Mit Vollgas ins Leben

Bei der Taxibestellung über die App gab ich bei der Zieladresse die Krankenhausanschrift an. Blöderweise konnte man nur die Notaufnahme als Adresse auswählen. Aber Lirum-Larum, Krankenhaus ist Krankenhaus, dachte ich. Ob da nun Notaufnahme oder Besuchereingang steht!

Unser Taxifahrer sah das anders. Er zählte wohl eins und eins zusammen. Mein dicker Bauch und die Zieladresse – ja, hier musste Eile geboten sein.

Bis zum Schluss verstand ich seine Eile nicht. Ich wunderte mich nur über sein ständiges, gestresstes Hupen im Frankfurter Berufsverkehr. Auch die Überholmanöver und das Beschleunigen des Taxis bei dunkeloranger Ampel ließen mich etwas ratlos zurück: Dieser Taxifahrer musste es eilig haben! Ob er noch einen Termin hatte?

Hm… kurz vor der Schlossstraße staute es sich wieder. Er zog an allen Autos auf der Rechtsabbiegerspur vorbei, obwohl wir links einbiegen mussten und machte auf den Trambahngleisen einen U-Turn, der mir sicherlich die Fruchtblase zum Platzen gebracht hätte, wäre sie nicht schon zuvor geplatzt.

Die letzten Meter zum Krankenhaus hupte, drängelte und schimpfte er die anderen Autofahrer von der Straße. Man hatte beinahe den Eindruck, er fuhr einen Krankenwagen und kein Taxi.

Ich saß immer noch entspannt und zufrieden auf der Rücksitzbank. Die Fruchtblase war geplatzt! Jetzt war das Ende der Schwangerschaft absehbar. Fröhlich grinste ich vor mich hin. Klar, ich hatte ja noch nicht einmal Wehen.

Mit quietschenden Reifen hielt der arme Herr vor der Notaufnahme, rannte ums Auto zum Kofferraum, hob meinen Koffer raus und wünschte uns alles Gute. Dann tuckerte er davon. (Lesen Sie hierzu gerne Toms Kommentar zum gestrigen Artikel – er erklärt es aus der anderen Perspektive!)

“Der war so gestresst wegen dir!”, sagte der Römer und grinste. “Wegen mir?!? Warum das denn?”, wollte ich wissen. “Na, du bist hochschwanger und willst zur Notaufnahme. Nicht, dass du noch das Baby in seinem Taxi bekommst!”, gab der Gatte zurück. “Aber ich hatte doch noch nicht mal Wehen!”, protestierte ich. “Na, das weiß er doch nicht!”, lachte der Römer. “Na, hör mal: Das würde man doch sehen!”, regte ich mich auf. “Ma che! [Aber was!] Ihr Deutschen habt doch immer ein Pokerface!”, trietzte mich der Gatte.

Wir klingelten an der Notaufnahme. Keiner machte auf.

Irgendwie kam es mir auch komisch vor bei der Notaufnahme zu klingeln. Ich war ja schließlich kein Notfall. Also watschelten wir einmal um das Krankenhaus herum, durch den Besuchereingang und fuhren zum Kreisssaal hoch. Dort klingelte ich erneut.

Eine quirlige Hebamme öffnete: Alina. Ich schilderte ihr mein Problem und sie musste grinsen: “Ja, gut. Jetzt müsst ihr euch aber bitte noch bei der Notaufnahme anmelden.”

Hm. Da waren wir doch gerade eben! Aber es muss eben alles seine Richtigkeit haben. Alina schilderte mir, wie wir zur Notaufnahme kommen. Geradeaus, links, dann runter mit dem Aufzug, über den Hof, zur Notaufnahme. Gut gelaunt watschelten wir wieder nach unten. Dort meldete ich mich an.

Dann ging es für uns wieder nach oben: Über den Hof, durch den Hintereingang, in den Aufzug, dann wieder abbiegen und zum Kreisssaal. Erst dann schritt Alina zur Tat: Fruchtwassertest (war positiv) und Wehenschreiber wurden ausgepackt. Der Wehenschreiber gab das wieder, was ich eh schon spürte: Ich hatte keine wirklichen Wehen.

Schließlich schickte uns Alina auf’s Zimmer der Wochenbettstation, das meines werden würde. Dort sollte ich warten bis Wehen kommen. Und wir sollten uns nochmal auf dem Zimmer stärken. Schließlich war es 18 Uhr und damit Abendbrotzeit. Der Römer und ich holten uns etwas vom Buffet der Wochenbettstation.

Es war Valentinstag, dazu aßen wir zu Abend mit Blick auf den Frankfurter Messeturm bzw. die Skyline. Nur ich und der Römer – na, das kam seit fünf Jahren nicht mehr vor, dass nur wir beide abends zusammen auswärts aßen. Was für ein Valentinstagsdinner!

Zwei Stunden später waren die Wehen dann doch da, aber noch gut aushaltbar. Ich beschloss, dass ein leichtes Schmerzmittel dennoch nett wäre. Also schlenderten wir wieder zum Kreisssaal. Alina hatte noch immer Schicht. Sie schloss mich am Wehenschreiber an, befühlte den Muttermund (erst 3 von 10 Zentimeter – das würde noch laaaange dauern) und gab mir Buscopan. Das nahm ich dann auch.

