Dieter wird isoliert

[Berlinerisch kann ich so schlecht wiedergeben, deswegen spricht Dieter in meinen Texten von nun an etwas kölsch]

Vor zwei Wochen trug es sich zu, dass der Römer und ich beunruhigt waren aufgrund der Lage in Italien. Wir tauschten uns viel mit der Familie und unseren Freunden aus, die dort wohnen und man merkte recht schnell: Der Virus wird nicht nur Italien betreffen. Besser jetzt handeln als dass es zu spät ist.

„Dieter“, sage ich, „die Lage ist ernst!“

Dieter, eben noch mit seinem Blick in der Kakaotasse versunken, blickt auf, runzelt die Stirn und antwortet: „Ich habe es mir schon gedacht, Medschen. Du trinkst Kaffee statt Kakao. Wenn du jetzt noch einmal darüber diskutieren willst, dass wir Mandelmilch für den Kakao benutzen sollten, dann sage ich dir hier und jetzt in aller Ehrlichkeit: Nein! Meine Großmutter Agatha würde sich im Grab umdrehen, wenn sie wüsste, dass ich homöopathisches Nusswasser für den Kakao benutze.“

Ich muss lachen. „Nein, Dieter, das habe ich schon längst aufgegeben. Ich trinke Kaffee, weil Signorino heute Nacht kaum geschlafen hat.“

„Ach gut, das hätte ich mir denken können. Deine Augenringe sind ja nun nicht zu übersehen.“ antwortet er grinsend.

„Danke, Dieter Wilhelm. Du weißt, wie du mich nach einer kurzen Nacht aufbauen kannst. Ich habe dennoch etwas wichtiges zu sagen!“ erkläre ich ihm.

Dieter setzt sich in dem großen, grauen Ohrensessel auf, die Tasse entschlossen in der rechten Hand, Signorino mit festem Griff im linken Arm und spricht: „Okay, Medschen, lass uns Tacheles reden. Onkel Dieter ist bereit!“

„Dieter – wir müssen dich isolieren. Es geht nicht anders. Du nimmst Herztabletten, bist an die siebzig,….“ fange ich an.

„An die siebzisch, aber nisch ÜBER siebzisch. Darauf lege ich Wert!“ betont Dieter.

Ich unterstreiche also noch einmal, dass er „an die siebzig – nicht aber über siebzig ist“ und fahre fort: „Wie dem auch sei: Du bist uns wichtig. Deswegen wollen wir dich isolieren. Carmen [Dieters Tochter] hat dir das doch auch schon erklärt. Kein Besuch mehr von Estefania [Carmens Tochter = Dieters Enkelin], kein Besuch mehr von uns. Wir gehen für dich einkaufen und karren dir alles an, was du zum Leben brauchst.“

„Na hör ma, ich bin doch kein Huhn in der Legebatterie. Meint ihr wirklich, ich werde in meinen zwei Zimmern glücklich? Ich kann doch nicht den ganzen Tag dort rumtigern! Freiheitsliebend – das bin ich. Was würde denn meine Rose [Dieters verstorbene Ehefrau] von mir denken, wenn ich nur daheim sitze? Sicher guckt sie runter vom Himmel, auf ihrer fluffeligen Wolke und sacht: Mensch Dieter, Dieter. Kaum bin ich nicht mehr da, wirste richtig träge. So kenn isch disch gar nicht, mein Dieterchen.“ holt Dieter aus.

„HERR WILHELM! Es ist ernst!“ sage ich bestimmt. Ich stehe auf, streichle über Signorinos Kopf, der bequem gegen Dieter Wilhelms Bauch gelehnt ist und verdunkle den Raum. Dann mache ich den Fernseher an und zeige ihm wie es in Bergamo ausschaut. Bilder von Särgen, von Militärtrucks, von jungen und alten Menschen flimmern über den Fernseher.

„Und genau DA will ich dich nicht sehen. Es ist nur zu deinem eigenen Schutz, dass du daheim bleibst. Bitte, Dieter!“ flehe ich ihn nun an.

„Hmpf…“ ist seine Reaktion. Dieter schmollt. Er schmollt und denkt nach. Immerhin grübelt er – das ist ein gutes Zeichen. Mein Vortrag fruchtet. „Und wenn ihr mich besucht? Dann muss ich nicht aus dem Haus und ihr kommt einfach zu mir hoch!“ schlägt er vor. „Och Dieter, es geht doch nicht darum, wer wen besucht. Es geht darum, Kontakte vollständig zu meiden, auch wenn es in Deutschland noch nicht vorgeschrieben ist. Nur so können wir sicher stellen, dass DU sicher bist. Wir kümmern uns um dich, aber du musst jetzt einfach einmal ein paar Wochen Abstand nehmen.“

„Soschl – Detoxing meinst du, ne? Und du meinst, das ist wirklich nötig?“ fragt er noch einmal nach. „JAAA!“ antworte ich streng. „Das ist wirklich notwendig.“

„Na gut, aber ich gehe noch fix einkaufen. Mein Kühlschrank ist komplett leer – im Angebot gibt es diesen wunderbaren, französischen Käse, den ich so mag.“ will er einwenden.

