Die Albanienchroniken – Teil 1: Packen Sie langsam, ich habe es furchtbar eilig!*

Die Albanienchroniken – Teil 1: Packen Sie langsam, ich habe es furchtbar eilig!*

„Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen.“ behauptete einst der Dichter Matthias Claudius. Ob er dabei speziell mich meinte, halte ich zwar für ganz ausgeschlossen, denn der gute Mann starb bereits im Jahre 1815, aber genug zu erzählen habe ich trotzdem. Erst wollte ich einen mittellangen Beitrag über unsere Reise nach Albanien inmitten einer Pandemie schreiben. Was sollte auch Spannendes passieren? Wir würden schließlich nur die römische Familie dort besuchen, Signorino vorstellen und wieder heimdüsen. Doch als ich nach dem mehrtägigen Ausflug durch meine Reiseaufzeichnungen blätterte, merkte ich schnell, dass ein einziger Beitrag dieser Reise definitiv nicht gerecht werden würde.

So handelt der heutige Artikel von den Vorbereitungen dieser abenteuerlichen Reise, die definitiv nicht unter die Kategorie „Urlaub“ fällt. Wer selbst eine nicht gerade unanstrengende Familie hat, der weiß nur zu gut, wie viel Erholung ein solcher Besuch bereithält. Doch ich war optimal dafür gerüstet, dachte ich. Wer die Rechnung jedoch ohne den Wirt macht, der zahlt nicht selten einen hohen Preis für seine eigene Torheit. Und wer nicht nur einen einzigen Wirt hat, sondern gleich eine ganze, albanische Wirtsfamilie, der sollte zusätzlich noch seine Nervengarderode aufstocken und einpacken. Denn das leichte Nervenkostüm wird für diesen Ausflug garantiert nicht reichen.

Wir befinden uns am Vortag der geplanten Abreise nach Tirana, der Hauptstadt Albaniens. Seit Tagen schrieb ich detailreiche Packlisten, malte mir diverse (Horror-)Szenarien und ihre notwendigen Lösungen aus und plünderte nicht nur das Versandhaus meines Vertrauens, sondern auch unser gemeinsames Konto. Ich setzte mir in den Kopf für jede, noch so unwahrscheinliche Imponderabilie bereits im Voraus gewappnet zu sein. Stundenlang suchte ich im Internet nach garantiert funktionierenden Unterhaltungsmöglichkeiten für das gelangweilte Kleinkind. Denn ganz sicher würde der erhöhte Bewegungsdrang Signorinos genau während der Start- und Landephase des Flugzeuges zum Vorschein kommen. Ich recherchierte nach geeigneten, farblosen und kleckerfreien Snacks und diversen, anderen Reiseschnickschnack, der uns das Reisen vereinfachen sollte. Strategisch war ich aufgestellt wie Friedrich der Große. Psychisch eher nicht.

Der Römer, wie sollte es anders sein, war die Ruhe selbst. Seine einzige Reisevorbereitung bestand darin, einen kurzfristigen Friseurbesuch bei seinem Stammfriseur Jimmy zu organisieren. Durch seinen unbändigen, römischen Charme, der überzeugenden Dramaturgie seines haarigen Problems und seiner penetranten Hartnäckigkeit, erkannte Jimmy schlussendlich die absolute Notwendigkeit dieses Haarschnittes. Er knickte ein und versprach, ihn am Vormittag einzuschieben. Als ich ihn um 9 Uhr morgens darauf hinwies, dass ich jetzt gerne anfangen würde zu packen, guckte mich der Römer entgeistert an:

„Adesso? Ma adesso devo andare dal parrucchiere! [Jetzt? Aber jetzt muss ich zum Friseur!]

Dann setzte er seinen Satz fort, indem er mir sein Leid und die damit verbundene Schmach schilderte: „Die Seiten müssen wieder einmal angeglichen werden. So kann ich unmöglich in ein Flugzeug steigen, geschweige denn, meiner Familie unter die Augen treten. Ich sehe schon ganz verlottert aus. Wie ein Barbar!“ Selbst bei näherer Betrachtung schien er immer noch der gleiche, gepflegte Mann zu sein, den ich vor Jahren heiratete. Und genau diese Beobachtung teilte ich mit ihm. „No, no, non lo vedi tu! [Nein, nein, das siehst du nicht!]“ argumentierte er etwas eingeschnappt. „Das ist die Gewohnheit der Ehepaare. Kleine Veränderungen fallen dir gar nicht mehr auf, weil ich zu einer Selbstverständlichkeit in deinem Leben geworden bin. Für dich habe ich den selben Stellenwert wie etwa das Sofa… oder der Kleiderschrank.“ Ich nickte schweigend. Nicht etwa, weil ich seinen Ausführungen zustimmte. Vielmehr, weil ich meine prallgefüllte To-Do-Liste vor meinem inneren Augen sah. Jeder weitere Einwand kostete uns unnötig Zeit. Jedes zustimmende Nicken hingegen ersparte uns unfassbar viele, unnötige Minuten einer sinnfreien Diskussion. Zufrieden lächelnd verabschiedete sich der Römer um 10 Uhr und machte sich auf den Weg zu Jimmy.

