Zusammengestöpseltes – Samstag

[Zusammengestöpseltes vom gestrigen Samstag]

Zum vierzigsten Mal an diesem Vormittag singt Anna Caterina Antonacci im Royal Opera House „Habanera – L‘amour est un oiseau rebelle“. Natürlich tut sie dies nur in unserem Fernseher im heimischen Wohnzimmer, denn sonst wäre die Oper Carmen furchtbar langweilig, wenn sich die immer gleiche Szene wieder und wieder genau so abspielen würde.

Doch würde es nach mir gehen, wäre auch eine gewisse Variation der Lieder wünschenswert. Aber es geht nicht nach mir. Das Kind bestimmt die Musikauswahl und darf es das nicht, heult es so lange und intensiv, dass sie von der elterlichen Musikauswahl eh nichts mitbekommen würden. Nachdem wir seit Monaten die Kinderliederklassiker der Blondgelockten und ihres Mannes hören, versuche ich vereinzelt ein paar andere Musikeinflüsse in die Kinderlieder-Monotonie zu streuen. Heute gelang es und so hören wir eben zum zigsten Mal, wie die Antonacci den rebellischen Vogel namens Liebe die Sprunghaftigkeit in die Schuhe schieben will.

Aber beschweren möchte ich mich nicht. Am gestrigen Freitag hörten wir in Endlosschleife „Bella Ciao“. Auch das Kind kann schon mitsingen, nennt den armen Partisanen aber immer „parmigiano“, Parmesan. Und wenn der Parmesan sich von seiner Schönen verabschiedet, um ihr mit auf dem Weg zu geben, ihn doch bitte auf dem Berg unter dem Schatten einer Blume zu beerdigen, und dabei unser Nachwuchs auf- und abhüpft, erscheint mir die Szene doch etwas abstrus. Es ist sicher nicht Signorinos Schuld, dass die Bedeutung des Liedtextes von der feierwütigen Gesellschaft in den Hintergrund gedrängt wurde. Aber es ist seltsam mitanzusehen, wie die Privilegierteren dieser Welt diese Melodie in den Diskotheken, Bars und Clubs mitsummen.

Dann lieber Signora Antonacci, die die Flüchtigkeit der Liebe besingt.

Wie flüchtig der Liebste sein kann, möchte ich Ihnen hier erklären: Mein Mann weilt alleine (hoffentlich!) im klimatisierten Hotel in Tirana. Wie das kam? Er fantasierte mir vor einigen Wochen zusammen, dass er so gerne verreisen würde. Wie zu unseren besten Zeiten als Paar ohne Kind, nur mit Handgepäck, in ein Flugzeug einsteigen und ab nach Rom. Natürlich nur ein Wochenende. Dort würde er dann am Samstag nach Ostia fahren und abends Freunde treffen und essen gehen, dazu noch dies und das, bis er dann Sonntagnachmittag gut erholt in Frankfurt einschweben würde und gewappnet wäre für den weiteren Verlauf dieses Jahres 2022. Als fürsorgliche Ehefrau bot ich ihm an, seine Idee in die Tat umzusetzen und dies als Geburtstagsgeschenk seines Vierzigsten zu verbuchen. Nun ist dieser Vierzigste zwar einige Jahre her, aber durch Kind und Corona waren ihm die Hände gebunden.

Der Römer ist außer Haus!

