Espresso zu Heavy-Metal-Klängen – Das Rom-Tagebuch [Tag 7]

Montag, 29.09.2022

Es ist 09:30 Uhr und alle schlafen – außer mir. Ich bin bereits wach, wobei „bereits“ sicher das falsche Adverb um diese Zeit ist. Mit gemischten Gefühlen denke ich an unseren morgigen Abreisetag. Um 10 Uhr müssen wir aus dem Haus, um das Flugzeug gegen Mittag zu besteigen. Um ehrlich zu sein, wäre es mir am liebsten, bereits heute Abend heimzufliegen, aber das Umbuchen meines Mitarbeiter-Tickets gestaltet sich schwierig und so werden wir wohl erst morgen Mittag Rom verlassen können. Dabei bin ich mir sicher, dass diese Tatsache sehr von 15 römischen Mücken geschätzt wird und sie auf ein grandioses, letztes Abendmahl (mit mir in der Hauptrolle) hoffen.

Immer noch sehe ich aus als hätte ich Windpocken und so pflege ich meine Mückenstiche mit dem Gel, dessen Verpackung stark an einen Flüssigklebestift erinnert. Langsam erwachen die männlichen Farnientes. Der Große springt auf und will sich um Frühstück kümmern, wie er es schon die ganze Woche über gemacht hat. Der Kleine möchte wieder seine Stimmung und sein Befinden in seinem Kleidungsstil manifestieren. Heute soll es die kurze Jeanshose sein – dazu ein weißes Polo-Shirt. Ob die Vorlage seines Outfits der römische Bekannte alias „der weiße Stein“ war? Meine noch benutzbaren, scheinbar sauberen Kleidungsstücke aus dem Koffer lassen mich langsam aber sicher verzweifeln. Selbst die Teile, die ich noch kein einziges Mal in diesem Urlaub angehabt habe, sind voller Wassermelonenflecken (Grazie, Signorino!). Als der Römer von der sizilianischen Bäckerei zurück kommt und ich ihm von meiner Misere berichte, kommt just der Kommentar, dass ich schließlich nicht besonders penibel mit meiner Kleidung umgehen würde. Ganz im Gegensatz zum römischen Gatten, versteht sich. Kurz schnellt mein Puls nach oben und ich mache dem feinen Herrn Römer klar, dass sein Privileg darin liegt, Papa geworden zu sein, was bedeutet, dass die körperliche Nähe zum eigenen Kind nicht mit Ende der Schwangerschaft endet. Signorino und vermutlich einige Kinder mehr leben quasi auf einem bis sie bereit sind, sich abzunabeln. Und wie das so ist bei einem Kleinkind, dass ständig auf Mamas Schoß, Arm, Rücken oder Hüfte will, sind Mamas Kleidungsstücke eben dann fleckig und/oder verknittert. Mein, zugegeben, etwas geladener Redeschwall lässt den Römer verstummen. Solange, bis er fragt, ob ich Hilfe beim Waschen meiner Kleidungsstücke brauche. Ich nicke und bedanke mich für sein Verständnis. Gleich nachmittags würde er sich um meine Kleidungsstücke kümmern, gibt er an. Sein „Gleich nachmittags“ kenne ich bereits aus der Vergangenheit und warte immer noch auf den ein oder anderen „Nachmittag“. Aber ich bleibe gespannt.

Als wir fertig gefrühstückt haben, gehen wir vor die Tür. Erster Stopp: Ein Modegeschäft. Signorino braucht eine zweite, lange Hose, da wir nur eine eingepackt haben. Ein paar Söckchen, eine lange und kurze Hose später, sowie ein T-Shirt, dass der Mann für den Sohn haben will, nehme ich noch ein einfaches T-Shirt im Sale mit. Augenscheinlich scheint es zu passen. Für eine Anprobe ist keine Zeit.

Der nächste Halt ist unser Stammcafé Baylon. Bereits die ganze Woche freute ich mich auf den Besuch „unseres“ Cafés. Hier schlug die zarte Liebe zwischen dem Römer und mir erste, feine Wurzeln. Die süßen Croissants, der herbe caffé und die wunderbare Atmosphäre trugen sicher auch dazu bei, dass wir den Schritt wagten und der Römer zu mir nach Deutschland zog.