Um 11:20 Uhr kehrte er vom Coiffeur zurück. Die Seiten seines welligen Haares waren etwas kürzer, sonst sah er komplett unverändert aus. In der Hand hielt er eine große Tüte mit Croissants. „Für ein zweites Frühstück.“ teilte er mir zwinkernd mit. Wir hatten absolut keine Zeit dafür, denn allein dieser Friseurbesuch kostete uns mehr als eine Stunde, die in meinem durchgetakteten Zeitbudget nicht vorgesehen war. Die einzige Lösung schien mir, meine Grundsatzfrage anzuwenden: „Ist es schneller einzuwilligen und mitzumachen oder ist eine ellenlange Diskussion doch der effizientere Weg?“ Sie ahnen es: Ich entschied mich fürs Mitmachen. Blitzschnell flitzte ich in die Küche, machte zwei caffè und knallte sie in der Eile so heftig auf den Esstisch, dass sich zwei winzige, braune Espressopfützen auf dem weißen Möbelstück abzeichneten. Ich wischte sie hastig weg, setzte mich schwungvoll an den Tisch und stopfte mir ein Croissant in den Mund. Währenddessen bespaßte ich Signorino, der vehement meine Aufmerksamkeit einforderte. Zeitgleich stand der Römer vor unserem Kühlschrank und sinnierte über die geeignetste Marmelade für sein Croissant. „Oggi prendo la marmellata di… arance! [Heute nehme ich…. Orangenmarmelade!]“ einigte er sich schließlich mit sich selbst und schob ein „Mmhhh…che scelta deliziosa! [Mmhhh…was für eine köstliche Wahl!]“ hinterher. Als er wenige Augenblicke später an den Esstisch trat, befand ich mich bereits in den letzten Zügen des Croissants. Mit vollgestopften Backen nickte ich ihm zu. „Perché non mangi con calma? [Warum isst du nicht in Ruhe?] “ fragte er etwas pikiert und betrachtete abschätzig meine bis oben hin gefüllten Hamsterbacken, in denen es sich ein Croissant gemütlich machte. Mit vollem Mund antwortete ich, dass wir keine Zeit hätten. Doch er verstand nicht. Stattdessen zelebrierte er sein zweites Frühstück mit größtmöglicher Muße, strich sich mit ruhigem Messerschwung immer wieder Marmelade auf das buttrige Croissant und schloss bei jedem Bissen genussvoll die Augen. Ich holte indessen den Lappen und fing an um ihn herum zu wischen. Er ignorierte mich gekonnt, was wahrlich nicht einfach war.

Nach weiteren 20 Minuten beschloss ich, dass auch das schönste Frühstück einmal zu Ende sein müsse. „Schatz, hör mal: Wir müssen jetzt echt packen. Sonst schaffen wir das alles nicht. Die Zeiten, in denen wir nur mit Handgepäck verreisen konnten, sind seit Signorinos Geburt vorbei.“ Er nickte zustimmend, stand auf und räumte seinen Teller in die Spülmaschine. Ich begann inzwischen routiniert die Gültigkeit unserer Pässe zu kontrollieren. Diese Tätigkeit ist vermutlich meinem Beruf geschuldet. Schließlich bin ich seit Jahren darauf konditioniert, dass die Laufzeit meines Reisedokuments nicht weniger als sechs Monate betragen darf. Signorino hing mir währenddessen am Bein wie eine Fußfessel und summte Teile des Lummerlandliedes.

