Master of Time

Vor etwas mehr als einem Monat machte ich eine interessante Entdeckung in einem Podcast. Darin sprach die Moderatorin davon, dass sie all ihre Handybenachrichtigungen ausgeschaltet hat. SIE möchte entscheiden, wann SIE Nachrichten lesen will und wollte das Ruder nicht mehr an die Messenger-Dienste abgeben, die sie kontinuierlich daran erinnerten, dass eine Nachricht für sie eingetroffen sei.

Ich fand die Idee grandios und tat es ihr nach, da ich nicht mehr wollte, dass Whatsapp* und Co entscheiden, wann ich Nachrichten lesen soll. Seitdem ist mein Leben wunderbar ruhig und mein Umfeld wunderbar genervt.

“Mi ti ho scritto dal supermercato e ti ho mandato oppure le immagini!! [Aber ich habe dir doch vom Supermarkt aus geschrieben und dir sogar Bilder geschickt!!]”, motzte der Römer und kam mit Schmand statt saurer Sahne nach Hause. “Macht doch nichts. Dann benutzen wir halt die.”, winkte ich ab. “Aber du musst doch deine Nachrichten lesen!”, blieb der Römer bei seiner Meinung. “Ja, aber ich mache jetzt das “Master of Time”-Modell. Ich entscheide, wann ich Nachrichten lesen will – nicht das Handy.”, erklärte ich, vollends von meiner Idee überzeugt. “E se succede qualcosa? [Und wenn etwas passiert?]”, hakte der Römer nach. “Na, dann rufst du hoffentlich an!”, antwortete ich. Der Römer schwieg. Seine Frau musste verrückt geworden sein.

Manchmal bekomme ich auch wunderbare Urlaubsbilder geschickt. Diese Kaktusblüte wurde auf sen Kapverden aufgenommen.

“Ich habe dir aber geschrieben, dass ich die Tram verpasst habe und 20 Minuten später ankommen werde.” sprach mein Freund, der Andere. “Oh. Das habe ich gar nicht gelesen.” sagte ich, schob die Sonnenbrille zurück auf die Nase und legte das Buch weg. Die Wartezeit hat mich nicht weiter gestört. Ich las einfach mein Buch auf der sonnigen Café-Terrasse weiter. Hätte ich die Nachricht gelesen, hätte ich wohl entschieden, noch etwas im dunklen Büro zu sitzen und weiterzuarbeiten. So wusste ich, dass ich pünktlich sein musste und gewann spontan 20 Minuten Lesezeit in der Sonne.

So exquisit wie bei Nonna Vincenza in Rom war der Café-Besuch leider nicht, aber die Zeit war dennoch wunderbar.

Gestern verkaufte ich über Kleinanzeigen eine Kinderrutsche aus Holz fürs Kinderzimmer. Um 11 Uhr wollte der Käufer hier sein, um sie abzuholen. Um 11:15 Uhr war von ihm noch immer keine Spur. Dabei gab ich ihm extra meine Handynummer. Um 11:20 Uhr rief er an. Der Römer trug die Rutsche die Treppe herunter und war leicht sauer ob der Verspätung, kriegte sich aber schnell wieder ein. Auch die Gegenpartei war etwas irritiert, warum auch immer. Als ich einige Stunden später Whatsapp* aufrief, entdeckte ich zwei zuverlässig abgeschickte Nachrichten des Käufers, die seine Ankunft ankündigten:

10:48 Uhr “Hallo, ich bin in 10 Minuten da.”

10:58 Uhr “Hallo, ich warte im Innenhof.”

Leider wusste der nette Käufer nicht, dass er es mit einem seltenen Exemplar ohne Push-Benachrichtigungen im Messenger-Dienst zu tun hatte. So warteten wir beide – er im Auto im Innenhof und ich in der Wohnung – und das bis 11:20 Uhr. Ein Anruf hätte uns beiden helfen können, doch nur er hatte meine Telefonnummer und ich hatte keine Ahnung, dass er mir bei Whatsapp* schreiben würde. Aber schließlich fanden wir doch noch zusammen und die Rutsche fand einen neuen Eigentümer.

Der Käufer wartete im Innenhof mit einem ähnlich großen Auto.

Wie ist nun mein Resümee nach einem Monat? Ganz einfach: Ich bin herrlich entspannt. Irgendwie finden jegliche Nachrichen dann doch noch ihren Weg zu mir. Und ja, ich bin wirklich der “Master of Time”.

Wie mein Umfeld damit umgeht? Sie gewöhnen sich langsam daran, dass sie zum Telefonhörer greifen müssen, wenn es dringend ist.

Nur eine Lektion habe ich gelernt: Kleinanzeigen-Käufern teile ich nächstes Mal mit, dass sie bitte anrufen sollen, da ich bei Whatsapp* schlecht erreichbar bin. 😉

*Werbung, unbezahlt und unbeauftragt.

Römische Missverständnisse im Café

„Ma no! Non ancora.[Aber nein! Nicht schon wieder.]“, stöhnt der Römer resigniert und starrt sein Original französisches Brioche auf dem matten Teller entsetzt an. Der mit Hagelzucker gesüßte Hefebrocken starrt mürrisch zurück. „Jedesmal passiert mir das. Es will einfach nicht in meinen Kopf gehen!“, erklärt er mir verzweifelt und schmachtet dabei mit großen Augen mein Pain au Chocolate an. Verständnisvoll nicke ich und beiße von meinem süßen Blätterteigteilchen ab. Als sein Blick immer sehnsüchtiger wird, gebe ich ungefragt nach. „Hier, bitte schön.“, sage ich, wische mir die Blätterteigkrümel aus dem Mundwinkel und schiebe ihm das beinahe intakte Süßgebäck hinüber. Er lächelt selig und kaut zufrieden unter lauter „Aber das wäre doch nicht nötig gewesen“-Beteuerungen mein Pain au Chocolate, nur um mir dann den traurigen Hefeklumpen an meine Seite des Tisches zu schieben.

Pain au Chocolate – alles besser als der Hefekloß

Blasiert starrt mich das unerwünschte Gebäckstück des Römers an. Während ich auf den flinken Kellner warte, zupfe ich ein, zwei Hagelzucker-Körner von der glatten Oberfläche. „Entschuldigen Sie bitte, könnten Sie mir etwas Marmelade zum Brioche bringen?“, frage ich den an mir vorbeiflitzenden Kellner. „Sehr gerne, Madame. Kommt sofort.“, spricht dieser am Vorübergehen.

Als der Römer sein, nein, mein Gebäck beinahe vertilgt hat, kommt er ins Sinnieren: „Warum kann man in Italien eigentlich ein ‚Brioche‘ bestellen und bekommt ein süßes Croissant und in Frankreich und Deutschland bekomme ich einfach nur einen spärlich gesüßten Hefekloß?“, will der Römer von mir wissen und guckt mich so durchdringend an als würde sich die Antwort auf diese Frage schon irgendwo in meinem Kopf auftun, würde man mich nur ausdauernd genug anstarren. Dabei weiß ich es auch nicht. Ich zucke mit den Schultern und murmle ein „Boh. [ital. umgangssprachlich für „non lo so“ – ich weiß es nicht]. Dann streiche ich etwas Aprikosen-Marmelade, die der Kellner mittlerweile auf unseren Tisch gestellt hat, auf meinen Hefekloß. Doch mein Gatte will sich mit dieser Antwort nicht zufrieden geben. Er will es, mal wieder, ganz genau wissen. „Vielleicht liegt die Wurzel des Problems in der Vergangenheit? Lo imagino così [Ich stelle mir das so vor:]Ein Italiener reiste nach Frankreich, war ganz begeistert von den süßen Croissants und vergaß bei all dem Genuss den korrekten Namen. So teilte er seinen Verwandten, Freunden und Bekannten in seiner Heimatstadt mit, dass dieses exquisite Gebäck „Brioche“ heißt. Die gesamte Verwandtschaft tüfteltean einem Rezept, um die Brioches kulinarisch zu rezitieren und es gelang ihnen: Eine etwas süßere Variante des Croissants entstand. Weil es Nonna Vincenza noch nicht süß genug war, nahm sie die Bratenspritze und garnierte es mit ihrer soeben eingekochten Aprikosemarmelade. Und eccolo – das war die Geburtsstunde des italienischen Brioches!“, fantasiert der Römer sich diese Geschichte zusammen. Ganz unmöglich erscheint mir diese Fabel nicht und so stimme ich ihm zu. Ja, so muss es gewesen sein, damals, in Italien. Beinahe angekommen am letzten Bissen des französischen Brioches, wittere ich meine Chance als italbanische Integrationskraft – auch im ganz eigenen Interesse: Ich muss ihm das korrekte Wort beibringen, damit wir bei zukünftigen Café-Besuchen das Hefekloß-Debakel umgehen können. „Beim nächsten Mal würde ich dir raten, einfach ein Croissant zu bestellen. Damit bist du immer auf der richtigen Seite.“, schlage ich – ganz selbstlos – vor. Der Römer guckt mich fragend an. Ja, das könne er machen, sagt er. Alleine aus jahrzehntelanger Gewohnheit will ihm dieses Wort nicht über die Lippen kommen. Ob es denn kein deutsches Pendant für dieses französische Wort geben würden. Ich dachte nach: „Das deutsche Wort…Wie war das noch gleich?“.

Zwei Croissants oder Kipferl oder Hörnchen

Dazu muss ich sagen, dass ich bin in Bayern aufgewachsen bin und sich damit gewisse, sprachliche Eigenheiten in meinem Wortschatz befinden. So dauerte es Jahre in Hessen bis ich die passenden Pendants für die Wörter „Wäscheklupperl“ [Wäscheklammern] und „Tragl“ [Getränkekisten] aktiv anwenden konnte. „Kipferl ist sicher das falsche Wort.“, beginne ich meine Überlegung. „Vielleicht sagt man dazu Hörnchen?!“

Ich lasse die Frage im Raum stehen. Nein, so genau wusste ich es auch nicht. Der Römer murmelt die beiden Wörter vor sich hin. Bei seiner Aussprache der beiden Wörter („Kipfl“ und „Ohrn-chen“) war ich mir nicht ganz sicher, ob nicht doch wieder ein Hefekloß auf seinem Teller landen würde – aus purem Unverständnis und vielleicht auch aus Mitleid. Drei, vier Mal üben wir die korrekte Aussprache, bis das „Ohrn-chen“ ein „Örnchen“ und das „Kipfl“ ein „Kipfal“ wurde. Der Römer strahlt stolz.

