Übersetzen? Kann ich!

Das vorletzte Wochenende war seltsam entspannend. Beinahe entspannender als der Urlaub, wenn Sie mich fragen. Hingegen war das vergangene Wochenende angespannt, anstrengend, nervig, was alleine an meinem Drang liegt, auf jeder Hochzeit gleichzeitig tanzen zu wollen.

Alles begann am letzten Mittwoch, als mich ein mir bekanntes Marktforschungsinstitut kontaktierte. Bereits in der Vergangenheit habe ich für dieses in unregelmäßigen Abständen gearbeitet. Joachim, der dort arbeitet, fragte per E-Mail, ob ich denn zufällig Zeit hätte zwischen einem und fünfzehn Interviews vom Italienischen ins Deutsche zu übersetzen. Ich solle ihn am besten telefonisch kontaktieren. Tatsächlich hatte ich Zeit und fand die Idee verlockend, ein paar extra Taler zu verdienen. So rief ich Joachim an und wir besprachen die Details. Wie viele eineinhalbstündige, auf Italienisch geführte und von mir sinngemäß auf Deutsch übersetzte Interviews ich in einen eigens dafür konzipierten Fragebogen eintragen könne, wollte er von mir wissen. „Ein bis zwei vielleicht?“, war meine zaghafte Antwort, die Joachim nicht gerade glücklich machte. „Guck, ich habe hier 15 Interviews und spreche kein Wort Italienisch. Wären denn vielleicht drei Interviews möglich?“, wollte Joachim von mir wissen und klang dabei gelinde gesagt etwas verzweifelt. Ich dachte kurz über das Arbeitspensum meines Haupterwerbs. „Wird schon irgendwie gehen.“, dachte ich und sagte kurzerhand zu. Er war zufrieden und schickte mir eine E-Mail mit weiteren Details, Passwörtern und Links, wobei er nicht unerwähnt ließ, dass er sich auch über ein viertes, von mir bearbeitetes Interview freuen würde. Zwei Tage später, am Freitagabend, würden die ersten Interviews, die in Mailand stattfänden, online abrufbar sein, stand im Schlusssatz der E-Mail. Ich schielte auf meinen Terminkalender und hakte das freie Wochenende ab.

Freitag, 21 Uhr. Joachim schrieb eine E-Mail, dass der Startschuss gefallen sei. Blöderweise zeigte Signorino keinerlei Verständnis für den gefallenen Startschuss und weigerte sich vehement ins Bett gebracht zu werden. Auch Papa, der ihn ins Bett bringen sollte, wurde zwar als notwendiges Übel betrachtet, war jedoch keine Alternative zu mir, seiner Mutter. Gerne dürfe Papa im Kinderzimmer als hübsches Beiwerk bleiben, jedoch gebührte nur mir die Hauptrolle der Einschlafbegleitung. Da Signorino bei meiner Abwesenheit wie am Spieß schrie und sich nicht mehr beruhigen ließ, konnte ich weder das Interview anhören, noch mich konzentrieren. So blieb mir nur übrig, mich nervös neben den Ableger zu legen und die Sekunden zu zählen. Mir rann die Zeit sprichwörtlich durch die Finger, denn ich wollte endlich anfangen zu arbeiten. Nicht, weil ich mir nichts schöneres für einen Freitagabend vorstellen konnte als zu übersetzen, nein, vielmehr, weil mir schwante, mich restlos übernommen zu haben. Ein erster Überblick über das zu bewältigende Arbeitspensum sollte mir Ruhe verschaffen, dachte ich.

Freitag, 22 Uhr. Signorino ist endlich eingeschlafen. Ich startete den Laptop, machte mich mit dem Material vertraut und fühlte mich als würde ich alleine im offenen, tiefschwarzen Meer paddeln. „Ja, keine Ahnung.“, murmelte ich immerzu als ich das Material durchlas. Dann hörte ich mir den Anfang der ersten, italienischen Tonaufnahme an. Ein Mailänder näselte sich durchs Interview, das ein, der Stimme nach, älterer Herr mit ihm führte. Der Mailänder war mir unsympathisch, der Interviewer dagegen sehr sympathisch. Aber darum ging es in meiner Arbeit nicht, denn meine einzige Aufgabe bestand darin, die wichtigen Details aus dem Meer an Informationen herauszufischen und auf Deutsch in die richtige Spalte zu schreiben.

