Dreijährige verfügen über eine ganz besondere Eigenschaft: sie verweigern sich jeglicher Logik und handeln meist vollkommen unvorhersehbar. Jede Software der künstlichen Intelligenz würde an dieser Personengruppe verzweifeln. Unzählige Vorhersagen pro Sekunde – und keine würde auf Signorino zutreffen. Willkommen im Leben mit einem Dreijährigen.
Quelle: Peng Streetart
Am ersten Weihnachtsfeiertag spazierten wir durch den großen Park am Ende unseres Wohnviertels. Als Signorino aus dem Kinderwagen entlassen werden wollte, wir den Reißverschluss des warmen Sitzsackes öffneten und ihn auf den geteerten Spazierweg hoben, stellte er empört fest: „Es ist eiskalt!!“ Dies mag auch daran liegen, dass er unbedingt die „weißen (Turn-)Schuhe“ anziehen wollte. Nach dieser frostigen Feststellung machte er gleich noch eine weitere: „Oh! Überall Garten!“ und peste über das matschig-braune Grün. Ich klammerte mich am Kinderwagen fest. Keine zehn Pferde würden mich in und auf diese Matschfläche bringen. Entschuldigend guckte ich den Gatten an, der zweifelnd seine ebenfalls weißen Turnschuhe betrachtete. Das Kind jagte derweil über die Wiese, immer wieder „Garten! Garten!“ schreiend. Als er über eine Wurzel fiel, eilte der Römer mit seinen hellen Ledersneakern zum Kinde. „Alles gut, Signorino!“, rief ich aufmunternd vom beinahe trockenen Teerweg und fuhr den Kinderwagen immer auf Höhe des Vater-Sohn-Gespanns entlang. Nach zehn Minuten, wir überquerten in der Zwischenzeit eine Straße, kamen wir im zweiten Teil des Parkes an. Dort standen vermehrt Bäume, die alle betrachtet, betatscht und umarmt werden mussten. „Oh! Großer Baum.“, machte uns Signorino auf die Höhe der Bäume aufmerksam. Ich nickte und tätschelte abwechselnd Baumrinde und blonde Kinderhaare. „Sehr gut, Mama.“, lobte mich das Kind als ich den Baum zum wiederholten Male tätschelte. Immerhin erkannte einer in dieser Familie meine Talente.
„Noch mehr Garten!“, brüllte das Kind nach diesem kurzen Lob und flitzte vom Teerweg zur Matschwiese. Ich rannte hinterher. Auf einer Anhöhe angekommen, fragte das Kind: „Oh! Was ist das denn?“ Dabei zeigte er auf eine spiegelglatte Fläche. „Eine riiiesige Pfütze!“, gab sich das Kind selbstbewusst eine Antwort. „Signorino, das ist ein See.“, sprach ich fachmännisch, doch das Kind schnappte sich bereits meine Hand und wir rannten Richtung See.
Generell, das muss ich an dieser Stelle anmerken, gibt es beim Kind nur wenige Mobilitätsstufen: Rennen, in Zeitlupe schlürfen, lustloses vor sich hinstolpern (wenn man morgens zur Kita muss) oder „Mama, tragen!“, wobei das vielmehr meine Mobilitätsstufe ist, wenn ich ein 16 Kilogramm schweres Kind durch Frankfurt schleppe.
Wir rannten also zum Gewässer. Der Römer, der zuvor seine Schuhe mit etlichen Feuchttüchern gereinigt hatte, war diesmal in der komfortablen Position den trockenen Teerweg zum See nehmen zu können. Dabei betrachtete er sehr zufrieden die Landschaft. „Mama, können wir baden?“, fragte das Kind und es war eine rein rhetorische Frage, denn er stapfte bereits selbstbewusst zum Ufer. „Äääh…nein!“, antwortete ich sehr irritiert. Das Kind drehte sich nicht eine Sekunde zu mir um, sondern rief stattdessen sehr überzeugend: „Okay – baden!“. Ich flitzte hinter dem laufenden Meter hinterher und krallte mir seine Kapuze – sicherheitshalber. „Mama, baden!“, manifestierte Signorino noch einmal seinen Wunsch sich in die kalten Fluten stürzen zu wollen. „Nein, das machen wir nicht.“, sprach ich vehement und hob ihn sicherheitshalber hoch.
Das Kind rastete filmreif aus. Er wurde knallrot, trat um sich und insistierte, dass er jetzt aber im Brackwasser dieses Frankfurter Sees baden wolle. Der Mann kam schlendernd bei uns an und sprach sehr verständnisvoll: „Che c’è, amore mio? [Was ist los, mein Schatz?]“. „BADEN!!!!“, brüllte unser Sprössling und wütete weiter auf meinem Arm. „Scusa? (Wie bitte?]“, hinterfragte der Römer seinen Wunsch und hoffte insgeheim auf ein deutsch-italienisches Verständigungsproblem. Doch es war keines.
Verständnislos guckten der Römer und ich uns an. Nicht nur, weil der Wunsch an diesem Tag, in dieser Jahreszeit, ein Wunsch bleiben würde. Nein, auch weil wir das Kind seit zwei Jahren nur unter heftigstem Gebrüll in der heimischen, wohltemperierten Badewanne waschen können. Mit jeglichen Tricks versuchen wir es dem Kind so angenehm wie möglich zu gestalten, aber es ist jedes Mal aufs Neue ein Drama in drei Akten. „Forse la temperatura dell’acqua non era giusta. [Vielleicht war die Wassertemperatur nicht richtig.]“, bemerkte der Gatte augenzwinkernd und blickte auf das eiskalte Seewasser. Ich guckte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen und einem immer noch brüllendem Kind auf meinem Arm an. „Gehen wir.“, seufzte ich und wir traten den Rückzug an.
Als wir uns langsam vom See entfernten, unterbrach Signorino seinen Wutanfall für eine Frage: „Oh! Was ist das?“, wollte er wissen und zeigte auf eine Mischung aus Ratte und Hund. „Ein Nutria.“, klärte ich ihn auf. „Ein Nutella!“, wiederholte Signorino freudig. „Nu-tri-a.“, versuchte ich es etwas deutlicher auszusprechen. „Nu-tel-la.“, versuchte es Signorino noch einmal. „Ok. Nutella.“, gab ich nach. Wir beobachteten das Nutella eine ganze Weile bis es dem Römer zu kalt wurde. „Ragazzi, andiamo? [Leute, gehen wir?]“, sprach der Gatte und rieb sich die Handflächen aneinander. Ich nickte und schnappte mir Signorinos Hand, die ich leicht zog. „Tschüss, Nutella! Schlaf gut!“, rief der Dreijährige dem Nutria zu. Es drehte sich etwas irritiert um und wackelte Richtung Ufer. „Nutella geht baden.“, stellte das Kind nun fest. Wir setzten Signorino in den Kinderwagen, schlossen den Fußsack und ließen ihn ein letztes Mal winken, ehe er auf die Idee käme, dass er auch gerne mit dem Nutria baden gehen würde. „Ciaoi, Nutella!!! Bis später.“, rief Signorino noch einmal Richtung Frankfurter Nutria.
