„Ma no! Non ancora.[Aber nein! Nicht schon wieder.]“, stöhnt der Römer resigniert und starrt sein Original französisches Brioche auf dem matten Teller entsetzt an. Der mit Hagelzucker gesüßte Hefebrocken starrt mürrisch zurück. „Jedesmal passiert mir das. Es will einfach nicht in meinen Kopf gehen!“, erklärt er mir verzweifelt und schmachtet dabei mit großen Augen mein Pain au Chocolate an. Verständnisvoll nicke ich und beiße von meinem süßen Blätterteigteilchen ab. Als sein Blick immer sehnsüchtiger wird, gebe ich ungefragt nach. „Hier, bitte schön.“, sage ich, wische mir die Blätterteigkrümel aus dem Mundwinkel und schiebe ihm das beinahe intakte Süßgebäck hinüber. Er lächelt selig und kaut zufrieden unter lauter „Aber das wäre doch nicht nötig gewesen“-Beteuerungen mein Pain au Chocolate, nur um mir dann den traurigen Hefeklumpen an meine Seite des Tisches zu schieben.

Pain au Chocolate – alles besser als der Hefekloß

Blasiert starrt mich das unerwünschte Gebäckstück des Römers an. Während ich auf den flinken Kellner warte, zupfe ich ein, zwei Hagelzucker-Körner von der glatten Oberfläche. „Entschuldigen Sie bitte, könnten Sie mir etwas Marmelade zum Brioche bringen?“, frage ich den an mir vorbeiflitzenden Kellner. „Sehr gerne, Madame. Kommt sofort.“, spricht dieser am Vorübergehen.

Als der Römer sein, nein, mein Gebäck beinahe vertilgt hat, kommt er ins Sinnieren: „Warum kann man in Italien eigentlich ein ‚Brioche‘ bestellen und bekommt ein süßes Croissant und in Frankreich und Deutschland bekomme ich einfach nur einen spärlich gesüßten Hefekloß?“, will der Römer von mir wissen und guckt mich so durchdringend an als würde sich die Antwort auf diese Frage schon irgendwo in meinem Kopf auftun, würde man mich nur ausdauernd genug anstarren. Dabei weiß ich es auch nicht. Ich zucke mit den Schultern und murmle ein „Boh. [ital. umgangssprachlich für „non lo so“ – ich weiß es nicht]. Dann streiche ich etwas Aprikosen-Marmelade, die der Kellner mittlerweile auf unseren Tisch gestellt hat, auf meinen Hefekloß. Doch mein Gatte will sich mit dieser Antwort nicht zufrieden geben. Er will es, mal wieder, ganz genau wissen. „Vielleicht liegt die Wurzel des Problems in der Vergangenheit? Lo imagino così [Ich stelle mir das so vor:]Ein Italiener reiste nach Frankreich, war ganz begeistert von den süßen Croissants und vergaß bei all dem Genuss den korrekten Namen. So teilte er seinen Verwandten, Freunden und Bekannten in seiner Heimatstadt mit, dass dieses exquisite Gebäck „Brioche“ heißt. Die gesamte Verwandtschaft tüfteltean einem Rezept, um die Brioches kulinarisch zu rezitieren und es gelang ihnen: Eine etwas süßere Variante des Croissants entstand. Weil es Nonna Vincenza noch nicht süß genug war, nahm sie die Bratenspritze und garnierte es mit ihrer soeben eingekochten Aprikosemarmelade. Und eccolo – das war die Geburtsstunde des italienischen Brioches!“, fantasiert der Römer sich diese Geschichte zusammen. Ganz unmöglich erscheint mir diese Fabel nicht und so stimme ich ihm zu. Ja, so muss es gewesen sein, damals, in Italien. Beinahe angekommen am letzten Bissen des französischen Brioches, wittere ich meine Chance als italbanische Integrationskraft – auch im ganz eigenen Interesse: Ich muss ihm das korrekte Wort beibringen, damit wir bei zukünftigen Café-Besuchen das Hefekloß-Debakel umgehen können. „Beim nächsten Mal würde ich dir raten, einfach ein Croissant zu bestellen. Damit bist du immer auf der richtigen Seite.“, schlage ich – ganz selbstlos – vor. Der Römer guckt mich fragend an. Ja, das könne er machen, sagt er. Alleine aus jahrzehntelanger Gewohnheit will ihm dieses Wort nicht über die Lippen kommen. Ob es denn kein deutsches Pendant für dieses französische Wort geben würden. Ich dachte nach: „Das deutsche Wort…Wie war das noch gleich?“.