Recht schnell verstand ich, dass die beiden in einem Auto-Showroom irgendwo in Mailand standen und herausgefunden werden sollte, wie das Auto des Typus XY vom Mailänder bewertet wurde.

Verstehen Sie mich richtig, meine Italienischkenntnisse kann man als durchaus solide bezeichnen. Dabei sind meine Sprachkenntnisse vermutlich von der eher ruppigeren Sorte, denn schließlich perfektionierte ich mein Italienisch mit dem Römer und das römische Italienisch kann man durchaus als unflätig bezeichnen. Dabei reichen meine Sprachkenntnisse aus, um das tägliche Leben mit meinem Mann zu bestreiten, wobei ich mittlerweile dazu übergangen bin, Italo-Germanisch zu reden. Dabei vermischen sich deutsche und italienische Wörter zu einem einzigen Sprachbrei, der zumindest für uns Sinn ergibt. Ja, ich würde mich soweit aus dem Fenster lehnen, um zu behaupten, dass ich meinen Mann meistens verstehe – und er mich auch.

Doch leider ging es in diesem Interview mit dem näselnden Mailänder nicht darum, ein Alltagsgespräch zu verstehen. Vielmehr wollte eine Automarke Infos darüber haben, wie ihr neuer Prototyp denn nun bei der Zielgruppe ankäme und ich sollte das Bindeglied in der Kette aus Verbraucher und Hersteller sein, das die Information aufbereitet. Sehr zu meinem Missfallen ist mein italienisches Auto-Vokabular so gut wie nicht vorhanden, was mir bereits nach einigen, wenigen Sätzen zwischen dem Mailänder und dem Interviewenden auffiel.

Blöderweise fiel mir dabei auch noch ein in der Vergangenheit liegendes Streitgespräch zwischen dem Römer und mir ein. Wir saßen dabei im Auto, ich fuhr und der Gatte erklärte mir irgendetwas am Auto – und das im dichten Straßenverkehr Frankfurts und auf Italienisch. Da ich ihn absolut nicht verstand und mir sein immer eindringlicher werdendes, italienisches Autovokabular gewaltig auf die Nerven ging, war ich froh unsere Einfahrt hochzurollen. Dort beendete ich unser Gespräch mit einem hitzigen „Es heißt in Frankfurt nicht ‚volante‘, sondern Lenkrad.“. Daraufhin stieg der Römer wutentbrannt aus, knallte mit der Autotür des gerade eben abgestellten Autos und stiefelte fuchsteufelswild in die Wohnung. Alleine diese Szene zeigt doch sehr eindrucksvoll, dass ich in keinster Weise daran interessiert war, mein italienisches Vokabular um die Kategorie „Auto und seine Bestandteile“ zu erweitern. Doch der Teufel ist ein Eichhörnchen.

Ja, diesmal hatte ich keine Wahl und verzweifelte in den ersten Minuten. Unangenehm berührt trabte ich zum Römer. Ob er mir helfen könne, wollte ich wissen. Er guckte mich mit seinen stahlblauen Augen an. „Es geht um italienische Autoteile und davon verstehe ich nichts.“ Er verschränkte seine Arme und grinste diabolisch. Auch er schien sich an den Auto-Streit erinnern zu können. „Ich habe es dir immer gesagt, dass es besser ist, die italienischen Begriffe zumindest verstehen zu können. Aber du hast dich damals mit Händen und Füßen gewehrt. Also, ich für meinen Teil kenne die Teile mittlerweile auf beiden Sprachen. Aber sag, wie heißt nochmal „Lenkrad“ auf Italienisch?“

1:0 für den Römer.

Doch ich holte auf. „Volante.“, antwortete ich nüchtern.

1:1. Ausgleich.

„Ah, dann weißt du ja schon alles. Wozu brauchst du dann meine Hilfe?“, wollte der Römer süffisant grinsend von mir wissen.

2:1 für den Römer.