Frankfurter Nutria
Daheim angekommen bereiteten wir alles für die Signorino’sche Badewanne vor. Als hätten wir es gewusst, brüllte das Kind wie am Spieß. Er? Baden? Seine Eltern mussten verrückt sein! Ein Signorino geht nicht baden.
Der Römer und ich blickten uns resigniert an. „È così. [So ist es halt.]“, sprach der Gatte, zuckte mit den Schultern und schnappte sich Signorino. Dann badeten wir Signorino unter lautem Geschrei.
Das vorletzte Wochenende war seltsam entspannend. Beinahe entspannender als der Urlaub, wenn Sie mich fragen. Hingegen war das vergangene Wochenende angespannt, anstrengend, nervig, was alleine an meinem Drang liegt, auf jeder Hochzeit gleichzeitig tanzen zu wollen.
Alles begann am letzten Mittwoch, als mich ein mir bekanntes Marktforschungsinstitut kontaktierte. Bereits in der Vergangenheit habe ich für dieses in unregelmäßigen Abständen gearbeitet. Joachim, der dort arbeitet, fragte per E-Mail, ob ich denn zufällig Zeit hätte zwischen einem und fünfzehn Interviews vom Italienischen ins Deutsche zu übersetzen. Ich solle ihn am besten telefonisch kontaktieren. Tatsächlich hatte ich Zeit und fand die Idee verlockend, ein paar extra Taler zu verdienen. So rief ich Joachim an und wir besprachen die Details. Wie viele eineinhalbstündige, auf Italienisch geführte und von mir sinngemäß auf Deutsch übersetzte Interviews ich in einen eigens dafür konzipierten Fragebogen eintragen könne, wollte er von mir wissen. „Ein bis zwei vielleicht?“, war meine zaghafte Antwort, die Joachim nicht gerade glücklich machte. „Guck, ich habe hier 15 Interviews und spreche kein Wort Italienisch. Wären denn vielleicht drei Interviews möglich?“, wollte Joachim von mir wissen und klang dabei gelinde gesagt etwas verzweifelt. Ich dachte kurz über das Arbeitspensum meines Haupterwerbs. „Wird schon irgendwie gehen.“, dachte ich und sagte kurzerhand zu. Er war zufrieden und schickte mir eine E-Mail mit weiteren Details, Passwörtern und Links, wobei er nicht unerwähnt ließ, dass er sich auch über ein viertes, von mir bearbeitetes Interview freuen würde. Zwei Tage später, am Freitagabend, würden die ersten Interviews, die in Mailand stattfänden, online abrufbar sein, stand im Schlusssatz der E-Mail. Ich schielte auf meinen Terminkalender und hakte das freie Wochenende ab.
Freitag, 21 Uhr. Joachim schrieb eine E-Mail, dass der Startschuss gefallen sei. Blöderweise zeigte Signorino keinerlei Verständnis für den gefallenen Startschuss und weigerte sich vehement ins Bett gebracht zu werden. Auch Papa, der ihn ins Bett bringen sollte, wurde zwar als notwendiges Übel betrachtet, war jedoch keine Alternative zu mir, seiner Mutter. Gerne dürfe Papa im Kinderzimmer als hübsches Beiwerk bleiben, jedoch gebührte nur mir die Hauptrolle der Einschlafbegleitung. Da Signorino bei meiner Abwesenheit wie am Spieß schrie und sich nicht mehr beruhigen ließ, konnte ich weder das Interview anhören, noch mich konzentrieren. So blieb mir nur übrig, mich nervös neben den Ableger zu legen und die Sekunden zu zählen. Mir rann die Zeit sprichwörtlich durch die Finger, denn ich wollte endlich anfangen zu arbeiten. Nicht, weil ich mir nichts schöneres für einen Freitagabend vorstellen konnte als zu übersetzen, nein, vielmehr, weil mir schwante, mich restlos übernommen zu haben. Ein erster Überblick über das zu bewältigende Arbeitspensum sollte mir Ruhe verschaffen, dachte ich.
Freitag, 22 Uhr. Signorino ist endlich eingeschlafen. Ich startete den Laptop, machte mich mit dem Material vertraut und fühlte mich als würde ich alleine im offenen, tiefschwarzen Meer paddeln. „Ja, keine Ahnung.“, murmelte ich immerzu als ich das Material durchlas. Dann hörte ich mir den Anfang der ersten, italienischen Tonaufnahme an. Ein Mailänder näselte sich durchs Interview, das ein, der Stimme nach, älterer Herr mit ihm führte. Der Mailänder war mir unsympathisch, der Interviewer dagegen sehr sympathisch. Aber darum ging es in meiner Arbeit nicht, denn meine einzige Aufgabe bestand darin, die wichtigen Details aus dem Meer an Informationen herauszufischen und auf Deutsch in die richtige Spalte zu schreiben.
Recht schnell verstand ich, dass die beiden in einem Auto-Showroom irgendwo in Mailand standen und herausgefunden werden sollte, wie das Auto des Typus XY vom Mailänder bewertet wurde.
Verstehen Sie mich richtig, meine Italienischkenntnisse kann man als durchaus solide bezeichnen. Dabei sind meine Sprachkenntnisse vermutlichvon der eher ruppigeren Sorte, denn schließlich perfektionierte ich mein Italienisch mit dem Römer und das römische Italienisch kann man durchaus als unflätig bezeichnen. Dabei reichen meine Sprachkenntnisse aus, um das tägliche Leben mit meinem Mann zu bestreiten, wobei ich mittlerweile dazu übergangen bin, Italo-Germanisch zu reden. Dabei vermischen sich deutsche und italienische Wörter zu einem einzigen Sprachbrei, der zumindest für uns Sinn ergibt. Ja, ich würde mich soweit aus dem Fenster lehnen, um zu behaupten, dass ich meinen Mann meistens verstehe – und er mich auch.
Doch leider ging es in diesem Interview mit dem näselnden Mailänder nicht darum, ein Alltagsgespräch zu verstehen. Vielmehr wollte eine Automarke Infos darüber haben, wie ihr neuer Prototyp denn nun bei der Zielgruppe ankäme und ich sollte das Bindeglied in der Kette aus Verbraucher und Hersteller sein, das die Information aufbereitet. Sehr zu meinem Missfallen ist mein italienisches Auto-Vokabular so gut wie nicht vorhanden, was mir bereits nach einigen, wenigen Sätzen zwischen dem Mailänder und dem Interviewenden auffiel.
