Vor’m Herrgott sind wir alle gleich

[Der Text hat viele bayerische Sätze – wer sich nicht durch die bayerische Version quälen will, was ich Ihnen dennoch ans Herz lege, findet die bereinigte, hochdeutsche Version am Ende des Textes – einfach runterscrollen]

Damals im Kindergarten gab es eine sehr beeindruckende Girlande. Eine Menschen- oder vielmehr Kinder-Kette, die Kinder aus allen möglichen Ländern zeigte. Sie hielten sich an den Händen und die Girlande hing im Eingangsbereich unseres Gruppenzimmers.

Damals wusste ich noch recht wenig von der Welt, aber wahrscheinlich verstand ich mehr als heute. Ich wusste nicht, dass Menschen in Kategorien eingeteilt werden aufgrund ihres Aussehens, der Ethnie, ihrer Sprache, ihres Kleidungsstils oder ihres Wohlstandes und dass man sie -je nachdem- besser oder schlechter behandelte. Ich spielte im Kindergarten am liebsten mit Laura, die sehr nett war und zwei blonde Zöpfe hatte und Angelo, der zwar gerade erst aus Italien kam und dementsprechend wenig Deutsch sprach, aber ein super Puppenvater war.

Meistens holte mich mein Opa vom Kindergarten ab, da meine Eltern noch im Büro waren. Recht genau kann ich mich an den Kommentar eines Nachbarns meines Opas erinnern. „Lossn Sie Ihr Enkelin mit de Türken spuin?“ fragte er meinen Opa während ich mit Abdul im Sandkasten spielte. „Herr Mayerhofer, genns (das sagte mein Opa immer), kümmern’s erna um Ihren Dreck!“ antwortete er. „I woits ja nua song. Net dass hinterher dann Probleme mit dena Türken gibt!“ antwortete Herr Mayerhofer. „Genns, schleichans earna! Und putzens lieba des Treppenhaus. De Woch san Sie droh!“ gab mein Opa zurück.

Später, in Opas Wohnung, bei Pichelsteiner und Brezen, fragte ich meinen Opa: Opa, was sind Türken?“ Ich war 5 Jahre alt. Für mich gab es keine Nationalitäten. Wir waren noch nie außerhalb Deutschlands im Urlaub und auch in Deutschland habe ich bis zum damaligen Zeitpunkt noch nie Bayern verlassen. „Des san Menschn von am andern Land, der Türkei. Und die wohnan jetzt hier mit uns.“ erklärte er. „Hm…“ sagte ich und schlürfte meinen Eintopf. „Und was ist der Unterschied zwischen denen und mir?“ löcherte ich ihn weiter. Ohne lange nachdenken zu müssen antwortete mein Opa: „Es gibt koan! Mir san olle vom Herrgott gmacht worrn. Loss dir nix erzähln von dem oiden Mayerhofer. Des is a Brauner!“ fügte er an. „Was ist ein Brauner?“ hakte ich nach. „Des san Menschen, die dir einredn woin, dass’s an Unterschied zwischen uns gibt. Des machan die desweng, damits de andern schlechter geht ois eana. Aber I sogs nomoi: Es gibt koan Unterschied zwischen uns olln. Am jüngsten Tag san ma alle gleich. Und dann lacht der Herrgott den Herrn Mayerhofer aus für so an Schmarrn. Und a Watschn kassiert er ah. Do bin I mir sicha! Woast, Mausal, du konnst song: Da Hans is a recht a Depp, weil er den Maibaum alloa klaun woit! Aber du konnst net song: Da Abdul is a rechter Depp, weil er net do geboren ist. Wichtig is, dass du dene Leid sogst, die so a Meinung hom, dass die olle Deppen san. Wenn’s mehra von dene gebn hätt, die amal wos gsagt hätten, damals, dann war der zwoate Weltkrieg und ois wos do passiert ist, net gwesen. Und des wär a feine Sach gworrn.“ Zufrieden mit seiner Erklärung schlürften wir ruhig unseren Eintopf weiter.