Ich schwieg. Solange, bis er ein Einsehen hatte und mit mir zum Laptop ging. Gemeinsam hörten wir uns den ersten Teil des italienischen Marktforschungsinterviews an. „Ma che?! [Aber was?!] Der Mailänder tut beinahe so, als wären alle deutschen Autos nüchtern und langweilig.“, kommentierte der Römer das Interview, in dem der Mailänder im Showroom auf seine Lieblingsmodelle deuten sollte. Natürlich entschied er sich für ein Italienisches. „Hm… aber warum mag er das deutsche Auto nicht? Wegen den „prese d‘aria“?“, versuchte ich den Römer aus der Reserve zu locken. „Esatto [Genau.]. Genau deswegen gefällt ihm das italienische Auto besser. Aber wenn du mich fragst, hat er überhaupt keine Ahnung von Geschmack.“, gab der Römer zurück. Ich hielt das aufgezeichnete Interview für einen Moment an: „Entschuldige, aber was sind überhaupt „prese d‘aria“?“, hakte ich beim Römer nach. „Lüftungsschlitze.“, antwortet er in lupenreinem Deutsch. Mein Gott, der Mann hatte damals wirklich recht als er mir das italienische Autovokabular aufdrücken wollte. Doch das behielt ich für mich.

Indessen mauserten wir uns durch den ersten Fragebogen bis ich beinahe mit allen Begriffen vertraut war. Als ich mich fest im Sattel meiner Übersetzertätigkeit sah, bedankte ich mich beim Römer für seine Hilfe und entließ ihn aus seinem Dienst als Chefübersetzer. „Immer gerne.“, antwortete dieser und lächelte milde. Dann drehte er sich noch einmal um und flötete: „Soweit ich mich erinnere, hast du aber auch ein Bilderwörterbuch aus deiner Zeit in Bergamo, das alle Autoteile erklärt. Damit habe ICH die deutschen Begriffe nach unserem Streit im Auto gelernt.“

3:1 für den Römer. Er hat haushoch gewonnen.

Hier ein Auszug aus einem Italienisch-Englischen Wörterbuch

Oh Mann! Grinsend setzte er sich auf die Couch und vertiefte sich in ein Buch. „Das sagst du jetzt?!“, antwortete ich vollkommen perplex, sprang auf und suchte das Buch in unserem Bücherregal. „Die Sprachen sind rechts unten.“, flötete er und amüsierte sich köstlich. „Ja, ja. Weiß ich schon.“, gab ich knapp zurück und wusste es doch nicht. Woher auch? Ich schlage meistens mithilfe einer simplen App die wenigen, noch unklaren Wörter nach. „Ah, da ist es ja.“, rief ich freudig und der Römer mahnte zur Ruhe, weil Signorino schlief und das auch so bleiben sollte. Rasch blätterte ich das bebilderte Wörterbuch auf, glitt an den Seiten mit der menschlichen Anatomie vorbei, ließ auch den Teil über Flora und Fauna, sowie die Bestandteile einer Fabrik hinter mir und fand schließlich den Sektor „Automobile“. „Ah, ‚un monovolume‘ ist also ein Family-Van und kein antikes Auto-Radio.“, stellte ich überrascht und gleichzeitig interessiert fest. Der Römer guckte mich entgeistert an. „Bist du sicher, dass du die Übersetzungen alleine machen willst?“, wollte er von mir wissen. „Na, klar. Das schaffe ich doch mit links.“, gab ich zurück und blickte in das amüsiert-schockierte, römische Antlitz. „Dai, forza! Danach schaue ich vielleicht nochmal über den Fragebogen.“, erwähnte er ganz beiläufig. „Okay!“, willigte ich ein, um kurz danach herauszufinden, dass „minigonne“ so gar nichts mit den mir bekannten Miniröcken zu tun hatten. Vielmehr handelte es sich hier um Einstiegsbleche. die unter den Autotüren angebracht werden. Ja, es ist schon wahr, was man sagt: Man lernt wirklich nie aus!

Zeit zu verschenken

Das Zeitgefühl eines jeden Menschen variiert. Wie variabel es jedoch sein kann, erfuhr ich allerdings erst mit dem Römer. „Ich bin nur schnell fünf Minuten im Bad.“ sagte der Römer und schlängelte sich an mir vorbei. Unter dem Arm eine bekannte, italienische Tageszeitung. Da hätte ich schon skeptisch werden sollen. Wurde ich aber nicht. Stattdessen dachte ich, halb zurecht gemacht im Hausflur: „Na gut. Was muss, das muss! Fünf Minuten sind fünf Minuten.“

Wie falsch ich doch damit liegen sollte. Er meinte keine deutschen fünf Minuten. Er meinte italienische fünf Minuten. Nach 15 Minuten klopfte ich. „Scusa, amore! Ma devo uscire. [Entschuldige, Liebling! Aber ich muss aus dem Haus]“ sagte ich zaghaft. „Si, si, un attimo.“ [Ja, ja, einen Moment.] kam zurück. „Ein Moment ist ein Moment. Also maximal eine Minute.“ Wie man sich nur zweimal innerhalb so kurzer Zeit täuschen kann, ist selbst mir ein Rätsel.