Als der Plan konkreter wurde, schwenkte er doch auf Tirana um. So stand er gestern zwei Stunden am Frankfurter Flughafen bei der Sicherheitskontrolle B und wartete darauf, abgetastet und kontrolliert zu werden. Der Flug hob mit einer Stunde Verspätung ab, was momentan durchaus als pünktlich zu werten ist. Und was er dann nicht alles vor Ort erlebt hat. Als er mir abends noch ein Video schickte, wie er(!) das neue Vehikel seines Bruders durch die staubigen Gassen Kamez steuerte, dachte ich wieder daran, wie viel Gottvertrauen diese Albaner haben. Da lässt man jemanden ans Steuer seines neuen SUVs Stuttgarter Herkunft und dies geschieht selbstverständlich im Dämmerlicht der steinigen und staubigen Straßen, die noch dazu kaum bis gar nicht beleuchtet sind. Natürlich besitzt dieser Jemand, der Römer, einen albanischen Führerschein, den er vor 24 Jahren erwarb (fragen Sie nicht wie!), seitdem aber auch nur drei Mal fuhr. Ja, richtig gelesen, drei Mal. Anscheinend passierte nichts bei dieser flotten Fahrstunde in Kamez und Automatik sei „ganz einfach“ zu fahren, tönte der Römer, aber mir wurde ganz anders.

Generell bleibt noch zu sagen, dass die Zeit mit Signorino alleine sehr gut machbar war. Sogar so gut, dass ich regelrecht entspannt bin. Ich ließ aber auch Fünfe gerade sein. Beispielsweise stellte sich das Kind als Mittagessen Salzstangen und danach ein „blaue Eis“ (er meinte die Verpackung) vor. Wir diskutierten. Dazu muss ich sagen, dass Signorino generell ein sehr schwieriger Esser ist. Ich versuchte ihn also davon zu überzeugen, dass mein eben gekochter Couscous-Matsch mit Gemüse nichts anderes sei, als ein sehr kleiner Reis, aber er antwortete mir mit „Bäh“. Partout wich er nicht von eben dieser Meinung ab. Wir klapperten die üblichen Verdächtigen der Signorino’schen Nahrungskette ab: Joghurt – Bäh. Blaubeeren – Bäh. Butterbrot – Bäh. Wassermelone – ok. Hatten wir aber nicht daheim. Am Ende fragte ich mich, wozu ich mich überhaupt stressen soll. Wenn das jetzt gerade der dringende, kindliche Wunsch ist und die Ernährung am Ende des Tages ungefähr passt, dann bitte: „Lass dir deine Salzstangen und dein Schokoeis schmecken, lieber Signorino.“ Ich gab mein Okay und sah das Kind selten sooo glücklich beim Essen. Abends ließ er sich wieder auf meine normale Küche ein. Oder, um es mit den Worten der Habanera, dargeboten von Signora Antonacci zu sagen: Das Essverhalten des Kindes ist eben auch ein rebellischer Vogel.

Ein abhanden gekommenes Gefühl: Nachhausekommen

Reisen ist doch etwas herrliches. Aber wer träumt nicht nach einer gewissen Zeit davon, heimzukehren? Erinnern Sie sich überhaupt noch an das salzig-süße Gefühl des Nachhausekommens? Einerseits trauern Sie der vergangenen Reise hinterher, andererseits können Sie es kaum erwarten, in die Geborgenheit Ihres trauten Heims zurückzukehren?

Mein bester Freund, der Eine, sagte einmal sehr treffend auf einer unserer Reisen: „Ich bin froh, wenn ich wieder daheim bin.“ Dieser Satz spukte mir heute im Kopf herum. Sogleich fiel mir ein Video ein, das ich vor einem Jahrzehnt unzählige Male angeguckt habe. Es war die Zeit der Flashmobs. Und dieser hier war mein liebster.

Auf dass wir bald wieder sagen können: „Willkommen zurück“ und „Ich bin froh, wenn ich wieder daheim bin.“

Elda geht ins Ausland! (Teil 2)

Elda geht ins Ausland! (Teil 2)

[Für Teil 1 und Teil 2 bitte jeweils auf den Link klicken]

„Und die wäre?“ fragten der Römer und Elda unisono.

„Ich habe es mir lange und breit überlegt. Elda darf im Ausland studieren, aber nur dort, wo es Verwandte gibt. Singapur und London wären damit eindeutig vom Tisch. Ich möchte jemanden von meiner Familie in ihrer Nähe wissen.“ erklärte Besnik. „Eine Möglichkeit wäre z.B. Rom…“ setzte er an.

