Espresso zu Heavy-Metal-Klängen – Das Rom-Tagebuch [Tag 7]

Montag, 29.09.2022

Es ist 09:30 Uhr und alle schlafen – außer mir. Ich bin bereits wach, wobei „bereits“ sicher das falsche Adverb um diese Zeit ist. Mit gemischten Gefühlen denke ich an unseren morgigen Abreisetag. Um 10 Uhr müssen wir aus dem Haus, um das Flugzeug gegen Mittag zu besteigen. Um ehrlich zu sein, wäre es mir am liebsten, bereits heute Abend heimzufliegen, aber das Umbuchen meines Mitarbeiter-Tickets gestaltet sich schwierig und so werden wir wohl erst morgen Mittag Rom verlassen können. Dabei bin ich mir sicher, dass diese Tatsache sehr von 15 römischen Mücken geschätzt wird und sie auf ein grandioses, letztes Abendmahl (mit mir in der Hauptrolle) hoffen.

Immer noch sehe ich aus als hätte ich Windpocken und so pflege ich meine Mückenstiche mit dem Gel, dessen Verpackung stark an einen Flüssigklebestift erinnert. Langsam erwachen die männlichen Farnientes. Der Große springt auf und will sich um Frühstück kümmern, wie er es schon die ganze Woche über gemacht hat. Der Kleine möchte wieder seine Stimmung und sein Befinden in seinem Kleidungsstil manifestieren. Heute soll es die kurze Jeanshose sein – dazu ein weißes Polo-Shirt. Ob die Vorlage seines Outfits der römische Bekannte alias „der weiße Stein“ war? Meine noch benutzbaren, scheinbar sauberen Kleidungsstücke aus dem Koffer lassen mich langsam aber sicher verzweifeln. Selbst die Teile, die ich noch kein einziges Mal in diesem Urlaub angehabt habe, sind voller Wassermelonenflecken (Grazie, Signorino!). Als der Römer von der sizilianischen Bäckerei zurück kommt und ich ihm von meiner Misere berichte, kommt just der Kommentar, dass ich schließlich nicht besonders penibel mit meiner Kleidung umgehen würde. Ganz im Gegensatz zum römischen Gatten, versteht sich. Kurz schnellt mein Puls nach oben und ich mache dem feinen Herrn Römer klar, dass sein Privileg darin liegt, Papa geworden zu sein, was bedeutet, dass die körperliche Nähe zum eigenen Kind nicht mit Ende der Schwangerschaft endet. Signorino und vermutlich einige Kinder mehr leben quasi auf einem bis sie bereit sind, sich abzunabeln. Und wie das so ist bei einem Kleinkind, dass ständig auf Mamas Schoß, Arm, Rücken oder Hüfte will, sind Mamas Kleidungsstücke eben dann fleckig und/oder verknittert. Mein, zugegeben, etwas geladener Redeschwall lässt den Römer verstummen. Solange, bis er fragt, ob ich Hilfe beim Waschen meiner Kleidungsstücke brauche. Ich nicke und bedanke mich für sein Verständnis. Gleich nachmittags würde er sich um meine Kleidungsstücke kümmern, gibt er an. Sein „Gleich nachmittags“ kenne ich bereits aus der Vergangenheit und warte immer noch auf den ein oder anderen „Nachmittag“. Aber ich bleibe gespannt.

Als wir fertig gefrühstückt haben, gehen wir vor die Tür. Erster Stopp: Ein Modegeschäft. Signorino braucht eine zweite, lange Hose, da wir nur eine eingepackt haben. Ein paar Söckchen, eine lange und kurze Hose später, sowie ein T-Shirt, dass der Mann für den Sohn haben will, nehme ich noch ein einfaches T-Shirt im Sale mit. Augenscheinlich scheint es zu passen. Für eine Anprobe ist keine Zeit.

Der nächste Halt ist unser Stammcafé Baylon. Bereits die ganze Woche freute ich mich auf den Besuch „unseres“ Cafés. Hier schlug die zarte Liebe zwischen dem Römer und mir erste, feine Wurzeln. Die süßen Croissants, der herbe caffé und die wunderbare Atmosphäre trugen sicher auch dazu bei, dass wir den Schritt wagten und der Römer zu mir nach Deutschland zog.