Doch was soll ich sagen? Corona forderte anscheinend überall seine Opfer. Das einst so geliebte Café ist ein seelenloses Loch geworden. Wir treten ein und laute Heavy-Metal-Musik kreischt aus den Boxen. Der schöne 20er Jahre Charme, die adrette Arbeitskleidung der Bedienungen und auch die charmanten Kellner*innen sind alle verschwunden. Dafür haben sie nun eine dermaßen unmotivierte, kaugummikauende Kellnerin, die so wirkt als wäre sie dazu gezwungen worden, Gast bei uns zu sein und nicht andersherum. Oder anders ausgedrückt: Diese junge Dame in der Gastgeberrolle ist definitiv eine Fehlbesetzung. Immerhin ist der caffè gut, wobei ich in Italien noch nie schlechten Espresso getrunken habe. Doch, doch, auch das passiere, sagt der Römer. Er sei vor Jahren mit der Rugby-Mannschaft in Norditalien gewesen und dort hätten sie tatsächlich schlechten Kaffee getrunken. Dennoch habe ich recht, dass man in Italien lange suchen müsse für einen wirklich schlechten Kaffee. Das sei in Deutschland besser. Man kann sich sicher sein, dass man sehr schnell wässrigen, sauren Espresso findet – egal wo. Ich „mmh-pfe“ gegen die Heavy-Metall-Musik an und mein Blick fällt auf die lange Glasvitrine, die in der Vergangenheit mit reichlich frischem Obst, Teilchen, Croissants und Kuchen gefüllt war. Hier herrscht gähnende Leere. Ein einzelner Apfel steht in einer 10-Meter-Glasvitrine. Ich fühle mich so unwohl, dass ich meinen caffè herunterstürze und den Römer nervös dabei beobachte wie er in aller Ruhe ein Päckchen Zucker in den Espresso einrührt. Verträumt starrt er in seinen Espresso, während heftige Heavy-Metal-Klänge uns immer eindringlicher Anbrüllen. Signorino zappelt unruhig auf meinem Schoss. Ja, wir sind mehr als bereit zu gehen. „È diventato proprio un buco. [Es ist wirklich ein Loch geworden.]“ stellt der Römer nun fest und rührt weiter mit ruhiger Hand in seinem Espresso. Noch eine Löffel-Umdrehung mehr und ich renne schreiend aus dem Café. Doch endlich nippt er an seinem gut gerührten Espresso. Ob ich auch eine centrifuga [Smoothie] will, will der Römer von mir wissen. Mein Blick fällt auf den einsamen Apfel in der Glasvitrine. „Ich vermute, der Apfel reicht nicht für uns beide.“, antworte ich sarkastisch. „Sie haben sicher noch irgendwo Obst.“, gibt der Römer zurück. „Sei mir nicht böse, aber ich finde, DAS ist der Eingang zur Unterwelt. Ich möchte einfach nur raus hier.“, spreche ich meine Gedanken aus. Der Römer nimmt Blickkontakt zur Bedienung auf. Lustlos und immer noch Kaugummi kauend schlendert sie zu uns. „Two forty, please.“, knurrt sie die englischen Worte als wären es Italienische. „Va bene così. Grazie. [Stimmt so. Danke.]“, sagt der Römer und gibt ihr 3 Euro. „Grazie.“, antwortet die Bedienung, krallt sich die drei Euro und schlürft lustlos davon. Es ist eben nichts für die Unendlichkeit. Nicht mal das schöne Café, in dem wir so gerne waren.

Der Römer will keine Langeweile aufkommen lassen und so schlägt er vor, in den Interior Laden nebenan zu gehen. Wir treten ein, werden höflich begrüßt, gucken uns kurz um und treten wieder auf die Straße. Zu teuer und nicht unser Stil ist das ernüchternde Ergebnis. Vermutlich hängt mir auch noch die Trauer und Enttäuschung über mein „Café“ nach, als dass mir etwas interessant erscheinen könnte. Danach schlendern wir etwas plan- und ziellos durch Trastevere und nehmen gleich noch Pizza bei La Renella mit. Eben genauso wie die Tage zuvor auch.

Ich bin so platt und gleichzeitig genervt, dass ich mich nochmal an den Computer setze und schaue, ob man nicht vielleicht doch diese Mitarbeiter-Flugtickets umbuchen kann. Immerhin ist der letzte Flug aus Rom nur zu 50% ausgebucht. Gleichzeitig würden uns nur zwei Stunden Zeit bleiben, um alles zu packen und die Wohnung fluchtartig zu verlassen. Wie schön wäre der Gedanke, heute Nacht im eigenen Bett zu schlafen? Ich versuche bei der Hotline anzurufen, aber es gibt kein Durchkommen. Gleichzeitig will das Kind jetzt unbedingt und sofort auf meinem Schoss sitzen, während ich in der Warteschleife hänge. Jeglicher Versuch vom Römer ihn wegzulocken, endet in einer lauten Kreischattacke, so dass ich die Warteschleifenmusik gar nicht mehr verstehe. Ob wir sicher sind, dass wir heute Abend zurückfliegen wollen, frage ich den Römer und er antwortet „Non lo so. Che ne pensi? [Weiß ich nicht. Was meinst du?]“. Ich lege auf. Keiner ist sich sicher, ob eine Umbuchung auf den heutigen Tag sinnvoll ist und es wäre ein unendlicher Stress alles in so kurzer Zeit zu packen. Dann soll es nicht sein. Fliegen wir halt morgen Mittag.

Müde fallen der Römer und ich ins Bett. Signorino zeigt jedoch kein Anzeichen von Müdigkeit. Draußen ist es heiß und die Mittagssonne knallt vom Himmel. Somit ist rausgehen keine Option. Warum müssen eigentlich die, die ins Bett gehen wollen, die ins Bett bringen, die nicht ins Bett gehen wollen? Signorino beginnt zu malen, zu snacken, zu trinken, zu quatschen, Dinge durch die Gegend zu tragen, seine neuen Socken auseinander zu pflücken und in unterschiedlichen Kombinationen wieder zusammenzufügen. Kurzum: Unsere Geduld befindet sich bereits im hellroten Bereich. Dazu kommt, dass permanent nach „MAMAAA!“ geschrien wird. Ich checke uns derweil für den morgigen Flug ein. Obwohl wir innerhalb der EU fliegen, wird alles abgefragt. Wirklich alles! Das kenne ich sonst nur bei Reisen von/nach Drittländern. Beim Römer ist mir nicht ganz klar, was sein Reisegrund für Deutschland eigentlich ist. Deutscher Staatsbürger ist er nicht. Er studiert auch nicht in Deutschland, macht keine Geschäftsreise und ist auch kein Tourist. Die Auswahloption „Ich wohne in Deutschland, weil ich eine:n Deutsche:n geheiratet habe und jetzt hier leben muss.“ gibt es leider nicht. Am Ende schreibe ich „Arbeit“. Stimmt ja auch.