2027. Passt!“ Ich legte mein Ausweisdokument zur Seite. Der Römer betrat nun das Schlafzimmer, in dem Signorino und ich standen. Lachend schnappte er sich den kichernden Signorino und wirbelte ihn nach oben. „2025. Super!“ sprach ich und stapelte Signorinos Pass auf meinem. „2021?! Moment mal!!“ stotterte ich mit Blick auf das römische Ausweisdokument. „Monat? August!“ Im Kopf zählte ich bereits nach, wie viele Monate noch bis zum Ablauf des Passes fehlen würden. „Vier!!! Quattro!“ rief ich panisch aus, während all meine Alarmglocken laut schrillten. Ich hatte wirklich mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass der römische Pass nur noch wenige Monate gültig sein würde. „Amore! Rilassati! [Liebling! Entspann dich!]“ versuchte mich der Römer emotional einzufangen. Mittlerweile stand er mit Signorino im Arm direkt hinter mir und guckte sich sein Reisedokument über meine Schulter an. „Das sind doch noch ganze vier Monate. Bis dahin kann ich verreisen, wann und wohin ich will.“ klärte er mich auf. „Eben nicht!“ trat ich ihm entschieden entgegen. Ich machte ihm verständlich, dass viele Länder die Einreise verweigerten, wenn der Pass nicht noch mindestens sechs Monate gültig sei. Der Römer guckte mich an wie ein Rehbock, der fasziniert und panisch zugleich in die Scheinwerfer eines heranrasenden Autos blickte. Sofort machte ich mich daran, im Internet nach Ein- und Ausreisebestimmungen von Deutschland und Albanien zu suchen, während sich ein rastloser Redeschwall voller möglicher Horrorszenarien über den kurzzeitig völlig überforderten Römer ergoss. Auf der Richterskala meines aktuellen Stresslevels befand ich mich bereits auf einer 4 bis 5. Nach meinem Redeschwall schaltete der Römer wieder auf Autopilot und versuchte mich mit seinem Mantra „Amore, andrà tutto bene. [Schatz, es wird alles gut.]“ zu beruhigen.

Und tatsächlich! Die erlösenden Antworten standen auf den Internetauftritten der deutschen und albanischen Behörden. „…und so muss ein Ausweisdokument noch mindestens drei Monate gültig sein…“ las ich laut vor und atmete erleichtert aus. „Tel’ho detto: Andrà tutto bene. [Ich sagte doch: Alles wird gut.}“ beschwichtigte mich der Römer. Mit meinem Ärmel wischte ich mir den Schweiß von der Stirn. Puh! Ein abgelaufener Pass hätte mir gerade noch gefehlt.

Nachdem wir die Passgültigkeit geklärt hatten, wollte ich erneut den Römer zum Packen antreiben, da hing er auch schon am Telefon: „Erisa?! Pronti!!! Sono io. [Erisa?! Hallo!!! Ich bin’s.]“ hörte ich den Römer ins Telefon brüllen. Dann legte er sich mit dem Handy am linken Ohr und dem Pass in der rechten Hand auf die Couch. Ausschweifend erklärter er seiner albanisch-italienischen Freundin Erisa, die ebenfalls in Frankfurt wohnt, dass sie unbedingt auf ihre Passgültigkeit achten solle. Noch am Telefon suchte diese nach ihrem Ausweisdokument, überprüfte es in Echtzeit und gab dem Römer eine genaue Rückmeldung zur Gültigkeit. Als beide festgestellt hatten, dass Erisas Pass bereits im Juni dieses Jahres ablaufen würde, suchten sie sich gemeinsam durch das albanische Onlinesystem, in dem man Termine bei Konsulaten buchen konnte. Unter lauten Ausführungen, die teils in Albanisch, teils in Italienisch stattfanden, reservierten sie in minuziöser Kleinstarbeit nicht nur einen Konsulatstermin in München für sie, sondern auch gleich noch eine Hin- und Rückfahrkarte in selbige Stadt. Ich hingegen dachte, ich bin im falschen Film. Es war bereits 13:00 Uhr und der Römer telefonierte in aller Ruhe, als würden wir morgen einen Ausflug in den Taunus machen und keine Flugreise mit Kleinkind in einen Drittstaat. Nach weiteren 15 Minuten, in denen ich mindestens sieben Minuten lang vor ihm stand und wild mit den Armen fuchtelte, legte er auf. „Era importante. [Das war wichtig.]“ versuchte er mir verständlich zu machen. „Auch Erisas Pass läuft bald ab.“ Ich nickte, seufzte und erwähnte abermals, dass wir jetzt bitte packen müssen.

Adesso? Ma adesso abbiamo fame, amore mio. [Jetzt? Aber jetzt haben wir doch Hunger, mein Schatz.]“ entgegnete er mir sehr überzeugend.