Doch was soll ich sagen? Corona forderte anscheinend überall seine Opfer. Das einst so geliebte Café ist ein seelenloses Loch geworden. Wir treten ein und laute Heavy-Metal-Musik kreischt aus den Boxen. Der schöne 20er Jahre Charme, die adrette Arbeitskleidung der Bedienungen und auch die charmanten Kellner*innen sind alle verschwunden. Dafür haben sie nun eine dermaßen unmotivierte, kaugummikauende Kellnerin, die so wirkt als wäre sie dazu gezwungen worden, Gast bei uns zu sein und nicht andersherum. Oder anders ausgedrückt: Diese junge Dame in der Gastgeberrolle ist definitiv eine Fehlbesetzung. Immerhin ist der caffè gut, wobei ich in Italien noch nie schlechten Espresso getrunken habe. Doch, doch, auch das passiere, sagt der Römer. Er sei vor Jahren mit der Rugby-Mannschaft in Norditalien gewesen und dort hätten sie tatsächlich schlechten Kaffee getrunken. Dennoch habe ich recht, dass man in Italien lange suchen müsse für einen wirklich schlechten Kaffee. Das sei in Deutschland besser. Man kann sich sicher sein, dass man sehr schnell wässrigen, sauren Espresso findet – egal wo. Ich „mmh-pfe“ gegen die Heavy-Metall-Musik an und mein Blick fällt auf die lange Glasvitrine, die in der Vergangenheit mit reichlich frischem Obst, Teilchen, Croissants und Kuchen gefüllt war. Hier herrscht gähnende Leere. Ein einzelner Apfel steht in einer 10-Meter-Glasvitrine. Ich fühle mich so unwohl, dass ich meinen caffè herunterstürze und den Römer nervös dabei beobachte wie er in aller Ruhe ein Päckchen Zucker in den Espresso einrührt. Verträumt starrt er in seinen Espresso, während heftige Heavy-Metal-Klänge uns immer eindringlicher Anbrüllen. Signorino zappelt unruhig auf meinem Schoss. Ja, wir sind mehr als bereit zu gehen. „È diventato proprio un buco. [Es ist wirklich ein Loch geworden.]“ stellt der Römer nun fest und rührt weiter mit ruhiger Hand in seinem Espresso. Noch eine Löffel-Umdrehung mehr und ich renne schreiend aus dem Café. Doch endlich nippt er an seinem gut gerührten Espresso. Ob ich auch eine centrifuga [Smoothie] will, will der Römer von mir wissen. Mein Blick fällt auf den einsamen Apfel in der Glasvitrine. „Ich vermute, der Apfel reicht nicht für uns beide.“, antworte ich sarkastisch. „Sie haben sicher noch irgendwo Obst.“, gibt der Römer zurück. „Sei mir nicht böse, aber ich finde, DAS ist der Eingang zur Unterwelt. Ich möchte einfach nur raus hier.“, spreche ich meine Gedanken aus. Der Römer nimmt Blickkontakt zur Bedienung auf. Lustlos und immer noch Kaugummi kauend schlendert sie zu uns. „Two forty, please.“, knurrt sie die englischen Worte als wären es Italienische. „Va bene così. Grazie. [Stimmt so. Danke.]“, sagt der Römer und gibt ihr 3 Euro. „Grazie.“, antwortet die Bedienung, krallt sich die drei Euro und schlürft lustlos davon. Es ist eben nichts für die Unendlichkeit. Nicht mal das schöne Café, in dem wir so gerne waren.

Der Römer will keine Langeweile aufkommen lassen und so schlägt er vor, in den Interior Laden nebenan zu gehen. Wir treten ein, werden höflich begrüßt, gucken uns kurz um und treten wieder auf die Straße. Zu teuer und nicht unser Stil ist das ernüchternde Ergebnis. Vermutlich hängt mir auch noch die Trauer und Enttäuschung über mein „Café“ nach, als dass mir etwas interessant erscheinen könnte. Danach schlendern wir etwas plan- und ziellos durch Trastevere und nehmen gleich noch Pizza bei La Renella mit. Eben genauso wie die Tage zuvor auch.

Ich bin so platt und gleichzeitig genervt, dass ich mich nochmal an den Computer setze und schaue, ob man nicht vielleicht doch diese Mitarbeiter-Flugtickets umbuchen kann. Immerhin ist der letzte Flug aus Rom nur zu 50% ausgebucht. Gleichzeitig würden uns nur zwei Stunden Zeit bleiben, um alles zu packen und die Wohnung fluchtartig zu verlassen. Wie schön wäre der Gedanke, heute Nacht im eigenen Bett zu schlafen? Ich versuche bei der Hotline anzurufen, aber es gibt kein Durchkommen. Gleichzeitig will das Kind jetzt unbedingt und sofort auf meinem Schoss sitzen, während ich in der Warteschleife hänge. Jeglicher Versuch vom Römer ihn wegzulocken, endet in einer lauten Kreischattacke, so dass ich die Warteschleifenmusik gar nicht mehr verstehe. Ob wir sicher sind, dass wir heute Abend zurückfliegen wollen, frage ich den Römer und er antwortet „Non lo so. Che ne pensi? [Weiß ich nicht. Was meinst du?]“. Ich lege auf. Keiner ist sich sicher, ob eine Umbuchung auf den heutigen Tag sinnvoll ist und es wäre ein unendlicher Stress alles in so kurzer Zeit zu packen. Dann soll es nicht sein. Fliegen wir halt morgen Mittag.