Um halb fünf Uhr Nachmittags schlafen Signorino und der Römer endlich ein. Es war heute wirklich ein langer, anstrengender Kampf. Meine Müdigkeit ist hingegen komplett verflogen und ich habe Hunger. Also esse ich etwas und versuche dann, mich nochmals hinzulegen. Das Bett quietscht. Ich vermisse mein Zuhause mit all seinen Vorteilen. Reisen mit Kleinkind ist eine Herausforderung und hat wirklich wenig mit Erholung zu tun.

Der Große wacht wenig später auf und geht duschen. Ich erinnere noch einmal freundlich an meine Kleidungsstücke, die er „gleich nachmittags“ waschen wollte. Missmutig löst er sein Versprechen ein und wäscht mit geschickter Hand Wassermelonenflecken in der Badewanne aus. Der Kleine wacht kurz danach von den Dusch-und Waschgeräuschen auf und baut sich im Bett eine Kissenburg. Derweil packe ich schon mal die dreckige Wäsche und baue eine Dreck-Wäsche-Burg in unserem Koffer. Der Große will sich noch bei Freund A., dem Restaurantbesitzer, verabschieden und holt in diesem Zug gleich Abendessen. Während wir essen, unterhalten wir uns darüber, ob ein Abendspaziergang noch eine Option wäre. „Raus! Ja!“, spricht unsere nachtaktive Kleinkind-Eule. Als wir fertig gegessen haben, beschließen wir Piazza Venezia und den Kapitolsplatz zu besuchen. Bus Nummer 8 bringt uns dorthin und wir stellen fest, dass es eine Haltestelle direkt vor unserer Tür gibt. Selbst der Römer wusste darüber nicht Bescheid und wir sind all die Tage zuvor mit bleischwerem Kleinkind auf den Schultern sieben Minuten nach Hause gegangen. Mamma mia!

Vor Ort angekommen erklimmen wir den Kapitolsplatz mit seinen sehr steilen, mit Sommersandalen sehr rutschigen Treppen und landen sofort in der Vergangenheit: Hier war ich zuletzt alleine mit dem Römer. Die Idee ein gemeinsames Kind zu haben war weit entfernt. Es gab nur ihn und mich – und jetzt rennt unser Kleinkind lachend über den Platz und grüßt Touristen aus aller Welt mit einem fröhlichen „Haaaaallo!!“.

Der römische Gatte

Wir schauen uns noch das Forum Romanum von oben an, gehen die rutschige Treppe wieder hinunter, schlendern am Teatro di Marcello, das oft für das Kolosseum gehalten wird, vorbei und überqueren den Tiber mithilfe der Tiberinsel. Signorino will alles selber laufen (Betonung auf laufen) , was wir begrüßen würden, wäre der Verkehr nicht so dicht. So tragen wir das maulende Kind heim, dass immer wieder „Laufen! Laufen!“ schreit.

Endlich sind wir zu Hause und packen für morgen.

Das Tor zur Unterwelt und der sprechende, weiße Stein – Das Rom-Tagebuch [Tag 6]

Sonntag, 28.08.2022

Heute gehen wir es beinahe schon unverschämt langsam an. Wie immer lässt uns „Il Siciliano“ mit seinen gefüllten Croissants satt und zufrieden in den Tag starten. Danach vertrödeln wir den Vormittag ohne schlechtes Gewissen. Als alle ausgiebig getrödelt haben und endlich vollständig angezogen sind, verlassen wir unsere Ferienwohnung. Signorino lässt verlauten, dass er unverzüglich ein Eis benötigt. Wir sind im Urlaub und die letzten, richtig heißen Eistage sind für dieses Jahr bereits gezählt, so soll er sein Eis bekommen. Wir Großen trinken lieber einen Espresso. Nach einer halben Kugel Eiscreme mag Signorino nicht mehr, was durchaus ungewöhnlich für ihn ist. Der Römer versucht das Eis aufzuessen und stellt schnell fest: Es ist voller gefrorener Wasserklumpen, die das ganze Eis durchsetzen. Jetzt wissen wir, warum das Kind sein geliebtes Schokoladeneis so schrecklich fand.

Zwei Tassen Espresso und ein Eis mit ❄️-Klümpchen.

Wir verlassen das Café und schlendern durch Trastevere. Der Römer zeigt mir, wo er vor 15 Jahren gewohnt hat. Nachdem er mir alles beschrieben hat und mir an der Fassade „sein“ Fenster gezeigt hat, sehe ich mich etwas in der Straße um und entdecke Erstaunliches: Der Eingang zur Unterwelt liegt genau vor mir, ordentlich beschriftet mit der Hausnummer 21a. Unter dem Schild steht „Unterwelt“. Das war’s. Ein vollkommen unscheinbarer Eingang zur Unterwelt gähnt mich gelangweilt an. Er ist verschlossen und mit Vorhängen abgedeckt. Ob der dreiköpfige Höllenhund Zerberus hinter der Tür schlummert? Oder doch für eine kurze Pipi-Pause in einen der Vicoli [Gassen] Trasteveres unterwegs ist?