Mein Magen knurrte zustimmend. Na gut, ein schneller Teller Pasta würde sicher nicht schaden. Der Römer kochte eine Pasta mit getrockneten Tomaten und Garnelen, die ganze Familie aß brav auf und Signorino fing sogleich nach dem Mittagessen an zu quengeln, da er müde war. Vorbildlich brachte ihn der Römer ins Bett. Während das Kind schlief, packte ich das Handgepäck mit den bereits vorbereiteten Gegenständen. Ich sortierte in die überdimensionierte Wickeltasche einen wilden Mix aus Wechselklamotten, Feuchttüchern, Windeln, Spielzeug, Wasser, Babyflaschen, Quetschies, Fruchtriegeln und Keksen ein. Als Fachkraft des Fluges verstaute ich bereits alle Flüssigkeiten so, dass ich sie an der Sicherheitskontrolle schnell zur Hand haben würde. Die restlichen Sachen verstaute ich nach ihrer jeweiligen Nützlichkeit. Unnötige Sachen nach unten, wichtige Sachen nach oben. Schließlich ist mein zweiter Vorname „Effizienz“, was in unserer Familie nicht alle von sich behaupten können. Als Signorino aufwachte und zufrieden seine Nachmittagsbrotzeit verspeiste, erwähnte ich zum wiederholten Male, dass ich jetzt gerne packen würde, was wiederum bedeutete, dass der Römer Signorino davon abhalten müsse, heulend und schreiend vor der geschlossenen Schlafzimmertür zu stehen und gegen die Tür zu hämmern. Bestenfalls hielt er ihn so in Schach, dass ich weder die Schlafzimmertür schließen müsse, noch Signorino auf die Idee käme, alle gepackten Gegenstände wieder aus dem Koffer zu zerren und in der Wohnung zu verteilen.

Adesso? [Jetzt?]“ fragte der Römer diesmal sehr überrascht. Aber die Sonne würde doch so einladend scheinen.

Ein Unding, wenn nicht sogar eine Verschwendung wäre das, genau jetzt zu packen! Wir würden ganz sicher später packen, das verspreche er mir. Doch jetzt würde er auf einen Spaziergang in der warmen Frühlingssonne bestehen müssen. Sein Vitamin D Status sei ohnehin nach all diesen trüben Monaten in einem besorgniserregenden Zustand. Zähneknirschend willigte ich ein, bestand jedoch darauf, ebenfalls meine Einkaufsliste des hiesigen Drogeriemarktes zu erledigen. „Ma certo, amore mio! Non c’è problema. [Aber sicher doch, mein Schatz! Kein Problem.]“ versicherte er mir. Wir packten Signorino in den Buggy und gingen los. Doch statt beim Drogeriemarkt die reisenotwendigen Besorgungen zu erledigen, lief der Römer schnurstracks daran vorbei. Ich rief ihn wild gestikulierend zurück. „Ma non adesso, mia principessa. [Aber doch nicht jetzt, meine Prinzessin.] Wir können doch nicht den ganzen Spaziergang lang schwere Tüten schleppen. Nach dem Spaziergang aber gerne.“ klärte er mich über seinen Plan auf. Ich schob meine Sonnenbrille, die in meinem Haar steckte, demonstrativ über die Augen. Wenn ich schon in spätestens fünf Jahren ausgeprägte Zornesfalten haben würde, dann wollte ich wenigstens auf Blinzelfalten – solange es geht -verzichten .

Wir machten einen langen Spaziergang. Der Römer konnte seinen Vitamin D Bedarf auffüllen, Signorino und ich vermutlich auch und mein Zorn verpuffte aufgrund der frischen Luft und des strahlend blauen Himmels. Auf dem Rückweg kauften wir alle fehlenden Reiseutensilien im Drogeriemarkt ein und statteten der örtlichen Apotheke einen Besuch ab, damit ich meine Reiseapotheke auffüllen konnte. Der Römer war sich zwar sicher, dass das nicht nötig sei, aber ich legte dennoch großen Wert darauf, im Notfall nicht mühsam eine Apotheke in Albanien suchen zu müssen. Als wir nach zwei Stunden Auslauf endlich daheim waren, forderte ich den Römer abermals dazu auf, auf Signorino aufzupassen während ich packen würde. Da ich die vorherigen Male gekonnt ignoriert wurde, sprach ich ihn nun deutlich direkter an. Es war bereits 18:45 Uhr. Das Kind musste noch gebadet werden und würde in circa zwei Stunden ins Bett gehen und dann, Sie wissen es von den vorherigen Erzählungen, sind jegliche Geräusche zu vermeiden. Das hieß wiederum: In jedem Fall müssen wir packen, bevor das Kind schläft.

Okay, va bene. Però…. [Okay, in Ordnung. Aber…]“, fing er an und strich sich über seinen Bauch.