Müde fallen der Römer und ich ins Bett. Signorino zeigt jedoch kein Anzeichen von Müdigkeit. Draußen ist es heiß und die Mittagssonne knallt vom Himmel. Somit ist rausgehen keine Option. Warum müssen eigentlich die, die ins Bett gehen wollen, die ins Bett bringen, die nicht ins Bett gehen wollen? Signorino beginnt zu malen, zu snacken, zu trinken, zu quatschen, Dinge durch die Gegend zu tragen, seine neuen Socken auseinander zu pflücken und in unterschiedlichen Kombinationen wieder zusammenzufügen. Kurzum: Unsere Geduld befindet sich bereits im hellroten Bereich. Dazu kommt, dass permanent nach „MAMAAA!“ geschrien wird. Ich checke uns derweil für den morgigen Flug ein. Obwohl wir innerhalb der EU fliegen, wird alles abgefragt. Wirklich alles! Das kenne ich sonst nur bei Reisen von/nach Drittländern. Beim Römer ist mir nicht ganz klar, was sein Reisegrund für Deutschland eigentlich ist. Deutscher Staatsbürger ist er nicht. Er studiert auch nicht in Deutschland, macht keine Geschäftsreise und ist auch kein Tourist. Die Auswahloption „Ich wohne in Deutschland, weil ich eine:n Deutsche:n geheiratet habe und jetzt hier leben muss.“ gibt es leider nicht. Am Ende schreibe ich „Arbeit“. Stimmt ja auch.

Um halb fünf Uhr Nachmittags schlafen Signorino und der Römer endlich ein. Es war heute wirklich ein langer, anstrengender Kampf. Meine Müdigkeit ist hingegen komplett verflogen und ich habe Hunger. Also esse ich etwas und versuche dann, mich nochmals hinzulegen. Das Bett quietscht. Ich vermisse mein Zuhause mit all seinen Vorteilen. Reisen mit Kleinkind ist eine Herausforderung und hat wirklich wenig mit Erholung zu tun.

Der Große wacht wenig später auf und geht duschen. Ich erinnere noch einmal freundlich an meine Kleidungsstücke, die er „gleich nachmittags“ waschen wollte. Missmutig löst er sein Versprechen ein und wäscht mit geschickter Hand Wassermelonenflecken in der Badewanne aus. Der Kleine wacht kurz danach von den Dusch-und Waschgeräuschen auf und baut sich im Bett eine Kissenburg. Derweil packe ich schon mal die dreckige Wäsche und baue eine Dreck-Wäsche-Burg in unserem Koffer. Der Große will sich noch bei Freund A., dem Restaurantbesitzer, verabschieden und holt in diesem Zug gleich Abendessen. Während wir essen, unterhalten wir uns darüber, ob ein Abendspaziergang noch eine Option wäre. „Raus! Ja!“, spricht unsere nachtaktive Kleinkind-Eule. Als wir fertig gegessen haben, beschließen wir Piazza Venezia und den Kapitolsplatz zu besuchen. Bus Nummer 8 bringt uns dorthin und wir stellen fest, dass es eine Haltestelle direkt vor unserer Tür gibt. Selbst der Römer wusste darüber nicht Bescheid und wir sind all die Tage zuvor mit bleischwerem Kleinkind auf den Schultern sieben Minuten nach Hause gegangen. Mamma mia!

Vor Ort angekommen erklimmen wir den Kapitolsplatz mit seinen sehr steilen, mit Sommersandalen sehr rutschigen Treppen und landen sofort in der Vergangenheit: Hier war ich zuletzt alleine mit dem Römer. Die Idee ein gemeinsames Kind zu haben war weit entfernt. Es gab nur ihn und mich – und jetzt rennt unser Kleinkind lachend über den Platz und grüßt Touristen aus aller Welt mit einem fröhlichen „Haaaaallo!!“.