Nach einem weiteren Moment hörte ich ihn wie er die Zeitung umblätterte.

Besser spät als nie: Meine Skepsis war geweckt. Ich wartete drei Anstandsminuten und klopfte wieder. „Senti, [Hör mal] mit einem Moment meintest du einen italienischen Moment oder einen deutschen?“ fragte ich ihn mittlerweile leicht knurrend.

„Die Definition von Moment ist doch überall gleich.“ antwortete er gelangweilt und blätterte anscheinend wieder um.

„Ein Moment inkludiert im Deutschen nicht das 20-minütige Zeitung lesen im Bad während ich in fünf (!) echten, deutschen Minuten aus dem Haus muss. Ein Moment„, fuhr ich weiter fort, „ist ein kurzer Augenblick. Eine geringe Zeitspanne. Die Zeit, die es braucht, die Aktion, die du gerade ausführst, zu Ende zu bringen und dich dann den angeforderten Belangen zu widmen.“ erklärte ich ihm ausführlich.

„Si, sto per finire.“ [Ja, ich bin gerade dabei fertig zu werden] meckerte er und man hörte wie er die Zeitung beiseite legte.

Ich seufzte und setzte mich ins Wohnzimmer. Ich schrieb dem Anderen: „Es tut mir Leid, es wird etwas später. Rechne mit 10-15 Minuten. Die italienische Zeitangabe geht nicht einher mit meiner deutschen.“

Nach weiteren fünf Minuten kommt der Römer gut gelaunt aus dem Bad. „Also, ich weiß gar nicht, was du hast? Du stehst ja wirklich mit der Stechuhr vor der Tür und achtest haarklein darauf, dass es fünf Minuten sind. Fünf Minuten e‘ solo un detto. [Fünf Minuten sagt man doch nur so] Genau wie „einen Moment, bitte“. Das ist doch nur eine Floskel für „es kann noch dauern„.“

„Im Deutschen nicht!“ setzte ich ihm entgegen, mittlerweile im Bad angekommen und mich zu Ende schminkend. „Siete troppo precisi!“ [Ihr seid viel zu genau], gab der Römer zurück, „Deswegen seid ihr auch so angespannt. Zeit ist doch etwas fließendes, flexibles. Man darf sich auch überhaupt nicht ärgern, wenn jemand zu spät kommt. Er hat sicher seine Gründe. Du setzt dich einfach in ein Café und genießt das Vogelgezwitscher und die Sonne während du wartest. Du hast sozusagen, wartend, einen Moment Zeit geschenkt bekommen, nur für dich, ganz unerwartet. Ist doch toll?“

„So habe ich das noch nie gesehen.“ antwortete ich verdutzt. „Siehst du! Und jetzt hast du einen Moment Zeit geschenkt bekommen von mir und der Andere hat einen Moment Zeit geschenkt bekommen von dir.“ erklärte der Römer.

Mittlerweile fertig zurecht gemacht, nahm ich meine Tasche, zog meine Schuhe an und entgegnete: „Und jetzt bekommst du einen Moment Zeit geschenkt von mir. Nur du und der Abwasch. Genieß es, amore mio. A dopo! [Bis später]“

Zurück ließ ich einen verdutzten Römer. Zeit zu verschenken klappt gamz hervorragend.

Etwas Zeit in Vancouver – an der Dampfuhr.

Der Römer im Krankenhaus

Eigentlich wollte ich heute fröhlich-leichtfüßig über das Kennenlernen mit Rosi, meiner e’bammà, berichten. Aber da kam das Leben dazwischen.