„…ein kleiner spuntino [Snack] würde uns sicher helfen, konzentrierter und besser zu packen.“ Ich hatte keine Lust mehr auf seine Ausreden und antwortete ihm äußerst genervt: „Aber nur Brot!! Mehr nicht!“ Der Römer schwebte zufrieden in die Küche. Was genau er an „Nur Brot!!“ nicht verstanden hatte, weiß ich bis heute nicht. Was ich aber weiß, ist, dass er sogleich ein selbstgemachtes Oliven-Paté zubereitete, diverse Käsesorten kleinschnitt und anrichtete, die scharfe Tomatenmarmelade in kleine Schälchen füllte, Brot aufschnitt und kurz im Ofen erwärmte und Teller mit Balsamicocreme verzierte. Als er seine Interpretation von „Nur Brot!!“ servierte, konnte ich ihm nicht einmal böse sein, da er sich so viel Mühe bei der Darbietung gegeben hatte. Mittlerweile war es 19:45 Uhr. Nervös guckte ich auf die Uhr. Ich konnte förmlich spüren wie uns die Zeit durch die Finger glitt. Ungeduldig, aber gleichzeitig höflich lächelnd, stopfte ich alles in mich hinein. Insgeheim hatte ich die stille Hoffnung, dass der Römer sich ein Beispiel an mir nehmen würde, aber wie immer zelebrierte er sein Abendmahl, als wäre es sein letztes. Nach weiteren zehn Anstandsminuten bat ich ihn, mich erheben zu dürfen. Natürlich wüsste ich, dass er noch isst und natürlich sei das eine grobe Unhöflichkeit meinerseits, jedoch hätte ich dringende Angelegenheiten zu erledigen, erklärte ich ihm ernst. Er nickte leise kauend. Sogleich hastete ich ins Schlafzimmer. Doch wann immer ich auch nur den Versuch machte, den Koffer zu öffnen, kam der neugierige Signorino angerannt und wollte gucken, was ich da machte. Jegliche Packversuche vereitelte er. Ohne tatkräftige Unterstützung seitens des Römers würde ich definitiv nicht packen können. Ich ging zurück ins Wohnzimmer, natürlich mit dem aufgeweckten Kleinkind im Arm. „Okay, jetzt ist es 20:15 Uhr. Ich MUSS jetzt packen. Wirklich! Außerdem muss der Zwerg noch gebadet werden. Vielleicht fangen wir so an, dass du zuerst deine Sachen packst und ich packe hinterher ganz schnell die Sachen von Signorino und mir? Du brauchst sicher nicht länger als 15 Minuten für deine Reiseutensilien, oder?!“ schlug ich sichtlich gestresst vor. Mittlerweile tummelte sich mein Gemütszustand auf der Farniente’schen Richterskala auf einer wackligen 6,5 mit Tendenz nach oben.

15 minuti? [15 Minuten?]“ erschrak der Römer merklich. Nein, das würde nie reichen. Er brauche mindestens eine Stunde um seine Sachen römerkonform zu packen.

Nun schnellte mein Puls hoch. Auf meiner Stressskala war ich blitzschnell auf einer soliden 8,5 bis 9 angekommen. Den ganzen Tag verzögerte er den von mir geplanten Ablauf und jetzt würde er eine Stunde brauchen um vier Unterhosen und zwei Pullis einzupacken? Ich sah rot! Nach röter sah ich, als mein Blick auf das einzige, fertig gepackte Handgepäcksstück fiel. Provozierend lag die dunkelblaue Wickeltasche, aus der drei gültige (!) Pässe ragten, auf der Couch. Ich steigerte mich so hinein, dass ich ganz am Ende der Stress-Richterskala ankam. Lautstark explodierte ich und beendete meinen Tobsuchtsanfall mit dem Satz: „….gerne kannst du nur mit einer Wickeltasche bepackt fahren, aber ICH bleibe unter diesen Umständen zu Hause. Den ganzen Tag hältst du mich hin, nur um mir dann zu sagen, dass du eine Stunde brauchst um deine vier Sachen einzupacken.“ Ich ließ mich geschafft auf die Couch fallen und beschäftigte mich demonstrativ mit meinem Handy. Der Römer hingegen war nicht sauer, er war vollkommen verwirrt. Warum ist seine Ehefrau denn jetzt so ausgerastet? Er hilft doch wo er kann.

Wortlos ging er mit dem bereits auffallend häufig gähnenden Kleinkind ins Badezimmer und ließ Wasser in die Badewanne ein. Schnell badete er ihn, steckte ihn in den Schlafanzug und Signorino lehnt seinen schwer gewordenen Kopf müde an die Schulter seines Papas. Seine Augen konnte der arme Kerl kaum noch offen halten. Ich begab mich währenddessen wieder ins Schlafzimmer und saß vor einem geöffneten Koffer mit ziemlich vielen Checklisten, die um mich herum verteilt auf dem Fußboden lagen. Gestresst, genervt und nichts findend, murmelte ich: „Soll er doch alleine fahren! Ich werde mich doch jetzt nicht im letzten Moment stressen. Schließlich habe ich bereits alles vor Tagen haarklein geplant. Und wer meint, meinen Plan so vereiteln zu müssen, der soll ruhig auf die Schnauze fallen.“ Der Römer betrat mit unserem Ableger das Schlafzimmer. Leise gab er mir zu verstehen, dass ich aus dem Zimmer gehen solle. Am besten mit dem Koffer. Ich klappte das Gepäckstück leise zu und rollte es hinaus. Im Koffer befanden sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt fünf Kleidungsstücke Signorinos, ein Nachtlicht, ein paar Hausschuhe und zwei Packungen Feuchttücher. Alles andere fehlte. Toilettenartikel konnten nun ebenfalls nicht mehr gepackt werden, weil das Bad neben dem Schlafzimmer liegt. Normale Waschgeräusche wecken das Kind nicht auf. Wilde Suchaktionen in unzähligen, formschönen, aber unpraktischen Boxen, können den leichten Schlaf des Kinder aber durchaus unterbrechen. Und das galt es um jeden Preis zu vermeiden.