„Dieter! Nein! Kein Einkaufen, kein „mal-eben-an-den-Kiosk“, kein Schach spielen im Park, keine Freunde treffen, kein Hunde streicheln, kein Schnack, kein Besuch bei uns, kein flanieren auf der Einkaufsstraße, kein Besuch von oder bei Carmen und ihrer Familie. Einfach nichts.“ erkläre ich nochmals ausführlich.

„Mensch, das ist ja wie dieses Schweige-Kloster, dass meine Rose vor 20 Jahren unbedingt ausprobieren wollte. Gut getan hat ihr das aber nicht. Sie war so durch den Wind, dass sie eine rote Socke mit der weißen Kochwäsche gewaschen hat. Ich musste wochenlang rosa Hemden in der Arbeit tragen! Sowas ist ihr vorher noch nie passiert.“ erzählt mir Dieter.

„Ach Dieter, du musst doch nicht schweigen. Nur daheim sein. Ein Telefon hast du doch und ich habe auch schon eine Idee wie du mehr von der Welt siehst ohne deine Wohnung oder deinen Balkon zu verlassen.“ kündige ich an.

„Na, da bin ich ja gespannt, Medschen!“ sagt Dieter und knuddelt Signorino ein letztes Mal für ein paar Wochen.

Der isolierte Dieter

Italien – du Held!

Ich mag sie, die Italiener. Das ist kein Geheimnis. Italien wäre nicht Italien ohne seine Einwohner.

Wer mir schon länger folgt, der weiß, dass ich, seit ich denken kann in Südtirol (Italien – light sozusagen) meine Urlauber verbrachte. Ich war Au Pair im Norden Italiens, in Bergamo. Zurück in München bestritt ich meinen Arbeitsalltag auf Italienisch. Dann ging es in Hessens heimliche Hauptstadt – und von dort hinaus in die weite Welt. Dann lernte ich den Römer kennen, wir wohnten kurz in Rom, bevor es wieder zurück nach Deutschland ging.

Italien – du wunderbares Land. Die Menschen sind in Quarantäne, aber sie haben ihre Lebensfreude nicht verloren. Bilder und Videos gehen um die Welt wie Italien gemeinsam musiziert – von den Balkonen hoch über der Stadt. Sie tanzen, sie singen, sie trommeln und benutzen an Instrumenten, was sie daheim finden können. Sie applaudieren mittags um 12 Uhr für all die Helfer in der Not, die 3-4 Schichten arbeiten. Sie applaudieren für ihre Helden, wie sie sagen.

Sie sind ein Team und halten zusammen – das Volk mit dem Herz am rechten Fleck, der Lebensfreude auf der Zunge und dem Zusammenhalt, der unbändiger nicht sein könnte.

Italien, du wunderbare Perle. Vielleicht bist du gerade weggesperrt, vielleicht liegst du am Boden, aber glaube mir, sobald wir alle wieder reisen können, wir kommen dich besuchen! Wir schlendern über deine Piazzas, wir genießen deine Lebensfreude und wir helfen dir wieder auf die Füße: Als Touristen, als Besucher! Denn es ist das, was du brauchst, wenn die Normalität einkehrt.

Italien – du großes Vorbild! Stammi bene! Ci vediamo al piú presto possibile!

Italien und der Coronavirus – wer, wie, was?

Es wurde schon so viel berichtet und ich bin mir sicher, es wird in den nächsten Tagen und Wochen noch viel mehr darüber berichtet: Das böse C-Wort. Corona.

Gestern schrieb eine Kollegin im Arbeitsforum: „Jetzt machen die Italiener ihr Land dicht. Übertrieben! Aber langsam bekomme ich dennoch Panik… Muss man Angst vor Corona haben?“

Normalerweise kommentiere ich nicht, da man meist nach 2-3 Sätzen in unserem Forum angefeindet wird. (Ja, die ewig lächelnden Servicekräfte der Lüfte verbringen in den Foren die meiste Zeit damit, sich gegenseitig fertig zu machen…) Dennoch wollte ich Licht ins Dunkel bringen, da es in deutschen Artikeln meist verzehrt dargestellt wird.

Also angeschnallt und festgehalten. Die wilde Fahrt geht los:

Warum verhängt Italien überhaupt eine Ausgangssperre? Warum sollen alle Italiener 14 Tage daheim bleiben, alle Universitäten und Schulen sind mind. bis zum 04. April geschlossen, alle Kindergärten, alle Ämter, alles? Warum sind Cafés und Restaurants nur bis 18 Uhr offen? Ja, warum eigentlich?