Wir gingen wieder auf unser Zimmer. Der Schichtwechsel fand statt und die Nachtschwester stellte sich bei uns vor. Sie empfahl uns, auf die Aussichtsterrasse des Krankenhauses zu gehen, um die Skyline bei Nacht zu bewundern. Das taten wir. Und ab da waren die Wehen gar nicht mehr so mild und sanft und aushaltbar. Mehrmals musste ich mich beim Römer einhängen, weil die Wehen echt unangenehm wurden.

Schließlich gingen wir wieder aufs Zimmer. Es wurde immer ungemütlicher und ungemütlicher. Aber ich war ja erst bei 3 cm… jetzt vielleicht bei 4 cm, die der Muttermund offen war. Das würde alles noch ewig dauern, redete ich mir ein.

Innerhalb von wenigen Minuten wurden die Wehen so heftig, dass auch meine erlernte Bauchatmung aus dem Geburtsvorbereitungskurs nicht mehr half. Weitere 20 Minuten später wimmerte ich, dass ich aber jetzt dringend eine PDA brauche. Die Schmerzen wären un-er-träg-lich.

Little did I know.

Der Römer raste los und holte den Rollstuhl. Zwischen zwei Wehen, die mich kaum durchatmen ließen, hievte er mich in den fahrbaren Untersatz, dann peste er den Krankenhausflur entlang zum Kreisssaal. Die Wehen fraßen mich auf!

PDA! Jetzt sofort! Die Schmerzen waren unmenschlich.

Er klingelte am Kreisssaal und Meike, die Hebamme der Nachtschicht, machte auf. Fröhlich stellte sie sich vor. Ich auch – irgendwie zwischen zwei Wehen. Dann bettelte ich um eine PDA. Ganz ruhig erklärte sie mir, dass das kein Problem sei, wir gucken uns mal eben die Situation im Wehenzimmer ab. Ob ich aufstehen könne, damit ich dorthin gehen könne, wollte sie wissen. Ich versuchte es, sackte wegen der Schmerzen zusammen und musste auf alle Viere gehen, denn es tat so unglaublich weh.

Alle erkannten wohl die Situation – außer mir.

Denn schließlich würde das mit dem Muttermund ja noch dauern. Zusammen mit dem Römer stützte sie mich, um in den Kreisssaal zu kommen. Das Wehenzimmer war wohl keine Möglichkeit mehr.

Sie fragte, ob ich auf das Kreisssaalbett klettern könne. Ich wollte, aber dann sackte ich wieder auf alle Vier. “Oh! Oh! Ich muss pressen!”, bemerkte ich und plötzlich dämmerte mir, dass die PDA vielleicht gar nicht mehr gebraucht werden würde. Die Hebamme reagierte blitzschnell, rief die Ärztin an, die schnellen Schrittes angelaufen kam.

Irgendwie schaffte ich es noch aufs Krankenbett: Drei Presswehen später war Bianco da. Ein schreiendes, glitschiges, ewig langes, schlankes Bündel Mensch. “Nimm ihn ruhig in den Arm!”, sprach Meike und ich drückte den gar nicht mal so kleinen Bianco an meine Brust.

Wow! Das war ähnlich rasant wie bei Signorino. Nach einigen Minuten sprach Meike: “Versteh mich nicht falsch: Du hättest auf alle Fälle eine PDA bekommen. Aber du warst einfach schneller.”

Ich musste lachen. Diese Geburt war wirklich heilsam. Signorinos Geburt war damals einfach nur schrecklich: Vom medizinischen Fachpersonal bis hin zur Atmosphäre. Ein einziges Trauma!

Doch Biancos Blitzstart ins Leben entschädigte mich, dank dem tollen Krankenhauspersonal.

Was für ein Abenteuer!

24 Kommentare

  1. Liebe Eva, ich glaube, der Taxifahrer hat es in erster Linie wirklich nur gut gemeint.
    Warum habt ihr nichts gesagt, wenn er für euer Empfinden zu schnell fuhr? Das hätte es sicher für beide Seiten erträglicher gestaltet. 🙂 LG Bea

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    • Liebe Bea,
      genau so habe ich es auch verstanden, dass der Taxifahrer es gut meinte. Tom hat es auch wunderbar in seinem gestrigen Kommentar erklärt.
      Mir war in der Situation, mit geplatzter Fruchtblase, nicht bewusst, dass er es wegen uns so eilig hat. In dem Stadium denkt man wenig rational. 😉 LG, Eva

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  2. Die Nervosität des Taxifahrers hat ja einen ernsten Hintergrund. Wie Deine Geschichte bestätigt kann es mitunter sehr schnell gehen…

    In dieser Situation gilt es erstmal die 112 zu wählen, denn die Entscheidung ob man ab jetzt Vollgas gibt oder ob man auf den Sanka wartet, sollte man als Fahrer besser nicht alleine treffen. Ist die Expresszustellung die beste Option, dann operiert man nach den Regeln der Nothilfe. Das bedeutet zum Beispiel, dass das Überfahren roter Ampeln nicht bestraft wird. Nur passieren darf dabei halt nichts.