Trotzig ließ ich mich auf die Couch plumpsen. Nein, morgen würde ich garantiert nicht reisen. Als der Römer ins Wohnzimmer kam, stritten wir uns flüsternd und leise zischend. Sämtliches Türenknallen und wütend-aus-der-Wohnung-laufen fiel Signorinos Schlaf zum Opfer. Am Ende schien der Römer eine Lösung für unser Debakel gefunden zu haben. „Na, dann stehen wir eben morgen um 5:30 Uhr auf und packen. Wenn das Kind zu dieser Zeit aufwacht, dann ist das eben so.“ Ich schüttelte meinen Kopf. Nicht nur, weil die Aufstehzeit „5:30 Uhr“ für mich nur im aller größten Notfall existierte, sondern auch, weil ich meinem mühevoll ausgearbeiteten Schlachtplan hinterhertrauerte, der heute konstant vom römischen Ehemann vereitelt wurde.

„Okay, in Ordnung, aber ohne…“ fing ich an.

[Hier geht es weiter mit Teil 2]

So hätte es aussehen sollen, sah es aber nicht.

*Der Satz in der Überschrift lehnt sich an Winston Churchills berühmten Kommentar „Fahren Sie langsam, ich habe es eilig.“ an.

Was kalt gewordene Nudeln mit dem Frühling zu tun haben

Der Frühling ist da!

Und wissen Sie, wie ich zu dieser Erkenntnis gekommen bin? Nicht etwa durch die Schwärme an fröhlich zwitschernden Singvögeln, die sich hier und dort niederlassen. Auch nicht durch die ersten, zarten Maiglöckchen und Krokusse, die sich unbeirrt durchs Dickicht kämpfen.

Nein, nein. Es war ein so unverwechselbares Zeichen, dass es keinen Zweifel mehr an der Ankunft des Frühlings gab:

Wir kamen gerade von unserem Spaziergang am frühen Mittag. Just daheim angekommen, packte uns der Hunger. Ich setzte Nudelwasser auf, ließ eine Kinderhand voll Meersalz hineinrieseln und wartete bis sich das Wasser dazu bequemte, den Siedepunkt zu erreichen. Währenddessen guckte der Römer im Kühlschrank, welches Beiwerk der pasta integrale [Vollkorn Pasta] gerecht werden würde. „Mozzarella, basilico, pomodorini,….[Mozzarella, Basilikum, Kirschtomaten,…]“ zählte er nachdenklich auf. Dann drehte er sich mit einem breiten Grinsen zu mir um: „È arrivata la primavera. [Der Frühling ist da.]“Wie man das mit einem Blick in den Kühlschrank feststellen könne, fragte ich ihn. „Guarda! [Schau!]“ sagte er und zeigte entzückt auf die eben aufgezählten Nahrungsmittel. Ich konnte keinen Frühling in unserem Kühlschrank erkennen – und ich gab mir wirklich größte Mühe. Stattdessen schlug mir eine gähnende Leere und die damit verbundene Dringlichkeit, heute unbedingt noch einkaufen zu gehen, aufs Gemüt. „Ich seh‘ nix. Besonders keinen Frühling.“ antwortete ich trotzig. Ich fühlte mich vom Römer mehr als verspottet. „Als ob der Frühling sich plötzlich in unseren Kühlschrank breit macht. Das ist doch lächerlich.“ keifte ich, während ich die rohen Nudeln ins Wasser kippte.

„Amore! Non lo vedi? [Liebling! Siehst du das nicht?]“ fragte der Römer nun etwas bestimmter. Ehrlich gesagt, hielt ich ihn langsam, aber sicher für verrückt. Ich starrte ihn ausdruckslos an. „Abbiamo tutti gli ingredienti a casa per fare una pasta fredda! Altro non c’è.“[Wir haben alle Zutaten für eine pasta fredda zu Hause! Es gibt nichts anderes.]“ strahlte er mich fröhlich an. „E questo vuol dire che è arrivata la….[Und das bedeutet, dass er angekommen ist, der…]“

PRIMAVERA!!! [Frühling!!!]“ schrie ich auf als endlich der Groschen fiel. Aber natürlich! Wie konnte ich nur so blind sein, wenn der Frühling sich mir doch förmlich ins Gesicht sprang. Die pasta-fredda-Saison (kalte Pasta mit Tomaten und Mozzarella) hat begonnen. Und ich habe es nicht einmal erkannt. Als ob es ein eindeutigeres Zeichen für den Frühling gäbe!