Via Agostino Bertani 21a, falls Sie irgendwann auf der Suche nach der Unterwelt sind.

Mit dieser Erkenntnis streifen wir weiter durch Trastevere und holen Pizza bei La Renella (wo sonst?). Auf dem Rückweg gehen wir bei der Fontana di Santa Maria in Trastevere vorbei und natürlich muss Signorino, wie jedes Mal, pritsch-pratach (=plitsch-platsch) beim Brunnen machen. Er erklimmt die Stufen, quetscht sich an den rastenden Touristen vorbei und will hochgehoben werden. Mit einer solch großen Freude streicht er mit den Händen durchs Wasser, dass wir lachen müssen. Manchmal sind es eben die kleinen Dinge, die am glücklichsten machen.

Signorinos Hände am Brunnen. Bereit für Pritsch-Pratsch.

Auf dem Rückweg zur Wohnung treffen wir, rein zufällig, einen muskulösen, sehr breiten und ehemaligen Rugby-Bekannten des Römers. „Ah, sei tornato? [Ah, bist du zurückgekehrt?]“, fragt der bullige Bekannte und der Römer gibt an, dass er nur diese Woche in Rom sei – „in vacanza“, im Urlaub. Fünf Minuten Smalltalk später verabschieden wir uns. Außer Hörweite ruft Signorino „Tschüss, weißer Stein!“. Dazu winkt er. Offensichtlich meint er den Rugby-Bekannten des Römers mit dem weißen Polo-Shirt, der für Signorino nichts anderes als ein sprechender, weißer Stein war.

Wir essen unsere Pizza und der Römer geht danach alleine einen Kaffee trinken. Ich möchte keinen und bleibe deswegen mit Signorino in der Wohnung. Dabei stelle ich fest, dass Signorinos Windeln rasant zur Neige gehen. Ich überlege, ob wir den heutigen Tag mit vier Windeln überstehen. Nein, lieber nicht zu knapp planen. Haben ist nunmal besser als Brauchen – auch am heutigen Sonntag. Zum Glück macht der Supermarkt auch an diesem christlichen Ruhetag um 16 Uhr auf und rettet uns hoffentlich aus der Misere.

Der Römer kehrt beschwingt zurück. Das Kind ist derweil aufgedreht und müde. Dazu kommt, dass er eine ungeheure Angst vor jedem, neuen Geräusch entwickelt. Der Mixer im Café? Er springt panisch vom Stuhl und krabbelt auf meinen Schoß. Der Fön? Er wirft sich in meine Arme. Der Rasierapparat vom Römer? Er hat eine heftige Heulattacke. Ich tröste viel und versuche ruhig zu erklären, dass die Dinge zwar laut, aber ungefährlich sind. Einzig die Angst vor Krankenwagen kann ich umwandeln. Ich erzähle Signorino, dass das Dinosaurier-Autos sind, die Verletzte Dinosaurier zum Arzt fahren. Diese schnell zusammengestöpselte Erklärung meinerseits klingt für ihn absolut plausibel. Seitdem sagt er bei jedem Krankenwagen „Sausia-Auto“. Sie verletzen sich eben ständig mit ihren langen Beinen, so dass man nur ganz selten Dinosaurier auf der Straße sieht. Ist doch logisch!

Irgendwann schläft das müde Kind ein und wir Großen duschen nacheinander. Während ich unter der Dusche stehe,geht der Römer Windeln holen. Und Obst. Und Mozzarella. Und Brot. Und was nicht alles. Und das alles in seiner Geschwindigkeit, ohne dass Frau oder Kind zur Eile treiben. Ja, es sind tatsächlich die einfachen Dinge im Leben, die glücklich machen.

Gegen 18 Uhr wecken wir das Kind. Kurze Kleidungswunsch-Diskussion mit langem, kindlichen Trotzanfall. Am Ende besteht Signorino darauf eine lange Hose anzuziehen. Der Römer findet‘s blöd und zu warm. Mir ist’s egal, denn ich habe auch eine lange Hose an. Jeder hat eben ein eigenes Temperaturempfindnis. Immerhin haben wir alle eine Hose an. Man kann es auch mal positiv sehen.

Abmarsch zum Restaurant des römischen Freundes A.. Küsschen, Küsschen für alle, von allen. Signorino ist natürlich der offizielle Star-Gast. Wir setzen uns und der Römer erkundigt sich interessiert bei seinen Kellner-Freunden, ob die amerikanischen Touristen zurückgekehrt sind und mit ihnen die so dringend benötigten Einnahmen in der Gastronomie. „Ja… es sind einige Amerikaner:innen zurückgekommen.“, lautet die Antwort von Kellner Angelo, in der seltsamerweise dennoch ein sorgenerfüllter Ton mitschwingt. „Aber die Russ:innen fehlen uns als zahlende Gäste.“ Aha. Da ist die Erklärung für seine Sorge. „Es geht schon, irgendwie.“, gibt er an. „Immerhin läuft es besser als letztes Jahr und das Jahr davor.“ Es fallen aufmunternde Sprüche, aber wie aufmunternd kann ein Spruch sein, wenn Existenzen daran hängen? Dann entschwindet Angelo eilig zu einem Tisch amerikanischer Damen, die ein Dessert wünschen.

