„Jetzt ist es passiert.“ werden Sie sagen während Sie die Überschrift lesen. „Ab jetzt wird sie uns jeden Tag erzählen, was es zu essen gibt. Irgendwann wird sie Wörter wie Foodie, Foodblog und Foodinspiration benutzen.“
Aber weit gefehlt, meine sehr verehrten Leser*innen! Vielmehr möchte ich Ihnen von einem, nein, von meinem Durchbruch erzählen. Es dauerte Jahre und nur durch mein unglaublich aufopferungsvolles Durchhaltevermögen habe ich es geschafft: Der Römer isst jetzt Sushi.
„Nichts besonderes.“ werden Sie mir mit Ihrem internationalen Gaumen antworten und währenddessen genüsslich ihre vietnamesische Phở schlürfen oder sich äthiopische Injera in den Mund schieben.
Aber ich halte ein „Oh doch!“ dagegen. Dazu muss ich ihnen eine Geschichte erzählen, die sich exakt so vor ein paar Jahren ereignet hat:
Als ich den Römer kennen lernte, war er ein begeisterter Fan der italienischen Küche. Das traf sich gut. Er wohnte schließlich in Rom. Doch wer nun erwartet, dass der Römer eine andere Landesküche außer der italienischen akzeptierte, den muss ich nun leider bitter enttäuschen. Es gab für ihn nur diese eine Küche.
Selbst in Albanien aß er zwar brav und ohne Widerworte das Festmahl, das seine Familie bei jedem Besuch auftischte, doch an Abenden, an denen er alleine Ausgang hatte, verschlug es ihn selbstredend in ein italienisches Restaurant. Wenn man ihn fragte, ob man etwas exotischeres essen könne, nickte er und schlug türkisch vor, denn Mezze und gegrillte Fleischspieße waren gerade noch so akzeptabel.
Die deutsch-österreichische Küche war ihm meist schon zu exotisch. Knödel wurden als „pane bagnato“ [nasses Brot] abgetan. Allerdings wurde ein hauchdünnes Kalbsschnitzel von ihm akzeptiert, da es dieses auch in der italienischen Küche unter dem wohlklingenden Namen „scaloppina milanese“ gab.
Und damit endete sein kulinarischer Horizont auch schon wieder.
Doch ich machte mir über dieses Thema nie viele Gedanken. Wenn wir uns sahen, dann waren wir meist in Rom und weniger in Frankfurt. Ich mag die italienische Küche und fand es vollkommen ausreichend mich von gegrilltem Fisch über Pizza bis hin zu cacio e pepe durch zu schlemmen.
Es war alles in bester Ordnung und wir hätten glücklich und verliebt bis ans Ende unserer Tage leben können, wäre da nicht unser erster, gemeinsamer Urlaub gewesen.
Das Reiseziel, Singapur und Bali, klang vielversprechend. Wir waren beide aufgeregt. Ich, weil ich hohe Erwartungen an diesen, unseren, ersten, gemeinsamen Urlaub hatte. Der Römer, weil er zum damaligen Zeitpunkt noch nie einen Fuß auf einen anderen Kontinent gesetzt hatte.
Im Flugzeug war alles ganz wunderbar. Man bot eine Auswahl an internationalen und asiatischen Gerichten an. Der Römer wählte begeistert die „internationale“ Küche, die aus insalata caprese [Tomate-Mozzarella] als Vorspeise und petto di pollo con purè (Hühnerbrust mit Kartoffelpüree) bestand. Ich hingegen war froh, die asiatische wählen zu können, wollte ich mich doch auf den Urlaub einstimmen.
In Singapur angekommen merkte man noch nicht viel vom römisch-kulinarischen Defizit. Am ersten Abend aßen wir frittiertes, einfaches Huhn und Reis. (pollo fritto con riso)
Generell galt: Alles, was einen italienischen Namen vorweisen konnte, wurde ohne Murren akzeptiert. Der Rest wurde verweigert, auch wenn das bedeutete in den Hungerstreik zu gehen.
Am zweiten Abend gingen wir in einen Foodcourt. Überall lachten uns kleine Buden an und jegliche, asiatische Gerichte wurden feilgeboten. Es war ein wahres Fest. Indisch dort, chinesisch da hinten, malaysisch links, usw., usw..
Ich setzte mich an ein Tischchen und bot dem Römer an, schon einmal zu gucken, was er essen möchte. Ich würde den Platz solange reservieren.
Der Römer stolzierte im Foodcourt umher, guckte sich alles genau an und verzog meist angewidert den Mund, bevor er seine Inspektion beim nächsten Stand fortsetzte.
Nach 20 Minuten, ich wartete mit knurrendem Magen auf meinem Platz, kam er zurück – mit leeren Händen. „Non trovo nulla qui! Fa tutto schifo.“ [Ich finde hier nichts. Es ist alles eklig.] sprach’s und ließ sich auf den Platz neben mir plumpsen. Ich guckte ihn irritiert – und hungrig – an.