Blöderweise fiel mir dabei auch noch ein in der Vergangenheit liegendes Streitgespräch zwischen dem Römer und mir ein. Wir saßen dabei im Auto, ich fuhr und der Gatte erklärte mir irgendetwas am Auto – und das im dichten Straßenverkehr Frankfurts und auf Italienisch. Da ich ihn absolut nicht verstand und mir sein immer eindringlicher werdendes, italienisches Autovokabular gewaltig auf die Nerven ging, war ich froh unsere Einfahrt hochzurollen. Dort beendete ich unser Gespräch mit einem hitzigen „Es heißt in Frankfurt nicht ‚volante‘, sondern Lenkrad.“. Daraufhin stieg der Römer wutentbrannt aus, knallte mit der Autotür des gerade eben abgestellten Autos und stiefelte fuchsteufelswild in die Wohnung. Alleine diese Szene zeigt doch sehr eindrucksvoll, dass ich in keinster Weise daran interessiert war, mein italienisches Vokabular um die Kategorie „Auto und seine Bestandteile“ zu erweitern. Doch der Teufel ist ein Eichhörnchen.
Ja, diesmal hatte ich keine Wahl und verzweifelte in den ersten Minuten. Unangenehm berührt trabte ich zum Römer. Ob er mir helfen könne, wollte ich wissen. Er guckte mich mit seinen stahlblauen Augen an. „Es geht um italienische Autoteile und davon verstehe ich nichts.“ Er verschränkte seine Arme und grinste diabolisch. Auch er schien sich an den Auto-Streit erinnern zu können. „Ich habe es dir immer gesagt, dass es besser ist, die italienischen Begriffe zumindest verstehen zu können. Aber du hast dich damals mit Händen und Füßen gewehrt. Also, ich für meinen Teil kenne die Teile mittlerweile auf beiden Sprachen. Aber sag, wie heißt nochmal „Lenkrad“ auf Italienisch?“
1:0 für den Römer.
Doch ich holte auf. „Volante.“, antwortete ich nüchtern.
1:1. Ausgleich.
„Ah, dann weißt du ja schon alles. Wozu brauchst du dann meine Hilfe?“, wollte der Römer süffisant grinsend von mir wissen.
2:1 für den Römer.
Ich schwieg. Solange, bis er ein Einsehen hatte und mit mir zum Laptop ging. Gemeinsam hörten wir uns den ersten Teil des italienischen Marktforschungsinterviews an. „Ma che?! [Aber was?!] Der Mailänder tut beinahe so, als wären alle deutschen Autos nüchtern und langweilig.“, kommentierte der Römer das Interview, in dem der Mailänder im Showroom auf seine Lieblingsmodelle deuten sollte. Natürlich entschied er sich für ein Italienisches. „Hm… aber warum mag er das deutsche Auto nicht? Wegen den „prese d‘aria“?“, versuchte ich den Römer aus der Reserve zu locken. „Esatto [Genau.]. Genau deswegen gefällt ihm das italienische Auto besser. Aber wenn du mich fragst, hat er überhaupt keine Ahnung von Geschmack.“, gab der Römer zurück. Ich hielt das aufgezeichnete Interview für einen Moment an: „Entschuldige, aber was sind überhaupt „prese d‘aria“?“, hakte ich beim Römer nach. „Lüftungsschlitze.“, antwortet er in lupenreinem Deutsch. Mein Gott, der Mann hatte damals wirklich recht als er mir das italienische Autovokabular aufdrücken wollte. Doch das behielt ich für mich.
Indessen mauserten wir uns durch den ersten Fragebogen bis ich beinahe mit allen Begriffen vertraut war. Als ich mich fest im Sattel meiner Übersetzertätigkeit sah, bedankte ich mich beim Römer für seine Hilfe und entließ ihn aus seinem Dienst als Chefübersetzer. „Immer gerne.“, antwortete dieser und lächelte milde. Dann drehte er sich noch einmal um und flötete: „Soweit ich mich erinnere, hast du aber auch ein Bilderwörterbuch aus deiner Zeit in Bergamo, das alle Autoteile erklärt. Damit habe ICH die deutschen Begriffe nach unserem Streit im Auto gelernt.“
3:1 für den Römer. Er hat haushoch gewonnen.
Hier ein Auszug aus einem Italienisch-Englischen Wörterbuch
Oh Mann! Grinsend setzte er sich auf die Couch und vertiefte sich in ein Buch. „Das sagst du jetzt?!“, antwortete ich vollkommen perplex, sprang auf und suchte das Buch in unserem Bücherregal. „Die Sprachen sind rechts unten.“, flötete er und amüsierte sich köstlich. „Ja, ja. Weiß ich schon.“, gab ich knapp zurück und wusste es doch nicht. Woher auch? Ich schlage meistens mithilfe einer simplen App die wenigen, noch unklaren Wörter nach. „Ah, da ist es ja.“, rief ich freudig und der Römer mahnte zur Ruhe, weil Signorino schlief und das auch so bleiben sollte. Rasch blätterte ich das bebilderte Wörterbuch auf, glitt an den Seiten mit der menschlichen Anatomie vorbei, ließ auch den Teil über Flora und Fauna, sowie die Bestandteile einer Fabrik hinter mir und fand schließlich den Sektor „Automobile“. „Ah, ‚un monovolume‘ ist also ein Family-Van und kein antikes Auto-Radio.“, stellte ich überrascht und gleichzeitig interessiert fest. Der Römer guckte mich entgeistert an. „Bist du sicher, dass du die Übersetzungen alleine machen willst?“, wollte er von mir wissen. „Na, klar. Das schaffe ich doch mit links.“, gab ich zurück und blickte in das amüsiert-schockierte, römische Antlitz. „Dai, forza! Danach schaue ich vielleicht nochmal über den Fragebogen.“, erwähnte er ganz beiläufig. „Okay!“, willigte ich ein, um kurz danach herauszufinden, dass „minigonne“ so gar nichts mit den mir bekannten Miniröcken zu tun hatten. Vielmehr handelte es sich hier um Einstiegsbleche. die unter den Autotüren angebracht werden. Ja, es ist schon wahr, was man sagt: Man lernt wirklich nie aus!