Als meine Mama mich abholen kam und im Auto fragte, was Opa und ich gemacht haben, fasste ich es für sie zusammen: „Opa sagt, braun tragen Nazis und Nazis sind schlecht. Die wollen nämlich, dass wir komisch von anderen Menschen wie dem Abdul denken und Unterschiede machen. Aber Opa sagt auch, der Herrgott macht keinen Unterschied zwischen uns. Und wer doch einen Unterschied macht, kriegt eine Watschn vom Herrgott. Wichtig ist, immer was zu sagen, wenn jemand so eine Meinung wie der Herr Mayerhofer hat, weil sonst gibt es Krieg. Und es wäre eine schöne Sache, wenn es keinen Krieg mehr gibt.“

Meine Mutter lächelte und sagte: „Da hat Opa dir aber was tolles beigebracht. Halt dich immer schön daran, denn Opa ist ein sehr schlauer Mann!“

Wissen Sie, auch mir will mein Gehirn ab und zu einen Streich spielen. Es will in einem unbeobachteten Moment Menschen in die Länder-Klischee-Kiste stecken. Imaginär hau ich mir auf die Finger und denke an den Satz meines Opas: „Vorm Herrgott san mir olle gleich! Und wer anders denkt, der kriegt a Watschn!“

[Hochdeutsche Version]

Damals im Kindergarten gab es eine sehr beeindruckende Girlande.Eine Menschen- oder vielmehr Kinder-Kette, die Kinder aus allen möglichen Ländern zeigte. Sie hielten sich an den Händen und die Girlande hing im Eingangsbereich unseres Gruppenzimmers.

Damals wusste ich noch recht wenig von der Welt, aber wahrscheinlich verstand ich mehr als heute. Ich wusste nicht, dass Menschen in Kategorien eingeteilt werden aufgrund ihres Aussehens, der Ethnie, ihrer Sprache, ihres Kleidungsstils oder ihres Wohlstandes und dass man sie -je nachdem- besser oder schlechter behandelte. Ich spielte im Kindergarten am liebsten mit Laura, die sehr nett war und zwei blonde Zöpfe hatte und Angelo, der zwar gerade erst aus Italien und dementsprechend wenig Deutsch sprach, aber ein super Puppenvater war.

Meistens holte mich mein Opa vom Kindergarten ab, da meine Eltern noch im Büro waren. Recht genau kann ich mich an den Kommentar eines Nachbarns meines Opas erinnern. „Lassen Sie ihre Enkelin mit den Türken spielen?“ fragte er meinen Opa während ich mit Abdul im Sandkasten spielte. „Herr Mayerhofer, ach kommen Sie, kümmern Sie sich um Ihren Dreck!“ antwortete er. „Ich wollte es nur anmerken. Nicht, dass es danach Probleme mit diesen Türken gibt.“ antwortete Herr Mayerhofer. „Los, gehen Sie! Und putzen Sie lieber das Treppenhaus. Diese Woche sind Sie dran!“ gab er zurück.

Später im Haus, bei Pichelsteiner (ein bayerischer Eintopf) und Brezeln, fragte ich meinen Opa: „Opa, was sind Türken?“ Ich war 5 Jahre alt. Für mich gab es keine Nationalitäten. Wir waren noch nie außerhalb Deutschlands im Urlaub, geschweige denn, außerhalb Bayerns. „Das sind Menschen aus einem anderen Land, der Türkei. Und sie wohnen jetzt hier zusammen mit uns.“ erklärte er. „Hm…“ sagte ich und schlürfte meinen Eintopf. „Und was ist der Unterschied zwischen denen und mir?“ löcherte ich ihn weiter. „Es gibt keinen. Wir sind alle von Gott erschaffen worden. Lass dir nichts vom alten Mayerhofer einreden. Er ist ein Nazi!“ fügte er an. „Was ist ein Nazi?“ hakte ich nach. „Das sind Menschen, die dir einreden wollen, dass es einen Unterschied zwischen uns gibt. Das machen sie, damit es den anderen schlecht geht. Aber ich betone es noch einmal: Es gibt keinen Unterschied zwischen uns allen. Vor dem jüngsten Gericht sind wir alle gleich. Und dann lacht Gott Herrn Mayerhofer aus für so einen Quatsch. Und eine Ohrfeige kassiert er dann auch. Da bin ich mir sicher. Weißt du, Mäuschen, du kannst sagen: Der Hans ist ein Depp, weil er den Maibaum allein klauen wollte. Aber du kannst nicht sagen: Der Abdul ist ein Depp, weil er nicht hier geboren ist. Wichtig ist, dass du den Leuten, die so eine Meinung haben, sagst, dass SIE alle Idioten sind. Wenn es mehrere dieser Leute gegeben hätte, die den Mund aufgemacht hätten, damals, dann wäre der zweite Weltkrieg und alles, was passiert ist, nicht passiert. Und das wäre eine gute Sache gewesen!“ erklärte er mir sehr ernst und schlürfte dann ruhig seinen Eintopf weiter.

