Heute habe auch ich einen Artikel über das aktuellste Thema geschrieben. Aber dieser braucht eine Bühne. Und die hätte er in diesen Tagen nicht. Ich publiziere ihn dennoch zeitnah, versprochen.
Kennen Sie Tage, an denen Sie resigniert die Nachrichten-Apps schließen? Soziale Netzwerke ignorieren Sie und Sie hadern vielleicht an der Entscheidung, jemals ein Kind in diese Welt gesetzt zu haben?
Heute ist so ein Tag. All die Nachrichten, der Hass zwischen den Ethnien, die Politik, die sich die Schuld hin- und herschiebt, die Gewalt, die Brutalität. Heute halte ich Sie nicht aus. Nicht weil ich die Augen davor verschließen möchte, sondern weil es mich betroffen macht, dass wir so mit uns umgehen, aufgrund der Pigmentierung der Haut. Würde ein Hund mit einem rötlichen Fell jemals einen Hund mit einem braunen Fell so behandeln? Ein blödes Beispiel, entschuldigen Sie. Aber ich denke an die Tierwelt. Würde eine Gruppe grüner Meeresschildkröten eine Suppenschildkröte benachteiligen? Ach, Sie sehen, heute bringe ich nichts zustande.
Deswegen möchte ich heute über ein lapidares Thema reden. Über meine fünf Glücksmomente des Tages:
Ich bin heute neben meinem Sohn aufgewacht, der zur frühen Stunde schon sehr viel zu erzahlen hatte. Also brabbelte er und seine kleine Hand versuchte mich zu wecken. Mein Gesicht neben seinem wurde eifrig (und gewaltsam) betastet. Er entdeckte Ohr- und Nasenlöcher und wollte diese um 5 Uhr morgens testen. Ich bevorzugte ihm eine Milch zu machen und er war von meinem Angebot begeistert. So begeistert, dass er beim anschließenden Windelnwechseln gleich wieder einschlief. Bis 9:30 Uhr.
Der Römer brachte heute Früchte vom Lieblingsfruchthändler mit. Die süßesten Erdbeeren, die knackigsten Bergpfirsiche, die prallsten Kirschen. Der Sommer bringt die tollsten Früchte hervor.
Wir spazierten heute Abend am Main entlang, wie fast jeden Abend. Signorino in der Trage, der immer einen Arm raushängen lassen muss beim Fahren Getragen werden. Der Römer noch leicht hinkend, weil er doch keine 20 mehr ist und sich einen Muskelfaserriss zugezogen hat. So bummelten wir am Main entlang, die Sonne stand schon tief und es war sehr angenehm warm. Der Sommer ist fantastisch.
Heute Morgen ist des Römers Neffenkind (also das Kind seines Neffen) geboren. Ein wunderschöner Bub, der der neue Spielgefährte von Signorino wird. Wir sind sehr glücklich, dass es Mama und Baby gut geht und das ein kleiner, neuer Erdenbürger diese Welt bevölkert. Sobald man reisen kann, sind wir nach Albanien unterwegs. Denn niemand dort kennt Signorino. Oma und Opa können es kaum noch erwarten und heulen via Videotelefonie meist Rotz und Wasser, dass ihr „zemra“ (Herz) so weit wegwohnt.
Das mag jetzt etwas ungewöhnlich klingen, aber ich bin dankbar, dass Frau Dr. Merkel, eine Wissenschaftlerin, unsere Bundeskanzlerin ist. Gerade im Vergleich zu anderen Ländern beruhigt es mich ungemein, dass sie keine Testosteron gesteuerte Person mit einem mühsam erworbenen Bachelor in Wirtschaft ist.
„Ach, macht’s doch allein!“ möchte ich meinen Familienmitgliedern zurufen. „Macht’s doch einfach allein. Dann spar ich mir die Zeit, den Schweiß und das tiefe Einatmen.“
Mein Papa möchte seinen 70. Geburtstag feiern. Nächstes Jahr. An Pfingsten. Weil er ein Frühsommerkind ist und weil Pfingsten gut passt. Die Wiesen blühen im Voralpenländischen und der hübsche Löwenzahn, seine Lieblingsblume, schmückt diese fast schon verschwenderisch-prachtvoll.
Doch bis wir meine Mutter soweit hatten, dass sie zustimmte, an diesem speziellen Tag in die Pension Baumgartner zu fahren, vergingen Wochen. Oder Monate. So genau erinnere ich mich nicht mehr. Meine Mutter wollte uns den Aufwand nicht zumuten 400km durch Deutschland zu fahren. „Der Pfingstverkehr! Alle fahren’s da.“ war ihr Argument. „Aber Mama, wo ist denn der Unterschied? Ob wir nun 350km zu euch oder 400km zu eurer Lieblingspension fahren? Wir sitzen ja dann eh schon im Auto.“
Irgendwann packte ich das Totschlag-Argumente jeder bayerischen Hausfrau aus: „Aber Mama, schau doch mal: Wir fahren alle in die kleine Frühstückspension, die sich Papa wünscht. Und du hast keine Arbeit. Es muss kein Kuchen gebacken werden, die Gästezimmer in eurem Haus müssen nicht geputzt und vorbereitet werden und du kannst dich einfach auf den Balkon mit dem Blick auf den Wendelstein verziehen, wenn’s zu viel wird.“ Sie blinzelte zweimal. Das machte sie immer, wenn sich die Idee in ihren Kopf frisst. So als ob die Augen versuchen würden, die Idee noch schnell wegzuwischen bevor sie sich zu tief eingräbt.