„Und dafür hast du 20 Minuten gebraucht?“ fragte ich leicht genervt. „Vabbe, devo oppure vedere che c’è.“ [Ja gut, ich muss doch sehen was es gibt] antwortete er flapsig. Ich, ganz das allgemeine Wohl im Blick, bot ihm an, nochmal mit ihm gemeinsam zu schauen, ob es nicht doch was für ihn geben würde.
Wir gingen von Stand zu Stand und ich versuchte dem Römer das ein oder andere Gericht schmackhaft zu machen. „No.“ war seine andauernde und ernüchternde Antwort. Dazu schüttelte er vehement den Kopf. Ich atmete tief durch, da ich nicht wollte, dass dieser Urlaub gleich am Anfang zu einem Disaster werden würde.
Im Augenwinkel sah ich einen Dumpling Stand. Ich steuerte auf ihn zu. Der Römer trottete missmutig und hungrig hinter mir her. „Ah! Ravioli!“ erhellte sich sein Gesicht. „Buoni! Come sono?“ [Lecker! Wie sind die gemacht?] Der Römer, der damals sehr schlecht Englisch sprach, bat mich die Beschreibung zu übersetzen. „Mit Garnelen, vegetarisch oder mit Schwein!“ zählte ich auf. „Mmmh…buono! [Mmmh…gut] Ich nehme eine Portion mit Garnelen und eine vegetarische Portion.“ Ich bestellte die doppelte Menge für uns und nahm sie nach wenigen Minuten dankend in Empfang.
Angekommen am Platz war er höchst zufrieden mit seiner Wahl. „Veramente squisiti, questi ravioli.“ [Wirklich vorzüglich, diese Ravioli.] stellte er fest. „Sie heißen dumplings.“ erklärte ich ihm kauend. „Ah…dumpings! Fa oppure senso!“ [Ah…Dumpings! Das macht auf alle Fälle Sinn] bestätigte er mir. „Nein, nein, DUMP-L-INGS.“ wiederholte ich. „Ok…va bene. Basta che tu li sai pronunciare giuastamente.“ [Ok…in Ordnung. Es reicht, wenn du sie richtig aussprechen kannst] stimmte er mir zu.
An den darauffolgenden Tagen ernährten wir uns von „Dumpings“ und „Burger“. Weitere, kulinarische Versuche akzeptierte der Römer nicht. „Na, das kann ja was werden.“ dämmerte es mir – doch ich schob den Gedanken beiseite.
Nach einigen Tagen setzten wir unsere Reise fort. Es sollte nach Bali, Ubud um genau zu sein, gehen um dann – nach ein paar Tagen Aufenthalt – auf eine kleine Insel namens Gili Trawangan überzusetzen.
In Ubud angekommen machten wir uns auf die Suche nach etwas Essbarem. „Nasi Goreng wird er wohl essen können.“ dachte ich. Weit gefehlt, denn es gab kein italienisches Pendant dazu. Mangels Auswahl bestellte ich es trotzdem für ihn. Als Vorspeise bestellte ich Hühner Satay Spieße.
Die Vorspeise empfing er mit großer Freude. „Mmmh…spedine al pollo.“ [Mmmh…Hühnerspieße.] lobte er und verschlang sie gierig. „Ma questo sugo di noci non centra nulla. Sarebbe stato meglio con un sugo di pomodoro.“ [Aber diese Nusssoße passt überhaupt nicht dazu. Eine Tomatensoße wäre besser gewesen]
Ich lächelte milde und tätschelte sein Knie.
Als die Hauptspeise kam, machte er große Augen. „Ma che cos’è?“ [Aber was ist das denn?] fragte er sichtlich entsetzt. „Nasi Goreng.“ flötete ich und wünschte ihm guten Appetit. Er stocherte lustlos in seinem Gericht herum. Ab und zu probierte er ein, zwei Reiskörner und geriet dabei so ins Schwitzen, dass er fast alle Knöpfe seines weißen Leinenhemds aufmachte. Dann tupfte er sich theatralisch den Schweiß von der Stirn und ächzte: „Troppo picante! No, non lo mangio!!“ [Viel zu scharf! Nein, das esse ich nicht!] Ich atmete tief ein und aus und rechnete in Gedanken nach wie viele Tage wir noch in diesem „Paradies“ verbringen müssten, bevor wir wieder heimfliegen konnten. „14.“ murmelte ich völlig resigniert als ich die Anzahl der restlichen Urlaubstage kalkuliert hatte. „Wie 14?“ fragte der Römer. „Ääähm….entschuldige, 140.000 Rupien kostet ein Gericht, glaub ich.“ versuchte ich mich aus der Situation zu retten. Der Römer trank seinen Softdrink und aß die traurige Grill-Tomate, die resigniert am Rand des Tellers lag.
Am nächsten Tag machte ich mich alleine auf die Suche nach einem internationalen Restaurant während der Römer hungrig im Pool plantschte.