Der Römer hat seit mindestens 20 Jahren „Galle“. Viele, kleine Gallensteine, die sich mal mehr, oftmals auch weniger durch den Gallengang arbeiten oder auch dort stecken bleiben. Im Januar mussten wir in einer Nacht und Nebelaktion ins Krankenhaus, da ein knusprig zubereitetes Wiener Schnitzel (zu unserem Hochzeitstag) sein Tribut forderte. Nachts um 2 Uhr hielt er die Schmerzen nicht mehr aus. Aber erst als er nicht mehr vor Schmerzen stehen konnte, durfte ich il signore ins Krankenhaus bringen. Davor hieß es mit schmerzerfülltem Gesicht: „Non è nulla di serio.“ [Es ist nichts ernstes]

Aus dem „nulla di serio“ [nichts ernstes] wurde fünf Tage stationärer Aufenthalt im Krankenhaus. Man schickte eine Sonde in seinen Magen und von da weiter zur Gallenblase, die mal eben alles putzte und polierte. Daraufhin war der Römer ganz überrascht, dass er sich so gut fühlte wie nie. Er hatte keinerlei Schmerzen mehr. Kurzum: Es ging ihm blendend. So blendend wie das letzte Mal vor 20 Jahren laut seiner Aussage. Nach besagten fünf Tagen durfte er nach Hause. Natürlich nicht ohne die mahnenden Worte des Chefarztes, er solle baldmöglichst einen Termin zur Gallenblasenentfernung ausmachen. „Ja, ja!“ sagte der Römer und winkte fröhlich beim Heimgehen.

Monatelang passierte nichts. Er ignorierte die mahnenden Worte des Chefarztes und lebte fröhlich vor sich hin. Bis ihm eine Pizza Quattro Formaggi einen Strich durch die Rechnung machte. Wer hätte auch ahnen können, dass soviel fettiger Käse auf so wenig Teig Probleme hervorrufen würde? Der Römer schon mal nicht.

Er schlief nächtelang nicht durch, hatte starke Schmerzen, die er mit seiner Geheimwaffe „Schmerzmittel 600“ zu bekämpfen versuchte und als das nichts brachte, flog er zu seinem guten Freund Lorenzo nach Rom. Lorenzo ist Allgemeinarzt und verschrieb ihm Antibiotika. „Das sollte erst einmal reichen. Damit hältst du sicher wochenlang durch.“ gab er dem Römer mit auf den Weg. Wochenlang war es nicht. Es waren drei Tage. Aber der Römer wollte partout nicht in Deutschland zum Arzt, geschweige denn ins Krankenhaus. Er wusste sehr genau was ihm da drohte: Eine Standpauke und eine Reinigung des Gallenblasengangs.

In der Zwischenzeit, unter Schmerzen, machte er einen Termin im Krankenhaus aus. Betreff: Entfernung der Gallenblase. Er bekam drei Termine: einen zur Vorbesprechung, zwei Tage später sollte über die Anästhesie gesprochen werden und schlussendlich die Entfernung.

Termin Nummer eins nahmen wir heute wahr. Ich ging von einer halben bis maximal einer Stunde aus. Doch aus einem harmlosen Sprechstundentermin sollten fünf Stunden Klinikaufenthalt für mich als Begleitung und ein sofortiger, stationärer Aufenthalt für den Römer werden.

Denn dem Chefarzt gefiel ganz und gar nicht, was er da bei der Sprechstunde sah: gelbe Augen, komische Anzeichen im Ultraschall, Schmerzen auf Höhe der Gallenblase.

„Gehen Sie mal zu meinem Kollegen in die Ambulanz. Der nimmt Ihnen Blut ab und macht noch einmal einen Ultraschall.“ sagte er sehr freundlich. „Im schlimmsten Fall muss ich Sie stationär aufnehmen. Und zwar heute.“

Wir trotteten zur Ambulanz. Sofort kamen wir dran. Es wurde Blut abgenommen, es wurde noch einmal alles genau im Ultraschall angeschaut und dann durften wir im Wartezimmer Platz nehmen. Nicht etwa für 30 Minuten. Nein, wir nahmen dort für zweieinhalb Stunden Platz.

[Kurzer Exkurs: Der Römer und ich sind beide keine großen Frühstücker. 3-4 Kekse, Kaffee, Tee. Fertig. Wozu gibt es Snacks? Da ich davon ausging, dass der Termin maximal ein Stündchen dauerte und wir danach in das italienische Café zum zweiten Frühstück gehen würden, sorgte ich natürlich nicht vor. Was sich rächen sollte!]

Ich wurde immer hungriger und meine Laune verschlechterte sich sekündlich. Missmutig ging ich zum Snackautomaten und kaufte mir zwei Schokoriegel. Die machten mich aber nicht gerade glücklich, geschweige denn satt.