Italiens Notaufnahmen und Intensivstationen haben ihr absolutes Limit erreicht. In vielen Städten, darunter Bergamo, wo ich unter anderem gelebt habe, müssen sich Ärzte entscheiden, WEN sie behandeln, da es nicht genug Kapazitäten gibt. Es sind Zustände wie im Krieg. Die Ärzte und Krankenschwestern, die eh schon am Ende sind, müssen über Leben und Tod entscheiden. Nun hat man sich in Italien folgendes überlegt. Alle werden dazu angehalten 14 Tage nicht aus dem Haus zu gehen. Warum? Nicht, weil Corona so unglaublich tödlich für die gesamte Bevölkerung ist. Aber es ist lebensgefährlich bzw. tödlich für einen Teil der Bevölkerung: Hauptsächlich ältere Mitmenschen und Menschen mit Vorerkrankungen. Folglich gibt es diese Ausgangssperre um den Virus nicht an diese Bevölkerungsgruppe zu übertragen, die dann gezwungen wären auf der Intensivstation behandelt zu werden. Je weniger Kontakt man hat, desto besser.

Um es zu veranschaulichen, möchte ich ein kleines Rechenbeispiel aufzeigen:

Es gibt ca. 60 Millionen Italiener. Sollten nur 0,5 % auf der Intensivstation behandelt werden, wären das 300.000 Italiener. Nun gehen wir aber gleichzeitig davon aus, dass sich Ärzte und Krankenschwestern NICHT infizieren und zwar gar keiner. Kein einziger. Selbst dann würden die Plätze nicht reichen. Es gibt etwas mehr als 5000 Intensivbetten, die betreut werden können. Der Großteil ist in den kritischen Regionen: 900 in der Lombardei, 700 in Venetien und 400 in der Emilia Romagna. Das wiederum heißt, dass es nur 5000 Corona infizierte in ganz Italien geben darf, die auf der Intensivstation behandelt werden müssten. Und hierbei gehen wir davon aus, dass NIEMAND anderes dort sein darf: Kein plötzlicher Notfall, kein Autounfall, nichts und niemand. Um das prozentual darzustellen, würde das bedeuten: weniger als 0,01 Prozent der Italiener dürfte erkranken, wenn niemand anderes an etwas anderem erkrankt wäre und ebenfalls auf die Intensivstation müsste.

[Quelle der Intensivbetten und der Verteilung in Italien: sky tg 24 – Quelle Einwohnerzahl Italien: de.statista.com]

Zum Vergleich: In Deutschland haben wir 28000 Intensivbetten [Quelle: dkgev.de] und ca. 81,5 Millionen Einwohner. Das sind demnach 0,035 % die so schwer erkranken dürften, dass sie auf der Intensivstation behandelt werden müssen. Vorausgesetzt es gibt nur Corona Patienten und KEIN ANDERER in Deutschland braucht eine Betreuung auf der Intensivstation.

Es geht nicht darum, den Virus auszurotten. Es geht nur darum, den Ansteckungsprozess zu verlangsamen. Es gibt keine Versammlungen mehr, Reisen werden nur aus dringenden Gründen genehmigt (medizinischer/familiärer Notfall) etc.. Stars und Sternchen rufen dazu auf, daheim zu bleiben. Gestern war der Kontakt zwischen zwei Personen noch auf einen Meter vorgeschrieben. Heute sind wir bei 4,5 Meter.

Restaurants und Cafés haben keinen Ausschank mehr an der Bar. Der schnelle caffé zwischendurch fällt weg. Es wird bedient – an Tischen. Wenn sicher gestellt wird, dass zwischen den Gästen ein Abstand von einem Meter eingehalten wird.

Die Italiener nehmen zum Schutz der Einwohner die Erkrankungen ernst und wenn man mich nach meiner Meinung fragt, ist das absolut richtig. Natürlich werden wir nicht alle an diesem Virus sterben. Es werden nur sehr wenige sterben im Vergleich zur Gesamtbevölkerungszahl, ABER „sehr wenige“ sind bei 0,5 % der Italiener auch schon 300.000 Einwohner. Und das sind 300.000 zu viel.

In Deutschland liest man oft von „Panik mache“ und während wir noch diskutieren, ob Sportfans wirklich an dem Virus erkranken können (Bundesligaspiele – ja oder nein?), nehmen andere die Lage ernst.

Warum die Anzahl der Corona Infizierten in Italien so hoch ist?

Weil jeder und zwar wirklich JEDER getestet wird, der einen Verdacht hat.

Wie schaut’s damit in Deutschland aus?

Hier möchte ich ein Beispiel nennen. Mein Kollege wurde nach 14 Tagen informiert, dass auf seinem Dienstflug nach New York ein Corona infizierter Passagier in der Economy Class saß. Man möchte ihn informieren, dass er nun 14 Tage außer Dienst gestellt wird. Möchte er sich testen lassen, so kann er dies gerne tun. In besagten 14 Tagen, die zwischen seinem Flug und der Benachrichtigung seitens des Arbeitgebers vergingen, hatte er 2 Langstreckenflüge mit jeweils ca. 350 Passagieren und eine Kurzstreckentour mit 10 Flügen in Europa zu jeweils 150-200 Passagieren. Dazu kommt die Anzahl an Crewmitgliedern und die Anzahl der Personen, die er im Layover getroffen hat. Dazu Familie, Freunde und Bekannte, Caterer, Crewbusfahrer, Rampagenten,….

Wie dem auch sei: Bleibt mir gesund – passt auf euch auf – benutzt Seife (und wascht die Hände mindestens ein „Happy Birthday“-Lied lang – verzichtet auf Reisen und achtet auf euch!