„Dann bestelle ich einfach zukünftig ein Vanillekipferl.“, spricht der Römer voller Inbrunst. „Das werden die hier auch verstehen. Ein Kipferl mit Vanillecreme.“ Ich musste lachen, weil ich mir vorstellte, wie ein einziges, mickriges Vanillekipferl-Plätzchen auf seinem Teller landet. Kurz überlege ich, ob ich auch dieses Missverständnis ausbügeln soll, aber ich mag Vanillekipferl deutlich lieber als Hefeklumpen und so rate ich ihm Folgendes: „Dann bestell mindestens zwei Vanillekipferl. Glaub mir, von einem Vanillekipferl wirst du nicht satt.“

Vanillekipferl – auch so ein Missverständnis, das wir in nächster Zeit klären sollten.

Die Eis-Heiligen

“Come mai fa così freddo? [Warum ist es so eiskalt?]”, fragt der Mann mit einer erstaunlichen Ahnungslosigkeit. Er fragt es in etwa so, als ob er den Monat Mai der letzten sieben Jahre in Deutschland einfach übersprungen hat. Mit großen, verständnislosen Augen und auffallend ausgeprägter Gänsehaut steht er fröstelnd in seinem Polohemd vor mir und reibt sich theatralisch die Arme. “Na ja… das liegt vermutlich an den Eisheiligen!”, antworte ich und werfe einen warmen Woll-Cardigan über mein T-Shirt. “I santi dei gelati! [Die Heiligen der Eiscremes!] San Cioccolato, Santa Fragola e oppure San Pictacchio di Bronte! [Der heilige Schokoladeneis, die heilige Erdbeereis und natürlich der heilige Pistazieneis aus Bronte.] Nur das Wetter spielt nicht mit.”, lacht der Römer und denkt, dass ICH ihn auf die Schippe nehme.

San Cioccolato di Roma

“Nein, die heißen wirklich so. Eisheilige! Aber eher im Sinne von ghiaccio, Eis – nicht im Sinne von gelato, Speiseeis.”, schmunzle ich und ziehe mir sicherheitshalber die Leichtdaune über den Wollcardigan. “E’ come si chiamano, ’sti santi? [Und wie heißen sie nun, diese Heiligen?]”, will der Römer nun belustigt von mir wissen. Kurz bin ich versucht, mich seinem vorherigen Beispiel anzuschließen und den “Heiligen Zitrone-Basilikum”, sowie die „Heilige Sanddorn-Pfirsich” aufzuzählen, aber schließlich besinne ich mich auf meine auferlegte Rolle als germano-italbanische Integrationshelferin: “Mamertus, Pankratius, Servatius, Bonifatius und die kalte Sophie!” Zugegeben, ganz aus dem Gedächtnis konnte ich sie nicht wiedergeben und musste eine Suchmaschine nach den genauen Namen der Eisheiligen fragen “Quindi, a causa di loro fa freddo a maggio? [Also ist es wegen ihnen so kalt im Mai?]”, stochert der Gatte weiter bei mir nach. “Das ist so eine Frage wie <<War das Huhn zuerst da oder doch das Ei?>>. Ob sie nun der Grund sind oder es im Mai schon immer in unseren Breitengraden kalt war, kann ich dir nicht genau beantworten. Aber so oder so – die Lederjacke kannst du zurück hängen. Es hat 9 Grad.”, kläre ich meinen römischen Gatten auf. “No, no, non ti preoccupare.[Nein, nein, keine Sorge.] Ich habe bereits einen Blick aus dem Fenster gewagt und alle laufen mit kurzen Hosen und im T-Shirt herum.”, beschwichtigt mich der Römer. Ich lächle mild, schüttle den Kopf, nehme ihm die Lederjacke ab, suche aus der Garderobe einen dünnen Schal und seine Leichtdaunenjacke heraus und drücke sie ihm sanftmütig in die Hand. Zur Sicherheit bitte ich ihn, mir in Richtung Balkon zu folgen.

Von innen gucken wir nach draußen. Ein Feigenbaum steht draußen. Daneben ein Rosmarin und ein Thymian. “Fällt dir etwas auf?”, frage ich ganz direkt. Der Römer denkt nach. „Gli uccelli… [Die Vögel…] die machen immer von der Balkonbrüstung auf unseren Balkon. Das sieht echt nicht gut aus. Sollten wir mal putzen.“, setzt er an. „Neeeein! Nicht das.“, motze ich etwas pikiert zurück. „Denk mal an dich und deine Lederjacke.“ Nach einer kurzen Weile fällt der Groschen bei ihm. All die winterharten Pflanzen stehen fröstelnd auf dem Balkon, aber die südländischen Gewächse, wie z. B. die gelben Tomaten, starren mit uns vom Inneren der Wohnung nach draußen. Sie haben Glück und stehen im warmen Schlafzimmer. “Siehst du! Deswegen konntest du vom Fenster aus viele, winterharte Deutsche in kurzen Hosen und T-Shirts beobachten. Du aber bist ein südländisches Gewächs und ziehst dir bitte eine ordentliche Jacke an. Einer Tomate reicht im Mai eben keine Lederjacke. Sie braucht eine Leichtdaune – und einen Schal!”, erkläre ich dem Römer.

Die Tomaten sind noch deutlich kleiner als letztes Jahr und stehen im Warmen.

Endlich zieht das südländische Gewächs seine warmen Sachen an. “E se inizio di sudare? [Und wenn ich anfange zu schwitzen?]”, fragt er sicherheitshalber nochmal nach. “Dann ziehst du etwas aus. Das nennt man “Zwiebellook”.”, helfe ich ihm weiter. “Eine Zwiebel ist aber in der Regel winterhart.”, versucht der Römer nochmal einzuhaken. “Ja, aber nur, weil sie genug Schichten anhat. Sonst wäre das auch nicht der Fall.”

Kitafrust Deluxe

Es ist momentan so furchtbar anstrengend, dass ich schreien möchte. Dabei ist die Kita überhaupt keine Hilfe, sondern nur Hindernis.

Es fing damit an, dass wir von allen Seiten gehört haben, dass „jetzt aber wirklich der Schnuller“ abgewöhnt werden muss. Das Kind sei schließlich schon drei Jahre alt. Also kümmerte ich mich in den Weihnachtsferien darum. Der gummiartige Freund ist jetzt endgültig Geschichte. Was uns aber vorher niemand sagte, ist, dass die Schnullerabgewöhnung einige Nebenwirkungen mit sich bringt. Dabei spreche ich nicht von den ersten Wochen, die von der Kinderärztin als „ein paar schwierige Tage“ abgetan wurden, sondern vom ganzen Gesamtkonzept. Das Kind findet, wie sollte es anders sein, nicht mehr so einfach in den Schlaf. Das ist absolut nachvollziehbar. Ich würde vermutlich auch nicht in den Schlaf finden, wenn man mir mein Suchtmittel wegnehmen würde. Dazu kommt, dass das Kind im Team „Eule“ ist. Auch das ist wunderbar und vertretbar, denn wir sind auch im Team „Eule“. Nur das gesamte Konstrukt aus Kita und Arbeit ist leider im Team „Lerche“. Und da fängt die Krux an:

Ein Wochentag zwischen Montag und Freitag beginnt damit, dass wir das Kind um kurz vor 8 Uhr wecken, während wir um kurz vor 7 Uhr aus dem Bett kriechen. Der Römer manchmal eher, je nach Schichtzuteilung. Dann bringen wir ihn in die Kita, wo er Mittagsschlaf hält. Um überhaupt einzuschlafen braucht er meist 45 Minuten. Um 14:50 Uhr hole ich ihn ab und dann ist er wach. Bis 23:50 Uhr. Letzte Woche auch ein paar Mal bis 00:10 Uhr. Als uns das Problem bewusst wurde, und das wurde es recht schnell, sprach ich mit den Erzieherinnen. Ich fragte höflich an, ob es möglich wäre, auf den Mittagsschlaf zu verzichten. Ich äußerte mein Verständnis, dass er der Älteste in der Kinderkrippe sei und die anderen Kinder sicher noch einen Mittagsschlaf benötigen würden, aber er, mit drei Jahren, braucht schon seit einem Jahr keinen Mittagsschlaf mehr. An den Augen der Erzieherin erkannte ich bereits, dass sie das für völlig absurd hielt. Also konfrontierte ich sie damit, dass das Kind um Mitternacht schlafen ginge und das „echt anstrengend für uns sei“. Das verstehe sie, sagte sie, aber powern Sie das Kind auch genügend aus? Nun guckte ich sie verständnislos an. Ja, das tue ich, antwortete ich knapp. „Wissen Sie, ich bin oft mit meiner Tochter, als sie noch klein war, um 19 Uhr, nach dem Abendessen, nochmal vor die Türe, um auf den Spielplatz zu gehen. Dann war sie so ausgepowert, dass sie um 21 Uhr schlief.“, unterrichtete sie mich von ihrer Methode. Ich nickte und dachte an Temperaturen um den Gefrierpunkt, an dem ich das Kind um 20 Uhr einpacken und zum stockdunklen Spielplatz bringen würde. „Ja, momentan ist vielleicht auch die falsche Jahreszeit für eine derartige Aktion.“, murmelte ich, um dann etwas lauter zu sagen, dass ich das Kind dennoch, auch im Hellen, genug auspowern würde. „Jetzt beobachten Sie die Situation nochmal und dann gucken wir weiter.“, war ihr Resümee des ersten Gesprächs mit ihr über den Mittagsschlaf. Es sollten viele, weitere Gespräche folgen. Ebenso gut hätte ich mich jedoch auch mit einer Betonmauer oder einer Schneeflocke darüber austauschen können. Der Effekt wäre der gleiche gewesen.

