
Tun Sie es oder tun Sie es nicht?
Keine Sorge, Sie müssen mir diese Frage nicht beantworten. Bei uns ist es wie in einer guten Beziehung. Auch Geheimnisse muss man voreinander haben dürfen.
Aber um über den Römer und mich zu sprechen: Wir tun es. Nicht öffentlich, da genieren wir uns zu sehr. Obwohl, ab und zu ist es auch in der Öffentlichkeit passiert. Dann stieß ich den Römer meist unsanft mit dem Ellbogen in die Rippen und sssch-te ihn an.
Doch von vorne: Alles fing mit den Nachbarn oben an. Nette, kurz angebundene Herren, für die ich manchmal ein Päckchen annehme. Ich sollte den Nachnamen allein schon deswegen kennen, doch zu präsent ist ihr Eigenname, den sie von uns bekommen haben: Die TIRs, die sich wiederum in den kleinen und den großen TIR aufteilen.
Den Namen bekamen sie, weil sie uns sehr stark an eben diese erinnern.
So klebt doch das Schild mit der Aufschrift TIR an vielen italienischen LKW-Transporten: Transports Internationaux Routiers «trasporti internazionali su strada» [Internationaler Straßen Transport]
Und eins haben sie alle gemeinsam: Es sind sehr große, sehr schwere LKWs. Bevor sie jetzt mit „fat shaming“ kommen, möchte ich mich hiermit offiziell davon distanzieren. Denn der Römer war’s und hat ihnen den Namen gegeben. Beschwerden leite ich aber gerne weiter.
Zurück zu den TIRs: den großen TIR sieht man meist nur auf dem Balkon. Einmal in 3 Jahren hat er die Wohnung verlassen – mithilfe der Feuerwehr über den Balkon. Er musste ins Krankenhaus – und – nun ja – passte nicht durch’s Treppenhaus. Der kleine TIR ist dagegen eher im exekutiven Bereich tätig, kauft ein, macht Botengänge und kümmert sich auch sonst um alles.
Mit unseren seidenpapierstarken Wänden sahen wir uns gezwungen, ihnen Spitznamen zu geben. Sagen wir, um ihre Privatsphäre zu wahren.
Und genau das ist unsere dunkle, abgründige Seite: Wir geben unseren Nachbarn heimlich Spitznamen.
So auch geschehen vor 1,5 Jahren. Die Labradoodles sind ins Hinterhaus eingezogen. Herzige, übertrieben freundliche Menschen. Doch geistige Tiefe lässt sich bei Ihnen nicht erahnen. Eben ähnlich eines Labradoodles. Es mögen freundliche Tiere sein, wahrscheinlich auch intelligent (verzeihen Sie hier mein mangelndes Fachwissen über diese Hunderasse), ABER sie wirken so heiter und gleichzeitig nichtsahnend wie unsere Nachbarn. Sie, die Labradoodle Frau, könnte getrost ein „Influencer“ sein und er, der Labradoodle Rüde, macht „irgendwas mit Medien in einem Start-Up“.
Jedesmal wenn wir die Labradoodles sehen, begrüßt der Römer sie freundlich mit einem „Haaaaallo! Buongiorno!“ und haucht mir ein „Prendi la palla – porta la palla – molla la palla“ [Fang den Ball – bring den Ball – lass den Ball aus“] ins Ohr. Ich lächle dann verlegen und die Labradoodle Frau quietscht jedes mal vergnügt: „Iiiiich liebe Italienisch! Das ist so eine schöne Sprache!“ Der Römer lacht dann und nickt eifrig, während ich denke: „Na, wenn die wüsste!“
Letztens lies sich auch Turtle dazu hinreißen jemanden der Nachbarn zu taufen – incognito versteht sich. Ich erzählte ihr davon, dass ich ein Paket bei Torben abgeholt habe. „Wer ist das denn?“ fragte sie, eine ihrer selbstgemachten Zimtschnecken mampfend. „Mmh…der von dem Marketing Büro unten.“ versuchte ich es ihr zu erklären. „Aaaach! Der Rotfuchs von der Kifferbude!“ klarte sich ihr Gesicht auf. Der Römer prustete los: „Si! Il roscio! Grande, Turtle!“ [Ja, der Rotfuchs! Großartig, Turtle!] High Five! Beide schlugen ein und Torben hatte seinen Namen weg. „Il roscio“ ist er seitdem. Der Rothaarige von der Kifferbude.