Das Verfahren, den Römer zum Germanen zu machen, läuft seit Oktober 2020. Wann immer sich das dafür zuständige Regierungspräsidium bei uns meldet, ist der Gatte schon flattrig im Hausflur. Noch im Lift reißt er den amtsgrauen Umschlag auf und sobald er die Türe aufgesperrt hat, ruft er bereits im Wohnungsflur „Amore, quelli del passaporto mi hanno mandato una lettera.“ [Schatz, die vom Pass(amt) haben mir einen Brief geschickt.]
Nach meiner obligatorischen Frage, was in dem Brief stehen würde, kommt das ebenso obligatorische Schulterzucken. „Beamtendeutsch.“, antwortet der Römer resigniert und drückt mir den Brief in die Hand. Sogleich setze ich mich hin und lese mir den Brief durch.
Doch es geht immer nur um eines: Mehr Unterlagen. Diese sollen gerne vorbeglaubigt, ganz beglaubigt, übersetzt, apostilliert, gestempelt, unterschrieben, vom Notar eigenhändig verpackt, zugeklebt, beschriftet und auf einer weißen Stute, die nicht älter als 5,4 Jahre alt ist bei Vollmond überbracht werden.
Am Ende des ersten Briefes stand der Zusatz:
„Bitte legen Sie einen aktuellen, beglaubigten Einkommensnachweis bei. Auch den Ihrer Ehefrau.“
Das taten wir natürlich. Die Monate verstrichen. Alle Unterlagen waren wie vorgegeben eingereicht. Ein neuer Brief flatterte ins Haus. Selbe Szene. Das Regierungspräsidium habe die Unterlagen geprüft und sie würden die Unterlagen nun zu allen relevanten, staatlichen Instanzen weiterleiten. Am Ende des Briefes wurde noch vermerkt:
„Bitte legen Sie einen aktuellen, beglaubigten Einkommensnachweis bei. Zu unserer Entlastung schicken wir Ihre zuletzt eingereichten Einkommensnachweise zurück.“
Wir machten einen Termin im Bürgeramt aus, ließen erneut Einkommensnachweise beglaubigen und schickten sie nach Darmstadt. Die Zeit verstrich. Ein neuer Brief des Regierungspräsidiums erreichte uns nach Monaten. Dieser teilte uns mit, dass der Römer einen germanischen Pass bekommen könne, solange sein Herkunftsland ihn aus der jetzigen Staatsbürgerschaft entlassen würde. Am Ende stand der obligatorische Satz:
„Bitte legen Sie zu den geforderten Dokumenten einen aktuellen, beglaubigten Einkommensnachweis bei. Zu unserer Entlastung schicken wir Ihre eingereichten Einkommensnachweise zurück.“
„Ma che cavollo! [Aber was für ein Unding!] Wie viele denn noch?“, wollte der Mann von mir wissen. Ich zuckte mit den Schultern. „Ist halt so.“, sprach ich. Was soll ich mich auch aufregen? So sind die Regeln für Passanwärter in diesem Land.
“Produziert in Albanien.” kann eben auch manchmal eine Bürde sein.
Ein paar Tage verstrichen. Mein Mann schrieb mir eine Nachricht und schickte mir ein Foto der wöchentliche Einkaufsliste weiter. Er fragte, ob ich nach der Arbeit einkaufen gehen könne.
Ich schrieb zurück: „Nach ausführlicher Prüfung der Einkaufsliste, bitte ich um einen aktuellen Einkommensnachweis. Den Einkaufszettel der letzten Woche schicke ich Ihnen zu meiner Entlastung zurück.“
„Non fa ridere.“ [Das ist nicht lustig.], antwortet der Mann trocken.
Ja, wer den Schaden hat, braucht für den Spott wahrlich nicht zu sorgen.
Ich glaube, der weihnachtlichste Moment in diesen Festtagen war, als das Kind darauf bestand mit einer Rentier-Geschenkpapierrolle einzuschlafen. Es war der 23. Dezember und mein Plan war es, die unverpackten Geschenke abends, wenn das Kind schläft, einzupacken.
Den Plan vereitelte Signorino, in dem er die Geschenkpapierrolle fand und fortan als seinen Intimus betrachtete. Den ganzen Abend verbrachten die beiden miteinander. Dabei sollte nicht unerwähnt bleiben, dass diese Freundschaft nur so lange Bestand hielt, weil die Rolle noch in ihrer dünnen Plastikfolie eingewickelt war. Das Zähneputzen fand selbstverständlich mit der Geschenkpapierrolle in der rechten Hand statt. Ein riesen Gekreische schrillte durchs Wohnzimmer als er die Rolle für den Bruchteil einer Sekunde aus der Hand legen musste, weil wir ihn in den Pyjama steckten. Man hätte meinen können, wir würden das Kind abstechen. „Nimm ihm doch jetzt die blöde Rolle weg! Ich brauche die eh gleich, weil ich die Geschenke noch einpacken muss.“, wies ich den Römer an. „Ma che? Non ci dobbiamo stressare. [Ach was! Wir müssen uns nicht stressen.] Wir nehmen sie ihm gleich weg, wenn er schläft.“, antwortete der römische Gatte. Ein guter Plan, der leider am Faktor Kind scheiterte.
Wir brachten Signorino und seine Geschenkpapierrolle ins Bett. Er lag in der Mitte, flankiert vom Römer und mir. Wenn Sie sich jetzt fragen, warum man zwei Elternteile braucht, um ein Kind ins Bett zu bringen, ist das eine überaus berechtigte Frage. Die Antwort ist eine sehr einfache. Es ist (momentan) der schnellste und effizienteste Weg, das Kind ins Bett zu bringen. Fehlt ein Elternteil, wird dieser solange von Signorino gesucht bis er sich schließlich auch ins Bett begibt. Wenn man Signorino nicht aus dem Bett oder gar aus dem Schlafzimmer entlassen will, damit er den abwesenden Elternteil suchen kann, kreischt er ebenfalls solange bis er suchen gehen darf. Deswegen dauert der Einschlafprozess 15 Minuten, wenn wir beide zusammen anwesend sind – oder 2,5 Stunden, wenn nur ein Elternteil Signorino ins Bett bringen darf. Sie können sich denken, für welchen Weg wir uns regelmäßig entscheiden.