Doch Elda unterbrach ihn sofort: „Rom!?!? Papa! Wo in Rom vermutest du denn die erstklassigen BWL Unis? Da kann ich genauso gut in Tirana studieren.“ Sie schmollte. Der Römer warf ihr einen strengen Blick zu, der sie dazu bringen sollte, sich erst einmal alles anzuhören, bevor sie ihre Chancen verspielte. Doch ihr jugendlicher Übermut verhinderte, dass sie den Blick des Römers richtig deutete oder gar wahrnahm.

„Na gut, in den süditalienischen Dörfern gibt es keine Universitäten, die fallen also raus. Dann hätten wir noch Zürich…“ machte Besnik weiter.

Bevor Elda wieder ansetzen konnte, boxte der Römer sie leicht in die Seite, damit sie still ist. „Lass deinen Vater ausreden.“ zischte er.

„Dann natürlich Frankfurt, wo der Römer wohnt.“ zählte Besnik weiter auf. „Ja, Frankfurt hat einen guten Ruf, wenn es um Finanzwesen und um BWL geht. Aber die Spraaaache…“ Elda konnte es nicht lassen. Ihr jugendlicher Leichtsinn zwang sie förmlich dazu, all ihre Gedanken, taktisch unklug, auszusprechen.

„Und sonst würde noch Chicago bleiben. Das ist mir persönlich allerdings zu weit. Ich schicke doch meine Tochter nicht auf einen anderen Kontinent. Wo kämen wir denn dahin? Was würden die Leute sagen?“ führte Besnik weiter aus.

„Danke, Besnik. Ich denke, das sind ziemlich viele Informationen für Elda. Sie muss sicher erst einmal recherchieren und darüber schlafen.“ sagte der Römer, bevor Eldas Mund wieder Sätze los lies, die besser Gedanken geblieben wären.

Besnik und Flora mussten etwas erledigen. So blieben nur wir drei bei ihnen zu Hause. „Ich finde das blöd! Die große, weite Welt steht mir offen und ich soll nach Rom, Zürich oder Frankfurt? Pfff! Ich hab von London, Paris, Brüssel oder gar Singapur geträumt. Meine Freundin Ionnida studiert beispielsweise in New York. Ich sehe all ihre Bilder online und es sieht fantastisch aus.“ maulte Elda.

„Elda, Elda, Elda. Erst einmal: Am Ende des Tages sind es nur Bilder von Ionnida. Wer weiß, wie toll es wirklich ist? Du bist doch ein kluges Mädchen. Du bewirbst dich für Rom, Zürich und Frankfurt wie mit Besnik abgemacht. Dazu nimmst du noch Orte, die in der Nähe liegen. Das wäre beispielsweise Mailand, Genf, Berlin, vielleicht auch Brüssel? Orte, die von den Wohnorten deiner Familie schnell erreichbar sind. Es geht Besnik ja nur darum, dass du als Mädchen nicht allein im Ausland bist. Er hat Angst um dich.“ erklärte der Römer. Elda guckte ihn mit großen Augen an. Anscheinend war der Groschen jetzt gefallen. Ihr Vater hatte Angst um sie.

„Hm…. gar nicht mal so dumm. Wie weit ist London von Frankfurt entfernt?“ fragte Elda mit strahlenden Augen. „Zu weit.“ war die nüchterne Antwort des Römers. „Na gut, aber dein Tipp gefällt mir. Ich schau mir das mal genauer an.“ gab Elda zurück und setzte sich an ihren PC um zu recherchieren. So genau betrachtete sie die Europakarte das letzte mal im Geographie Unterricht in der 7. Klasse.