Letzte Woche, meine Stimmung kippt mittlerweile zunehmend, wendete ich mich in der Blüte meiner Verzweiflung das drölfzigste Mal an sie und ihre Kollegin: „Ich sag’s Ihnen jetzt ganz ehrlich: Ich bin ausgebrannt. Ich kann nicht mehr. Ich stehe um kurz vor 7 Uhr auf und gehe um Mitternacht ins Bett. Weder mein Mann, noch ich, haben Zeit für uns, geschweige denn als Paar. Wir sind Zombies! Es bleibt keine einzige Minute am Tag für uns. Ich falle um 00:15 Uhr ins Bett und bin am Ende, obwohl ich gerne schon um 22 Uhr schlafen würde. Das mache ich so von Montag bis Freitag. Ich kann nicht mehr.“ Viel Nicken auf der Erzieherinnenseite. Ja, das könne man verstehen. Das hört sich wirklich anstrengend an. Man könne mir anbieten das Kind nach einer halben Stunde zu wecken. Aber, dieser Satz stand zwischen den Zeilen, kein Mittagsschlaf sei definitiv keine Option.

Am nächsten Tag weckte man das Kind nach einer halben Stunde. Die Erzieherinnen wirkten ziemlich genervt als ich das Kind abholte. Denn, so wie ich mein Kind kenne, gab es einen riesigen Schreianfall, wenn es geweckt wird. Deswegen lassen wir es gar nicht erst schlafen – und er geht abends (mal mehr, mal weniger vergnügt) um 21 Uhr ins Bett. Die Dunkelhaarige der beiden Erzieherinnen teilte mir nüchtern mit, dass sie das „jetzt mal ausprobiert haben“, aber es eine reine Katastrophe war. In ihren Augen sah ich, dass sie das genau ein einziges Mal gemacht hat, aber nie wieder machen wird. Das Kind schlief an diesem Tag trotzdem erst um 23:50 Uhr ein.

Die nächsten Tage wurde uns erzählt, dass das Kind „als allererster, vor allen anderen“ geweckt wurde. Gelogen war das sicher nicht. In einer langen Reihe von Kindern, die schlafen, wird er halt als erstes Kind geweckt. Er ging weiterhin um Mitternacht ins Bett.

Zwei rennende Giraffen im kleinen Gehege im Frankfurter Zoo. Ein Sinnbild für den Römer und mich.

Am vergangenen Donnerstag hatten wir einen Arzttermin. Ich ließ ihn von der Kita daheim, da der Termin so lag, dass es keinen Sinn machte, ihn hinzuschicken. Als es darum ging, dass wir jetzt losmüssten, rastete das Kind so aus wie ein durchschnittlicher Dreijähriger, der lieber Lego spielen will als zum Arzt rollern, eben ausrastet. Anstatt über das Verhalten hinwegzusehen, weiterzumachen, ihn anzuziehen, was man als Elter eben macht, brach ich zusammen. Ich heulte Rotz und Wasser und konnte nicht mehr aufhören. In zwölf Minuten mussten wir beim Kinderarzt sein, das Kind tobte, ich heulte und saß wie ein zusammengekauertes Häufchen Elend in der Kinderzimmerecke. Verheult rief ich Turtle drei Mal an, ob sie sich bitte beim Kinderarzt als ich ausgeben und den Termin absagen könne. Das tat sie auch – und stand 20 Minuten später vor der Tür, um die allgemeine Laune zu heben.

Verstehen Sie mich richtig: Ich verbringe gerne Zeit mit meinem Kind. Aber ich bin ein Mensch, keine Maschine. Und als solcher brauche ich ab und an Zeit durchzuatmen. Wenn das Kind um Mitternacht ins Bett geht – und das von Montag bis Freitag – krieche ich auf dem Zahnfleisch. Wenn dann so kluge Elternsprüche kommen, dass man ja schon mal schlafen gehen könne oder das Kind heulend im Zimmer lassen solle bis es schläft, dann möchte ich mich übergeben. Dazu wird in der Arbeit gefordert, dass wir als Arbeitnehmer funktionieren und eine dementsprechende Leistung bringen. Ich merke aber, wie es mir zusehends schwerer fällt, mein altes Leistungsniveau aufrecht zu erhalten. Mein Studium liegt vollkommen brach, weil ich keine einzige Sekunde dafür Zeit habe. Wir sind nur noch Eltern und Arbeitnehmer. Kein Individuum und auch kein Paar. Ein Kindergartenplatz ist nicht in Sicht*. Mir steht es echt hier [zeigt mit der flachen, ausgestrecken Hand auf den Haaransatz].

Die Lösung wäre so einfach, aber die entsprechenden Personen stellen sich quer. Ich habe durchaus Verständnis, dass die Erzieherinnen in dieser Zeit Mittagspause machen, etwas dokumentieren oder einen Moment zum Durchatmen brauchen. Aber ich hätte auch gerne einen einzigen Moment am Tag, an dem ich durchatmen kann.

*Die Kita-Erzieherinnen dazu: „Dann müssen Sie den einklagen!“ Ich: „Die Kita-Leitung meinte, ich sollte den Februar noch abwarten, denn dann werden die Kindergartenplätze verteilt.“ Erzieherinnen: „Ja, das stimmt. Warten Sie ab.“ Ich: „Notfalls muss ich den Platz halt dann eben einklagen.“ Erzieherinnen: „Dann kriegen Sie aber irgendwo in Frankfurt einen Platz. Also iiiirgendwo. Und einen Anspruch auf einen Vollzeitplatz haben Sie auch nicht. Wenn’s blöd läuft, fahren Sie das Kind dreißig Minuten oneway durch die Gegend und dürfen es um 12:30 Uhr wieder abholen.“ Ich: „Na, dann müsste es immerhin keinen Mittagsschlaf machen.“ Stille.

WMDEDGT – Januar 2023

Das neue Jahr ist so taufrisch, die Schutzfolie haftet fast noch daran. Und so fragt Frau Brüllen, wie an jedem Fünften, was wir denn den ganzen Tag über gemacht haben. Sie nennt das WMDEDGT. Na, dann wollen wir mal gucken:

05:54 Uhr Irgendein Gegenstand (vermutlich aus Plastik) ist abgestürzt. Ich überlege, ob ich es geträumt habe oder der Römer es auch gehört hat. Als ich beschließe, weiterzuschlafen, fragt der Römer, woher das Geräusch kam. Leider weiß ich ebenso wenig wie er. Er geht nachsehen und kehrt nach 15 Sekunden, ahnungslos wie zuvor auch, zurück.

07:00 Uhr Der Wecker klingelt. „Ich würde am liebsten liegen bleiben.“, sage ich zum Römer. „Dann mach das doch! Intanto e‘ il tuo giorno libero [Es ist ja dein freier Tag]. Ich rufe bei der Kita an, dass Signorino heute nicht kommt.“, antwortet der Gatte und setzt nach, dass er erst eine Stunde später anfangen muss. Der erste Patient hat abgesagt. Dann dösen wir wieder ein.

09:30 Uhr Der Mann ist unterwegs. Das Kind ruft nach mir. Wir kuscheln im Kinderbett und Signorino tut so als ob auf meiner Stirn Feuerameisen sind. Seine kleinen Finger krabbeln dabei über meinen gesamten Kopf und er kreischt hocherfreut „Ooooh Feuerameisen!“. Scheinbar hektisch wische ich sie weg und Signorino amüsiert sich königlich. Danach gibt’s Frühstück. Das Kind läuft sofort zu seinen magnetischen Bausteinen. Sein Frühstück muss anscheinend auf ihn warten. Ich trinke in Ruhe meinen Tee. Diese freien Mutter-Sohn-Tage genieße ich sehr, was nicht heißt, dass es keine Trotzanfälle oder Unstimmigkeiten gibt. Aber alleine der Zeitdruck, der fehlt, macht es so viel einfacher. Niemand muss pünktlich in Kita oder Arbeit sein, keine Diskussionen über Schuhe, kein morgendliches Theater. Für mich gilt wie immer: Die Mischung macht’s. Ich arbeite gerne, ich bin gerne mit Signorino daheim, aber ich bin froh, dass ich beides machen kann.

11:00 Uhr Signorino möchte „Butter mit Breze“. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Er isst sehr gerne Butter. Nach dreimaliger Ermahnung beißt er schließlich doch noch von der Breze ab und lutscht nicht nur die Butter ab.

12:30 Uhr Die Küche ist komplett geputzt und geschrubbt, da kommt Signorino* an und will Waffeln backen. Waffeln hat er erst gestern mit Papa gemacht. Also machen wir Marmorkuchen. Er hilft ganz toll mit. Ein paar Eierschalen landen im Teig. Ich versuche, sie zu bergen. Jedesmal, wenn ich ein weiteres Stück Eierschale geborgen habe, jubelt das Kind und ruft „Juhuuuu! Noch eine.“. Nur beim Kakao passe ich ganz genau auf. Blöderweise nicht genau genug, denn ich siebe das Kakaopulver über Signorinos Hände, die er unter das Sieb und über den Teig geschmuggelt hat. Danach wasche ich das Kind. Dann geht es weiter. Endlich ist der Teig in der Kuchenform gelandet, ich schiebe die Form in den Ofen, da manifestiert das Kind „Okay. Kuchen essen.“. Auch mehrmalige Erklärungsversuche scheitern, dass der Kuchen erst noch gebacken werden muss. Ein riesengroßer Trotzanfall schmettert durch die Küche. Ich spüle derweil ab und bestücke die Spülmaschine. Danach wische ich die Küche ein zweites Mal. Nach dem Trotzanfall erinnert mich Signorino im 30 Sekundenrhythmus daran, dass er Kuchen essen will.

*Signorino backt für sein Leben gern und spielt es auch mit seinen Bausteinen nach. Dazu steckt er z.B. zwei Bausteine zusammen, schlägt sie an den Rand einer Schüssel und trennt anschließend das „Ei“.