Bevor ich schwanger wurde, konnte ich über Stunden nichts essen. Das war kein Problem. Durch meinen Beruf war ich es gewohnt, nicht immer dann essen zu können, wann ich das wollte. Ich gönnte mir ein Glas Fruchtsaft und dann stürzte ich mich wieder ins Getümmel. Das geht nun aber nicht mehr. Ich habe ständig Heißhunger. Eine Kleinigkeit genügt dann, besonders gerne frische Früchte oder Müsliriegel oder aber Gurke (das ist neu). Nicht aber Schokoriegel. Die mag ich nun wirklich nicht mehr.

Der Römer ist so wie ich in schwanger. Er muss regelmäßig was essen, sonst kippt seine Stimmung. So saßen wir also da, wartend, uns angiftend und es ging nichts voran. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus zwischen all den hustenden und kränkelnden Personen, dass ich JETZT!! SOFORT!! an die frische Luft musste. Der Römer folgte mir brav.

„Ich möchte heim!“ maulte ich. „Ich hab‘ Hunger, mir ist schwindelig, mir ist schlecht, ich will nicht mehr sitzen UND ich bin schwanger!!!“ Ich wurde immer motziger. „Aber ich brauche dich. Du musst doch das übersetzen, was ich nicht verstehe.“ quängelte der Römer. Ich schnaubte. „Gut, dann knöpf ich mir jetzt einen Arzt vor. Ich warte doch nicht zweieinhalb Stunden auf die Blutergebnisse.“ meckerte ich weiter.

Als ich mir gerade jemanden im weißen Kittel vorknöpfen wollte (die Hormone!), kam der junge Assistenzarzt auf uns zu: „Sooooooo…. also: Herr Römer bleibt nun erst einmal bei uns – er wird stationär aufgenommen. Und wir müssten Sie noch von einem Facharzt untersuchen lassen. Diesmal von einem Internisten.“ teilte uns der junge Arzt mit ruhiger Stimme mit. Dem Römer entgleisten die Gesichtszüge. Ich rechnete schon damit. „Wunderbaaaar.“ sagte ich, „Brauchen Sie mich dann noch? Oder das kriegen Sie ganz gut alleine hin?“ fragte ich. „Ich glaube nicht. Wir kriegen das doch ganz gut alleine hin.“ gab der Arzt zurück. Der Römer war immer noch perplex. „Wenn was ist, meine Telefonnummer ist in seiner Krankenakte hinterlegt.“ flötete ich, endlich meine Freiheit und besonders mein Mittagessen witternd. „Scusa, amore. [Entschuldigung, Schatz] Normalerweise lasse ich dich nicht alleine. Aber mir ist schlecht und schwindelig und ich sterbe vor Hunger. Seit fünf Stunden sind wir hier. Ich bringe dir nachher den Koffer mit allen Sachen.“ erklärte ich dem Römer und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Si…si…ok… a dopo.“ [Ja…ja…ok…bis später] gab der Römer perplex zurück und wurde in ein Behandlungszimmer abgeführt.

Fünf Stunden, ein Teller Nudeln mit Pesto, zwei Bananen und einen Kamillentee später, packte ich den Koffer des Römers. Minütlich kamen neue Nachrichten bei mir an. Denk an meine Hausschuhe! und Bitte bring mir meinen Laptop mit. Lade vielleicht ein, zwei Filme vorher runter sowie Vielleicht könntest du auch was kochen. Ich mag das Krankenhausessen nicht. waren nur einige Beispiele seiner Anweisungen. Ich tat mein bestes, vergaß das ein oder andere absichtlich oder unabsichtlich (bei seiner Bestellung fehlten nur noch Vorhänge und bequeme Couchkissen, dass er sich mehr als häuslich einrichten konnte) und besuchte ihn im Krankenhaus.

Das erste Bild aus dem Krankenhaus

Umgeben von einem Sizilianer und einem Deutschen, alle im selben Alter, fühlte es sich an, als wäre ich in die Kneipe ums Ecke geraten. Ausgelassene Stimmung, lautes Gelächter, er fühlte sich anscheinend sehr wohl. Na, hier konnte ich ihn ja beruhigt lassen. Nach einer viertel Stunde verabschiedete ich mich und ging in meinen „wohlverdienten Feierabend“.