Zum Glück wurde ich fündig. Nur wenige 100 Meter von unserer Unterkunft entfernt gab es ein vegetarisches Café. Es sollte von nun an unsere Stammlokalität werden. Jeden Tag – zweimal – bestellte der Römer eine Mezze Platte und verschlang sie meist zwischen zwei Atemzügen. Nachmittags gönnte er sich ein Stück Muffin oder tortina, wie er es nannte.
Mir graute es bereits vor Gili Trawangan. Wird man etwas Essbares dort finden? Oder wird er sich nur von Softdrinks, tortina und Toastbrot ernähren?
Ich sollte es noch früh genug herausfinden, denn die Reise ging am nächsten Tag los. Wir setzten mit der Fähre auf die kleine Insel über. Angekommen am Zielort streifte er durch die Speisekarte eines schönen Strandlokals… und… nichts…es gab rein gar nichts für ihn. Neidisch blickte ich zu einem niederländischen Pärchen hinüber… sie aßen ein traditionelles, indonesisches Gericht und wirkten sehr glücklich dabei. Neben mir saß der hungrige, italienische Trauerkloß und guckte böse, weil ihm die heimische Küche fehlte.
Ich bestellte mir „Phad Thai“. Der Römer wollte nur eine Zitronenlimonade und Satay Spieße – ohne Soße. Als das Essen kam, guckte er neidisch auf meinen Teller. „Che cos’è?“ [Was ist das?] fragte er interessiert. „Sembra come tagliatelle con gamberi. Buono!“ [Es scheint wie Bandnudeln mit Garnelen. Lecker!] beantwortete er sich die Frage selbst. „N…jaaaa… Willst du probieren?“ erwiderte ich hoffnungsvoll. „Ma si! Perchè no?“ [Aber ja, warum nicht?] antwortete er begeistert. Er steckte sich die erste Gabel voller Phad Thai in den Mund und ich wartete gespannt auf seine Reaktion. „Buonissimo!“ [Sehr lecker!] fiel sein Urteil aus. Erleichtert atmete ich auf.
Fortan aß er jeden Abend Phad Thai und jeden Mittag Satay Spieße. Andere kulinarische Ausflüge wagte er – wie immer – nicht. Seine kargen Essgewohnheiten zeichneten sich sehr schnell ab. Im Gesicht wurde er sehr hager und auch seine Hosen saßen von Tag zu Tag lockerer. Böse Zunge würden behaupten, er sah wie ein Schiffsbrüchiger aus, der aus unerfindlichen Gründen auf dieser Insel angespült wurde.
Auf dem Rückflug war er heilfroh, dass es eine eurasische Fluglinie war. Er stopfte sich mit Mezze, Hähnchenspießen und Baklava bis oben hin voll. Satt und glücklich schlief er ein und wachte erst in Istanbul wieder auf.
Auf dem Flug nach Rom erzählte er dem interessierten, italienischen Flugbegleiter sein kulinarisches Martyrium. Dieser nickte verständnisvoll und legte ihm mitfühlend eine Hand auf die dürre Schulter. Ich stellte mich indessen schlafend.
„Nie wieder.“ schwor ich mir in Rom. „Nie wieder gehe ich mit ihm auf eine Reise, die europäischen, nein, italienischen Boden verlässt.“
Doch es kam, wie es kommen musste. Er zog nach Deutschland – und fortan begann eine mehrjährige, geschmackliche Gewöhnungsphase für den Römer. Mittlerweile isst er gerne indisch, thailändisch, vietnamesisch und – so gar (aber das dauerte bis letztes Jahr im Dezember) rohen Fisch in Reis – oder Sushi, wie es korrekt heißt.
„Darf ich dich mal was fragen?“ wendete ich mich gestern an ihn während er mit seinen Stäbchen geschickt das Sushi in die Sojasauce tauchte. Er nickte bejahend und kaute zufrieden.
„Warum hast du fast 40 Jahre lang nur italienisch, albanisch und Mezze gegessen?“ erkundigte ich mich bei ihm.
„Es gibt einfach mehr italienische Restaurants in Rom als alles andere. Da hatte ich den Drang nicht, etwas Neues auszuprobieren. Mal aß ich ein Kebab, wenn ich von einer durchtanzten Nacht kam. Aber auch nur, weil alle italienischen Imbisse schon geschlossen hatten.“ antwortete er sehr ehrlich.
„Und jetzt? Wie findest du’s jetzt mit all den Möglichkeiten, die wir haben?“ hakte ich neugierig nach. „Gut. Wirklich! Aber die italienische Küche würde mir zum Überleben reichen.“ gab er grinsend zurück.
„Na dann! Finger weg von meinem Lieblings-Sushi.“ konterte ich. „Ti piacerebbe!“ [Das würde dir so passen!] hielt er dagegen und schob sich genüsslich eine Sushirolle in den Mund.