Als Signorino langsam ins Reich der Träume glitt, streckte ich im Halbdunkeln meine Hand nach oben, darauf bedacht, den Abkömmling nicht zu wecken, aber gleichzeitig die Aufmerksamkeit des Römers zu gewinnen. Der Römer reckte seinen Kopf. Ich flüsterte „Geschenkpapierrolle!!“. Er kuschelte sich an das Kind heran, löste den kindlichen Daumen und wollte dann die restlichen Finger von der Rolle lösen, doch das Kind schrie bereits los. Mist! Der kleine Kerl hatte noch nicht richtig geschlafen. Der Römer ließ von seiner Hand und der Geschenkpapierrolle ab, um ihn dann sofort mit beruhigenden „Sssch’s“ zu besänftigen. Ein paar Mal nuckelte Signorino empört am Schnuller, um dann wieder einzuschlafen. „Nochmal?“, flüsterte ich nach 5 Minuten, in denen der Römer und ich unbeweglich wie zwei Eisblöcke neben dem Kind lagen. „Bloß nicht wecken!“ war die Devise. Der Römer schüttelte den Kopf und zeigte Richtung Tür. Wir schlichen uns aus dem Zimmer. Im Flur besprachen wir die Taktik. „Wenn die Entspannungsphase im Schlaf einsetzt, dann wird Signorino ganz von alleine von der Rolle ablassen und wir können sie mühelos und ohne Geschrei entfernen. Notfalls packst du erst morgen die Geschenke ein.“, erklärte mir der Römer seinen Plan. Ich stimmte zu. Als wir gegen Mitternacht ins Bett gingen, lag unser Sprössling mit seiner Geschenkpapierrolle im Klammergriff tief schlafend im Bett. „Und jetzt?“, flüsterte ich. „Ich schlaf doch nicht neben einer Geschenkpapierrolle?!“ Der Römer musste sich bei diesem Gedanken ein Lachen verkneifen und hielt sich den Mund zu, um das Kind nicht zu wecken. „Dai! Non ti preoccupare. [Komm schon! Mach dir keine Sorgen.] Jetzt kann man ihm die Rolle einfach wegnehmen.“ Sie ahnen es: Man konnte nicht. So schliefen wir also zu viert im Bett: Der Römer, Signorino, die Geschenkpapierrolle und ich. Wann immer sich das Kind drehte, und das tat es oft und viel, hatte man entweder einen kleinen Fuß im Bauch, eine Geschenkpapierrolle im Gesicht oder eine Hand auf dem Kopf. Irgendwann wurde es mir zu bunt. Ich quartierte mich aus. „Es wird Zeit, dass das Kind alleine schläft.“, dachte ich noch. Dann schlief ich ein.
Am nächsten Tag verbrachten Signorino und die Geschenkpapierrolle den Tag miteinander. Als die junge Freundschaft zur Mittagsschläfchenzeit immer noch nicht vorbei war, beschloss ich, die Geschenke in Geschenkpapier mit der Aufschrift „Happy Birthday!!“ zu verpacken. Anderes Papier hatte ich nicht zur Verfügung. Das Kind kann nicht lesen und in 30 Jahren werden wir bei der PowerPoint-Präsentation (oder was auch immer es dann geben wird) anlässlich seiner Hochzeit alle etwas zu lachen haben, sofern er denn überhaupt heiraten will. Nachdem alle Geschenke eingepackt waren, das Kind wieder wach und fit für die zweite Tageshälfte, verlor er, wie sollte es anders sein, sein Interesse an der Geschenkpapierrolle.
Der 24. Dezember war ansonsten recht unspektakulär. Es gab in unserer Wohnung keinerlei Weihnachtsdeko, was der mangelnden Zeit im Dezember geschuldet war. Das Kind riss seine Geschenke gegen 19 Uhr auf und wollte ansonsten gerne „Bobo Siebenschläfer*“ gucken. Der zweite Weihnachtsfeiertag plätscherte so vor sich hin. Morgens nieselte es, nachmittags schneite es, aber es war auch vollkommen egal, welches Wetter vor unseren Fenstern tobte. Wir hatten eh nicht vor, heute das Haus zu verlassen. Selbst der Knirps wollte nicht raus, trotz mehrmaligem Anbieten eines Spielplatz-Besuches. „No’malBoboJA?! [Nochmal Bobo Siebenschläfer, ja?]“, war seine Antwort. Dabei muss ich hervorheben, dass seine Satzstruktur mich stark an unseren neuen, überaus freundlichen Kebab-Dealer Cetin erinnert. „ZweiMalDönerMitAllesScharf,JA?!“, sagt Cetin, wenn die Schlange vor seinem Laden sich mal wieder um die nächste Straßenecke schlängelt. Da Cetin nicht nur überaus freundlich und schnell ist, sondern, hier lege ich mich fest, einen der besten Döner Frankfurts anbietet, ist seine Satzstruktur aufgrund des hohen Aufkommens an hungrigen Gästen oft auf das Nötigste reduziert. Er kann aber auch ganz normal sprechen, wenn nicht Horden von hungrigen Frankfurtern vor seinem Laden warten. Dennoch weiß ich nicht, ob es für uns als Eltern spricht, dass das Kind nun diese Satzstruktur aufweist. Zu unserer Verteidigung möchte ich trotzdem erwähnen: Wir hatten im Dezember echt viel zu tun und haben nur deswegen so oft bei Cetin bestellt. Immerhin sagt das Kind noch nicht „NächsteBitteHalloMeinFreundWasDarfsSein?“.
Am Abend des 25. Dezembers machten wir etwas total verrücktes: Wir buchten unseren Sommerurlaub. Das taten wir noch nie so früh, was einerseits daran lag, dass wir ein sehr unstetes Leben hatten und nicht länger als zwei Wochen im Voraus planen konnten. Andererseits lag es an der ständigen Ungewissheit, wann wir überhaupt Urlaub nehmen können, ob und wann wir einen Kitaplatz finden, ob und wann wir umziehen, usw.. Doch dieses Jahr haben wir bereits alle Unwägbarkeiten, von denen wir zum heutigen Zeitpunkt wissen können, abgeklärt. Dazu sind wir dieses Jahr umgezogen, haben eine Kita gefunden und werden unseren Urlaub rechtzeitig beantragen.