Wenig später stand fest, dass sie sich offiziell für die drei bekannten Städte bewirbt, inoffiziell noch für Brüssel und Mailand. Sie bereitete den Bewerbungsprozess vor und wartete nun auf Antwort der Unis. Wie auf heißen Kohlen saß sie da. „Und wenn mich alle Unis nehmen?“ fragte sie. „Dann besprechen wir zwei das zuerst und dann schlagen wir es deinem Papa vor.“ antwortete der Römer besonnen.

In diesen Tagen und Wochen des Wartens suchte Besnik das Gespräch mit dem Römer. „Wir müssen über etwas reden. Wenn ich ehrlich bin, ist mein Wunsch, dass sie in Frankfurt studiert. Seit dich deine Schwester als Alibi benutzte um sich mit mir treffen zu können, bist du wie ein kleiner Bruder für mich. Ich würde mich am wohlsten fühlen, wenn du ein Auge auf Elda hast- Deutschland hat einen grandiosen Ruf in Albanien, es kostet, aber nicht so viel wie Zürich. Ich würde mich einfach besser fühlen, wenn Elda bei euch wäre. Deswegen ist meine Entscheidung schon gefallen. Sie geht nach Frankfurt.“

„Ich verstehe dich. Uns wäre es eine Ehre deine Tochter bei uns zu haben. Frankfurt ist eine größere Stadt, aber keine Großstadt wie Berlin. Man kann alles mit dem Rad oder zu Fuß erreichen. Die Goethe Uni hat einen ausgezeichneten Ruf. Wir würden uns um deine Tochter kümmern als wäre es unsere eigene. Aber nun warten wir ab, was die Unis zurückmelden. Denn ich fürchte, es wird nicht leicht.“

[Fortsetzung folgt…]

Eine albanische Tradition

Eine albanische Tradition

Es gibt sie wohl in jedem Land: die kleinen, feinen Traditionen und Verhaltensweisen, die andere Kulturen zum Kopfschütteln, Schmunzeln oder zum Stirn kräuseln bringen. So auch hier!

Als mein Pinkeltest noch nicht einmal trocken war, war die erste Anweisung des werdenden Vaters (nachdem er realisiert hat, dass er einen kleinen Nachfahren gezeugt hat): „Wir müssen es meiner Mutter sagen.“ Da ich noch etwas unsicher war, bat ich ihn darum, noch mindestens ein oder besser zwei Frauenarzttermine abzuwarten. Meine Angst war, dass unser kleines, binationales Liebesprodukt nur ein Windei sein könnte. In der achten Schwangerschaftswoche hielt er es nicht mehr aus. Er müsse es JETZT seiner Mutter sagen. Und zwar sofort!

[Dazu vielleicht ein kleiner Exkurs, warum die Nachricht so überraschend und freudig ist. In Albanien bekommt man Kinder mit Anfang 20. Alle aus seiner Familie hielten sich daran, außer der Römer. Er studierte lieber, genoß, mal mit, mal ohne Beziehung, sein Leben in Rom. Als er Mitte 30 war, traf er mich. Nun, mit fast 40, wird er endlich Vater. Nichts ungewöhnliches in unserem Kulturkreis. In Albanien aber schon. Seine nur zwei Jahre ältere Schwester ist nämlich schon Großmutter. So dachte man also in Albanien, der Römer wird nie Vater. Deswegen ist die Nachricht über seine Vaterschaft wie Weihnachten und Bayram an einem Tag – nicht die Normalität, aber kommt vor. Nun aber zurück zur Geschichte:]

Wenn es denn so wichtig ist, dann lassen wir die Bombe platzen. Ohne weiteres hätte man den Freudenschrei meiner Schwiegermutter – auch ganz ohne Telefon – von Albanien nach Deutschland hören können. Als sie sich wieder einigermaßen eingekriegt hatte, die ersten Freudentränen getrocknet waren und sie wieder sicher auf den Beinen stand, senkte sich ihre Stimme mysteriös: „Mein liebes Kind, wem, außer mir, hast du es schon gesagt? Doch nicht etwa deinen Brüdern?“ Ihre Stimme bebte beim letzten Satz.