Wir warten auf den römischen Freund C. und sind gewappnet mit allem, was unser Reise-Unterhaltungsprogramm für einen aufgeweckten 2jährigen in Restaurant-Situationen hergibt. Und tatsächlich, Signorino hält bis 21:50 Uhr durch. Dann nimmt ihn der römische Freund C. auf den Schoß und wiederholt fünf Mal „Nooo, niente mammà. Ti tengo io! [Nein, nichts Mama. Ich behalte dich!]“ Das Kind heult und brüllt. Signorino kann sich kaum beruhigen, so dass uns der Römer heimbringt und wieder zu seinen Freunden A. und C. düst. Daheim kuschelt sich Signorino an mich, nicht, dass ihn doch noch Freund C. abholt und behalten will.

Ein steiler Abstieg – Das Rom-Tagebuch [Tag 2]

Mittwoch, 24.08.2022

Wer früh schlafen geht, ist auch früh wach – oder eben immer noch wach, so wie ich. Das Metallbett und besonders das dazugehörige Quietschen ist wirklich ein Erlebnis für sich. Müde schlappe ich in die Küche, während Signorino noch im Quietsche-Bett schlummert. Bei seinem Körpergewicht verhält sich das Bett mucksmäuschenstill. Ausgewachsen sein hat eben nicht nur Vorteile.

Der Römer ist bereits auf den Beinen und kümmert sich um die Auswahl- und Beschaffung von Frühstücksleckereien bei unserem Stamm-Café Baylon*. Als er zurückkommt, erzählt er, dass die Betreiber des Cafés gewechselt hätten und es deswegen keine große Auswahl an Croissants und Süßgebäck geben würde. Schade, ich freute mich bereits auf ein Brioche integrale con miele [ein Vollkorncroissant mit Honig gefüllt]. Aber auch ein normales Croissant erhellt meine Stimmung sichtlich. Wie schlimm das Ausmaß des Betreiberwechsels des Cafés jedoch wirklich ist, sollte ich ein paar Tagen später feststellen dürfen.

Schweigsam kauen wir unsere trockenen Croissants und trinken Kaffee dazu. Signorino ist in der Zwischenzeit erwacht und freut sich bereits lautstark auf die Croissants, empfindet sie aber nach dem ersten Bissen als zu „NEIN! Keks – Milch dazu?“. Diese Bestellform ist relativ neu, aber er bekommt, was er will: Kekse mit lauwarmer Milch dazu. Ein bisschen muss ich bei seinem Frühstückswunsch schmunzeln, denn dieses Frühstück haben meine Au-Pair-Kinder in Bergamo auch gegessen und ich fand es abstrus, dass Kinder morgens lauwarme Milch und Kekse essen. Warum kein Müsli? Warum kein Marmeladenbrötchen wie wir in Deutschland? Irgendwann übernahm ich die Angewohnheit, morgens Kekse zu essen, um schnell aus dem Haus zu können. Als der Römer nach Deutschland zog, aß auch er ein paar Kekse, trank einen Espresso und hastete in den Berufsalltag. Ganz am Anfang versuchten wir natürlich, dass das Kind ein Butterbrötchen oder gar ein Marmeladenbrötchen isst und zwangen uns dazu als gutes Vorbild mit Frühstücksbrötchen zu fungieren. Leider, leider fanden wir drei die Frühstücksvariante so blöd, dass wir schnell wieder dazu übergingen, Kekse (mit oder ohne Milch) zu frühstücken. Doch zurück nach Rom:

Noch während des Frühstücks beratschlagen wir uns über mögliche Ausflugsmöglichkeiten mit Kleinkind um die 2-3 Jahre in Rom. Dazu muss ich erwähnen, dass wir keinen Kinderwagen dabei haben, was einerseits daran liegt, dass das Kind partout nicht im Buggy kutschiert werden will und andererseits, weil ich den Fluggesellschaften momentan nicht zutraue, einen Kinderwagen zu transportieren, ohne dass dieser danach jahrelang als vermisst gilt. Ich blättere etwas in meiner Rom-Ausflugsliste herum und finde ein verstecktes Juwel, das ich schon lange besichtigen wollte: Eine unterirdische Kirche aus dem 5. Jahrhundert, die sich nur wenige Gehminuten von unserer Ferienwohnung entfernt befindet. Der Eintrittspreis hält sich in Grenzen und ich vermutete, dass nicht allzu viele Touristen in dieser unterirdischen Kirche zu Besuch sein werden. Auf den Bildern sah es so aus, als würde unser quirliges Kleinkind nichts umstoßen können, was definitiv ein gutes Zeichen ist. Wir gingen los und fanden

La Basilica sotteranea di San Crisogono in Trastevere [Die unterirdische Basilika des heiligen Crisogono in Trastevere]

Details in der Schnellübersicht

Adresse: Piazza Sidney Sonnino, 00153 Roma RM, Italien

Eintritt: 3 Euro

Öffnungszeiten: Mo – Sa von 07:00 – 12 und von 15:30 – 19:00 Uhr, So 08:00 – 13:00 und 15:30 – 19:00 Uhr (Bitte Messen und Gottesdienste beachten!)

