Montag, 10 Uhr. Signorino ist seit einer Stunde wach und ich wäre bereit, das Land mit wehenden Fahnen zu verlassen. Natürlich alleine.
Er ist seit Freitag krank. Was ich anfangs noch als “schlapp und müde” interpretierte, war in der Nacht auf Samstag ein ausgewachsenes Fieber. Samstag und Sonntag blieben wir im Haus, während der Rest der Frankfurt_innen das warme Wetter genoß. Draußen hatte es 25 Grad. Drinnen hatte es 38,7 Grad. Zumindest in Signorinos Nähe.
Heute scheint es Signorino besser zu gehen. Man merkt es daran, dass er anfängt, unmöglich zu lösende Aufgaben zu stellen. Heute Morgen, noch vor dem ersten Kaffee, sind wir 20 Minuten auf dem Boden unter dem Esstisch herumgerobbt, er weinend, ich fluchend, um den “kleinen Greifer” von Lego* zu finden. Er meint das fisselig-kleine Lego, nicht das große Lego-Duplo*. Es wäre ja zu einfach gewesen.
Und dann finden Sie mal einen 2cm kleinen, grauen Greifer!
“Nimm doch den weißen Greifer!”, schlage ich in meiner Naivität vor. Als ob das das gleiche für Signorino wäre.
Das Kind reagiert dementsprechend und zwar wie ein exzentrischer Modezar, der dem inkompetenten Angestellten erklärt, dass Weiß doch etwas komplett anderes als Grau ist. Es fehlt nur, dass er durch das Wohnzimmer “Dilettanten! Alle Dilettanten!” brüllt.
Mir dämmert derweil, dass mein Gatte gestern staubgesaugt hat und vermutlich keine Rücksicht auf 2cm große Lego-Teile in der Farbe Grau nahm.
Also ich nach 20 Minuten und geröteten Knien verkünde, dass der “kleine Greifer” nicht zu greifen (Höhö! Galgenhumor!) wäre, bricht das Kind in eine schluchzende, weinende und wütende Episode epischer Breite aus. Ich tröste, werde weggestoßen und finde mich Haare raufend vor der Kaffeemaschine wieder. First things first.
Wenn noch ein Kollege einen Elternteil mit krankem Kind beneidet, der daheim bleiben darf, dann möge man ihm das Beispiel des “kleinen Legogreifers” schicken.
Das Geräusch der sich aufheizenden Espressomaschine versöhnt mich etwas mit dem Tag. Das braune Elixir läuft durch die Maschine, während ich Signorinos Cornflakes in die Müslischale kippe. Dann straffe ich meinen Rücken und meine bereits angeschlagenen Gesichtsmuskeln der letzten Tage, die unter dem wenigen Schlaf und der Sorge um das kranke Kind litten, und gehe ins Wohnzimmer. “Mama, wir brauchen Milch!”, krakelt das Kind, das den Legogreifer zumindest für den Moment vergessen hat. Ich nehme einen hastigen Schluck aus der Espressotasse, stelle die Cornflakesschale auf den Tisch und trete den Rückweg in die Küche an. Dort schnappe ich mir die Milch, gieße sie in eine Kindertasse und trotte zurück. “Willst du kalte Milch oder soll ich sie dir warm machen?”, frage ich, denn das Milch-Drama kenne ich bereits aus vergangenen Episoden. “So!”, spricht das Kind und ich bestehe darauf, dass er mit dem Finger testen solle, ob “So!” auch wirklich die richtige Milchtemperatur sei. Das Kind nickt. Dann bitte ich es, die Milch selber über die Cornflakes zu gießen. Auch dieses Drama ist mir wohlbekannt.
Ja, Kranktage sind Minenfelder und meine Nerven sind so strapaziert, dass ich jedes neuerliche Geschrei gerne vermeiden möchte.
Um 11 Uhr will Signorino eine Wärmflasche, weil er Bauchweh hat. Dazu will er Oktonauten* gucken. “Mama, die Folge mit dem Zigarrenhai.”, weist er mich ein. Ich suche also die Folge mit dem Zigarrenhai, während ich heißes Wasser aus der Kaffeemaschine in die Wärmflasche laufen lasse. Als ich sie finde, gebe ich Signorino das iPad zurück. Dann gehen wir ins Wohnzimmer. Dort kuschelt er sich auf die Couch, guckt die Folge, nur um dann festzustellen, dass er die Folge mit dem “großen Zigarrenhai” gucken will. Ich suche also die Folge mit dem großen Zigarrenhai.
Nun haben die Oktonauten* extrem viele Folgen zu Meerestieren im Angebot, aber sie machen keine Extrafolgen zu unterschiedlichen Größen von Zigarrenhaien. Ich schlage also eine andere Folge vor. Nein, es ist alles nicht recht. Es muss den großen Zigarrenhai geben! Ganz sicher! Drama – Geschrei – Schluchzen.
Ich atme tief ein und aus und beschließe, dass wir lieber ein Buch anschauen. Drama – Geschrei – Schluchzen. Ich bin die blödeste Mama auf der ganzen Welt, wird mir vorgeworfen. Mich erinnert mein Sohn ein wenig an einen aufgebrachten Fluggast, der nie wieder mit meinem Arbeitgeber fliegen will. Es fehlt nur, dass er “Never again!” mault und mich keines Blickes mehr würdigt. Immerhin wäre dann Ruhe.
Dann fällt mir etwas kleines Graues im Augenwinkel auf. “Was ist das denn?”, frage ich und habe einen etwa 2cm großen Lego-Greifer in der Hand. “Mama!!! Mein Lego-Greifer! Du bist die beste Mama! Danke!”, lobt mich das Kind überschwänglich.
Kindkranktage sind die gemischte Tüten der Gefühle, die mir mein Kind entgegen bringt.
Ich beneide den Römer, der in der Arbeit ist.
Noch 7 Stunden, dann ist er zurück.
Einatmen – ausatmen.
*Werbung, unbezahlt und unbeauftragt.
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