Der Römer verneinte. Sie sei die erste, die von dieser glücklichen Fügung wüsste. „Aaaah! Shumë mirë! [sehr gut!] Bitte sag es niemanden. Ich möchte persönlich die frohe Botschaft an die Familie überbringen.“ Er versprach hoch und heilig, dass er es niemanden sagen wird.

Nachdem Telefongespräch erklärte er mir alles. Sichtlich irritiert fragte ich ihn: „Warum sollst du denn niemanden davon erzählen? Ist das wieder so ein albanischer Aberglaube?“ Er grinste. „Nein, also jein… also ja. Schon irgendwie.“ fing er an. „Also, das ist so: In Albanien wird derjenige reich beschenkt, der sehr, SEHR gute Nachrichten überbringt. Meine Mutter geht also nun von Haus zu Haus und erzählt es meinen Geschwistern, ihren Geschwistern, den Geschwistern meines Vaters, sämtlichen Cousins und Cousinen. Und jede Familie muss ihr eine Kleinigkeit schenken um die gute Nachricht zu erfahren.“ Ich musste laut lachen. Meine Schwiegermutter, der Fuchs.

Wie es schien, machte sie sich sofort an die Arbeit. Mein Schwiegervater berichtete später, dass sie zum Friseur ging, ihre Haare frisch ondulieren lies, ihre besten Kleider anzog und ihn sofort als Fahrer einspannte – natürlich in seinem besten Anzug. Vorher musste er den alten, dunklen Mercedes noch gründlichst waschen und polieren lassen. Währendessen setzte sie sich ans Telefon und informierte schon einmal alle, dass sie gleich vorbeikommen würde. Es würde außerordentlich gute Nachrichten geben. Das Telefon diente natürlich nur dazu, dass die Sippschaft genug Zeit hätte sich um ein ordentliches Geschenk zu bemühen. Denn nichts anderes erwartete meine Schwiegermutter von ihrer Verwandtschaft.

Dann ging die wilde Fahrt los. Sie fingen bei ihrem ältesten Sohn, dem großen Bruder des Römers, an und klapperten alle in Albanien lebenden Verwandten ab. Auf der Rücksitzbank, so erzählte mein Schwiegervater später, häuften sich die Geschenke. Meine Schwiegermutter lächelte zufrieden. Als sie ihre „tour de cadeaux“ [Geschenketour] beendet hatten, war meine Schwiegermutter längst noch nicht fertig. Nun galt es alle Verwandten in Italien, Griechenland, der Schweiz und den USA zu informieren. Sie machte sich sofort ans Werk. Denjenigen, die nicht via Telefon erreicht werden konnten, schickte sie eine Email oder wies ihren Enkel an, er solle eine Sprachnachricht schicken mit der Bitte zurückzurufen. Es sei dringend!

Noch Wochen später trudelten Pakete in verschiedenen Größen und von verschiedenen Werten ein. Es wurden liebevoll bestickte Tischwaren und teure Kristallserviettenringe geschickt. Man besorgte teure, Schweizer Schokolade, man stellte liebevolle Pakete aus exquisiten Pastasorten und selbstgemachten Nudelsaucen zusammen. Es war ein Fest!

Als wir Wochen später in Albanien ankamen, wurden wir in ihre private Kammer geführt. Sie glich einem Showroom von Macy’s. Mit Bedacht wurden uns all die Geschenke und Glückwünsche präsentiert. Hier verstand ich auch, warum meine Schwiegermutter so erpicht darauf war, dass sie die guten Nachrichten verbreiten konnte. Und man bloß nichts verraten sollte. Denn gute Nachrichten werden teuer bezahlt. Nicht etwa an uns, die werdenden Eltern. Wir spielen hier keine Rolle. Sondern an die oder den glücklichen, der diese überbringt.