Wie komme ich dort hin?

Sie gehen durch die Eingangstüre der Kirche, bestaunen die reiche Deckenverzierung des Mittelschiffes der Kirche und halten sich dann links.

Mit reichverzierten Vertäfelungen gestalteter Deckenhimmel der Kirche. Die Farben Blau u d Gold dominieren.

Dort gehen Sie immer geradeaus bis Sie ganz am Ende links eine Türe mit der Aufschrift „Sacrestia Cripta Paleocristiana“ entdecken.

Der Eingang zum Messner-Büro bzw. zur Krypta.

Dort treten Sie ein und ein grummelig wirkender Messner um die 60 Jahre wird an einem dunklen Schreibtisch sitzen und Sie mürrisch erblicken. Sie fragen nach der Cripta, bezahlen pro Erwachsenen 3 Euro Eintritt und erhalten ein Programmheft, dass auf Italienisch, Englisch, Französisch und Spanisch die Geschichte zur Sehenswürdigkeit erklärt. Dann erhebt sich der Messner, dreht sich um 180 Grad, geht eineinhalb Schritte zur dunklen Tür rechts hinter ihm (von Ihnen aus links) und öffnet diese Türe für Sie.

Sie gehen hindurch und steigen hinab in eine andere Zeit.

Hier sieht man die lange Treppe, die in die Krypta hinab führt, von unten.

Welchen Vorteil bietet diese Sehenswürdigkeit?

Es gibt so wenig Ansturm auf dieses versteckte Juwel, dass Sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit vollkommen alleine sind. Außerdem ist es dort unten schön kühl, was für die Sommermonate durchaus einen Mehrwert darstellt.

Die große Ruhe in einer so unsteten Stadt wie Rom herrscht hier unten.

Ist diese Sehenswürdigkeit gut machbar mit Kleinkind in Rom?

Ja, absolut. Für neugierige Kleinkinder gibt es dort unten auch Treppen. Außerdem kann das Kleinkind dort unten nichts kaputt machen. Für alle, die ohne Kleinkinder reisen (oder mit älteren Kindern), ist es vermutlich doppelt so interessant, weil Sie in einer Kirche aus dem 4. oder 5. Jahrhundert stehen (wie vermutet wird) und es dort allerhand zu besichtigen gibt.

Das war Signorinos Lieblingsstrecke inkl. der Treppe, die hochführt, um die Ecke geht und wieder nach unten führt.
Eine Säule, die im Eck steht.

Wie sieht es mit den geschichtlichen Details zu dieser Kirche aus?

Es wird vermutet, dass die unterirdische Kirche die erste Pfarrkirche Roms ist [Quelle: Infoheft, dass Sie vom Messner bekommen]. Crisogono, dem die Kirche geweiht ist, starb als Märtyrer unter dem römischen Kaiser Diocleziano zwischen 304 und 305. 499 wird die Kirche das erste Mal erwähnt. Im 12. Jahrhundert beschloss Kardinal Giovanni di Crema, dass eine neue Basilika „eine Etage darüber“ erbaut werden soll. Genauso geschah es. 1907 entdeckt man bei Ausgrabungen, dass unter der nun aktuellen Basilika eine weitaus ältere Version „schlummert“. San Crisogono war jahrhundertelange die Nationalkirche der Korsen und Sarden.

Fresken aus dem 5. Jhdt. Sieht aus wie neu, wenn Sie mich fragen.

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Signorino will immer und immer wieder die Treppen in der unterirdischen Basilika erklimmen. Da er trotz aller Überzeugungskraft unsererseits nicht von dieser Treppe ablassen will, sehe ich mich schon bis ans Ende meiner Tage fünf Meter unter der Erde Roms leben. Mir steigt – trotz der angenehmen Temperaturen hier unten – der Angstschweiß ins Gesicht und so ziehe ich den Joker. „Signorino? Eis?“., frage ich scheinheilig. Das Kind guckt auf, lässt von der Treppe ab und läuft zu mir. Wir können gehen. Freundlich verabschiedet er sich vom Messner mit einem „Tschüss und CiaoCiao!“ und wir verlassen das obere Kirchenschiff.