13:00 Uhr Kurze Serienpause. Es wird nur noch alle 5 Minuten nach dem Kuchen gefragt. Ich genieße meinen Kaffee. Mit dem Wäschekorb auf dem Weg ins Schlafzimmer bemerke ich den Gegenstand, der heute Nacht mit einem lauten Knall heruntergefallen ist: Es war das Hygrometer, das bis heute, 05:54 Uhr, am Schrank klebte.

14:00 Uhr Der Kuchen ist endlich fertig. Signorino kann‘s kaum erwarten, so dass ich das Gebäck noch heiß stürze. Leider trägt die linke Ecke Schaden davon. Aber das stört Signorino nicht. Er isst das angedätschte Stück mit großer Leidenschaft, um danach noch ein zweites zu essen.

16:00 Uhr Ich sortiere in Bad und Küche aus, schmeiße weg oder lege alles in einen Karton, der auf die Straße gestellt wird, damit die vorbeigehenden Passanten sich bedienen können. Signorino entdeckt den Karton und sortiert Kuchentransportbox und Spätzlereibe wieder ein. Zum Glück fand er die Onigiri-Form langweilig, sonst müsste ich diese auch noch aus dem Kinderzimmer befreien.

17:10 Uhr Der Römer steht eine Stunde zu früh vor der Türe und hält ein Brot in der Hand. Die letzte Patientin habe abgesagt, deswegen sei er schon da. Er macht sich einen caffè und isst ein Stück Marmorkuchen. Nachdem Signorino drölfzig Mal durch seine Legos gestapft ist, wir ihn drölfzig Mal darauf hingewiesen haben, dass es zu laut ist und er ein weiteres Mal durch die Legos stapft, hat er sich ein Timeout im Zimmer erspielt. Nach zwei Ausbruchsversuchen innerhalb einer Minute, bei denen er wieder in sein Zimmer geschickt wird, bleibt er dort und wird nach 5 Minuten erlöst. Durch Legos stapft er jetzt nicht mehr. Stattdessen räumen wir alle zusammen auf. Dann bestelle ich die Einkäufe. Noch vor 18 Uhr kommen sie an.

18-21 Uhr Kochen, essen, das übliche. Da das Kind heute nicht in der Kita war und keinen Mittagsschlaf machen musste, haben wir die leise Hoffnung, dass er schon vor 22 Uhr schläft. Mit dem unsäglichen Kita-Mittagsschlaf schläft das Kind mittlerweile nicht mehr vor 23:45 Uhr ein. Fragen Sie mal, wie ich mich darauf freue, wenn das Kind eeeendlich einen Kindergartenplatz hat.

22:54 Uhr Nach langem Theater schläft das Kind endlich. Immerhin vor 23 Uhr. Ich packe noch mein Mittagessen für den morgigen Arbeitstag ein und gehe ins Bett.

Let‘s call it a day.

Jahresresümee 2022

Wie jedes Jahr beginne ich den letzten Tag des Jahres mit meinem Lieblingszitat für die Jahreswende:

For last year’s words belong to last year’s language. And next year’s words await another voice. And to make an end is to make a beginning. [T.S. Eliot]

Und hier kommt der Jahresrückblick 2022

1. Ganz grob auf einer Skala von 1 bis 10: Wie war Dein Jahr? Alles in allem eine solide 7. Am Anfang des Jahres ging unser Plan nicht auf, dass das Kind ganztags in die Kita ging und ich arbeitete mich halb tot. Gegen Mitte des Jahres drängte ich den Römer 1,5 Stunden weniger zu arbeiten und es wurde angenehmer. Dennoch: chronisch überarbeitet, kein Land in Sicht, furchtbar anstrengend alles zu balancieren.


2. Zugenommen oder abgenommen? Ich vermute gleichbleibend, wiege mich aber nie. Alle Jeans passen noch.

3. Haare länger oder kürzer? Kürzer, weil ich beim Friseur war nach drei Jahren. Ja, so eine bin ich, die seltenst zum Friseur geht.

4. Kurzsichtiger oder weitsichtiger? Deutlich kurzsichtiger. Man sagt in meinem Alter verändert sich die Sehstärke kaum. Das kann ich aber nicht bestätigen.


5. Mehr Kohle oder weniger? Etwas mehr Gehalt, aber durch gestiegene Lebenshaltungskosten (NK, Strom, Lebensmittel) eher weniger.

6. Besseren Job oder schlechteren? Der Büro-Minijob wurde zum Teilzeitjob. Anfang Dezember ging es wieder bei der Fluglinie los. Vorerst rein monetär, da ich noch Resturlaub habe. Ab Februar muss ich anscheinend wirklich für mein Geld arbeiten, wie ich das aus dem Dienstplan herauslese.


7. Mehr ausgegeben oder weniger? Vermutlich mehr.

8. Dieses Jahr etwas gewonnen und wenn, was? Viele Erkenntnisse: 1. Städtereisen im August mit Kleinkind sind quälend. 2. Unser Kind ist tatsächlich anders als die anderen Kinder und es ist keine Einbildung. 3. Der Tod macht mir keine Angst mehr.


9. Mehr bewegt oder weniger? Mit einem Kleinkind rennt man immer noch recht viel. Man schleppt auch viel Kind durch die Gegend oder hievt den Kinderwagen hoch und runter. Letztens wurde ich sogar in der Arbeit gefragt, ob ich viel Sport mache.


10. Anzahl der Erkrankungen dieses Jahr? Eine heftige (Magen-Darm). Dazwischen ein paar Mal Schnupfen, grippale Infekte, Schlappheit, etc..

11. Davon war für Dich die Schlimmste? Meine Magen-Darm-Geschichte.


12. Der hirnrissigste Plan? Städtereise mit Kind im August.

13. Die gefährlichste Unternehmung? Das Kind mitsamt Kinderwagen die Treppe zur U-Bahn alleine runter hieven zu wollen. Mit komplett vereister Scheibe Auto zu fahren.

14. Die teuerste Anschaffung? Immer noch das Auto + Instandhaltungskosten.


15. Das leckerste Essen? Vom Römer Selbstgekochtes. Ich möchte auch sehr gerne die frittierte Aubergine im Sakura Sushi Café.

16. Das beeindruckendste Buch? Definitiv “Chamäleon” von Annabel Wahba.

17. Der ergreifendste Film? Kannte ich schon, aber bei “Lion – der lange Weg nach Hause” weint man nochmal ganz anders, wenn man ein Kleinkind hat.

18. Der beste Song? Wir hören immer noch hauptsächlich Signorinos Liederauswahl. “Certe Notti” von Ligabue, das wir alle drei zusammen auf der Couch trällerten, viel Enrico Einaudi, der mir beim Konzentrieren fürs Studium half.


19. Das schönste Konzert? Okay, den Punkt sparen wir uns – wie immer.

20. Die meiste Zeit verbracht mit? Signorino, dem Römer, Turtle.


21. Die schönste Zeit verbracht mit? Signorino, der Römer, Turtle

22. Zum ersten Mal getan? Den Mobilitätsservice fürs Auto gerufen, für mein “ungewöhnliches” Kind eingestanden, den Schnuller (hoffentlich erfolgreich) abgewöhnt.

23. Nach langer Zeit wieder getan? Beim medizinischen Dienst meines Arbeitgebers zur Flugdiensttauglichkeit angetreten (und bestanden), in die Firmenzentrale des anderen Arbeitgebers gereist.

24. Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen? Wasser überall in der Küche, Auto, das nicht anspringt, alleine mit Kleinkind Magen-Darm überleben.


25. Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte? Uns geht’s doch hier richtig gut.

26. Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe? Puh, da müsste man diesen „jemand“ fragen.

27. Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat? Ich weiß es nicht.

28. Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat? “Ich hab dich lieb, Mama.”; “Hier ist Ihre Flugtauglichkeitsbescheinigung. Willkommen zurück.”

Mini-Signorino und Römer


29. Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe? Du bist genauso perfekt wie du bist.


30. Dein Wort Satz des Jahres? Ich habe schon viel von dir gehört.

31. Dein Unwort des Jahres? Kindergartenplatz. Offener Biss.

In diesem Sinne: Bleiben Sie gesund, liebe Leser, und rutschen Sie entspannt ins neue Jahr 2023.

*Werbung

Weihnachtsidylle

Dreijährige verfügen über eine ganz besondere Eigenschaft: sie verweigern sich jeglicher Logik und handeln meist vollkommen unvorhersehbar. Jede Software der künstlichen Intelligenz würde an dieser Personengruppe verzweifeln. Unzählige Vorhersagen pro Sekunde – und keine würde auf Signorino zutreffen. Willkommen im Leben mit einem Dreijährigen.

Quelle: Peng Streetart

Am ersten Weihnachtsfeiertag spazierten wir durch den großen Park am Ende unseres Wohnviertels. Als Signorino aus dem Kinderwagen entlassen werden wollte, wir den Reißverschluss des warmen Sitzsackes öffneten und ihn auf den geteerten Spazierweg hoben, stellte er empört fest: „Es ist eiskalt!!“ Dies mag auch daran liegen, dass er unbedingt die „weißen (Turn-)Schuhe“ anziehen wollte. Nach dieser frostigen Feststellung machte er gleich noch eine weitere: „Oh! Überall Garten!“ und peste über das matschig-braune Grün. Ich klammerte mich am Kinderwagen fest. Keine zehn Pferde würden mich in und auf diese Matschfläche bringen. Entschuldigend guckte ich den Gatten an, der zweifelnd seine ebenfalls weißen Turnschuhe betrachtete. Das Kind jagte derweil über die Wiese, immer wieder „Garten! Garten!“ schreiend. Als er über eine Wurzel fiel, eilte der Römer mit seinen hellen Ledersneakern zum Kinde. „Alles gut, Signorino!“, rief ich aufmunternd vom beinahe trockenen Teerweg und fuhr den Kinderwagen immer auf Höhe des Vater-Sohn-Gespanns entlang. Nach zehn Minuten, wir überquerten in der Zwischenzeit eine Straße, kamen wir im zweiten Teil des Parkes an. Dort standen vermehrt Bäume, die alle betrachtet, betatscht und umarmt werden mussten. „Oh! Großer Baum.“, machte uns Signorino auf die Höhe der Bäume aufmerksam. Ich nickte und tätschelte abwechselnd Baumrinde und blonde Kinderhaare. „Sehr gut, Mama.“, lobte mich das Kind als ich den Baum zum wiederholten Male tätschelte. Immerhin erkannte einer in dieser Familie meine Talente.