Albanien: Ich bin gleich da

Albanien: Ich bin gleich da

Im Juli beginnt sie und hält bis August: die Albaner-Wanderung. Von überall auf der Welt strömen sie ein um ihre Verwandten, Freunde und Bekannten zu sehen. Die Straßen sind voll mit – hauptsächlich italienischen und Schweizer Kennzeichen – dazwischen ein paar griechische, deutsche und ein paar mazedonische. Natürlich erfreut sich Albanien – besonders in diesem Jahr – an einem Hoch an Touristen.

Doch an dem Schimpfen am halboffenen Autofenster hört man meist kein Deutsch (außer von mir) oder Italienisch, sondern Albanisch. Die, die in Übersee wohnen (und das sind einige – schließlich leben die meisten albanischen Staatsbürger nicht auf albanischem Staatsgebiet) werden eingeflogen. Mit der ganzen Familie.

So auch der Freund des Römers, Arbi. Er lebt in New York mit seiner Familie, seit 8 Jahren haben sie sich nicht mehr gesehen, standen aber immer in Kontakt.

Nun ruft also besagter Arbi an, er sei ganz in der Nähe der Hauptstadt. Ob man sich vielleicht auf einen Kaffee treffen möchte? „Oh ja!“ sagt der Römer entzückt. „Ein Kaffee wäre toll! Wir haben uns viel zu erzählen.“ Er sei gleich da, antwortet Arbi.

Mir ist bewusst, dass „gleich“ ein dehnbarer Begriff ist. Schließlich habe ich im Kindesalter auch immer „gleich“ mein Zimmer aufgeräumt – sehr zum Ärger meiner Mutter. Hatten wir doch eine so ganz unterschiedliche Definition von „gleich“ hatten.

Doch ein „albanisches gleich“ ist sehr dehnbar. Eine Stunde später ruft der Römer ihn an. „Wo bist du ?“ fragt er. „Auf der Autobahn zwischen Shkodër und Tirana. Ich kann die Stadt schon fast sehen.“ antwortet Arbi.

Dann sollte es ja nicht mehr allzu lang dauern, denke ich. Ein Trugschluss! Wenn jemand auf der Autobahn zwischen Shkodër und Tirana ist (ca. 100km – Fahrtzeit 2-2,5h) seien Sie sich sicher, liebe Leser, er ist entweder noch gar nicht losgefahren, in einer komplett anderen Stadt, die noch weiter weg ist, oder gerade erst kurz hinter Shkodër. Aber definitiv sieht er nicht die Hauptstadt. Auch nicht fast.

So vergingen also Stunde um Stunde, stets mit Arbi im Kontakt, der versicherte, „er sei gleich da“. Wenn jemand also „gleich da ist“, geht man nicht einfach ins Museum oder nett einen Kaffee trinken oder bummeln – würde man meinen. In Albanien können Sie das. Keine Sorge. Sie können auch bis zu ihren Schwiegereltern in einen Vorort von Tirana fahren, dort beim benachbarten Schwager im Pool plantschen, sich duschen, die Haare beim Friseur machen lassen und sich dann erst mit besagtem Freund treffen. Keine Sorge! Notfalls sind Sie einfach „gleich da“, wenn der Freund schon wartet.

Zwischendurch ging der Römer im benachbarten Café was mit seinem anderen Freund Afrim trinken. Der lachte nur als der Römer sich beschwerte, dass er seit 2 Stunden wartete. „Der Stau! Das kann man nicht einschätzen. Entweder du nimmst es gelassen oder du lässt es. Du kannst Albanien nicht ändern. Du musst dich verändern.“ sagt er.

Nach 4 Stunden war der Freund da. Sie sahen sich eine Stunde und erzählten, was es neues gibt. Ich war genervt. Wäre ich doch lieber zu meinen Schwiegereltern oder zum Schwager in den Pool gehüpft. Das werde ich auch das nächste Mal tun.