    Ist die Nothilfesituation eingetreten, muss man das als Fahrer dokumentieren lassen. Das geht beim Notruf oder bei einer Taxizentrale. Man kann zum Beispiel mit eingeschalteter Warnblinkanlage oder Hupen auf die Notsituation aufmerksam machen. Überflüssig zu sagen, dass es ab diesem Zeitpunkt auch keine Geschwindigkeitsbegrenzung mehr gibt.

    Ich hatte bisher keine Fahrt nach Nothilferecht mit einer Schwangeren, aber einmal mit einem Verletzten nach Schlangenbiss. Für den ging es zur Serologie. Ich war dankbar für die Unterstützung durch die Taxi-München eG, die mir nicht nur den besten Eingang ermittelte und meine Ankunft anoncierte, sondern natürlich auch den Eintrag ins Funkprotokoll vornahm. Und ich hatte mehrere Nothilfe-Einsätze, nachdem Kollegen über Funk einen Angriff gemeldet hatten.

    Wie dem auch sei: als Taxifahrer ist man heilfroh, wenn der hchschwangere Fahrgast wieder draußen ist und lobt insgeheim den Unternehmer für seine Vorraussicht, Fahrzeug mit Plastiksitzen angeschafft zu haben.

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  3. Alle, die nur ein Kind haben, wissen nicht, was sie mit der schnellen Geburt des zweiten verpassen. 😉
    Sehr schön, oder wie Italiener dann gerne sagen: Das macht Lust auf ein weiteres.😅

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    • Das stimmt, liebe Anke. 😄 Letztens las ich einen Witz, dass eine Viertgebärende so schnell gebärt, dass sie abends die restlichen Kinder ins Bett bringen kann. 😄
      Sag niemals nie, aber zwei Geburten reichen mir dann doch. 😄

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  4. PDA, was ist das? Bravo für den Taxifahrer, das Kkhpersonal, den werdenden Papa, die werdende Tante, den werdenden großen Bruder, die werdende Mutter zweier Söhne und natürlich Bianco, dem Sprinter!

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    • Durch die PDA oder Periduralanästhesie wird durch Einspritzung in den unteren Rücken alles ab Rücken abwärts betäubt, so dass du nicht wirklich Geburtsschmerzen hast. Man kann es allerdings nur bis zu einem gewissen Stadium der Geburt machen. Ich meine, der Muttermund darf nicht mehr als 4-5 cm offen sein.
      Herzlichen Dank, liebe Gerda. Das war wirklich ein Lauf, wie man so schön sagt. Die richtigen Personen am richtigen Ort. Ich denke gerne an die Geburt zurück. Und das ist doch was! 😃

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    • Es war wirklich eine angenehme Geburt, wenn man das so sagen darf. Klar, Schmerzen sind Schmerzen, aber ich denke gerne an Biancos Geburt zurück. Zum Glück muss ich aktuell ja nicht weit zurückdenken. Es ist ja noch alles sehr frisch. 😄

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  5. Liebe Eva,

    gespannt warte ich inzwischen auf Deinen nächsten Beitrag.

    Am 30.5.1991 rief auch ich, nachdem Blasensprung ein Taxi.
    „Na, des geht fei net, I versau mir doch net mei Auto“ (das geht gar nicht , ich verdrecke mir doch nicht mein Auto)
    Dabei hatte ich nur die Adresse angegeben – Maiklinik-.
    Schließlich fuhr ich in dem offenen Sportwagen meiner Nachbarn, gebettet auf einem Stapel schwarz, goldener Versace-Handtücher in die nahe gelegene Klinik.

    An der so damals genannt Pforte wurde wir
    (zwei Herren, eine Schwangere) angepflafft: Wer ist der Vater….“
    Am 2.6.1991 erblickte dann ein 3900 g-Baby per Kaiserschnitt das Licht der Welt (Kurzfassung) pumperl gesund u. betäubt von 3mal PTA , Vollnarkose usw.

    Bis heute hat sich scheinbar sehr wenig geändert.
    Danke Dir, für die immer wieder drastische Darstellung des ganz normalen Lebens.
    LG Meggie

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    • Liebe Meggie,
      wow! Da fing das Abenteuer schon vor der Ankunft in der Klinik an. Wahnsinn! Dabei ist man eh schon genug bedient mit der geplatzten Fruchtblase. Huiuiui! Zum Glück ging das gut und die Fahrt ins Krankenhaus mit dem Sportflitzer werdet ihr nie vergessen. 😄
      Du warst sicher heilfroh, als du das Baby, das mittlerweile und sicherlich mit beiden Beinen fest im Leben steht, im Arm hieltst. 😃
      Danke dir fürs Teilen dieses rasanten Abenteuers! Das Leben schreibt eben die aufregendsten Geschichten.
      Viele Grüße, Eva

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