Der römische Gatte

Wir schauen uns noch das Forum Romanum von oben an, gehen die rutschige Treppe wieder hinunter, schlendern am Teatro di Marcello, das oft für das Kolosseum gehalten wird, vorbei und überqueren den Tiber mithilfe der Tiberinsel. Signorino will alles selber laufen (Betonung auf laufen) , was wir begrüßen würden, wäre der Verkehr nicht so dicht. So tragen wir das maulende Kind heim, dass immer wieder „Laufen! Laufen!“ schreit.

Endlich sind wir zu Hause und packen für morgen.

Bekanntschaft mit Signora Clara – das Rom-Tagebuch [Tag 1]

Dienstag, 23.08.2022 (zweiter Teil)

„Buonasera.“ [Guten Abend.], sagt sie und ihre Stimme klingt tief, rauchig und ein wenig bedrohlich. Eine Wolke aus schwerem Parfüm zieht an uns vorbei. „Buonasera Signora. [Guten Abend, Signora.]“, antwortet der Römer und versucht sich nochmals am Türschloss. „Buonasera.“, murmle ich etwas verlegen, doch werde von einem freundlichen „HAAAALLOOOO!!“ von Signorino unterbrochen. „Ma tu, chi sei? [Aber du, wer bist du?]“, fragt die Signora freudig und ihr Gesicht erhellt sich plötzlich. Signorino antwortet nicht und lacht. „Ma come ti chiami? [Aber wie heißt du?]“, will die Signora von unserem Sohn wissen. Der Römer bittet Signorino seinen Namen zu sagen, doch Signorino will nur frech grinsen. Also lüftet der Römer das Geheimnis um Signorinos Namen. „Aah! Signorino! Che bel nome. [Ah! Signorino! Was für ein schöner Name.]“, stellt die Signora fest. Die Hündin der Signora flitzt aus dem Haus und direkt auf Signorino zu. Er will hochgenommen werden und so nehme ich ihn auf den Arm. Dann stellt die Signora ihren Hund vor. Lulu heißt die Hundedame und ist sehr neugierig, wobei sie besonders an Signorino interessiert ist. „Amore, non funziona ’sta cosa. [Schatz, dieses Ding funktioniert nicht.]“, unterbricht der Römer das gegenseitige Beschnuppern und zeigt auf das Display, das uns die Türe mit dem richtigen Code öffnen sollte. Ich seufze. Mehr fällt mir auch nicht ein. „Che è successo? [Was ist passiert]", will die Signora wissen. Der Römer erklärt es ihr. „Ah vabbè. [Ah, ja gut.] Ich habe Gabriele, dem Besitzer, schon vor Tagen gesagt, dass ich dieses Gerät für Humbug halte. Warum muss man immer alles technisieren und die Dinge dadurch komplizierter machen?“, fragt sie uns. Wir zucken mit den Schultern. „Und jetzt stehen die Gäste vor der Tür. Totaler Schwachsinn! Habt ihr die Nummer von Gabriele oder soll ich ihn anrufen?“, zetert die Signora weiter. Der Römer guckt in seinem Handy nach. Er hat Gabrieles Telefonnummer vorliegen. „Besser so für Gabriele. Dem hätte ich etwas erzählt. Unfug, diese Technik!“, spricht die Signorino ihr Missfallen aus. Der Römer telefoniert derweil mit Gabriele. Er würde so gleich mit einem Ersatzschlüssel hier sein, zehn Minuten – maximal. Italienische zehn Minuten kenne ich bereits von meinem Römer, also setze ich mich auf eine Stufe und lege den Pizzakarton auf meinen Schoß. Signorino setze ich neben mir ab, doch er bleibt im Gegensatz zu mir nicht sitzen. Sofort schießt er auf Lulu zu. Als besorgte Mutter schnelle ich sofort auf und halte Signorino fest, doch er ist bereits bei Lulu, der Hündin, angekommen. „Haaaalloooo Mellie*!“, brüllt er der Hündin ins Ohr. Sie schnuppert neugierig an ihm. „Nicht Mellie! Lulu!“, versucht der Römer richtig zu stellen. „Okaaaaay.“, sagt unser Nachwuchs. „Questa e‘ Lulu, amore mio. [Das ist Lulu, mein Schatz.] Willst du sie streicheln?“, wird die Signora ganz sanft und der Ärger über die Technik scheint verraucht. Langsam streichelt Signorino Lulu und sie lässt es sich gefallen. Dann erzählt die Signora von ihrer großen Liebe zu Hunden und das ihre Hündin gerne Welpen kriegen würde. Lang und breit erklärt sie, dass die Geburten ihrer eigenen Töchter zwar eine schönes Erlebnis waren, aber die Geburt von Welpen doch nochmal ein ganz anderes Erlebnis auf so vielen Ebenen darstelle. „Sie folgen nur ihrem Instinkt. Ist das nicht wunderschön?“, fragt die Signora uns mit strahlenden Augen und wir nicken. Daraufhin erklärt sie lang und breit, wie so eine Hundegeburt abläuft und ich beneide die Hündin dabei nicht. Ich weiß, wie meine Geburt ablief und wären in meinem Bauch noch vier weitere Signorinos gewesen, ich hätte definitiv nach einem Kaiserschnitt gefragt – Instinkt hin oder her.