Denn dann „sind wir gleich da“, wenn jemand wartet. Ich werde dann noch eine weitere Stunde im Pool plantschen bis meine Lippen ganz blau sind, bei meiner Schwiegermutter Börek essen und mich mit meinen Neffen im Garten tollen. Und dann, ja dann, werden wir losfahren.

In die Knie gezwungen

Da schaukelt man nichts ahnend vom Supermarkt zurück, eine kleine Einkaufstüte in der Hand, schon wird man in die Knie gezwungen.

Zack, da war ich – eben noch aufrecht stehend – schon auf meinen Knien. Erst dotzte das linke Knie unsanft auf, dann das rechte, etwas sanfter. Außer ein paar Kiesel, die sich durch den Stoff gebohrt haben, ist nichts festzustellen.

Ganz panische Mutter, die ich bin (😉), machte ich mir natürlich Sorgen um den kleinen Bambino in seiner Fruchtblase. Der Römer half mir auf, besorgt, und wir stiegen die 3 Stockwerke hoch ins Feriendomizil am Meer. Schummrig war mir nicht.

Sogleich wurde ich von meinem ganz persönlichen medizinischen Fachpersonal (alias der Römer) auf die Couch verfrachtet und er fing an, mich an den Knien mit Desinfektionsmittel abzutupfen. „Hast du Schmerzen?“ fragte er immer wieder. „Nein, nein, ich bin egal. Aber meinst du dem Baby geht’s gut?“ fragte ich immer wieder. „Non ti preoccupare [Keine Sorge]. Dem Baby ist nichts passiert. Du bist in Zeitlupe auf die Knie. Das schüttelte das kleine Wesen in dir vielleicht etwas durch, mehr aber auch nicht.“

Ich tat das, was man nicht tun sollte: Ich googelte. Plazentaablösung! Fehlgeburt! Sofort ins Krankenhaus! waren die ersten Schlagwörter, die da auftauchten. Der Römer versuchte mich zu beruhigen. Während ich auf der Couch nach weiteren, schrecklichen Forumsbeiträgen suchte, ging bei Bambino die Post ab. Er zappelte und drehte sich, boxte und knuffte. „Alles gut, er bewegt sich!“ teilte ich dem Römer mit. „Solange du keine Schmerzen hast, keine Flüssigkeit oder Blut verlierst, dir nicht schwindelig, schlecht oder sonst irgendwas wird, ist alles in Ordnung. Wirklich!“ versuchte es der Römer weiter.

„Na gut, ich glaube dir.“ sagte ich schließlich. „Sei einfach ein bisschen vorsichtiger. Sonst müssen wir dich in Luftpolsterfolie einschweißen.“ sagte der Römer lachend. „Na gut… ich versuch’s.“

Und ich dachte, die Autofahrt ans Meer ist das gefährlichste in diesem Land. Ne, ne, meine Tollpatschigkeit ist das Risiko hier.

Na dann, auf fröhliche 10 Tage am Meer.

Pflaster für 8 Cent

Pflaster für 8 Cent

Ich kann’s ja doch nicht lassen und tippe meine Erfahrungen schnell ab, bevor ich sie vergesse.

Albanien macht mir Spaß. Albanien ist anders. Herrlich anders.

Gestern haben wir ein Pflaster für mich gebraucht (die neuen Schuhe…). Da wir alles mitgenommen haben, außer Pflaster, mussten wir diese natürlich fix in der Apotheke kaufen. „Wie sagt man nochmal Pflaster auf Albanisch?“ fragte der Römer, der ab und an eine seiner Muttersprache im Sprachengewirr verliert. Ich guckte ihn mit großen Augen an, bin ich doch froh „Guten Morgen“ halbwegs fehlerfrei auszusprechen.

