf dem Spielplatz waren und jetzt ein Schokoladeneis schnabulieren würden. Von erhöhter Temperatur und „ganz, ganz schlimmen Husten“ keine Spur mehr. Innerlich verdrehe ich die Augen!
Doch zurück zur Geburtstagswochenend-Reise. Meine Mutter wünschte sich zum Geburtstag Zeit mit ihren Kindern. Und so buchten drei von vier Kindern sich in Ruhpolding ein. Natürlich gab es auch ein Einzelzimmer für unsere Frau Mama. 😉
Zwei von drei Kindern haben aber wiederum Kinder im Kindergarten-Seuchen-Alter.
Am Dienstag vor der Reise schrieb ich in unsere Familiengruppe, dass ich nicht weiß, ob ich am Freitag kommen kann, denn das Kind sei krank. Am Mittwoch war klar: Notfalls bleibt der Mann beim kranken Kind zuhause.
Am Donnerstagabend schrieb meine Schwester, ihre Tochter habe Magen-Darm. Aber sie halte sich wacker und ihr Mann würde morgen übernehmen. Am Freitagmorgen schrieb sie, dass sie zumindest heute nicht anreisen werde. Es hatte sie erwischt.
Vehement bestanden die restlichen Mitglieder unserer kleinen Reisegruppe darauf, dass wir kein Magen-Darm-Mitbringsel vom Wochenende haben möchten und sie sich ganz in Ruhe auskurieren soll.
So waren wir also nur noch drei.
Am Freitagmittag rief die Kita bei mir an, aber ich war wortwörtlich an meinen Sitz geschnallt und konnte beim besten Willen nicht mehr aussteigen.
Nachdem ich die S-Bahn zum Hauptbahnhof nahm, damit ich am Freitagmittag überhaupt eine Chance auf einen Sitzplatz hatte (sonst wäre ich am Münchner Ostbahnhof ungestiegen), nahm ich die BRB* bis Traunstein und wurde dort abgeholt.
Mein Bruder schrieb mir kurz vor Ankunft am Bahnhof Traunstein eine Nachricht: „Deine Mama holt dich am Bahnhof ab.“ Ich musste sehr lachen. Er wartete derweil in Mamas Auto.
Immerhin wurde an diesem Tag ein Kind von seiner Mama abgeholt, auch wenn es nicht Signorino war.
Das Wochenende startete. Und es war genau wie all unsere Südtirol-Urlaube in meiner Kindheit.
Es gab damals zwei Maxime: Schlemmen und Bewegung.
Am Freitagabend fingen wir mit Schlemmen an. Das war auch bitter nötig, denn ich hatte tagsüber nur eine Brezen gegessen. Das Essen im Hotel war gigantisch. Ach, was sag ich, das ganze Hotel war klasse. Es ist kein Hotelbunker, sondern ein kleines, feines Hotel mit sehr nettem Personal und sehr guter Küche. Wirklich sehr zu empfehlen!
Am Samstagabend frühstückten wir ausgiebig, dann gingen wir 7km zu Fuß durch „Bayerisch-Kanada“, wie es hieß.
Perfekt für meinen Bruder und mich, die im Flachland wohnen. Kurz vor Ende der Tour fotografierte meine Mutter die Blümchen und den See, während mein Bruder und ich in ca. 50 Meter Entfernung auf sie warteten.
“Max? Mir tut die Hüfte so weh vom vielen gehen. Ich geh ein!”, jammerte ich meinem Bruder vor. “Und mir der Rücken!!”, sprach Max. Wir bemitleideten uns gegenseitig, da kam schon unsere 72jährige Mutter gut gelaunt angehüpft. Unsere Weh-Wehchen konnte sie gar nicht verstehen. Klar, sie geht auch jeden Tag mehrmals und ausgedehnt mit dem Hund spazieren und radelt, was das Zeug hält.
Als wir uns mit unseren körperlichen Befindlichkeiten ins Auto gefaltet haben, schlug mein Bruder vor, dass wir doch bei Windbeutelgräfin* einkehren könnten. Er habe davon gelesen.
Dort angekommen sahen wir bereits, woher die Gräfin ihren Namen hatte: Kindskopfgroße Windbeutel wurden herangetragen. Ich entschied mich derweil lieber für einen Kaiserschmarrn, aber Mutter und Sohn vernichteten jeweils ein Windbeutel-Ungetüm.
Danach fuhren wir zurück in die Unterkunft, ruhten uns aus und trafen uns gegen 17 Uhr zum Minigolf-Spielen. Der Erstgeborene und seine Mutter waren definitiv die Ehrgeizigen in unserer Dreier-Gruppe. Ich wurde, weit abgeschlagen, dritte Siegerin. 😉
Dann ging es auch schon flott zum Abendessen. Wie immer war es sehr gut. Als einzige Gäste versumpften wir mit einem Kaltgetränk in der Bar.
Und am Sonntag war schon Abreise. Gut erholt, ausgeschlafen, vollgefressen und mit einem leichten Ziehen in den untrainierten Oberschenkeln kam ich heim.
Das Kind maulte, der Römer stöhnte – ja, der Alltag hatte mich wieder.
Doch Ruh-polding hielt was es versprach.
Ich hatte ausreichend Ruh-e. Und hoffentlich sind nächstes Mal alle Kinder gesund, damit meine Schwester auch ausge-ruhpolding-t am Sonntag heimkommen kann.
*Werbung, unbezahlt und unbeauftragt:
Vitalhotel Held‘s* – Hauptstraße 70 – 83324 Ruhpolding
Saunabereich – Dachterrasse – hauseigenes Restaurant (sehr zu empfehlen; Sonntag Ruhetag) – Kinderspielzimmer.
Parken: Am Bahnhof Ruhpolding (schräg gegenüber), kostenlos. Oder in der Tiefgarage gegen Gebühr.
Anreise: Per Auto oder per Bahn. Der Bahnhof Ruhpolding ist einen Steinwurf entfernt.
Windbeutelgräfin* – Branderstraße 23 – 83324 Ruhpolding
Hinterlasse einen Kommentar