Derweil verliert Signorino die Geduld und will wieder Treppen steigen. Ich hechte hinterher, kann aber den Pizzakarton wegen der Hündin nicht auf den Boden stellen und so renne ich mit Pizzakarton und Signorino die Treppen auf und ab. „Scusate, ma volete un po‘ di acqua? [Entschuldigt, aber wollt ihr ein bisschen Wasser?]“, erkundigt sich die Signora bei uns. „Wenn es nicht zu viele Umstände macht…“, fängt der Römer an. Signorino ruft in der Zwischenzeit vom unteren Treppenabsatz „WAAAAASSER!! WASSER!!“. Er scheint auch davon überzeugt zu sein, eine kurze Wasserpause einzulegen. Als die Signora ihm das Wasserglas reicht, wird er motzig. Nein, so hat er sich die Darbietung des Wassers nicht vorgestellt. Das Wasser soll – bitte, danke – in seiner hellblauen Sportflasche angeboten werden. Dicke Krokodilstränen rinnen dem Kind über die Wange, wobei er durchgehend „Acqua! Acqua! [Wasser! Wasser!]“ schreit. Die Signora guckt uns betroffen an. Ich versuche Signorino zu beruhigen, während der Römer bereits zufrieden an seinem Glas Wasser nippt. Die Signora eilt in die Küche und holt einen Keks für Signorino, den er dankend annimmt und nur noch ein wenig dazu schnieft. Ich nippe vom römischen Wasserglas und die Signora bittet uns herein auf ihre Couch. „Ihr müsst doch nicht draußen im heißen Flur warten bis Gabriele kommt. Herein mit euch. Macht es euch bequem.“ Wir setzen uns. Also alle, bis auf Signorino. Er stürmt auf Lulus Spielzeugecke zu. Ich will hinterherhechten, doch die Signora bittet mich, sitzen zu bleiben. Zu dritt, der Hund, die Signora und Signorino, spielen sie mit Lulus Ball, wobei Signorino immer wieder aufgeregt und quirlig durch das Wohnzimmer läuft. Die Signora findet’s herrlich „Questo è vita. È vita!!! [Dieser hier ist Leben! Er ist voller Leben!]“, ruft sie mit ihrer rauchiger Stimme und lacht aus tiefster Seele. Ja, Signorino ist wirklich äußerst lebhaft.

Unser Vermieter Gabriele ruft an. Er stehe vor unserer Tür. Wo wir denn verblieben wären? „Bei der Nachbarin.“, antwortet der Römer. „Ist das Gabriele?“, will die Signora wissen und stapft bereits zu ihrer Wohnungstür. Sofort fängt sie an mit Gabriele zu schimpfen. Der 40jährige, selbstbewusste und fesch gekleidete Italiener wird bei ihrem Gezeter zum Schulbub. Dann erzählt uns die Signora, dass sie jahrelang das Apartment, in dem wir zu Gast sind, verwaltet hat. Doch es sei ihr zu viel Arbeit und deswegen wurde die Verwaltung von Gabriele übernommen. „Er macht das gut. Sehr gut, sogar.“, erklärt sie uns. „Aber diese Technik? Die Gäste wollen hier Urlaub machen, ein paar schöne Tage in Rom verbringen und kein Technik-Seminar besuchen, Gabriele. Technik ist anfällig für Fehler. Schlüssel sind es nicht.“, stutzt sie Gabriele zu recht. „Schlüssel können verloren gehen.“, murmelt Gabriele kleinlaut. „Ja, und? Dann machst du einen neuen, tauscht das Schloss aus, was man eben so macht. Das Haus ist aus dem 17. Jahrhundert. Da wird man doch ein einfaches Türschloss austauschen können?“, zetert die Signora weiter. Am Ende öffnet uns Gabriele die Tür – mit einem Schlüssel. Wir bedanken und verabschieden uns von der Signora und Signorino ruft noch einmal „Tschüss Luluuu!“ Richtung Hündin. Während wir die kalte Pizza essen, hören wir, wie Gabriele versucht, die Türschließanlage zu reparieren. Immer wieder piepst es. Dazwischen motzt die Signora. Druck ist vermutlich genau das, was Gabriele in dieser Situation braucht. 😉

