Net(t)e Herausforderung

„Ho una domanda.[Ich habe eine Frage.]“, fängt der Römer an, während wir bei der Abendpizza sitzen. „Ja?“, antworte ich kauend. Der Römer macht eine Pause. Dann guckt er mich ernst an.

„Was heißt nett?“, fragt er mich. „Gentile, simpatico. Aber das weißt du doch?“, gebe ich zurück und beiße erneut in meine Pizza, die auf halber Strecke zu meinem Mund die Hälfte des Rucolas verliert. Ich schnappe mir die Gabel und stochere im gefallenen Salat herum.

“Non può essere. Das kann nicht sein. Meine Patienten reden immer von ‘nett’. In jedem zweiten Satz kommt dieses Nett vor!”, regt sich der Römer auf. Man merkt: Das Thema beschäftigt ihn. “Na ja, vielleicht finden sie’s bei dir einfach nett?”, antworte ich und mampfe ein paar Rucolablätter mit Parmesanspänen. “Aber doch nicht nonstop!”, protestiert der Gatte und verschränkt trotzig die Arme. Man sieht, er fühlt sich allein gelassen mit diesem Problem.

“Kannst du ein Beispiel nennen?”, fordere ich ihn auf, um mehr Klarheit zu erlangen. Er überlegt kurz, dann hat er ein gutes Beispiel gefunden: “Das neue Modell der Automarke XY gefällt mir nett!”, sagt er.

Aaah! Jetzt weiß ich, was er meint. Deutsch und die dazugehörigen Dialekte sind echt fies. Er meint nicht “nett”, er meint “nicht”, also “net”. Ich muss lachen, während der Römer noch darüber fachsimpelt, dass sämtliche Sätze mit einem nachgestellten “nett” überhaupt keinen Sinn ergeben würden. “Mi piace il nuovo modello XY simpaticamente? [Mir gefällt das neue Modell XY nett?] Ma che senso fa? [Was macht das für einen Sinn?] Wie kann dir denn etwas ‘nett’ gefallen?”, denkt er laut nach und teilt seine Gedanken, die vermutlich schon seit Wochen in seinem Kopf umher schwirren.

“Ne, ne! Net heißt nicht. Das ist ein Dialekt. Ich dachte eigentlich, nur in Franken sagt man net für nicht, aber anscheinend verneint man so auch in Hessen. In Bayern sagt man ned, mit langem e.”, erkläre ich dem Mann.

Sein Kopf scheint zu explodieren. “Ma non si può dire ‘nicht’ come ogni umano normale? [Aber kann man nicht ‘nicht’ sagen wie jeder normale Mensch?] Warum lernt man das dann so im Deutsch-Unterricht?”, will der Römer von mir wissen. “Weil ‘nicht’ Hochdeutsch ist. Es ist vollkommen korrekt, ‘nicht’ zu sagen. Aber Deutsch ist eben eben auch eine gesprochene Sprache und damit – je nach Region – gefärbt von lokalen Sprachfärbungen. Und dann heißt es schnell ‘net’, statt nicht.”

“Das heißt, net nett heißt nicht nett?”, hakt er noch einmal bei mir nach. Ich grinse. Ja, genau so ist es. “Mamma mia, che lingua [Mein Gott, was für eine Sprache!]”, spricht der Römer und schlägt die Arme über dem Kopf zusammen. “Una lingua simpatica, net? [Eine nette Sprache, net?].”, ergänze ich. Der Römer grinst schief.

Das fand er wohl nicht nett.

28 Kommentare

  1. Oh ja…

    Ich bin übrigens ganz überrascht, wie verbreitet „net“ in Deutschland ist. Bayern und teilweise die Schwaben – eh, das weiß man. Ich glaub in ostdeutschen Dialekten ist es meist auch so. Dass man auch ganz im Westen eine Dialektform für „nicht“ hat, war mir neu. Also was über deutsche Dialekte gelernt.

    In Österreich ist es – natürlich – praktisch flächendeckend „ned“. Die Kärntner sagen freilich „nid“, zumindest in manchen Regionen.

    Ich kann es deinem Römer ja nachfühlen. Wir Österreicher verstehen euch Deutsche zwar weitaus besser als das umgekehrt der Fall ist, aber es gibt dann doch ab und zu mal Texte, da muss ich ein Wörterbuch bemühen. Vor allem, wenn’s ums Essen geht, übrigens.

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    • Das freut mich, lieber Chris. 😃 Ich war mir auch sicher, dass “net” nur noch im nördlichsten Zipfel Bayerns benutzt wird, aber ich durfte feststellen, dass das nicht so ist. Wobei ich natürlich nicht so genau zuhöre wie der Römer.