Während die Germanen, wie der Römer uns nennt, die Grills und Smoker aus dem Keller schleppen, sie abdecken, reinigen und in großen Mengen Würstchen und Koteletts kaufen, so ist es in unserem italbanischen Haushalt die Zubereitungsart der Pasta, die sich den Jahreszeiten anpasst.

Die Erklärung dafür ist eine ganz einfache: Stellen Sie sich vor, Sie sind in Italien. Das Thermometer kratzt an der 35 Grad Marke. Die Stadt ist stickig und die Hitze ist drückend. Erst am späten Nachmittag setzt der frische Meereswind ein und bringt etwas Erleichterung. Doch es ist erst Mittag. Denken Sie in dieser Szenerie nun an einen dampfenden Teller Pasta vor sich. Würde Ihnen bei diesem Anblick das Wasser im Mund zusammenlaufen? Wohl eher nicht. Sie würden sich nach einer Abkühlung sehnen. Vielleicht aber auch nach einer Mahlzeit, die über ein paar Scheiben Wassermelone hinausgeht. Und tadaaaa! Hier kommt die pasta fredda ins Spiel. Doch machen Sie niemals den Fehler, die pasta fredda als italienischen Nudelsalat zu bezeichnen. Es sei denn, Sie ersehnen sich nach dem Status des „ospite non grata“*.

Sie sehen, noch eindeutiger als heute könnte sich der Frühling gar nicht nicht zeigen.

*ein nicht erwünschter Gast

Das 15. Türchen im germanoitalbanischen Adventskalender

[Die Auflösung von Tag 14 finden Sie, wie immer, ganz unten]

Fakt 15

Der Römer hat keinen Führerschein. Also, doch, irgendwie schon. Doch lassen Sie mich von vorne anfangen:

Der Römer machte mit 18 Jahren seinen Führerschein. Da ihm das alles zu lange dauerte in Italien (Fahrpraxis? Theorie? Nein danke!), flog er nach Albanien und nach ein paar, wenigen Fahrstunden, einer kleinen Theorieprüfung und ein bisschen bakshish hatte er seine Fahrerlaubnis in der Hand. Danach, auch dem Umstand geschuldet, dass er in Rom kein Auto brauchte, fuhr er nie wieder.

Nun ist es so, dass albanische Führerscheine in Italien problemlos anerkannt werden.

Die Jahre vergingen. Er wurde irgendwann 30 Jahre alt ohne jemals wieder hinter dem Steuer eines Fahrzeugs gesessen zu sein. Doch die fixe Idee ein Auto zu besitzen kam ihm in den Sinn. Mit 30 Jahren wäre nun die richtige Zeit. Außerdem schien ihm die Strecke von Trastevere (sein damaliger Wohnort) nach Testaccio (zur Arbeit), dem benachbarten Stadtteil, per pedes deutlich zu weit. Er kaufte sich ein hübsches, italienisches Auto und dachte, die Fahrpraxis käme von allein. Da er dennoch einen leichten Zweifel an seiner Fahrkunst hatte, kaufte er vorsichtshalber ein Auto mit Automatikgetriebe. Das bisschen Lenken wird keine Schwierigkeit darstellen, dachte er. Zwei Mal versuchte er sein Glück und steuerte das Auto durch die holprigen Straßen Roms. Nass geschwitzt kam er im anderen Stadtteil an und hatte den ganzen Tag Angst vor der Rückfahrt. Er steuerte das Vehikel abends wieder zurück, aber fragen Sie nicht wie. Nach diesen Versuchen stand das Auto noch 6 Monate vor seiner Tür und setzte Rost an. Dann verkaufte er es.

Hier in Deutschland ist die Rechtslage so, dass ein albanischer Führerschein nur die ersten sechs Monate gültig ist. Danach muss er die Führerscheinprüfungen (theoretisch und praktisch) erneut in Deutschland ablegen. Nachdem wir drei Mal auf einem Supermarkt Parkplatz außerhalb Frankfurts geübt haben und er meinen damaligen Kleinstwagen über den Parkplatz hüpfen ließ, dazu aber dem Auto die Schuld gab, ist er nun passionierter Beifahrer. Und wie es sich für einen Beifahrer ohne Fahrpraxis gehört: Er weiß nicht wovon er redet, gibt aber gerne und oft Tipps.

Den Führerschein möchte er nicht machen. Er wartet lieber bis Deutschland seine Fahrerlaubnis irgendwann anerkennt. Wenn es soweit ist, kaufe ich ihm einen elektrisch betriebenen Krankenfahrstuhl bis 25 km/h. In mein Auto setzt sich der Kerl auf alle Fälle nicht ans Steuer!

