[Vorspann verpasst? Kein Problem! ]
Noch in der Nacht auf Sonntag ist das Kind auffallend warm. Zwischen uns Eltern liegend fühlt es sich an als würden wir neben einem Lagerfeuer weilen. An den Raumtemperaturen kann es nicht liegen, denn die Klimaanlage läuft leise surrend auf angenehmer Stufe. Wir messen Fieber und hören nach wenigen Sekunden bereits den Warnton des Fieberthermometers. Ja, die Elternhand auf der kindlichen Stirn lag richtig: Eindeutig Fieber! Das Kind quengelt, findet nicht mehr in den Schlaf, dreht sich und weint dann wieder. Schnell wird klar: Zeit für ein Fieber-Zäpfchen. Signorino schläft nach Verabreichung des Wundermittels bis morgens durch. Doch selbst nach dem Aufwachen ist er sehr müde, kraftlos, schlapp und immer noch fiebrig.
Zeitgleich fängt der Römer an, sich selbst zu geißeln: Er müsse jetzt bei seinem Vater sein, der im Sterben liegt. Stattdessen sei er hier bei uns im Strandhaus. Zudem sei Signorino krank, aber er müsse doch zu seiner Familie nach Tirana. Die immer gleichen Strophen eines Klageliedes höre ich mir an, während ich ein krankes, quengelndes, weinendes Kind quasi im Alleingang versorge. Tapfer halte ich meine Fahne hoch. „Wird schon werden, wird sich klären.“, wiederhole ich, um nicht durchzudrehen. Nachmittags, nach einem ausgiebigen Mittagsschlaf, ist das Kind so fit, dass es an den Strand will. Der ist direkt vor der Türe und so versuchen wir es. Nur ins Wasser darf er nicht, beschließen wir. Zum Glück will er das auch nicht und so sitzt der fitte Patient neben unserer Liege und baut sehr ruhig und sehr präzise Bauten aus Sand.

Nachts schläft er ruhig und tief, ist aber immer noch heiß. Diesmal will ich auf das Zäpfchen verzichten. Lass den Körper mal machen. Der wird das schon regeln.
Am Dienstagmorgen werden die Sätze des Römers eindringlicher: Er müsse vor Ort, bei seinem Vater, sein. All seine Geschwister seien vor Ort. Nur er nicht – er sei hier am Strand bei Frau und krankem Kind. Derweil muss er doch gerade jetzt bei seinem Vater sein. Wegen uns könne er aber nicht weg. So geht das immer weiter. Bei allem Verständnis, es macht mich mürbe. In mir fühlt es sich an als würde jemand ein Handtuch auswringen.
Um 11 Uhr vormittags legt sich das Kind selbstständig wieder zurück ins Bett. Er sei müde, wiederholt er und schläft sehr schnell ein. Klar, es ist ja noch nicht fit. Der Römer stimmt wieder in seine immer gleichen Sätze ein. Ich gebe auf und bitte ihn, zu fahren. Wir würden es schon hinbekommen, hier, alleine am Strand in Albanien. Little did I know….
Kopflos packt der Römer ein paar Sachen zusammen. An ein Hemd für eine mögliche Beerdigung denkt er nicht. Meine Packhinweise kann er nicht aufnehmen, da er zu sehr in Gedanken ist. Er verlässt das Haus, an den Füßen nur ein Paar Sandalen, in einem Täschchen frische Unterwäsche und ein Poloshirt. Dann steigt er in ein Taxi. Kaum fünf Minuten im Gefährt bekommt er einen Anruf: „Jetzt musst du kommen. Vater ist tot.“, sagt sein Bruder. Die Taxifahrt nach Tirana wird sehr lang für meinen Gatten. Wie es der Brauch will, wird die Nachtwache beim Toten gehalten. Der Römer und sein Schwager Besim werden auf den verblichenen Vater aufpassen, der im Wohnzimmer aufgebahrt wird. Erst mit der Beerdigung, die innerhalb von 24 Stunden stattfinden muss, verlässt der Verstorbene für immer das Haus.
Doch zurück zu uns, ins Strandhaus: Gegen späten Mittag wacht das Kind auf. Er ist fieberfrei. Hallelujah! Zum Glück haben wir genug Lebensmittel daheim und müssen nichts einkaufen. Den Strand haben wir direkt vor der Türe. Es ist für alles gesorgt. Ja, die Situation ist nicht schön, aber machbar.