Am Ende klopft Gabriele nochmals kleinlaut an unserer Tür und hält uns einen Schlüssel entgegen. „Für die Türe.“, klärt er uns auf. „Ich kriege die Schließanlage heute nicht mehr flott. Für heute hat Signora Clara recht: Die Technik ist nicht immer eine Erleichterung. Aber sie kann es sein, wenn man sich ihr nicht versperrt.“ Wir nicken und bedanken uns. Anscheinend schwelt dieses Thema schon länger zwischen den beiden.

Was für ein Tag. Wir sinken allesamt um 21 Uhr ins Bett. Das Bett quietscht bei jedem Umdrehen. Ich kriege kein Auge zu und sehne mich nach meinem Bett.

*Mellie heißt der Hund von Signorinos Oma

Kolosseum am Meer – das Rom-Tagebuch [Tag 1]

Dienstag, 23.08.2022

Der Römer und ich stehen früh auf, frühstücken, werfen eilig die letzten Dinge in den Koffer und wecken Signorino, der partout nicht aufstehen will. Irgendwann bequemt er sich dann doch dazu.

Während der Kleine frühstückt, flattern wir weiter durch die Wohnung, machen noch dies und das und werden uns dabei bewusst, dass wir unsere vier Wände in einem solch desolaten Zustand verlassen, dass es für einen potenziellen Einbrecher aussieht als wäre ihm bereits ein Einbrecher-Kollege zuvorgekommen. „Vielleicht ist das als Abschreckungstaktik gar nicht so schlecht.“, denke ich so bei mir und erinnere mich an die letzten Reisen. Die Wohnung sah in unserer Abreise-Vergangenheit nie anders aus. Es schien immer eine Mischung aus „Überstürzte Flucht“ und „Umzugschaos ohne Kartons“ zu sein. Also alles wie immer, wenn wir verreisen. Ich werte es als gutes Omen.

Als wir bereits den Zeitpunkt überschritten hatten loszukommen, bricht wie immer Hektik aus. Vollständige Sätze weichen Kommandos und so rufen wir durch die Wohnung: „Schatz! Schuhe!“ oder „Signorinos Flasche! Kinderrucksack!“. In aller letzter Minute schnappen wir uns das Kind und rennen mit dem Koffer zur S-Bahn. Auch das ist typisch für uns, auch das Werte ich als gutes Vorzeichen. Eher untypisch dagegen war die geordnete Abreise vor einer guten Woche. Dazu die aufgeräumte und geputzte Wohnung und das Gefühl alles im Griff zu haben. Nein, das war, wenn man so will, bereits ein schlechtes Zeichen. Demnach läuft unsere Abreise diesmal absolut nach Plan.

Am Flughafen Frankfurt kommen wir seltsamerweise mühelos an der Sicherheitskontrolle an. Kein einziger Passagier ist vor uns. Ich fühle mich fast ein wenig betrogen ob des üblichen Spieles einiger, weniger erfahrenen Fluggäste. Keiner zerrt ärgerlich und auf Aufforderung der Sicherheitskontrolleure seinen Gürtel aus der Hose. Keiner sortiert in absoluter Ruhe und Gelassenheit einzelne Flüssigkeitsbehälter, die wildverstreut im Rucksack durch die Gegend fliegen, in ein Plastikbeutelchen mit nur einem Liter Fassungsvermögen und keiner mault „Wie? Kleingeld muss auch aus den Hosentaschen?!“. Aber nun gut – es wird auch so gehen. In zwei Minuten sind wir durch die Kontrolle geschleust worden. Wie sagt man so schön? Jeder Beruf lehrt einem etwas. Mir lehrte das Flugbegleiter-Dasein, wie man sich schnell durch Sicherheitskontrollen bewegt und sich klug anzieht und klug packt. Bezeichnen Sie mich ruhig als einen Kontrollfreak, aber ich plane nur beim Fliegen haarklein, was ich anziehe und welche Frisur ich trage, um nicht zu piepen oder abgetastet zu werden.