Als meine Mama mich abholen kam und im Auto fragte, was Opa und ich gemacht haben, fasste ich es für sie zusammen: „Braun tragen Nazis und Nazis sind schlecht. Die wollen nämlich, dass wir komisch von anderen Menschen wie dem Abdul denken und Unterschiede machen. Aber Opa sagt, der Herrgott macht keinen Unterschied zwischen uns. Und wer doch einen Unterschied macht, kriegt eine Ohrfeige vom Herrgott. Wichtig ist, immer was zu sagen, wenn jemand so eine Meinung wie der Herr Mayerhofer hat, weil sonst gibt es Krieg. Und es wäre eine schöne Sache, wenn es keinen Krieg mehr gibt.“

Meine Mutter lächelte und sagte: „Da hat Opa dir aber was tolles beigebracht. Halt dich immer schön daran, denn Opa ist ein schlauer Mann!“

Wissen Sie, auch mir will mein Gehirn ab und zu einen Streich spielen. Es will in einem unbeobachteten Moment Menschen in die Länder-Klischee-Kiste stecken. Imaginär hau ich mir auf die Finger und denke an den Satz meines Opas: „Vor Gott sind wir alle gleich! Und wer eine andere Meinung hat, kriegt eine Ohrfeige.“

22 Kommentare zu „Vor’m Herrgott sind wir alle gleich

  1. Da hattest du aber einen ganz tollen Opa, der anderen direkt die Meinung gesagt hat. Ich glaube, das hast du von ihm 💗 die bayerische Version war sehr süß 😁

    Bei mir hat niemand in der Familie so etwas erklärt, aber da gab es auch wenig Berührung mit ausländischen Kindern. Aber ich hab mal öfter so gedacht, wenn ein Kind aus der Schule oder der Nachbarschaft einen polnischen Namen oder so hatte, hat es uns auch nicht gestört. Kinder denken nicht in Nationalitäten, außer sie spielen eine WM nach oder Krieg. Das haben wir gelegentlich auch schon mal gemacht. In meinem Lesebuch gab es ein Bild mit einem Gedicht von allen Kindern dieser Erde, so ähnlich wie deine Girlande, hat mich dieses Bild immer begleitet und war maßgeblich verantwortlich für meinen Wert des Friedens, den ich fast immer gelebt habe.

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    1. Dankeschön! ❤️

      Genau, für Kinder gibt es dieses Nationalitäten-Denken nicht. Ihre Motivation ist auch eine andere, wenn sie die WM oder Krieg nachspielen. Es geht meistens darum, die beste Freundin/den besten Freund im eigenen Team zu haben. 😄
      Es ist schön zu lesen, dass das Bild mit dem Gedicht im Lesebuch für deinen Wert des Friedens verantwortlich ist. Ein anderer hätte es gar nicht gesehen oder dem Bild keine Aufmerksamkeit geschenkt. Wie du letztens so schön schreibst: Der Samen war da, der „Dünger“ war u. a. das Bild in dem Lesebuch! 🤩

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      1. Die Vorbehalte hatte ich über Albaner auch. 😄 Das Leben liebt die Ironie des Schicksals. Und eh du dich versiehst, wohnst du mit Resi oder Maria am Tegernsee. 😄 Wenn es so kommt, würde ich mir Pralinen von Elly Seidel wünschen – als Dankeschön, dass ich dir die Zukunft vorausgesagt habe. 😄

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      2. Danke für die Einladung. Aber zählt das überhaupt? Schließlich bist du selber immigriert 😌

        Komm lieber nach Hamburg. Dann lernst du die legendäre norddeutsche Unfreundlichkeit kennen 🙌

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  2. Im Abwerten anderer (Aufgrund von Herkunft oder Kultur) liegt ja das Verlangen sich selbst aufzuwerten und das hat dein lieber Opa einfach nicht nötig gehabt.
    LG🌹

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    1. Absolut – er hat schon damals erkannt, dass das Verhalten sinnlos ist. Ein Glück, hat er seine Werte mit uns geteilt u. Wert darauf gelegt, dass wir „in die richtige Richtung laufen“ und uns von so einem Quatsch nicht anstecken lassen. Ich bin ihm sehr dankbar dafür! LG 😘

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