„Noch mehr Garten!“, brüllte das Kind nach diesem kurzen Lob und flitzte vom Teerweg zur Matschwiese. Ich rannte hinterher. Auf einer Anhöhe angekommen, fragte das Kind: „Oh! Was ist das denn?“ Dabei zeigte er auf eine spiegelglatte Fläche. „Eine riiiesige Pfütze!“, gab sich das Kind selbstbewusst eine Antwort. „Signorino, das ist ein See.“, sprach ich fachmännisch, doch das Kind schnappte sich bereits meine Hand und wir rannten Richtung See.

Generell, das muss ich an dieser Stelle anmerken, gibt es beim Kind nur wenige Mobilitätsstufen: Rennen, in Zeitlupe schlürfen, lustloses vor sich hinstolpern (wenn man morgens zur Kita muss) oder „Mama, tragen!“, wobei das vielmehr meine Mobilitätsstufe ist, wenn ich ein 16 Kilogramm schweres Kind durch Frankfurt schleppe.

Wir rannten also zum Gewässer. Der Römer, der zuvor seine Schuhe mit etlichen Feuchttüchern gereinigt hatte, war diesmal in der komfortablen Position den trockenen Teerweg zum See nehmen zu können. Dabei betrachtete er sehr zufrieden die Landschaft. „Mama, können wir baden?“, fragte das Kind und es war eine rein rhetorische Frage, denn er stapfte bereits selbstbewusst zum Ufer. „Äääh…nein!“, antwortete ich sehr irritiert. Das Kind drehte sich nicht eine Sekunde zu mir um, sondern rief stattdessen sehr überzeugend: „Okay – baden!“. Ich flitzte hinter dem laufenden Meter hinterher und krallte mir seine Kapuze – sicherheitshalber. „Mama, baden!“, manifestierte Signorino noch einmal seinen Wunsch sich in die kalten Fluten stürzen zu wollen. „Nein, das machen wir nicht.“, sprach ich vehement und hob ihn sicherheitshalber hoch.

Das Kind rastete filmreif aus. Er wurde knallrot, trat um sich und insistierte, dass er jetzt aber im Brackwasser dieses Frankfurter Sees baden wolle. Der Mann kam schlendernd bei uns an und sprach sehr verständnisvoll: „Che c’è, amore mio? [Was ist los, mein Schatz?]“. „BADEN!!!!“, brüllte unser Sprössling und wütete weiter auf meinem Arm. „Scusa? (Wie bitte?]“, hinterfragte der Römer seinen Wunsch und hoffte insgeheim auf ein deutsch-italienisches Verständigungsproblem. Doch es war keines.

Verständnislos guckten der Römer und ich uns an. Nicht nur, weil der Wunsch an diesem Tag, in dieser Jahreszeit, ein Wunsch bleiben würde. Nein, auch weil wir das Kind seit zwei Jahren nur unter heftigstem Gebrüll in der heimischen, wohltemperierten Badewanne waschen können. Mit jeglichen Tricks versuchen wir es dem Kind so angenehm wie möglich zu gestalten, aber es ist jedes Mal aufs Neue ein Drama in drei Akten. „Forse la temperatura dell’acqua non era giusta. [Vielleicht war die Wassertemperatur nicht richtig.]“, bemerkte der Gatte augenzwinkernd und blickte auf das eiskalte Seewasser. Ich guckte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen und einem immer noch brüllendem Kind auf meinem Arm an. „Gehen wir.“, seufzte ich und wir traten den Rückzug an.

Als wir uns langsam vom See entfernten, unterbrach Signorino seinen Wutanfall für eine Frage: „Oh! Was ist das?“, wollte er wissen und zeigte auf eine Mischung aus Ratte und Hund. „Ein Nutria.“, klärte ich ihn auf. „Ein Nutella!“, wiederholte Signorino freudig. „Nu-tri-a.“, versuchte ich es etwas deutlicher auszusprechen. „Nu-tel-la.“, versuchte es Signorino noch einmal. „Ok. Nutella.“, gab ich nach. Wir beobachteten das Nutella eine ganze Weile bis es dem Römer zu kalt wurde. „Ragazzi, andiamo? [Leute, gehen wir?]“, sprach der Gatte und rieb sich die Handflächen aneinander. Ich nickte und schnappte mir Signorinos Hand, die ich leicht zog. „Tschüss, Nutella! Schlaf gut!“, rief der Dreijährige dem Nutria zu. Es drehte sich etwas irritiert um und wackelte Richtung Ufer. „Nutella geht baden.“, stellte das Kind nun fest. Wir setzten Signorino in den Kinderwagen, schlossen den Fußsack und ließen ihn ein letztes Mal winken, ehe er auf die Idee käme, dass er auch gerne mit dem Nutria baden gehen würde. „Ciaoi, Nutella!!! Bis später.“, rief Signorino noch einmal Richtung Frankfurter Nutria.

Frankfurter Nutria

Daheim angekommen bereiteten wir alles für die Signorino’sche Badewanne vor. Als hätten wir es gewusst, brüllte das Kind wie am Spieß. Er? Baden? Seine Eltern mussten verrückt sein! Ein Signorino geht nicht baden.

Der Römer und ich blickten uns resigniert an. „È così. [So ist es halt.]“, sprach der Gatte, zuckte mit den Schultern und schnappte sich Signorino. Dann badeten wir Signorino unter lautem Geschrei.

WMDEDGT – November 2022

Es ist November. Es ist der Fünfte. Der Römer ist in Albanien und Turtle hat Geburtstag. Und so fragt Frau Brüllen mit was wir nun den ganzen Tag verbringt. Sie nennt das WMDEDGT. Na, dann wollen wir mal gucken:

Bis 1 Uhr schreibe ich an meiner Hausarbeit zum Thema Typographie und erkläre aktuelle Trends und Strömungen: Aufgrund der epidemischen Lage der letzten Jahre sehnen wir uns in der Typographie nach Nostalgie. Besonders bei einer so verpixelten, technisierten Welt wollen wir einer Gegenströmung folgen und sehen uns nach dem warmen Gefühl aus Trost und Vertrautheit. Diese Erkenntnis verpacke ich mit viel Blabla in 2000 Zeichen.

08:30 Uhr “Maaaamaaa! Mama? Mama! Maaaaama!” Signorino ist wach. Ich versuche ihn zu mir ins Schlafzimmer zu leiten, ohne dass ich dabei aufstehen muss. Es klappt nach viel Zureden erstaunlich gut – bis er ins Wohnzimmer abbiegt. Um den Römer würdig zu vertreten, macht er in jedem Raum Licht an und lässt es brennen bis er an der Küche angekommen ist. Als ich etwas abstürzen höre, springe ich auf und laufe in die Küche. Dort gable ich Signorino auf wie er gerade Kekse fürs Frühstück aussucht. Müde mache ich mir einen Espresso und einen Tee und gedenke dem Römer, der in Albanien sicher königlich bewirtet wird. Nur die Heizsituation ist hier angenehmer und konstanter.

10:30 Uhr “OH NEIN! Wie ist das passiert?”, ruft das Kind und kommt empört in die Küche, die ich gerade putze. Ich habe ihm vorhin den Sauger des Schnullers abgeschnitten in der Hoffnung, dass er versteht, dass es jetzt vorbei ist mit dem Schnuller. Das Kind drückt diese Überraschung mehrmals sprachlich so lustig aus, dass ich mich von ihm wegdrehen muss, damit er mich nicht lachen sieht. Ich bin ebenfalls mehr als empört. Wie konnte das nur geschehen? Ich lege den Schnullet auf die Arbeitsplatte der Küche. Signorino wünscht nach diesem Schreck Croissants oder Cro-soße wie er es ausdrückt und so backe ich welche auf. Der Gefrierschrank muss eh bald abgetaut werden. Danach frage ich Signorino, was wir mit dem Schnuller tun sollen: wegschmeißen oder behalten? Selbstbewusst schmeißt er ihn weg. “Okay, kaputt!”, sagt er und versenkt ihn im Mülleimer. Ich freue mich schon auf das Einschlafdrama.

13:00 Uhr Signorino und ich dekorieren für Turtles Geburtstag. Ich falte die Deko auf, klebe alles an die Wand und versuche auf den Drehstühlen nicht über Bord zu gehen. Es klappt erstaunlich gut. Dann dekoriere ich den Tisch, was beinahe und trotz Schimpfen unmöglich ist, weil Signorino die ganze Tischdeko wieder abräumen will. Pädagogisch wertvoll biete ich ein Eis an, damit er abgelenkt ist. Dann ruft Turtle an, ob sie gleich vorbeikommen darf. Aber natürlich, sie ist schließlich das Geburtstagskind.

14:00 Uhr Tante Turtle kommt. Sie und der Kuchen werden bereits von Signorino erwartet. Wir essen Kuchen, alles ist ruhig. Irgendwann muss ich eine schnelle Knete für das Kind anrühren. Turtle ist erstaunt wie unkompliziert das geht. Gegen 16 Uhr beginnt Signorinos erster, heftiger Wutanfall, gleich gefolgt von einem nächsten: Der Grund ist schnell gefunden – der fehlende Schnuller. So rastet er alle 10 Minuten RICHTIG aus,eben wie eine süchtige Person auf Entzug. Turtle und ich kämpfen uns tapfer zu zweit durch seine enormen Gefühlsausbrüche.