Dazu wussten wir: Die Kita schließt in den letzten zwei Augustwochen. Irgendjemand muss das Kind betreuen. Wir arbeiten beide und somit ist es klar, dass wir uns in dieser Zeit frei nehmen werden. Zuerst buchten wir fünf Nächte in Rom in dem Reihenhäuschen, dass wir 2020 kennen und lieben gelernt hatten. Dann dachten wir daran, dass wir danach den Zug nach Bari nehmen könnten und in Polignano a Mare eine Woche bei einem römischen Freund verbringen könnten. Die Züge waren noch nicht buchbar, was wenig verwunderte, denn DB Tickets* kann man auch erst drei Monate vorher buchen. Der Römer und ich redeten etwas über Albanien und über Gjiri i Lalzit, die Lalzit Bucht. etwas oberhalb von Durrës. Hier waren wir das erste und letzte Mal am Meer als ich mit Signorino schwanger war. Furchtbar langweilig, wenn man als Paar dort ist. Mit Kind sieht das aber ganz anders aus: Es gibt einen langen Strand, zwei Restaurants, drei Spielplätze, viele Kinder, ein Café, fertig. Dazu ist die Wohnanlage von langen Wohngebietsstraßen durchzogen, die zu allen heiligen Zeiten von einem Auto befahren werden. Davor und danach gehört die Straße den Kindern mit Laufrädern, Bobby Cars und Fahrrädern. „Ach, ich weiß nicht.“, stöhnte der Römer bei der Vorstellung. „Warum in den Norden schweifen, wenn wir im Süden die besten Strände des Landes haben?“ Ich bat ihn, mir noch ein Mal die Bilder von Orten wie Dhermi, Ksamil, Palasë und Himar zu zeigen. Hübsch sah es dort aus. Wir suchten nach Unterkünften. Der Haupttenor des Römers war bei jeder Unterkunft “Ma che cos’è? [Aber was ist das denn?] Das würde ich nicht mal an den Mann** meiner Schwester vermieten.“ Irgendwann, durch eine göttliche Fügung, fanden wir eine Unterkunft die dem Römer genehm war. Der Preis im August sprach aber auch für sich. Gleichzeitig glänzten die römischen Augen. „Okay, können wir machen. Dann wird aber Rom storniert. Wir sind doch nicht Graf Koks!“, erklärte ich dem Römer. „Okay, kein Problem.“, sprach der Gatte und stornierte in zwei Klicks den Besuch in Rom. „Dann nehmen wir am besten ein Taxi bis dorthin.“, schlug er vor. „Ne, ne, ne, ne, ne! Sicher nicht. Das kenne ich schon. Vergiss es!“, insistierte ich blitzschnell. „Ma perché no? [Aber warum nicht?]“, wollte der Römer wissen. Ich hatte meine innere Kontra-Liste schon seit 2019 fertig in meiner virtuellen Albanien-Schublade und feuerte ein Argument nach dem anderen ab: „1. Mir ist bis jetzt kein albanischer Taxifahrer begegnet, der nicht die ganze Zeit durchgeredet hat. Natürlich in einem undefinierbaren, albanischen Dialekt. Mit dir. Die Fahrt dauert mindestens vier Stunden. Ne, danke. 2. Entweder Taxis haben keine Klimaanlage und ich fühle mich wie ein Grillhähnchen. Oder aber es gibt eine Klimaanlage. Dann ist die Einstellung immer auf „Winter in Jakutsk“. 3. Die Blicke! Jedes Mal, wenn ich den Kindersitz für Signorino installiere, werde ich angeguckt als hätte ich sie nicht alle. Das reicht mir schon, wenn dein Bruder mich so anguckt. 4. Gespräche über Deutschland. J-E-D-E-S einzelne Mal. Es scheint, als wärst du ein Gesandter der albanischen Botschaft in Berlin. Der Fahrer feuert also ein unbestätigtes Gerücht über Deutschland ab und du übertreibst es entweder mit deinen Lobeshymnen oder du machst Deutschland so schlecht, dass man denkt, man wohnt in einem seelenlosen Land voller dysfunktionaler Menschen. 5….“ Der Römer unterbrach mich: „Ist ja schon gut. Was willst du stattdessen machen?“ Ich grinste. Auch hier hatte ich bereits meine Lösung feinsäuberlich vorbereitet: „Ich buche einen Mietwagen. Bei Firma X – am Flughafen. Nicht wieder bei einer Mietwagenplattform, wo ich irgendeine Schrottbrasse in der Stadt abholen darf und wenn ich ankomme, sagt man mir: ‚Oh, da haben Sie aber Glück, dass sie fünf Minuten zu früh dran sind. Denn das ist unser letzter Mietwagen. Na ja, dann hat das Paar nach Ihnen eben Pech.‘ Wenn ich einen Mietwagen vier Monate vorher gebucht und bezahlt habe, brauche ich kein „Glück“. Der Mietwagen steht dort, wie vertraglich vereinbart, und wartet darauf von mir übernommen zu werden. Außerdem will ich die Mietwagenkategorie „Panzer“. Nie wieder fahre ich mit einer halbkaputten Coladose auf den Straßen Albaniens. Ich bin doch nicht lebensmüde. Wir haben teure Fracht an Bord, unseren Signorino.“ Ich drehte den Bildschirm zum Römer, um ihm zu zeigen, was ich mir genau vorstellte. „So viel Geld? Bist du irre! Sollen wir nicht lieber meinen Schwager Besim fragen, ob wir seinen Hyundai*** in der Zeit haben dürfen?“, wollte der Römer wissen. „Ne, danke. Auch das kenne ich schon. Natürlich sagt er sofort Ja, weil er zum heutigen Zeitpunkt denkt, dass er es schon irgendwie hinbekommt seinen Hyundai*** zu verleihen. Wenn wir dann Mitte August mit Kind und Koffer vor seiner Tür stehen, ist er so überrascht, dass er uns den Kleinstwagen seines Sohnes anbietet, denn der Hyundai*** sei angeblich in der Werkstatt. Zu dritt quetschen wir uns dann in den alten Opel Corsa*** und tuckern nach Dhermi. Ne, ne, mein Lieber! Entweder das – zu meinen Konditionen oder wir fahren an die Nordsee.“, machte ich dem Römer klar. „Gut, dann fahren wir an die Nordsee.“, trotzte er und verschränkte die Arme. Ich zeigte ihm wortlos die Wassertemperaturkurve der Insel Amrum. „Okay, und du meinst, dass ein Taxi vom Flughafen Tirana nach Dhermi wirklich keine Option darstellt?“, wollte der Gatte noch einmal wissen. „NEIN!“, sprach ich. „MamaPapaBoboJa? [Mama, Papa, darf ich Bobo Siebenschläfer gucken?]“, sagte eine leise Stimme. Signorino hatte sich unbemerkt aus dem Bett ins Wohnzimmer geschlichen. „Nein, Schatz. Du gehst jetzt wieder ins Bett.“, erklärte ich unserem Ableger. „TschuTschuWaJa? [Das Lied TschuTschuWa wäre auch in Ordnung für mich, Mutter.]“, versuchte es der Nachwuchs weiter. „Nein, auch das nicht. Komm, wir gehen zusammen ins Bett.“, schlug ich ihm vor. Seine kleine, warme Hand nahm meine und ich brachte ihn wieder ins Bett. Diesmal klappte es auch ohne römische Verstärkung. Als ich nochmals aufstand, buchte ich die Mietwagenkategorie „Panzer“ zum Preis einer halben Niere. „Freiheit kostet Geld.“, pflegt mein Vater immer zu sagen. Recht hat er.