In meiner Naivität dachte ich, dass Eis in Rom durchaus einfach zu beschaffen sein wird. Doch ich sollte mich täuschen. Um 10 Uhr vormittags in dieser Ecke Trasteveres ist es ganz und gar nicht einfach. Wir gehen, noch fest in dem Glauben, dass Eisdielen zu jeder Tages- und Nachtzeit geöffnet haben, zur römischen Eisdiele des Vertrauens und finden uns vor verschlossenen Türen wieder. Und so irren wir durch die Gassen und landen nach 15 Minuten mit quengelndem Kleinkind (EIS!! EIS!!) wieder an der Basilika, die wir eben besucht haben. Schlussendlich finden wir eine Eisdiele in der Viale Trastevere, die zum Glück geöffnet hat. „Ein kleines Eis für 2,50 Euro im Becher, bitte. Danke!“, bestellt der Römer ein Eis bei der freundlichen Bedienung. Wir nehmen es mit, was gar nicht mal so klug ist. Kurzerhand setzen wir das Kind auf einen gigantischen, abgesägten Baumstumpf an der mehrspurigen Straße Lungotevere Raffaello Sanzio und füttern ihn mit Eis. Ein vorbeikommender Großvater mit einem Kleinkind auf einem Dreirad guckt „scandalizzato“ [empört] als er uns sieht. Vermutlich hat er schon alles gesehen, was Touristen in Rom falsch machen können, aber diese Szene war ihm vollkommen neu. Ein Kleinkind auf einem Baumstumpf, das vormittags um 10:30 Uhr von seinen Eltern mit Schokoeis gefüttert wird. Er dreht sich noch mehrmals zu uns um, obwohl er schon längst an uns vorbeigezogen ist. Ich empfinde die Szenerie auch als durchaus seltsam, aber glauben Sie mir, als ich Mutter wurde, erahnte ich so einige abstruse Szenen in meinem Leben nicht einmal annähernd. Manchmal hat man eben keine Wahl. Wir reinigen das Kind großflächig und es sieht beinahe so aus, wie wir es heute morgen angezogen haben. Lediglich ein paar kleine Schokospritzer zieren nun sein T-Shirt, was ich durchaus als Erfolg werte.

Dann schlendern wir zur Konditorei Nonna Vincenza. Wie immer geht das Kind vier Meter selber, um dann mit uns zu diskutieren, ob es noch weitere vier Meter alleine gehen kann, nur um dann nach acht Metern bis kurz vor den Campo de‘ Fiori getragen zu werden. Angekommen bei Nonna Vincenza* quakt das Kind „Hallo! Ich haben Cappuccino. Ich möchte einen Cappuccino, bitte.“ Seine Sprachwahl erinnert mich ein wenig an die anfänglichen Deutschkenntnisse des Römers. Woher Signorino allerdings Cappuccino bestellen kann, kann ich mir auch nicht so ganz erklären. Ich für meinen Teil trinke nur Espresso. Es muss wohl an den Vater-Sohn-Ausflügen der beiden liegen. 😉 Am Ende bestellen wir – zwei caffè, zwei cannoli und einen Pistazienkeks für Signorino. Ich merke gerade bei meinen Aufzeichnungen, dass das Kind den ganzen Tag nur Süßkram gegessen hat. Asche über mein Haupt! Aber wir waren schließlich im Urlaub. Nach mir der Zahnarzt!

Er verschmäht beide cannoli und den Keks. Braves Kind! Nach dem Schokoladeneis ist er vermutlich pappsatt. Wir, mittlerweile auch satt und glücklich, verlassen die Räumlichkeiten des sizilianischen Cafés und biegen nach links zum Campo de‘ Fiori ab. Der Markt ist in vollen Gange und der Römer steuert schnurstracks auf einen Fruchtstand zu. Dort bestellt er eine centrifuga, oder Smoothie, wie man in Deutschland sagt. Der Besitzer macht einen anzüglichen Witz und der Römer antwortet nüchtern „Guarda, c’è la mia moglie qui, eh? [Schau, meine Frau ist auch hier, okay?]“. Währenddessen spielt Signorino mit einem Nasone [ein Wasserspender] und ruft aufgeregt „pritsch-pratsch“. So hat jeder seinen Spaß am Campo und die Schokoladenflecken auf seinem Oberteil entfernt das Kind gleich mit. Lediglich das Oberteil ist nun sehr nass, was bei den sommerlich-heißen Temperaturen in Rom eher als Glück als als Unglück gesehen werden darf. Zurück gehen wir an der französischen Botschaft vorbei, vor der wie immer allerhand Militär steht. Dann halten wir uns links, biegen schlussendlich ganz nach links ab und spazieren am französischen Konsulat vorbei. Auch dort ist viel Militär zugegen. Der Römer gibt an, dass Italien den Militärschutz für die auslädnischen Botschaften und Konsulate selber zahlen muss. Das bezweifle ich aber stark. Ist der Militärschutz der jeweiligen Botschaften und Konsulate nicht Ländersache? Wenn Sie mehr dazu wissen, erhellen Sie uns gerne.

Zurück geht es über die Ponte Sisto zur Piazza Trilussa. Den schlechten Scherz: „Hier nahm das Unglück seinen Lauf.“ konnte ich mir nicht verkneifen, doch der Römer nahm es gelassen. Im verflixten 7. Jahr darf man das vermutlich offen aussprechen.

Ein sehr müdes Kind und wir kommen an der Unterkunft an. Der Römer holt uns Pizza bei La Renella*. Alles ist wie immer – und die Pizza ist genau so gut wie all die Jahre zuvor. Das Kind mampft pizza bianca und wir den Rest. Eine andere Pizzasorte außer dem ausgebackenen Pizzateig (ohne Käse, ohne Soße) will das Kind nicht probieren. Nun, denn!