18:00 Uhr Ich frage Tante Turtle, ob sie Kürbiscurry essen möchte. Sie bejaht. Rasch erwärme ich das schon fertig gekochte Curry und mache Reis dazu. Sie spielt währenddessen im Kinderzimmer mit Signorino

18:30 Uhr Während wir essen, legt Signorino eine Schippe drauf auf seinen kalten Entzug. Er stellt alles an, was irgendwie möglich ist. Schimpfen verhallt, Konsequenzen verhallen, es ist wirklich eine Farce. Gegen 19:15 Uhr beherzige ich den Rat meiner Mutter: “Wenn du dich vom Balkon werfen willst, weil der Entzug so schlimm ist, gib ihm lieber vorher den Schnuller.” Das tue ich. Turtle warnt mich davor und erwähnt, wie weit wir schon gekommen sind. Aber noch 2-3 Stunden mit einem Kind, das im großen Stil ausrastet und die Wohnung auseinander nimmt, schaffe ich nicht. Wirklich nicht. Ich gebe ihm den Schnuller zurück. Aus einem wilden Werwolf wird ein zahmes Lämmchen, das sich an mich schmiegt und zufrieden an seinem Schnuller nuckelt. Turtle ist ebenso erstaunt, was für eine Transformation Signorino durchgemacht hat.

20:00 Uhr Turtle verabschiedet sich und ich frage sie, ob sie die Schildkröte und den Seestern der Deko mitnehmen möchte. Sie freut sich sehr und wir packen die Deko vorsichtig in ihren Rucksack.

Die Schildkröte wohnt jetzt bei Turtle

Auch ein Stück Sachertorte folgt. Danach räume ich das Kinderzimmer auf, denn hier hat der Werwolf gewütet. Noch schnell den Esstisch, das Wohnzimmer und die Küche ordnen, die trockene Wäsche aus dem Trockner entnehmen und diese falten und aufräumen. Das Kind nuckelt derweil zufrieden und vollkommen ruhig an seinem Schnuller. Nach all diesen Wutanfällen und Gefühlsstürmen kann ich nur mühsam die Tränen unterdrücken. Ich fühle mich als absolute Versagerin. “Nicht mal den Schnuller kannst du ihm abgewöhnen. Das Kind rastet sicher so aus, weil das deine Schuld ist! Wärst du eine bessere Mutter, wäre das Kind auch entspannter. Es ist alles nur deine Schuld!” Selbstvorwürfe am laufenden Band. Ich schlucke die Tränen runter und mache weiter.

21:00 Uhr Signorino scheint mir so müde, dass ich sein Zimmer bettfertig mache. Dann fängt das Drama an. Nein, er möchte nicht ins Bett. Ich sage ihm klar, dass es hier keine Wahl gibt. Dann legt er sich ins Bett, steht wieder auf, robbt zum Fußende, steht wieder auf, legt sich quer. Mir reißt das letzte Fitzelchen Nervenstrang. Ich muss aus dem Raum gehen. Auf der Toilette beruhige ich mich und höre gleichzeitig “Mama? Mamaaaa!”. Ich atme zehn Mal tief ein und aus. Nach eineinhalb Wochen krankes Kind, meinem Job, den ich irgendwie außenrum gebastelt habe, ein Mann, der das Kind die ganze Zeit in meiner Homeoffice-Zeit ins Schlafzimmer/Arbeitszimmer rennen ließ und der mantraartig wiederholte “Also, da kann ich wirklich nichts machen, wenn er dauernd in dein Arbeitszimmer reinkommen will. Ich kann ihn ja nicht einsperren.”, sind meine Nerven so dermaßen blank, so dermaßen zerrissen, dass ich gar nicht genug atmen kann. Nach fünf Minuten kehre ich zurück, das Kind will wieder Quatsch machen und ich rede im Bundeswehr-Feldwebel-Ton mit ihm. “Signorino! Ab ins Bett! Sofort! JETZT! Kopf auf’s Kissen! Auf’s Kissen habe ich gesagt. Zudecken! Jetzt! Neeein! JETZT! Signorino! BASTA! BASTA!”. Signorino tut irgendwann, was ich ihm sage. Dann strampelt er sich wieder von der Decke frei. Ich wartet geduldig bis er einschläft, starre die dunkle Zimmerdecke an und denke immer wieder “Ich schaff das alles nicht mehr. Ich will auch einfach nicht mehr. Ich habe so, sooo keinen Bock mehr auf den Affenzirkus.”.

Um 21:38 Uhr schläft das Kind. Ich gehe ins Wohnzimmer, ignoriere meine Hausarbeit für die Uni, an der ich arbeiten wollte und tippe diese Zeilen. Schokolade und ein Film, dazu die leise Hoffnung, dass Signorino durchschläft, mehr kann und will ich gerade nicht.

Let’s call it a (sch€!ß) day! Aber: Happiest birthday, dear Turtle!

Unser 75. Geburtstag

Am Montag war es soweit: Der Römer und ich sind 75 Jahre alt geworden. Passenderweise suchten wir uns damals, unwissentlich voneinander, den gleichen Geburtstag aus, den 10.Oktober oder 10.10., wenn Sie so wollen. Ein Geburtsdatum wie ein Binärcode.

Der Plan für den vergangenen Montag war der folgende: Das Kind mit der S-Bahn zur Kita zu bringen; Frühstück im Café – ganz in Ruhe; Bummeln und Stöbern im Stadtzentrum; Mittagessen – ganz in Ruhe; einen kleinen Abstecher zum japanischen Lieblingscafé, um Geburtstagskuchen zu holen; Kind einsammeln; Kuchen essen; Abends Pizza. Gute Nacht!

Dieses Vorhaben klang zu schön um wahr zu sein. Vermutlich wurde es deswegen nicht wahr.

Alles fing damit an, dass Signorino bereits um 3 Uhr morgens unterbewusst gratulieren wollte. Er schrie „Mama! Mama!“ und der Römer stand auf, weil er näher an der Schlafzimmertüre und somit näher an Signorinos Zimmer schläft. Ein Mann wie ein Goldstück. Ich kann es nur oft genug erwähnen. Leider war Signorino nicht damit einverstanden, dass Papa auftauchte, wo er doch explizit nach mir gerufen hat und so schälte sich der kleine Kerl aus dem Kinderbett, huschte den dunklen Gang entlang bis zu unserem Schlafzimmer und rief noch einmal „Mama! Mama!“. Daraufhin hob ich ihn ins Bett und er kuschelte sich an mich. Der Römer schnarchte derweil schon unbeeindruckt im Kinderzimmer vor sich hin. Von 0 auf Tiefschlaf in wenigen Millisekunden ist nur eines von vielen verborgenen Talenten meines Gatten.

Währenddessen begann in meinem Bett das unsägliche Spiel, in dem das Kind bereits schläft, jedoch unbedingt und absolut unwirsch meine Hand streicheln muss, um gut weiterschlafen zu können. Sie können sich vorstellen wie wach man ist, wenn einem permanent und mit fahrigen Bewegungen über die Hand gestreichelt wird. Sobald man die Hand entzieht, sucht Signorino nach dieser Hand und sollte er sie nicht finden, fängt er herzzerreißend an zu weinen. Bis 6 Uhr morgens ging das Spiel so, dann schlief ich erschöpft ein – oder das Kind hörte endlich auf, meine Hand zu streicheln. So genau weiß ich das nicht mehr.

Nur anderthalb Stunden später weckte mich mein Handy mit dem Klingelton „Glasperlen im Wind“ und ich wollte weder Glasperlen, noch Wind und schon gar nicht geweckt werden nach dieser kurzen Nacht. Hauptsächlich wollte ich meine wohlverdiente Ruhe und noch einige, wenige Stunden Schlaf. So sicherte ich Signorino mit einem Kissen, dass er nicht vom Bett stürzen konnte und torkelte schlaftrunken ins Kinderzimmer zu meinem noch immer schnarchenden Gatten. Ein „Guten Morgen, mein Schatz. Alles Gute zum Geburtstag.“ kam mir dabei nicht über die Lippen. Vielmehr grummelte ich ein „Du bringst Signorino heute alleine in die Kita, oder? Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen und du hattest hier deine Ruhe.“. Kalte, harte Elternsprache – reduziert auf das wichtigste: Rhetorischer Fragesatz inklusive einer Begründung, die der Römer wahrlich nicht negieren konnte. Alle Argumente waren auf meiner Seite. Er musste es nur einsehen. „Ja, kann ich machen.“, murmelte der Römer sehr müde in sein Kissen. Ich nickte, machte auf dem Absatz kehrt, legte mich wieder ins Bett neben Signorino und versuchte einzuschlafen. Nach kurzer Zeit tauchte der etwas schlaftrunken wirkende Römer im Schlafzimmer auf. „Wir können auch alle daheim bleiben.“, schlug er leise vor, um das Kind nicht zu wecken. Ich willigte mit einem „Hm“ ein und drehte mich um. Nach mir die Sintflut. Der Mann hatte daraufhin den eher fragwürdigen Einfall, sich in das eh schon zu knapp bemessene Bett zu quetschen. Noch ehe seine Haarspitzen das Kissen berührten, schnarchte er bereits wieder. Das Kind nahm dies wohl zum Anlass, sich auf den Rücken zu drehen und den Seestern zu machen. Und ich klammerte mich an den wenigen, noch verbleibenden Zentimetern der Matratze fest und versuchte nach Leibeskräften einzuschlafen. Natürlich sollte es mir nicht gelingen. So zog ich gegen 07:55 Uhr ins Kinderbett um, was keine glorreiche Idee war, denn das Zimmer liegt zur Straßenseite. Gerade war die Rushhour der Grundschulkinder, die fröhlich singend, jauchzend, plappernd in die Grundschule gingen. Manche stritten sich auch. Unbedingt wollte ich einschlafen, denn ich war hundemüde und wollte später unseren Geburtstag gebührend feiern, aber es wollte und wollte mir nicht gelingen. So gab ich um 08:30 Uhr auf, denn ich sah endlich ein, dass es Zeitverschwendung war, wach im Kinderbett zu liegen.