Zwei Croissants oder Kipferl oder Hörnchen

Dazu muss ich sagen, dass ich bin in Bayern aufgewachsen bin und sich damit gewisse, sprachliche Eigenheiten in meinem Wortschatz befinden. So dauerte es Jahre in Hessen bis ich die passenden Pendants für die Wörter „Wäscheklupperl“ [Wäscheklammern] und „Tragl“ [Getränkekisten] aktiv anwenden konnte. „Kipferl ist sicher das falsche Wort.“, beginne ich meine Überlegung. „Vielleicht sagt man dazu Hörnchen?!“

Ich lasse die Frage im Raum stehen. Nein, so genau wusste ich es auch nicht. Der Römer murmelt die beiden Wörter vor sich hin. Bei seiner Aussprache der beiden Wörter („Kipfl“ und „Ohrn-chen“) war ich mir nicht ganz sicher, ob nicht doch wieder ein Hefekloß auf seinem Teller landen würde – aus purem Unverständnis und vielleicht auch aus Mitleid. Drei, vier Mal üben wir die korrekte Aussprache, bis das „Ohrn-chen“ ein „Örnchen“ und das „Kipfl“ ein „Kipfal“ wurde. Der Römer strahlt stolz.

„Dann bestelle ich einfach zukünftig ein Vanillekipferl.“, spricht der Römer voller Inbrunst. „Das werden die hier auch verstehen. Ein Kipferl mit Vanillecreme.“ Ich musste lachen, weil ich mir vorstellte, wie ein einziges, mickriges Vanillekipferl-Plätzchen auf seinem Teller landet. Kurz überlege ich, ob ich auch dieses Missverständnis ausbügeln soll, aber ich mag Vanillekipferl deutlich lieber als Hefeklumpen und so rate ich ihm Folgendes: „Dann bestell mindestens zwei Vanillekipferl. Glaub mir, von einem Vanillekipferl wirst du nicht satt.“

Vanillekipferl – auch so ein Missverständnis, das wir in nächster Zeit klären sollten.

18 Antworten zu „Römische Missverständnisse im Café”.

  1. Avatar von 21moh

    Ja, ja, die deutsche Sprache! Noch schwieriger wird es bei österreichischem und norddeutschem Deutsch, oder wie Karl Kraus sagte: „Was Österreicher und Deutsche am meisten unterscheidet, ist die gemeinsame Sprache!“
    Z.B: Hörnchen – sind bei uns in Wien Teigwaren (etwas verkümmerte Makkaroni), wenn ich bei uns ein Hörnchen mit Eis haben will, verlange ich ein Stanitzel. Und wehe jemand verlangt bei uns eine Tüte! Nicht aus Umweltgründen sind wir dann konsterniert, sondern weil das in Österreich „Sackerl“ heißt!

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    1. Avatar von Eva Farniente

      Das ist ein feiner Punkt und eine gute Lektion in Sachen “Deutsch ist nicht gleich Deutsch” für den Römer. Ich werde die Hinweise gleich weitergeben, um ihn vollends zu verwirren.
      Und doch:
      Die Fallstricke der Sprache lauern überall. Ich erinnere mich daran als ein junger Österreicher einen Polster haben wollte und bei mir der Groschen einfach nicht fallen wollte. Auch ein Sackerl ist in Bayern ein Stoffsack für Semmeln. Wobei Semmeln auch nicht gleich Semmeln sind. In Norddeutschland bestellt man damit gerne einmal ganze Brotlaibe. Was meinen Sie wie die Verkäuferin geguckt hat als ich 10 Semmeln wollte. 😄 Aber am Ende verstehen wir uns doch irgendwie. Und darauf kommt es an!