Doch glauben Sie mir: Auch unsere Nachbarn haben es faustdick hinter den Ohren. Zum Beispiel Hubsi und Schnupsi, das flotte Mitvierziger Paar, das erst seit ein paar Wochen hier wohnt. Durch die stets gleichen, hochpreisigen Outdoor Jacken, die sie bei ihrer morgendlichen Nordic Walking Runde am Main tragen, erinnern sie mich eher an Vorort Idylle als an Großstadt. Und eben dieses Pärchen ist keinen Deut besser. Wann immer wir ihnen begegnen, höre ich ein leise gehauchtes „König Leonidas“ und „Svetlana Motzikova“. Am Anfang dachte ich, es sei ein Zufall, aber nein – mittlerweile kann man nicht mehr von Zufällen reden.
„Wie findest du es eigentlich, dass Hubsi und Schnupsi uns Namen gegeben haben?“ frage ich den Römer – mit dem nötigen Maß Empörtheit. „Die haben uns Namen gegeben? Quali sarebbero? [Welche wären das?]“ geht er neugierig darauf ein. „Also…du heißt „König Leonidas“ – und damit bist du echt gut weggekommen.“ fange ich an. „E tu? Come ti chiamano? [Und du? Wie nennen sie dich?]“ fragt er nun grinsend. Ich seufze und verdrehe die Augen. „Svetlana Motzikova!“
Der Römer kreischt los vor lachen. Sein Gepruste hallt durch die ganze Wohnung. „Svetlana Motzikova! È troppo forte! Geniale!“ [Svetlana Motzikova! Das ist zu gut! Genial!] Er lacht mittlerweile Tränen und muss sich abstützen. „Ja, ja, stütz dich nur ab….pfff!“ motze ich, halb eingeschnappt.
„Scusa, amore! Ich hätte nur nicht gedacht, dass Hubsi und Schnupsi so viel Fantasie und Humor haben. Fa troppo ridere [Das ist extrem lustig]. Ma una domanda: Perché ti chiamano Motzikova? [Aber eine Frage: Warum nennen sie dich Motzikova?]“ fühlt er mir auf den Zahn.
„Aaaach…eigentlich gibt es dafür keinerlei Grund. Ich habe Hubsi nur sanft (aber bestimmt) darauf hingewiesen, dass er nicht im Innenhof auf meinem Parkplatz parken darf. Es geht hier streng nach Seniorität. Darauf lege ich allergrößten Wert!“ erkläre ich ihm. „Aha….?!“, stellt der Römer fest, „…und weiter?“
Er kennt mich einfach zu gut und weiß, dass das nicht unsere einzige Begegnung war. „Außerdem habe ich Schnupsi erklärt, dass wir eine sehr ruhige Hausgemeinschaft sind und niemand um 13:30 Uhr bohren sollte. Auch nicht am Umzugstag. Das ist Signorinos Schlafenszeit und ich berufe mich auf die Hausordnung.“ ergänze ich spitz. Der Römer prustet wieder los. „Hast du es so erklärt? Proprio alla tedesca? [Genau so deutsch?]“ lacht er. „Ja.“ antworte ich knapp. „Dann hast du deinen Namen auch wirklich verdient, Signora Motzikova.“
Am nächsten Tag, Hubsi und Schnupsi kommen gerade von ihrer Nordic Walking Runde heim, halte ich ihnen mit einer großen Mülltüte bewaffnet die Tür auf, wünsche ihnen einen wunderschönen, guten Morgen und verwickle sie in einen heiteren Smalltalk über Nordic Walking. Der Römer, der die Szene mit Signorino beobachtet, fühlt sich sofort dazu berufen, diese Situation zu beurteilen. „Das war richtig nett, dass du ihnen zufällig die Tür aufgehalten hast. Sie müssen ja nicht wissen, dass du 10 Minuten am Türspion gewartet hast um sie abzupassen. Aber bevor du dir jetzt noch Nordic Walking Stöcke kaufst und mit ihnen eine Runde witzelnd durch den Park stöckelst, will ich dir sagen: mach dir keine Hoffnungen – den Namen behältst du auf alle Fälle, Svetlana Motzikova.“
Ich fühle mich ertappt, doch gebe schnippisch zurück: „Danke, ich trage es dennoch mit Fassung!“
„Non è che tu hai una scelta.“ [Es ist nicht so, als ob du eine Wahl hast] grinst der Römer.
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