Müde stellte ich die Kaffeemaschine an, ließ den Wasserkocher seine Dienste tun und kramte nach Frühstückskeksen. Dann rief ich in der Kita an, um Signorino für heute abzumelden. „Aber wir hoffen, dass er morgen wieder in die Kita gehen kann.“, säuselte ich. Die Erzieherin wünschte ihm gute Besserung und legte auf.

Gegen 09:45 Uhr erhoben sich das andere Geburtstagskind und Signorino. Mir war übel wie lange nicht mehr, was nicht am Kaffee lag, sondern viel mehr an dem tags zuvor vertilgten Käsekuchen. Es war eine Übelkeit, die nicht in der Kloschüssel enden wollte, das merkte ich schnell. Viel mehr war es eine, die einzig dem Zwecke diente, einem gehörig den Tag vermiesen zu wollen. Sie hielt sich latent im Hintergrund, aber sobald man mehr als zwei Schritte tat, erinnerte sie einen wieder daran, dass sie auch noch anwesend war und dies auch weiterhin sein werde. Der Römer hingegen war komplett verschnupft und rührte sich bereits zum Frühstück ein Erkältungspülverchen an. Der Kleine hingegen war gut gelaunt, ausgeschlafen und froh, dass er auch diesen Tag mit uns verbringen durfte. Als wir fertig gefrühstückt hatten, wünschten der Römer und ich uns „Alles Gute zum Geburtstag“ und besiegelten diesen Wunsch mit einem großen Kuss. Signorino blickte uns an als würde er sagen wollen: „Ich hab’s immer geahnt: Ihr seid tatsächlich ein Paar.“. Dann bekam auch er einen dicken Kuss.

Kurz darauf klingelte es drei Mal schallend an der Tür. Wir hatten nichts bestellt und erwarteten auch nichts. „Ignorier das einfach! Das wird für die Nachbarn sein.“, sprach ich zum Gatten und ging ins Bad. Dann klingelte es wieder zwei Mal. „Die Paketfahrer werden auch immer dreister. Lasst die armen Leute doch in Ruhe, wenn sie nichts bestellt haben.“, dachte ich, während ich mir das Gesicht wusch. Als ich es gerade abtrocknete, klingelte es wieder. „Io vado un attimo a vedere chi è. [Ich gehe einen Moment, um zu sehen, wer es ist.]“, erklärte mir der Römer und eilte die Treppe hinunter. Wenige Augenblicke später kam er mit einen dicken, fetten Blumenstrauß zurück. „Für dich. Sarà del tuo amante. [Das wird von deinem Liebhaber sein.]“, scherzte er und ich guckte ihn mit großen Augen an. „Die sind doch von dir!!“, rief ich freudestrahlend und bedankte mich sogleich. Kleinlaut gab der Römer zurück, dass sie definitiv nicht von ihm waren. „Oh.“, sprach ich und nahm den großen Strauß entgegen. Mit spitzen Fingern fummelte ich die Karte aus dem Umschlag. „Alles Liebe zum Geburtstag. Dein Büro-Team.“, las ich und war sehr glücklich. Meine Kolleginnen vom Nebenjob, der mittlerweile eher mein Hauptjob ist, hatten mich mit diesem floralen Gruß überrascht. Wie schön, solche Kolleginnen zu haben.

Meine Übelkeit trat vor lauter Freude wieder in den Hintergrund und so zog ich mich und dann das Kind rasch an. Der Römer war schon fertig bekleidet. Sogleich streifte ich mir den Mantel um, denn das Thermometer verriet, dass es 7 Grad Celsius in Frankfurt hatte. Brrrr! Eiskalt. Aber die Sonne schien trotzdem und wollte es sich nicht anmerken lassen, dass dies ein Oktobertag war. Als wir die Wohnung verließen, war mir wieder speiübel. An der frischen Luft wurde es nicht wirklich besser und in der S-Bahn erst recht nicht. Zu lauten Reggaeton-Klängen, die aus mitgebrachten Boxen eines Mitreisenden durch die S-Bahn wummerten, kamen wir im S-Bahntunnel kurz vorm Hauptbahnhof stehen. „Muy autentico. [Sehr authentisch]“, rief ein spanischsprechender Fahrgast dem Boxen-Besitzer zu und es entspann ein freundliches Gespräch auf Spanisch. Mir war immer noch übel, wir standen im dunklen Tunnel kurz vorm Hauptbahnhof und die laute Musik machte mich etwas unwirsch. In dieser Situation hätte ich mir weniger Authentizität gewünscht, um ehrlich zu sein. Nach fünf endlos langen Minuten ging die Fahrt weiter und wir hangelten uns von Haltestelle zu Haltestelle weiter bis wir an der Konstablerwache ankamen. Wir bummelten etwas durch ein Kaufhaus, aber Signorino beschwerte sich so laut und vehement, dass wir das Kaufhaus schnell wieder verließen. Da das Kind Strumpfhosen brauchte, löste ich meinen Geburtstagsrabatt im nächsten Bekleidungsgeschäft ein und erhielt vier wunderbare Strumpfhosen. Mehr nicht, denn das Kind findet Kaufhäuser doof und ließ sich auch nicht von diesem Fakt ablenken.

Der nächste Halt war die Kleinmarkthalle, die das Kind faszinierend fand. Dort kauften wir eine Brezel für Signorino. Zufrieden kaute das Kind und ich nutzte die Gunst der Stunde, um ein Stückchen zu stibitzen. Schlagartig war meine Übelkeit verflogen. Ob meinem Körper einfach nur ein „Bavarian Shot“ gefehlt hatte? Ich weiß es nicht, aber es war auch egal.

Wir schlenderten weiter Richtung japanische Lieblingsbäckerei*, ließen uns drei Stück Kuchen (ein himmlischer Cheesecake, ein schokoladiger Kaffeekuchen und eine fantastische Matcha-Schnitte) einpacken und schlugen dann den Weg Richtung Römer (dem Frankfurter Rathaus) ein.

Da das Wetter so herrlich war, kurvten wir durch die neue Altstadt, weiter zum Main und dort immer entlang bis Signorino einen Spielplatz von weitem entdeckte. Dort verbrachten wir eine Stunde und merkten uns diesen Ort für nächsten Sommer, denn der Spielplatz war wirklich weitläufig und schön angelegt.

Vom Willy-Brandt-Platz fuhren wir heim, bestellten von unterwegs etwas zum Mittagessen und kamen fünf Minuten vor Lieferung daheim ein. Nachdem essen, durften wir Geburtstagskinder abwechselnd ein Stündchen Mittagsschlaf machen, während der Kleine lieber Lego spielte.

Danach warteten die Kuchen auf uns. Signorino schmeckte keiner davon, was wir nicht weiter tragisch fanden (böse Eltern!). Er bekam ein Butterbrot und auch das war okay.

Abends waren wir so voll, dass wir Großen nichts herunterbekamen. Nur der Kleine machte Brotzeit. Dann ging er (für seine Verhältnisse) recht früh um 21 Uhr schlafen. Was für ein wunderbar bunter und aufregender 75. Geburtstag.

Und am nächsten Tag holten wir all das in einem Tag nach, was wir in einer Woche machen wollten: Wir brachten das Kind zur Kita und das Auto zur HU-Untersuchung, dann frühstückten wir „einen der besten Cappuccinos Frankfurts“ im Brühmarkt*, statteten dem Outlet und dem Drogeriemarkt in Bockenheim einen Besuch ab, kauften Gummistiefel für mich und Trainingshosen für Signorino und den Römer, um dann nach Hause zu fahren, ein Paket abzuholen, die nächste S-Bahn in die Stadt zu nehmen, Signorinos Hausschuhe umzutauschen, ein Ladekabel zu kaufen, Mittag zu essen, um dann den „für Frankfurt erstaunlich guten Espresso“ [O-Ton Römer] bei The Espresso Bar auszuprobieren. Dann holten wir das Kind ab. Puh! Ganz schön anstrengend eine Woche in einem Tag nachzuholen.

*Werbung aus Überzeugung, unbezahlt und unbeauftragt

Übersetzen? Kann ich!

Das vorletzte Wochenende war seltsam entspannend. Beinahe entspannender als der Urlaub, wenn Sie mich fragen. Hingegen war das vergangene Wochenende angespannt, anstrengend, nervig, was alleine an meinem Drang liegt, auf jeder Hochzeit gleichzeitig tanzen zu wollen.

Alles begann am letzten Mittwoch, als mich ein mir bekanntes Marktforschungsinstitut kontaktierte. Bereits in der Vergangenheit habe ich für dieses in unregelmäßigen Abständen gearbeitet. Joachim, der dort arbeitet, fragte per E-Mail, ob ich denn zufällig Zeit hätte zwischen einem und fünfzehn Interviews vom Italienischen ins Deutsche zu übersetzen. Ich solle ihn am besten telefonisch kontaktieren. Tatsächlich hatte ich Zeit und fand die Idee verlockend, ein paar extra Taler zu verdienen. So rief ich Joachim an und wir besprachen die Details. Wie viele eineinhalbstündige, auf Italienisch geführte und von mir sinngemäß auf Deutsch übersetzte Interviews ich in einen eigens dafür konzipierten Fragebogen eintragen könne, wollte er von mir wissen. „Ein bis zwei vielleicht?“, war meine zaghafte Antwort, die Joachim nicht gerade glücklich machte. „Guck, ich habe hier 15 Interviews und spreche kein Wort Italienisch. Wären denn vielleicht drei Interviews möglich?“, wollte Joachim von mir wissen und klang dabei gelinde gesagt etwas verzweifelt. Ich dachte kurz über das Arbeitspensum meines Haupterwerbs. „Wird schon irgendwie gehen.“, dachte ich und sagte kurzerhand zu. Er war zufrieden und schickte mir eine E-Mail mit weiteren Details, Passwörtern und Links, wobei er nicht unerwähnt ließ, dass er sich auch über ein viertes, von mir bearbeitetes Interview freuen würde. Zwei Tage später, am Freitagabend, würden die ersten Interviews, die in Mailand stattfänden, online abrufbar sein, stand im Schlusssatz der E-Mail. Ich schielte auf meinen Terminkalender und hakte das freie Wochenende ab.