      Das muss ich dem Römer vielleicht noch sagen, das Österreichisch (un die unterschiedlichen Dialekte, tirolerisch vs. kärtnerisch, vorarlbergerisch vs. wienerisch – ich erinnere mich an das Lied “Vo Mello bis ge Schoppernau”) wieder eine andere Schiene ist. 😄 Er ahnt es schon, aber hört keinen großen Unterschied.

      Genau, da bin ich ganz bei dir. Aus Bayern stammend verstehe ich einen guten Teil der Österreicher ohne große Probleme, nur beim “Polster”, beim “gspritzten Apfelsaft” oder bei Paradeisern und Karfiol komme ich ins Schludern. Wobei das letzte Wort dem Italienischen wieder näher ist: Cavalfiore. 😄 Hauptsache am Ende des Tages versteht man sich! Irgendwie klappt’s immer.
      Komm gut ins Wochenende und liebe Grüße!

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  2. :-)))) Wie gut, dass er ein passendes Beispiel hatte, um dem net(t) auf die Spur zu kommen. Und ich verstehe deinen Gatten nur zu gut. Nicht umsonst heißt es: Deutsche Sprache, schwere Sprache. 🙂 Net? :-D)))
    Liebe Grüße in den Frankfurter SprachRaum. 😘

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  3. Liebe Eva! Was für eine nette Geschichte, die du uns auf deine ‒ wie immer ‒ äußerst unterhaltsame Art nacherzählt hast. Vielen Dank! Ich habe sehr gelacht und kann mit dem Römer mitfühlen.
    Dazu fällt mir ein: Solltet ihr mal einen Abstecher nach Sachsen machen, erkläre ihm bitte vorher, dass „nu“ oder „nu, nu“ (mit kurzem „u“) keine Verneinung, sondern Zustimmung ist. Sonst meint er noch, man könne es denen im Osten net recht machen.😉
    Herzliche Grüße aus Norditalien, wo es nach vier Tagen mit schönem Wetter endlich mal wieder regnet.

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    • Das ist ein super Tipp, liebe Anke! Ich kann mir vorstellen, dass er bei “nu” eher an das neapolitanische “nu” oder “nun” denkt. 😄 Das muss ich ihm unbedingt sagen. Irgendwann wirft er dann vermutlich das Handtuch, weil es einfach zu viele dialektische Eigenheiten gibt. Aber die Meisten sind sehr, sehr hilfsbereit, wenn sie merken, dass man kein Muttersprachler ist und helfen, wo sie können.
      Hab’s fein, liebe Anke, und ich hoffe, der Regen bewässert eure Balkontomate ausreichend! Liebe Grüße aus dem verregneten Frankfurt – hier brauchen wir uns ums Gießen keine Sorgen machen! 😄

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      • Ehrlich ich bin so hochdeutsch aufgewachsen dass ich es gar nicht so genau weiß. Ich hab nie Platt gelernt obwohl ich mitten auf dem Land aufwuchs. Meine Mutter spricht kein Platt und von daher wurde hier sehr drauf geachtet das wir perfekt Deutsch sprechen. Damit bin ich sogar auf Hamburgs Straße schon aufgefallen.
        Man merkt wohl an der Sprache aus was für einem Stall man so kommt. Mein Vater war nur ein Maurer der ne Umschulung zum Beamter machte, meine Mutter eine Hausfrau die mal Rechtsanwaltsgehilfin gelernt hatte. Mir wurde hier mal gesagt ich würde mich sehr elitär ausdrücken.
        Ich dachte nue das ich was besseres als andere bin,
        das denken die aber oft.
        Ich kenne nichts als nix .
        Ich habe nix getan was unrecht ist.😜

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    • Schweizerdeutsch und die unterschiedlichen Schweizer Dialekte sind vermutlich nochmal eine ganz andere Hausnummer. Zum Glück hat er dich und du navigierst ihn durch die Herausforderungen der Sprache. 😃

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  4. Nee, nee, nee – was es alles für Dialekte gibt 😉

    Dein Problem mit dem Römer kann ich nachvollziehen.

    Mein Mann war so deutsch erzogen worden, das er ab Köln kein Wort mehr verstand und ich dolmetschen musste 😂🤣

    Bloss Masematte hatte sich doch in seinen Sprachgebrauch eingeschlichen. Ohne die man in Münsters Altstadtpinten früher wirklich aufgeschmissen war 🍻

    😘😎

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