Ein Schokotörtchen gab’s auch noch. Die Fenster sind ungeputzt, aber das fällt bei dem Vordergrund und dem schrecklichen Wetter kaum auf. 😉
*Eine Fernsehsendung der Öffentlich-Rechtlichen. Werbung, unbezahlt und unbeauftragt
**Man akzeptiert ihn, mag ihn aber nicht besonders, weil er so dickköpfig ist
Wir haben gestern einen sehr schönen Ausflug gemacht. Es war schrecklich!
Wobei der Ausflug an sich und die wundervolle Landschaft ganz besonders reizend waren. Nur wir, wir machten ihn zu einer Katastrophe. Alles fing mit einem leeren Scheibenwischer-Wischwasser-Tank an. Ich, als alleiniger und somit hauptverantwortlicher Fahrer, wollte und musste ihn, aus einem inneren Zwang heraus, unbedingt auffüllen. Der Römer, als lässiger Beifahrer, winkte ab. Wortwörtlich sagte er: „Maaa no! [Aaaber nein!] Wir schütten mit einer Plastikflasche etwas Wasser auf die Windschutzscheibe und das Problem ist gelöst.“ Seine südliche Gelassenheit traf auf meine starrsinnige Gewissenhaftigkeit, was dazu führte, dass sogleich mein fantasievolles, aber überängstliches Katastrophen-Center in meinem Kopf aktiviert wurde. „Und was machen wir, wenn ich das Wischwasser ADHOC brauche, weil ein anderer Verkehrsteilnehmer meine Windschutzscheibe plötzlich verdreckt? Ein Traktor zum Beispiel! Oder ein LKW?“ Der Römer lachte. Wann sei das denn jemals passiert, wollte er von mir wissen. Ich zählte ihm vier Szenarien in den letzten zwölf Jahren auf, wobei zwei davon geflunkert waren. „Andrà tutto bene! [Es wird alles gut gehen!] Können wir jetzt losfahren? Signorino ist schon ganz müde.“ bat er und zog sich die dunkle Lederjacke über. Doch ich rührte mich nicht vom Fleck. Entweder wir fahren mit Wischwasser, oder aber das Auto bewegt sich keinen Millimeter von seinem Parkplatz. Der Römer guckte genervt, aber bemerkte rasch, dass der Fahrer des Autos das Hoheitsrecht hatte. Er knickte ein und wir holten Wischwasser an der Tankstelle. Mit Hilfe einer Videoanleitung lernte ich, wie ich überhaupt die Motorhaube öffnen konnte. Seit wir ein Auto haben, also seit letztem September, war dieser Vorgang nie von Nöten. Auch das Scheibenwischwasser reichte bis Mai dieses Jahres. Doch irgendwann musste es wohl zur Neige gehen. Warum das allerdings ausgerechnet heute passieren musste, erschloss sich mir nicht wirklich.
In der Videoanleitung wurde mir vom schwäbisch sprechenden Manfred in der dunkelgrauen Latzhose, sehr freundlich und kompetent gezeigt, dass man den Tank für das Kühlwasser bloß nicht mit dem Wischwasser verwechseln sollte. Sein grauer Schnauzer bebte, als er mir diesen Hinweis gab. Er meinte es wohl ernst. Dann rückte er sich die große Brille mit dem Goldrand zurecht und guckte fürs Video noch einmal ganz genau, welcher Tank der Richtige war. Die Kamera zoomte erst an den falschen Tank. Ein großes, feuerrotes X erschien und das Video wurde mit einem dröhnenden Laut untermalt, als hätte man gerade gesicherte Ware aus dem Drogeriemarkt stehlen wollen. Dann fokussierte die Kamera auf den richtigen Tank. Ein leuchtend grüner Haken erschien. Manfred drehte sich um und hielt lächelnd seinen Daumen in die Kamera. Ja, das musste der richtige Tank sein.
Der Römer und ich standen vor der offenen Motorhaube, während Signorino durch den Innenhof tollte. Während ich noch Manfreds Tipps bewunderte, riss der Römer bereits die hellblaue Abdeckung vom Wischwassertank und setzte sofort an, die gekaufte Flüssigkeit einzufüllen. „Nein!!!!“ schrie ich, wollte ich doch noch einmal ganz sicher gehen, dass das auch wirklich der richtige Tank war. Schließlich hatte mich Manfred eindrücklich gewarnt! „Ma che?! [Aber was?!] Das ist ganz sicher der richtige Tank!“ plusterte sich der römische Gatte in seiner Lederjacke auf. Ich kontrollierte noch einmal, verglich das Video mit der Realität und gab die Erlaubnis zum Einfüllen. „Tel‘ho detto. [Ich hab‘s dir doch gesagt.]“ maulte der Römer und ich beschloss seinen Satz zu überhören. Dann fuhren wir los.
Mittlerweile darf der Römer auch wieder auf dem Beifahrersitz sitzen, denn das Kind ist groß genug, das es mit dem Kopf nach vorne gerichtet fahren darf. Das wiederum bedeutet, dass Signorino, der es hasste mit Blick nach hinten befördert zu werden, nicht mehr beim Autofahren weint. Dafür schreit er jetzt bei jeder Kurve begeistert „Wow!!!“. Ob das ein Lob ist, dass ich die Kurve noch gekriegt habe oder ein ironischer Kommentar, kann ich Ihnen nicht sagen. Da er charakterlich eher nach dem Römer kommt, liegt die Vermutung nahe, dass es letzteres ist. Dazu kommentiert er jedes Auto, das uns überholt, mit einem, diese Aktion hinterfragenden „Hmmm?!?“. Ein bisschen fühlt es sich mit den männlichen Farnientes so an, als würde ich in einer nie enden wollenden Fahrprüfung sitzen. Der Kleine ist dabei der Fahrprüfer, der im Fond sitzt, während der Große der Fahrlehrer ist, der jede kleinste Aktion seines Schülers (also mir!) sofort und umfassend kommentiert. Nur, dass mein römischer Fahrlehrer sein Leben lang Beifahrer war und äußerst selten am Steuer saß.
Wir befanden uns mittlerweile irgendwo zwischen Frankfurter Hauptwache und Frankfurter Hauptbahnhof. Blöderweise fiel unsere Abfahrtszeit in die Mittagsschläfchenzeit unseres Sprösslings. Statt wie gewohnt einfach einzuschlafen, beobachtete Signorino all meine fahrerischen Manöver. An schlafen war bei dieser aufregenden Fahrt nicht zu denken. Schließlich kutschiert Mutti nicht jeden Tag die ganze Bande durch Frankfurt.