Schlussendlich finden wir uns nach dem Essen in einem Zustand wieder, den ich mit Kind als äußerst unangenehm empfinde: Das Kind ist müde, will aber nicht schlafen, ist aber müde und deswegen quengelig. So geht das zwei Stunden lang, dann schläft Signorino endlich ein. Ich tippe meinen Reisebericht in Stichpunkten ins Handy, damit ich mir in 15 Jahren denken kann: „Mein Gott, war das anstrengend damals, mit Kleinkind.“

Nach zwei Stunden wacht das Kind auf, es verdrückt seine merenda [Brotzeit], die aus einem Apfel besteht und wir gehen zum Supermarkt unter unserer Ferienwohnung. Bereits am Eingang des Supermarktes, in der Obst- und Gemüseabteilung, bemerke ich, dass das Kind nölig ist. Gleichzeitig flaniert der Römer mit einer solchen Ruhe durch die Gänge und begutachtet die dargebotene Ware, als wäre er alleine hier und noch dazu vollkommen sorglos. Dass der Zeitstrahl mit Kind in einem Supermarkt nicht der gleiche ist, wie der ohne Kind, scheint er auch im dritten Lebensjahr Signorinos noch nicht verstanden zu haben. Ich dränge zur Eile, doch der Römer hört nicht, oder will nicht hören. In der Milchprodukteabteilung beäugt er all die Neuerungen, die es seit seinem letzten Italienaufenthalt gibt, und greift doch zum altbewerten Schoko-Milch-Snack. Natürlich registriert das auch unser Nachwuchs und ruft, dass er diesen Milchriegel auch will und zwar JETZT!!!SOFORT!!UNBEDINGT!!. Bis zur Kasse hat er sich so eingeschrien, dass ich nur noch emotionslos nach vorne starre. Das Geschäft zu verlassen gestaltet sich schwierig, da der Supermarkt im Keller eines riesigen Bekleidungsgeschäftes liegt und wir dieses durchqueren müssen. In dieser Situation scheint mir jede Option als die absolut falsche und so stehe ich neben einem zappelnden, schreienden Kleinkind und rede ruhig auf ihn ein. Die Signora in der Schlange vor dem Römer sucht in aller Ruhe ihr Kleingeld zusammen und ich bin mittlerweile gänzlich im Erdboden versunken. Irgendwann hat der Römer die Waren bezahlt, das Kind hat einen Riegel in der Hand und isst zufrieden besagten Riegel als wäre nichts gewesen. Einzig die tränenfeuchten Backen erinnern an dieses Martyrium. Als wir gehen, frage ich mich, ob unter dem Supermarkt auch die Ruinen einer Kirche für gepeinigte Eltern von Kleinkindern liegt? Ich wage es zu bezweifeln, hätte aber während diesem Schreianfall gerne drei Euro Eintritt gezahlt, um dort in Ruhe mit anderen Eltern zu sitzen.

Heute jagt ein Trotzanfall den nächsten, weil Signorino vermutlich von der Reise und der Woche davor ganz schön müde ist. So entscheiden wir, nicht auswärts essen zu gehen. Abends machen wir einen kleinen Spaziergang, schlendern am Restaurant des römischen Freundes A. vorbei und bestellen etwas zum Mitnehmen, doch die gesamte Kellnerschaft besteht darauf, dass wir heute die Ehrengäste sind und bittet uns hinein. Vorsichtig setzen wir uns und gucken uns zweifelnd an. Anfangs ist das Kind noch sehr angetan vom Restaurant und seinen Mitarbeitern. Ein Korb lauwarme Focaccia wird angereicht und das Kind greift begeistert zu. Solange, bis er eben Durst bekommt. Da er partout nicht aus einem Wasserglas trinken will (aber kann!), steigert er sich in einen neuen Trotzanfall hinein, bis wir hektisch die Flucht ergreifen.Der Römer ruft dem römischen Restaurentbesitzer-Freund A. noch zu, dass einer von uns später die Bestellung „da portare via“ [zum Mitnehmen] abholen wird und sogleich landen wir wieder in den Gassen Trasteveres. Zuverlässig lotst uns der Römer heim, wobei sich das Kind langsam beruhigt. Als wir an der Livemusik auf Höhe der Piazza di San Calisto vorbeikommen, wird Signorino ganz selig. Er will stehen bleiben, klatscht und singt mit. Wir Eltern sind müde und wollen weder stehen bleiben, noch mitsingen. Schlussendlich löst sich Signorino und wir sind nach wenigen Schritten daheim. Dann bricht der Römer noch einmal auf und holt das Essen. Schweigend schaufeln wir Gnocchi alla Sorrentina (Gnocchi in Tomatensoße mit Mozzarella) und bistecca di manzo con cicoria (Rindersteak mit gemeiner Wegwarte ) in uns hinein. Das Kind will nichts, es hat vorhin auch den halben Korb Focaccia vertilgt.

Wir Erwachsenen sind ziemlich ausgelaugt und das Kind anscheinend auch. Müde fallen wir ins Bett und warten darauf, dass Signorino die Augen zu macht. Was für ein Tag!

*Werbung, unbezahlt, unbeauftragt, aus Überzeugung

Ein Abenteuer in Stichworten

Bayern. Fiebriges Kind vor Reiseantritt. Reisestorno. Kind wieder gesund. Kurzfristige Alternativen am Meer unbezahlbar. Brainstorming. Wohin im August? Immerhin: Ein Ort in Italien hat Nebensaison. 😉

Falls Sie die Tonspur hören: Das Kind sagt „Bolli! Bolli! Bolli!“. Ansonsten filme ich das Nachbargebäude. Die Schönheit der Fassade erschließt sich einem von der Straße aus gar nicht.

P.S. Bei den Kommentaren hinke ich sehr hinterher. Das ändert sich spätestens nach dem Urlaub. Versprochen!