Danach wartet die erste von vielen anstrengenden Etappen auf uns: Signorino möchte – bitte danke – zwei Stunden am Frankfurter Flughafen beschäftigt werden. Wir finden den Spielplatz mit der großen Flugzeugattrappe, der witzigerweise direkt neben dem „Relax-Bereich“ liegt. Ob das nun genial oder grotesk ist, weiß ich nicht. Ich kann Ihnen aber sagen, dass im Minutentakt Kinder von ihren Eltern vom Spielplatz gezerrt werden, um das Flugzeug noch zu erwischen und dies meist unter sehr lautem Geschrei in der Altersklasse 1-4 stattfindet. Viel Ruhe bekommen die Gäste des „Relax-Bereiches“ demnach nicht. Vielleicht ist der Bereich aber auch für alleinreisende Eltern und Eltern mit großen Kindern gedacht, damit sie erleichtert aufatmen können, denn dieses Geschrei stammt nicht von ihrem Ableger.

Signorino spielt ein bisschen auf dem Spielplatz, traut sich aber nicht in die Flugzeugattrappe. Generell will er nirgends ohne uns hin und so hat er immer einen von uns an der Hand. Der andere darf auf einer der Elternbänke sitzen. Sehr interessant: Auf der anderen Elternbank sitzt ein Englisch-Italienisches Elternpaar. Ich finde es spannend, einen sehr ähnlichen Spiegel vorgehalten zu bekommen. Die Konstellation wirkt auf Distanz ganz anders und überaus faszinierend. Als Protagonistin einer bilingualen Familie kriegt man oft nicht mit wie das von Außen aussieht. Bei dieser Familie konnte man mit eindeutiger Sicherheit sagen, dass sie in Italien leben, da die Kinder der britischen Mutter nur auf Italienisch antworten und sie auch nur Italienisch mit ihrem Partner spricht. Unser Kind hingegen antwortet dem römischen Vater zu 90% nur auf Deutsch. Doch wer weiß? Vielleicht wird sich das durch den Rom-Urlaub ändern?

Nachdem wir das Kind vom Spielplatz, und am Ruhebereich vorbei, gezerrt haben, decken wir uns noch kulinarisch für die Reise ein. Brezeln, einen sehr guten Brownie und mein Lieblingssandwich mit gegrilltem Gemüse und Schafskäse später, gehen wir zum Flugzeug. Wobei nur zwei Personen gehen. Signorino möchte getragen werden. Wir tragen ihn zum Windeln wechseln, da es im Flugzeug äußerst unbequem ist, das Kind frisch zu bewindeln und schon folgt der Aufruf am Gate , dass Personen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind und Familien (die auch in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, wenn sie mit Kleinkind reisen) einsteigen dürfen. Wir kommen an Bord, die freundlichen Mitarbeiter*innen grüßen und fragen nach Signorinos Spielzeugwünschen. Ich schlage das Malbuch vor (seit ich bei dieser Airline 2015 anfing, ist das Kindersortiment das ewig Gleiche) und wir huschen zu unserem Platz. Sogleich sind alle Rucksäcke unter den Vordersitzen verstaut, das Tablet ist geladen, es kann los gehen.

Doch halt! So schnell geht es leider nicht. Natürlich dürfen auch noch die anderen Gäste einsteigen und so schieben sich Deutsche in Wanderstiefeln und sehr gemächliche Brasilianer*innen in den Airbus des Typus A320. Ich merke, wie mich alleine das Beobachten der immer knapper werdenden Gepäckfächer nervös werden lässt, doch ich beruhige mich, denn ich bin nicht im Dienst und muss die Situation nicht lösen. Lediglich das am Ende des Boarding-Vorgangs hereinstolpernde, amerikanische Ehepaar um die 70 lässt meinen Puls noch einmal ansteigen. Hinter sich ziehen sie zwei Schrankkoffer her, die in etwa so groß sind wie unser zuvor aufgegebenes Gepäckstück. Alleine die überdimensionalen Räder dieser beiden monströsen Gepäckstücke erreichen vermutlich bereits die von der Airline vorgegeben 8 Kilo für Handgepäck. Ich versuche, der Situation keine Beachtung zu schenken, aber das Schicksal macht es mir nicht leicht, denn das amerikanische Paar sitzt genau hinter uns. Und so starren sie und ich die Gepäckfächer an und sie finden keinen Platz für ihr Überseegepäck. Gleichzeitig schwillt die Neugier in mir an, denn ich frage mich, wie und besonders wo die Flugbegleiter-Kollegin diese beiden Monstren verstauen will. Zumal die Türen bereits geschlossen und in „Flight“ sind. Das bedeutet: Diese Türen werden vor Rom auch nicht mehr geöffnet. Ein zartes, fein zurecht gemachtes Geschöpf in der obligatorischen, dunkelblauen Uniform schwebt herbei und mit einer Engelsgeduld schiebt und rückt sie Gepäckstücke umher, bis sie ein komplettes Overhead-Bin ausgegraben hat und dort die amerikanischen Koffer versenkt. Diese Meisterleistung bleibt von allen, selbst von den Besitzern der Koffer, unbemerkt. Aber in Gedanken verbeuge ich mich vor der Kollegin. Das ist ganz großes Tennis!