Nachmittags besteht das Kind darauf, einen Apfel zu essen. Nachdem ich ihm alle Früchte anbot, die wir daheim haben, besteht er weiterhin auf einen Apfel, den wir eben nicht daheim haben. Also nehme ich den großen Lek-Schein, den mir der Römer gegeben hat, und wir gehen zum Einkaufen. EC- und Kreditkarten sind in diesem Landstrich Albaniens vollkommen wertlos. Was zählt ist Bargeld.
Dabei muss ich ergänzen, dass ich vermeide, in Frankfurt mit dem Kind einkaufen zu gehen. Zu oft hatten wir wilde Szenen im Supermarkt, so dass es primär für mich und sekundär für Signorino entspannter ist, wenn ich ohne ihn einkaufen gehe. Jetzt sind wir also gezwungen. Es hilft ja nichts. Das Kind ist ausnehmend brav. Wir gehen die ungeteerte Straße Richtung Lebensmittelladen entlang, geben jedem einzelnen Straßenhund, der uns begegnet, einen Namen („Das ist Bozza! Oh, Mama, das ist Bongo! Digedi, da ist Digedi!“) und schlendern zum Minimarkt. Da durchgehend Autos an uns vorbeifahren, hält das Kind brav meine Hand. Vor einem Jahr wäre das undenkbar gewesen.
Am Minimarkt angekommen, frage ich die Verkäuferin, ob sie Englisch oder Italienisch spräche. Sie guckt mich mit großen Augen an, was wohl „Nein.“ heißt. Ihre Tochter, die neben ihr steht, spricht zum Glück Englisch und so frage ich sie nach Äpfeln. Sie gibt mir zwei große, rote Äpfel und will 50 Cent dafür. Ich habe nur einen 20.000 Lek-Schein, umgerechnet 20 Euro. Ob ich es nicht kleiner habe, will sie wissen. Bedaure, sage ich. Aber ich würde noch ein paar Kekse, eine Flasche Wasser und ein völlig überteuertes Waschmittel nehmen. Endlich wird mein Lekschein akzeptiert. Ich bedanke mich und wir gehen.
Auf dem Heimweg sehen wir „unsere“ Straßenhunde wieder. Bozza liegt müde im Schatten, Bongo kramt aufgeregt im Müll. Digedi guckt sich neugierig und mit wedelndem Schwanz die vorbeifahrenden Autos an. Daheim angekommen, wie sollte es anders sein, will das Kind keinen Apfel mehr essen. Beinahe empört blickt er mich an. Wie ich darauf käme, dass er einen Apfel will! Ich atme tief ein und lange aus. Stattdessen wünscht er nun eine Banane. Die hätten wir daheim gehabt, aber anscheinend wollte er gerne den Minimarkt besuchen. Er hatte wohl das Bedürfnis nach ein bisschen Abenteuer. Wer kann es ihm verdenken? Zufrieden mampft er eine Banane auf der Veranda und guckt seine Serie auf dem Tablet.
Immerhin habe ich gelernt, dass ich, entgegen meiner Vermutung, nicht zu Staub zerfalle, wenn ich mit einem Kind in der Trotzphase im Ausland einkaufen gehe. Dafür hat es sich schon gelohnt.
In der Nacht ist mir ziemlich übel. Ich schiebe es auf die Aufregung der letzten Tage. Doch schneller als mir lieb ist, sollte ich feststellen, dass es nicht an der Aufregung liegt…..

Es tut mir leid für den Römer, es tut mir leid für euch zwei und hey, ich will wissen, wie es weiter geht.
Im Ernst – keine schöne Zeit für Euch 😥
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😄😄😄 Die nächste Folge steht schon in den Startlöchern.
Vielen, lieben Dank. Mittlerweile haben wir Abstand zu dieser Zeit gewonnen. 💛
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Das mit dem Supermarkt ging zumindest gut 🫂
🌈😘😎
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Genau! Das darf man auch mal anmerken: Es ist nicht alles schlecht gewesen, liebe Trude. 😃
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Puh, puh – und nochmal puh!
Da habt ihr ja wirklich eine Menge mitgemacht, liebe Eva. Und du? Was hast du ausgebrütet? Bin schon sehr neugierig auf den nächsten Teil! 🙂 LG Bea
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Du hast absolut Recht, liebe Bea. Es war ein Ritt. Deswegen wollte ich auch diese dämliche und völlig überteuerte Tasse am Flughafen – quasi als Trophäe. 😄
Tatsächlich einen Magen-Virus, immerhin ohne Darm. Man erfreut sich ja schon an den kleinsten Dingen. 😄 LG, Eva
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