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  2. Avatar von Anke

    Dass die Italiener überhaupt französische Begriffe für ihre Frühstücksspezialitäten verwenden, das ist für mich das größte Rätsel. Und wir essen natürlich weiterhin Brioches, also Croissants. 😉

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    1. Avatar von Eva Farniente

      Es will und will mir auch nicht in den Kopf hinein, liebe Anke. Wo doch auch noch die mir bekannten Italiener nicht gerade frankophil sind. Stattdessen steht man im ständigen Wettstreit: Wer hat die bessere Mode? Das schönere Land? Die lieblichere Sprache? Den besseren Wein?
      Immerhin, die Italiener haben das einzigartigere Brioche, das am Ende des Tages ein Croissant ist. 😄

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      1. Avatar von Anke

        Genau, Namen sind Schall und Rauch. Und dann gibt es ja auch noch das Bidet, das die Italiener erfunden haben wollen. Auch ein beliebtes Argument im Vergleich mit dem Nachbarland. Va bene, das passt jetzt nicht direkt in dein kulinarisches Thema.🙈
        Sagen wir einfach so: Ein Hoch auf alle französisch klingenden, italienischen Errungenschaften! 😉

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      2. Avatar von Eva Farniente

        Aber Hallo! 😃

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  3. Avatar von Trude

    Ja – das mit den Vanillekipferln solltest du schleunigst aufklären 😉
    🌈😘😎

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    1. Avatar von Eva Farniente

      Ich werde es ihn selbst herausfinden lassen, dachte ich mir. Wie sagt man so schön? Man lernt am besten durch eigene Erfahrungen. 😆

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  4. Avatar von Miss to Bee

    Also bei uns sind Croissants ganz einfach ‚Gipfeli‘ 😀
    Und Brioche sind hier so luftiges, feines Gebäck 🙂

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    1. Avatar von Eva Farniente

      Ein super Hinweis! Das wusste ich selbst nicht. Da werde ich gleich noch eine Lektion “Croissant-Bestellung in der Schweiz” geben müssen. 😃

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  5. Avatar von Tra Italia e Finlandia

    Adoro tutto: dai croissant ai kipferl! Comunque in Finlandia li chiamiamo croissant, brioche non esiste. Buon appetito! 😋

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    1. Avatar von Eva Farniente

      Mi sembra ovunque al mondo potresti usare la parola “croissant” e ti porta nella direzione giusta. 😄 Ma, cara Luisella, tu sai per caso xke si chiama “brioche” in Italia? Sarebbe molto interessante. 😃

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      1. Avatar von Tra Italia e Finlandia

        Caspita, no lo so proprio…ma mi informo. Comunque sono due termini che vengono entrambi dalla cucina francese e probabilmente indicano più o meno la stessa pasta. Croissant potrebbe essere riferito maggiormente alla forma del prodotto.

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  6. Avatar von FrauC
    FrauC

    Ein Croissant ist keinesfalls ein Hörnchen! Hörnchen sind auch aus Hefeteig und werden in Hessen vermutlich Hörnsche genannt…

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    1. Avatar von Eva Farniente

      Ach stimmt. 😧 Das ist ein sehr guter Hinweis! Ein Hörnchen ist natürlich kein Croissant, sondern näher am ungeliebten französischen Brioche dran. Das werde ich gleich weitergeben, sonst kommt es wieder zum Fauxpas.

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  7. […] Herr Buddenbohm schrieb einen Nachruf. Frau Tibertaunus diskutiert mit dem Römer über Brioche und Brioche. […]

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  8. Avatar von wgnaunyn

    Das gibt sicher noch Fortsetzungsgeschichten.

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    1. Avatar von Eva Farniente

      Das kann ich mir gut vorstellen. 😉

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Herzlich Willkommen auf meinem Familienblog zwischen den Kulturen! Hier geht es um all die Themen rund um die täglichen Herausforderungen als germano_it_albanische Kleinfamilie mitten in Frankfurt am Main.

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