Freitag, 21 Uhr. Joachim schrieb eine E-Mail, dass der Startschuss gefallen sei. Blöderweise zeigte Signorino keinerlei Verständnis für den gefallenen Startschuss und weigerte sich vehement ins Bett gebracht zu werden. Auch Papa, der ihn ins Bett bringen sollte, wurde zwar als notwendiges Übel betrachtet, war jedoch keine Alternative zu mir, seiner Mutter. Gerne dürfe Papa im Kinderzimmer als hübsches Beiwerk bleiben, jedoch gebührte nur mir die Hauptrolle der Einschlafbegleitung. Da Signorino bei meiner Abwesenheit wie am Spieß schrie und sich nicht mehr beruhigen ließ, konnte ich weder das Interview anhören, noch mich konzentrieren. So blieb mir nur übrig, mich nervös neben den Ableger zu legen und die Sekunden zu zählen. Mir rann die Zeit sprichwörtlich durch die Finger, denn ich wollte endlich anfangen zu arbeiten. Nicht, weil ich mir nichts schöneres für einen Freitagabend vorstellen konnte als zu übersetzen, nein, vielmehr, weil mir schwante, mich restlos übernommen zu haben. Ein erster Überblick über das zu bewältigende Arbeitspensum sollte mir Ruhe verschaffen, dachte ich.

Freitag, 22 Uhr. Signorino ist endlich eingeschlafen. Ich startete den Laptop, machte mich mit dem Material vertraut und fühlte mich als würde ich alleine im offenen, tiefschwarzen Meer paddeln. „Ja, keine Ahnung.“, murmelte ich immerzu als ich das Material durchlas. Dann hörte ich mir den Anfang der ersten, italienischen Tonaufnahme an. Ein Mailänder näselte sich durchs Interview, das ein, der Stimme nach, älterer Herr mit ihm führte. Der Mailänder war mir unsympathisch, der Interviewer dagegen sehr sympathisch. Aber darum ging es in meiner Arbeit nicht, denn meine einzige Aufgabe bestand darin, die wichtigen Details aus dem Meer an Informationen herauszufischen und auf Deutsch in die richtige Spalte zu schreiben.

Recht schnell verstand ich, dass die beiden in einem Auto-Showroom irgendwo in Mailand standen und herausgefunden werden sollte, wie das Auto des Typus XY vom Mailänder bewertet wurde.

Verstehen Sie mich richtig, meine Italienischkenntnisse kann man als durchaus solide bezeichnen. Dabei sind meine Sprachkenntnisse vermutlich von der eher ruppigeren Sorte, denn schließlich perfektionierte ich mein Italienisch mit dem Römer und das römische Italienisch kann man durchaus als unflätig bezeichnen. Dabei reichen meine Sprachkenntnisse aus, um das tägliche Leben mit meinem Mann zu bestreiten, wobei ich mittlerweile dazu übergangen bin, Italo-Germanisch zu reden. Dabei vermischen sich deutsche und italienische Wörter zu einem einzigen Sprachbrei, der zumindest für uns Sinn ergibt. Ja, ich würde mich soweit aus dem Fenster lehnen, um zu behaupten, dass ich meinen Mann meistens verstehe – und er mich auch.

Doch leider ging es in diesem Interview mit dem näselnden Mailänder nicht darum, ein Alltagsgespräch zu verstehen. Vielmehr wollte eine Automarke Infos darüber haben, wie ihr neuer Prototyp denn nun bei der Zielgruppe ankäme und ich sollte das Bindeglied in der Kette aus Verbraucher und Hersteller sein, das die Information aufbereitet. Sehr zu meinem Missfallen ist mein italienisches Auto-Vokabular so gut wie nicht vorhanden, was mir bereits nach einigen, wenigen Sätzen zwischen dem Mailänder und dem Interviewenden auffiel.

Blöderweise fiel mir dabei auch noch ein in der Vergangenheit liegendes Streitgespräch zwischen dem Römer und mir ein. Wir saßen dabei im Auto, ich fuhr und der Gatte erklärte mir irgendetwas am Auto – und das im dichten Straßenverkehr Frankfurts und auf Italienisch. Da ich ihn absolut nicht verstand und mir sein immer eindringlicher werdendes, italienisches Autovokabular gewaltig auf die Nerven ging, war ich froh unsere Einfahrt hochzurollen. Dort beendete ich unser Gespräch mit einem hitzigen „Es heißt in Frankfurt nicht ‚volante‘, sondern Lenkrad.“. Daraufhin stieg der Römer wutentbrannt aus, knallte mit der Autotür des gerade eben abgestellten Autos und stiefelte fuchsteufelswild in die Wohnung. Alleine diese Szene zeigt doch sehr eindrucksvoll, dass ich in keinster Weise daran interessiert war, mein italienisches Vokabular um die Kategorie „Auto und seine Bestandteile“ zu erweitern. Doch der Teufel ist ein Eichhörnchen.

Ja, diesmal hatte ich keine Wahl und verzweifelte in den ersten Minuten. Unangenehm berührt trabte ich zum Römer. Ob er mir helfen könne, wollte ich wissen. Er guckte mich mit seinen stahlblauen Augen an. „Es geht um italienische Autoteile und davon verstehe ich nichts.“ Er verschränkte seine Arme und grinste diabolisch. Auch er schien sich an den Auto-Streit erinnern zu können. „Ich habe es dir immer gesagt, dass es besser ist, die italienischen Begriffe zumindest verstehen zu können. Aber du hast dich damals mit Händen und Füßen gewehrt. Also, ich für meinen Teil kenne die Teile mittlerweile auf beiden Sprachen. Aber sag, wie heißt nochmal „Lenkrad“ auf Italienisch?“

1:0 für den Römer.

Doch ich holte auf. „Volante.“, antwortete ich nüchtern.

1:1. Ausgleich.

„Ah, dann weißt du ja schon alles. Wozu brauchst du dann meine Hilfe?“, wollte der Römer süffisant grinsend von mir wissen.

2:1 für den Römer.

Ich schwieg. Solange, bis er ein Einsehen hatte und mit mir zum Laptop ging. Gemeinsam hörten wir uns den ersten Teil des italienischen Marktforschungsinterviews an. „Ma che?! [Aber was?!] Der Mailänder tut beinahe so, als wären alle deutschen Autos nüchtern und langweilig.“, kommentierte der Römer das Interview, in dem der Mailänder im Showroom auf seine Lieblingsmodelle deuten sollte. Natürlich entschied er sich für ein Italienisches. „Hm… aber warum mag er das deutsche Auto nicht? Wegen den „prese d‘aria“?“, versuchte ich den Römer aus der Reserve zu locken. „Esatto [Genau.]. Genau deswegen gefällt ihm das italienische Auto besser. Aber wenn du mich fragst, hat er überhaupt keine Ahnung von Geschmack.“, gab der Römer zurück. Ich hielt das aufgezeichnete Interview für einen Moment an: „Entschuldige, aber was sind überhaupt „prese d‘aria“?“, hakte ich beim Römer nach. „Lüftungsschlitze.“, antwortet er in lupenreinem Deutsch. Mein Gott, der Mann hatte damals wirklich recht als er mir das italienische Autovokabular aufdrücken wollte. Doch das behielt ich für mich.

Indessen mauserten wir uns durch den ersten Fragebogen bis ich beinahe mit allen Begriffen vertraut war. Als ich mich fest im Sattel meiner Übersetzertätigkeit sah, bedankte ich mich beim Römer für seine Hilfe und entließ ihn aus seinem Dienst als Chefübersetzer. „Immer gerne.“, antwortete dieser und lächelte milde. Dann drehte er sich noch einmal um und flötete: „Soweit ich mich erinnere, hast du aber auch ein Bilderwörterbuch aus deiner Zeit in Bergamo, das alle Autoteile erklärt. Damit habe ICH die deutschen Begriffe nach unserem Streit im Auto gelernt.“

3:1 für den Römer. Er hat haushoch gewonnen.

Hier ein Auszug aus einem Italienisch-Englischen Wörterbuch

Oh Mann! Grinsend setzte er sich auf die Couch und vertiefte sich in ein Buch. „Das sagst du jetzt?!“, antwortete ich vollkommen perplex, sprang auf und suchte das Buch in unserem Bücherregal. „Die Sprachen sind rechts unten.“, flötete er und amüsierte sich köstlich. „Ja, ja. Weiß ich schon.“, gab ich knapp zurück und wusste es doch nicht. Woher auch? Ich schlage meistens mithilfe einer simplen App die wenigen, noch unklaren Wörter nach. „Ah, da ist es ja.“, rief ich freudig und der Römer mahnte zur Ruhe, weil Signorino schlief und das auch so bleiben sollte. Rasch blätterte ich das bebilderte Wörterbuch auf, glitt an den Seiten mit der menschlichen Anatomie vorbei, ließ auch den Teil über Flora und Fauna, sowie die Bestandteile einer Fabrik hinter mir und fand schließlich den Sektor „Automobile“. „Ah, ‚un monovolume‘ ist also ein Family-Van und kein antikes Auto-Radio.“, stellte ich überrascht und gleichzeitig interessiert fest. Der Römer guckte mich entgeistert an. „Bist du sicher, dass du die Übersetzungen alleine machen willst?“, wollte er von mir wissen. „Na, klar. Das schaffe ich doch mit links.“, gab ich zurück und blickte in das amüsiert-schockierte, römische Antlitz. „Dai, forza! Danach schaue ich vielleicht nochmal über den Fragebogen.“, erwähnte er ganz beiläufig. „Okay!“, willigte ich ein, um kurz danach herauszufinden, dass „minigonne“ so gar nichts mit den mir bekannten Miniröcken zu tun hatten. Vielmehr handelte es sich hier um Einstiegsbleche. die unter den Autotüren angebracht werden. Ja, es ist schon wahr, was man sagt: Man lernt wirklich nie aus!