Was meinen Sie? Ist die Geschichte wahr, dass sich jemand ohne Fahrpraxis ein Auto in Rom kauft? Oder ist die Geschichte meiner blühenden Fantasie entsprungen?

Reise 15

Weihnachten vor Jahren wurde ich aus der Bereitschaft angerufen. „Frau Farniente, Sie Glückspilz, es geht für Sie nach Nagoya, Japan. In 1,5 Stunden geht’s los. Viel Spaß!“ kündigte mir die nette Einsatzleiterin meines Arbeitgebers an. „Mensch, ich Glückspilz.“ dachte ich zynisch und zog meine Uniform an.

Heute geht es für uns nach, na? Nagoya! Genau!

Flugzeit ab Frankfurt: 11 Stunden 25 min

Taxikosten ab Nagoya Flughafen ins Stadtzentrum: ca. 14500 Yen (114 Euro circa)

Sehr schön war das Hotel Hilton Nagoya*. Die Zimmer sind für japanische Verhältnisse geräumig, die Klobrille beheizt, außerdem spielt sie Geräusche (Ich hätte tagelang auf dieser Toilette sitzen können). Sehr schön war die liebevolle Hoteldekoration zu Weihnachten. Eine riesige, winterliche Zuglandschaft wurde aufgebaut und auch hier hätte ich stundenlang Zeit verbringen können.

Da ich aber den inneren Drang hatte, auch etwas von Nagoya zu sehen, wagte ich mich aus dem Hotel. Dort werden Fahrräder kostenlos verliehen und wir düsten durch die Stadt. Unser Ziel war klar: Das Nagoya Castel* sollte es sein.

In flotten 25 Minuten waren wir dort. Zur Kirschblütenzeit wäre es sicher noch einmal ein anderes Farbenspiel und eine andere Atmosphäre gewesen, aber auch so war dieses Schloss sehr beeindruckend.

Auch die Penis Maske überzeugte mich. 😉

Übrigens, wer am Sakae Bus Terminal, Oasis 21 genannt, vorbeikommt, der kann hier wortwörtlich eislaufen gehen.

Und wo wir schon einmal hier sind, können wir gleich ins Running Sushi Restaurant NIGIRI NO TOKUBE @ OASIS 21 [Adresse:  1 Chome-11-1 Higashisakura, Higashi Ward, Nagoya, Aichi 461-0005, Japan] gehen. Ausgezeichnete Qualität, frischer Fisch, schöne Auswahl – was will man mehr?

Nachdem wir nun endgültig das kulturelle Programm abgehakt hatten, gingen wir zum angenehmen Teil über: Es ging zum 100-Yen-Laden (=1 Euro Laden) Daiso*. Hier finde ich immer etwas: von der beheizbaren Augenmaske über Geburtstagsdekoration bis hin zu schönen Tellern und Tassen. Stundenlang könnte ich hier Zeit verbringen.

Doch irgendwann habe auch ich es aus dem Laden geschafft und bin gleich wieder in den nächsten reinspaziert: Uniqlo. Was sich nach Waschräumen einer Hochschule anhört, ist ein sehr schöner Bekleidungsladen. In Japan ist die Qualität noch einmal um einiges besser als in Deutschland. Meine ultraleichten Daunenjacken habe ich noch heute. Um sich die Steuern erstatten zu lassen, würde ich Ihnen raten, ihren Reisepass immer mitzuführen.

Abends kann ich Ihnen, weit von der Stiefelspitze, ein italienisches Restaurant empfehlen: Die Antica Osteria Bacio. Ausgezeichneter Service, ansprechende Präsentation, italienischer Geschmack, der wirklich die toskanische Kochkunst nach Japan bringt. Es lohnt sich, wenn es nicht immer Sushi oder Ramen sein muss. Geführt wird die Antica Osteria von einem Italiener, der eine Japanerin geheiratet hat.

Auflösung von Tag 14

Bei mir wäre die Antwort klar gewesen: Rom statt einer Weltreise? Aber klar doch! Auch gerne ein Leben lang. 😉

Aber ist jemand noch so verrückt wie ich? Vielleicht jemand mit den gleichen Genen? Sie hatten für das Ja und Nein die tollsten Begründungen gefunden. Die Antwort lautet: Ja! Wir haben die große Rom-Leidenschaft von unserem Vater geerbt, der Rom seiner Aussage nach, vergöttert. Deswegen konnte sich Turtle von dieser Stadt auch nicht lösen. Noch heute träumt sie von ihrem Leben dort – in ihrem superattico (einer Wohnung in der obersten Etage), mit altem Lift und Dachterrasse.