Nach einer sehr lang erscheinenden Fahrt erreichten wir schlussendlich unser Ziel. Leider waren die Parkmöglichkeiten schon sehr ausgeschöpft. Eine etwas intensivere Suche im Straßengewirr Schwanheims, einem Stadtteil Frankfurts, später, fanden wir doch noch ein freies Fleckchen für unser Auto. Doch just in diesem Moment fing es an zu regnen. Dicke, schwere Tropfen prasselten gegen unser Schiebedach und die Scheiben. Signorino fing an zu motzen, weil er natürlich nach dieser Autofahrt und unter Inanspruchnahme seiner völligen Konzentration schrecklich müde war. Der Römer schlug genervt vor, sogleich wieder nach Hause zu fahren. No, no! [Nein, nein!] Das klart nicht mehr auf, da sei er sich sicher, sprach er, sehr von seinen meteorologischen Fähigkeiten überzeugt.
Ich wollte meinen Kopf gegen das Lenkrad schlagen. „Entschuldige, amore mio!“, erwiderte ich knurrend, „Aber ich fahre euch doch nicht durch die ganze Stadt, um dann beim kleinsten Schauer wieder heimzugurken.“ Der Römer schüttelte bedauernd den Kopf und klopfte gegen die Scheibe. Er sehe keine andere Möglichkeit, antwortete er traurig. Ganz schwarz sei der Himmel. Nein, da ist er sich sicher, das klart heute nicht mehr auf. Ich atmete tief durch, reichte eine Flasche Wasser an den quengelnden Ableger und bat den Römer, sich in den Fond zu seinem Ableger zu gesellen. Er wollte empört insistieren, doch meine Begründung kam derart aus der Pistole geschossen, dass er keine Möglichkeit dazu hatte. Ruhig erklärte ich ihm, dass Signorino sicher noch zehn Minuten durchhalten könne, wenn er ihm auf dem Handy das Kinderlied Aramsamsam vorspielen könne. Mürrisch machte der Römer die Beifahrertür auf und schlüpfte in einem Bruchteil einer Sekunde in die hintere Autotür. Da saßen sie, die zwei Farnientes, und guckten fröhliche Kinderliedervideos. Das vormals laute Prasseln der Tropfen wurde schon beim zweiten Lied schwächer.
Ich sah meine Chance gekommen! Rasch stieg ich aus, öffnete den Kofferraum und klappte den Kinderwagen auf. Dann teilte ich dem Römer durch den Kofferraum mit, dass er Signorino die Jacke anziehen könne. Leise murrend tat er wie ich ihm gesagt hatte. Dann stieg er aus. Ein dicker Tropfen traf seine gestylten Locken. Verärgert guckte er gen Himmel, dann zu mir. Nein, bei diesem Regen könne er keinen Spaziergang machen. Es würde nichts helfen. Wir MÜSSEN wieder heim. Ich schüttelte vehement den Kopf. Guck doch, es hat aufgehört zu regnen, wiederholte ich nochmals. Er blickte noch einmal übellaunig zum Himmel. Sehr weit südlich konnte man sogar einen Streif hellblauen Himmels erahnen. Wortlos packte er den quengelnden Signorino in seine olivfarbene Karosse. Als es wieder leicht anfing zu tröpfeln, installierte ich die Regenhülle des Kinderwagens. Signorino beschwerte sich. Der Römer, dessen Naturlocken anscheinend aus Zucker bestanden, flüchtete fluchend ins Auto. Ich machte mit der monströsen Regenhülle einfach weiter und konzentrierte mich auf meinen Atem, der immer gepresster wurde. Sobald das maulende Kind verstaut war unter seiner Regenfolie, spannte ich einen Schirm auf und brachte ihn an die römische Autotür. Dort konnte ich einen übellaunigen Römer mit verschränkten Armen erkennen. Trotzig starrte er nach vorne. Ich klopfte an die Scheibe und der Römer öffnete das Fenster einen Spalt breit. „Du willst unbedingt diesen Spaziergang machen, oder?“ knurrte er. Ich nickte und murmelte ein „Wenn wir schon einmal da sind…“ Er schnappte sich den Schirm, ich mir Signorino und wir stapften los. Ich bat den Römer, noch einmal auf seinem Mobiltelefon zu schauen, wie der genaue Weg zur Schwanheimer Düne lautete. Er guckte nach und fand – nichts. „Wie? Die Wegbeschreibung findest du hundertprozentig bei einer Suchmaschine!“ sprach ich und auch mein Ton wurde genervter. „No! Non c‘è. [Nein! Die gibt‘s nicht.]“ versicherte mir der Römer. Ich ließ mir das Handy zeigen. „SCHWANheimer Düne!! Nicht SCHWEINheimer Düne.“ korrigierte ich seine Eingabe und hielt ihm sein Telefon hin. „Ah, mi sembrava già un po‘ strano. [Ah, es erschien mir schon etwas komisch.] Ein Schwan scheint auch deutlich eleganter zu sein als ein Schwein. Aber man weiß ja nie – hier in Deutschland.“ Er lachte über seinen eigenen Scherz. Ich nicht.
Das Kind schrie mittlerweile richtig laut, weil es so übermüdet war. Der Römer kämpfte sich durch die Kinderwagenregenhülle und fischte Signorino aus dem Buggy. Dieser ließ sich dankbar herausnehmen und kuschelte sich an die Lederjacke seines Vaters. Ich fuhr derweil den Kinderwagen. Der Römer trug den müden Ableger. „Nie wieder!“ dachte ich. „Nie wieder mache ich mit euch beiden einen Ausflug.“ Signorino schlief während meinem Gedanken ein und der Römer bemerkte: „Das ist aber schön hier an der Schweinheimer Düne.“ Ich musste lachen. „Schwan!!! Schwanheimer Düne.“
Nach weiteren fünf Minuten legten wir den dösenden Signorino in den Buggy. Er verschlief den kompletten Ausflug. Immerhin tankten wir etwas frische Luft und erfreuten uns an der schönen Landschaft. Der Himmel zog auf, als wir durch die Natur spazierten, und die Sonne lachte vom Himmel. „Bella, questa gità! [Schön, dieser Ausflug!] Gut, dass wir nicht heimgefahren sind.“ stellte der Römer am Ende des Ausfluges fest. Ich nickte müde. Ja, hier an der Schweinheimer Düne ist‘s wirklich schön.
Aber nächstes Wochenende bleiben wir lieber daheim.
P.S. Nicht nur die Schwanheimer Düne ist ein Grund zur Freude, nein, auch mein letzter Teil der Albanienchroniken ist endlich fertig. 😃 Und ja, ich bin ein bisschen stolz, dass ich es endlich geschafft habe, den letzten Teil fertig zu stellen. Nachdem ich ihn lektoriert habe, wird er selbstverständlich veröffentlicht.