„Hm…joa! Okay, Mausi ( so werde ich nach fast 30 Jahren immer noch gennant), dann mach ma des so!“ sagt sie. „Aber wer kümmert sich dann um die Buchungen? Wer organisiert alles? Ich mag einfach koan Stress mehr ham!“ Turtle guckt mich an. Und ich guck Turtle an. „Wir beide machen das.“ antworten wir unisono. „Ah ja, gut. Dann macht’s ihr zwei des!“
Papa grinst zufrieden am Tisch. Und mir hätte das Grinsen vergehen sollen. Das ahnte ich aber damals noch nicht.
Ich fragte erst einmal alle Geschwister, ob sie Zeit hätten. „Ganz modern – via Smartphone.“ wie der Papa sagt. Innerhalb von 15 Minuten hatte ich alle zusagen und machte mich ans Werk. Ich schrieb der Pension Baumgartner eine Email. Mühsam gliederte ich die verschiedenen Familienzusammensetzungen und Zimmerwünsche auf. Ein Doppelzimmer – aber mit Zustellbett – für meinen Bruder + Anhang. Ein Einzelzimmer, aber möglichst nicht bei den Zimmer mit den Kindern. Turtle schläft gern aus. Ein Doppelzimmer (Nr. 37! Unbedingt!) für unsere Eltern. Wegen dem schönen Wendelsteinblick. Ein Babybett für den Bambino.
Sehr nett antwortete mir Frau Baumgartner. Aber sie ging nicht auf eine einzige meiner Fragen ein. Sie schrieb nur: „Wir haben genug Zimmer für alle. Kein Problem. Und ganz neu: Unsere Premium Zimmer in der oberen Etage. Die san herrlich, weil die a kloane Couch drin haben.“
„Danke, liebe Frau Baumgartner, aber ich müsste die Zimmer so und so und so reservieren. Was können Sie uns denn vorschlagen?“ fragte ich die nette Dame. Prompt kam eine Antwort zurück. „Ah, mit dem Babybett, des wird eng in den normalen Zimmer. Da müsst ma die Bergblickzimmer reservieren.“
Währendessen stand ich mit meinem Vater im ständigen Kontakt. Noch ist seine Demenzerkrankung noch nicht so ausgeprägt, dass er nicht mehr reise- oder zurechnungsfähig ist. Aber man merkt trotzdem, dass es nicht mehr so einfach ist wie früher. „Buch halt einfach irgendwas! Aber für uns die Nr. 37. Oder Nr. 38. Die haben doch den schönen Wendelsteinblick. Und des gfällt da Mama so gut!“
Frau Baumgartner schlug mir unterdessen vor, dass „mir zwei beide“ besser telefonieren. „Sie kennen ja unser Haus gar net. Des muss ich erklären.“ Ich rief sie also an. Sie erklärte mir die Möglichkeiten und die dazugehörigen Zimmernummern. „Mir san ja a ganz kleines Haus. A Familienpension. Deswegen erklär ich Ihnen des. Damit Sie sich des besser vorstellen können.“ Am Schluss einigten wir uns auf die neu renovierten Zimmer in der obersten Etage – alle mit Wendelsteinblick. Ich rief meinen Vater an und informierte ihn, dass es nicht Nr. 37 oder 38 wird, sondern was besseres. „Aha.“ sagte er kurz und knapp. „Ja, gut. Danke. Auf Wiederhören!“ So beendet er mittlerweile all seine Gespräche – egal ob mit der Familie oder nicht. „Ihnen auch – Auf Wiederhören.“ gab ich zurück und musste grinsen. Fünf Minuten später rief er noch einmal an.
„Also, nächstes Mal buch ich’s lieber selber. Nr. 37 oder 38 wär mir lieber. Aber gut, jetzt ist’s schon so.“ lamentiert er sich. Noch so ein Nebeneffekt der Demenz. Das Beste interessiert ihn nicht. Er will nur noch das, was er bereits kennt. Das vergesse ich leider manchmal. „Nach sieben Emails mit Frau Baumgartner und zwei Telefonaten würde ich ungern was ändern. Aber du kennst sie ja gut. Ihr seid ja Stammgäste. Sag ihr doch, dass du lieber in die Nr. 37 oder 38 willst.“ versuche ich zu beschwichtigen. „Naaaa! Des basst jetzt scho. Aber nächstes Mal würd ich’s lieber selber buchen.“ nörgelt er weiter. „Ja, Papa, nächstes Mal machst du’s einfach selber.“ gebe ich auf. „Danke. Auf Wiederhören!“ verabschiedet er sich.
Weitere fünf Minuten später ruft meine Mama an: „Mausi, gut hast des gmacht. Lass dir da nix einreden. Des ist die Krankheit. Des is net dei Papa. Ich bin gern in den Premiumzimmern. Da schlaft ma viel bequemer.“ versucht meine Mama mich aufzumuntern. „Danke, Mama. Ich habe mich wirklich angestrengt es allen Recht zu machen.“ sage ich geknickt. „Ich weiß, Mausi. Und ich bin sehr stolz auf dich. Da Papa mag halt keine neuen Zimmer, weil er sich an den alten Sachen festklammert. Des gibt ihm Sicherheit, wenn sein Kopf ihm schon ab und zu Streiche spielt. Lass dich net so runterziehen.“ Das Gespräch mit meiner Mama hat den selben Effekt wie eine heiße Tasse Kakao und Pfannkuchen mit Aprikosenmarmelade an einem verschneiten, grauen Tag. Danach geht’s mir wieder gut.
Ich mag nicht mehr. Sollen sie doch nächstes Mal alles selber buchen. Aber ohne mich.