„Okay, ich krieg’s schon hin!“ sagte er um sich selbst Mut zu machen. Wir traten in die Apotheke ein. Er beschrieb, was wir benötigten. Es ging etwas hin und her wegen der Größe der Pflaster. Es wurden uns diverse Modelle vorgeführt (Wasserfest, rund, länglich) und diverse Packungen geöffnet und wieder verschlossen. Es glich in diesem Moment mehr einem indischen Stoffgeschäft als einer Apotheke. Als wir uns auf Größe und Funktion der Pflaster geeinigt hatten, fragte der Römer: „Und? Wie viele brauchen wir?“ Ich guckte ihn verdutzt an. „Muss man nicht die ganze Packung kaufen?“ entgegnete ich.

„No, no! Pflaster sind sehr kostspielig in Albanien. Du kannst sie auch einzeln kaufen. Wir nehmen vier Stück. Das hört sich doch gut an!“ antwortete er mir.

„40 Lek, bitte.“ sagte die Dame. Ich rechnete im Kopf um. 32 Cent war mein Ergebnis. Also 8 Cent für ein Pflaster. Da kann man nicht meckern.

Als wir aus der Apotheke traten und wieder ins hektische Tirana gespült wurden, fragte ich: „Aber KANN man eine ganze Packung kaufen?“

„Klar, aber wer braucht denn schon eine ganze Packung?“ gab der Römer zurück.

Na gut, wo er Recht hat. 😄😄

Reisen mit Cannoli

Raten Sie, liebe Leser, was ganz wunderbar geklappt hat? Die von mir geforderten Cannoli wurden mir überreicht und ich könnte nicht glücklicher sein.

[Der folgende Text besteht aus Erzählungen vom Römer, die ich geschickt zusammengefasst habe. ]

Frisch aus Rom flog man sie ein. Um die Cannoli transportfähig zu machen, bestellte der Römer sie vor und sagte sogleich, dass sie im Flugzeug transportiert werden müssen. „Non c’è problema!“ [Kein Problem] hieß es. „Wir sagen in der Backstube Bescheid, dass die Cannoli innen mit Schokolade ausgehöhlt werden. Dann wird der knusprige Teig nicht matschig.“ 

Am Flughafen muss man sich in Rom auch keine Gedanken machen, ob das denn mit den Flüssigkeitsregelungen funktioniert oder nicht. Jeder hat Verständnis für so eine kostbare Lieferung. Kurzerhand wurden die Cannoli vorsichtig in eine eigene Box gepackt und durch den Gepäckscanner gefahren. „Tutto a posto con i cannoli?“ [Alles in Ordnung mit den Cannoli?] fragte die nette Dame der Sicherheitskontrolle den Herrn hinter dem Gepäckscanner-Bildschirm. „Maaaa si!!!“ [Aber ja doch] winkte der ab und der Römer durfte passieren. 

Im Flugzeug sprach die nette Chef-Stewardess [Purserette] am Eingang den Römer mit dem Satz „Oh, das wäre doch nicht nötig gewesen!“ an und lachte herzlich. Der Römer, ganz charmant, antwortete: „Das nächste Mal gerne! Aber die muss ich meiner Gattin mitbringen.“ 

Hinter ihm sagte eine Frau zu ihrem Mann: „Muss Liebe schön sein! Du bringst mir nie was mit.“ und knuffte ihren Mann in die Seite. Der guckte verträumt durch den Spalt zwischen Flugzeugtreppe und Flugzeug um noch einmal „la dolce vita“ einzuatmen. Schwierig am Flughafen mit dem Kerosingeruch, aber nicht unmöglich. 

Während dem Flug behielt der Römer die Cannoli auf seinem Schoss, damit ihnen ja nichts passierte. Und siehe da: Als ich ihn am Flughafen abholte waren sie alle unversehrt. Sowohl der Römer, als auch die Cannoli.