Die Lautsprecher knacken: Der Kapitän stellt sich vor, wobei er sofort erwähnt, dass einige Gäste diesen Flug leider nicht rechtzeitig erreichen konnten – im Gegensatz zu ihrem Gepäck, dass bereits verladen im Gepäckraum weilt. Da Gepäck aus Sicherheitsgründen nicht ohne Besitzer:in reisen darf, werden die fleißigen Gepäckabfertiger diese Koffer suchen, finden und ausladen. Besagtes Suchen, Finden und Ausladen dauert eine Stunde, die wir im Flugzeug verbringen. Wer meint, dass sich die am Flughafen verbrachte Wartezeit von zwei Stunden mit Kleinkind zog wie Kaugummi, der irrt. Eine Stunde in einem Flugzeug, dass sich nicht bewegt und in dem das Kleinkind förmlich an den Mittelplatz gebunden ist, zieht sich in eine so unendliche Länge, dass es vermutlich keinen adäquaten Ausdruck dafür gibt. Wir starten unser elterliches Unterhaltungsprogramm, damit unser Nachwuchs brav sitzen bleibt und geben dabei alles. Wirklich alles. Danach bin ich vollkommen nass geschwitzt. Meine linke Hand zittert. Es fühlt sich an als hätte ich den Mount Everest bestiegen – und zwar nur mit einem Paar Flipflops, wobei bei einem der beiden Badelatschen der Riemen gerissen ist und man mit seinem großen Zeh und dem danebenliegenden Zeh versucht, diesen verfluchten Riemen an Ort und Stelle zu halten, was aber natürlich nicht gelingt, denn er rutscht ständig raus, während man auf Schnee und Eis herumschlittert. Als wir endlich losrollen, schläft das Kind ein. Ich atme tief durch und lehne mich erschöpft ans Fenster. Und alle sagen, die Geburt des Kindes wäre echt heftig. Hätte mir mal einer gesagt, dass das ein Klacks ist im Vergleich zum Verreisen mit Kleinkind.

Blöderweise bin ich jetzt zu aufgedreht, um einzunicken. Vor mir bemerke ich zwei Jungs im Grundschulalter. Brav aufgereiht sitzen sie auf dem Fenster- und Mittelplatz. Am Gangplatz liest ihre Mutter eine Frauenzeitschrift, während die Kinder sich wahlweise langweilen oder ihre Kinderzeitschrift lesen. Alles läuft sehr gesittet ab. Ich schließe die Jungs gleich ins Herz, weil es zwei aufgeweckte, überaus witzige Kerlchen sind. Als wir in etwa auf der Höhe Mailands sind, unterbricht der Co-Pilot unser schnödes Warten auf die Ankunft in Rom und erzählt uns etwas über den Flug. Als erstes verkündet er, dass wir bereits im italienischen Luftraum sind. Die beiden Grundschüler vor mir rasten aus vor Freude und müssen ihren Vater, der auf dem gegenüberliegenden Gangplatz sitzt, mit einem „PAPA!!!! Wir sind in Italien!!! Italien!! Juhuuu!“ informieren. Die beiden sind so drollig, ich könnte sie knuddeln.

Als wir etwa auf Höhe der Toskana sind und all die vorgelagerten Inseln begutachten können, unterhalten sich die beiden kleinen Brüder.

„Aha. Das ist also Rom.“, sagt der Große sehr fachmännisch und zeigt auf eine kleine Küstenstadt am Meer. Gegenüber thront Elba. Der Kleine, der dem Großen in nichts nachstehen will, drängt sich dicht neben ihn. „Ja, richtig. Da ist das Kolosseum.“, stellt der Kleine fest. Ich gucke ebenfalls aus dem Fenster und muss schmunzeln. Diese Stadt am Meer ist alles, aber nicht Rom. „Mama, Anton sagt, da ist Rom.“, informiert der Kleine die Mutter. „Hm… schaut nochmal genau. Rom ist schon eine sehr große Stadt.“, spricht die Mutter. „Anton, Mama sagt, du sollst nochmal genau schauen. Das muss eine große Stadt sein.“, erklärt der Kleine dem großen Bruder keck. „Ja, da lege ich mich fest. Das ist Rom. Ich sehe auch das Kolosseum.“, spricht der Große voller Überzeugung. „Juhuuu! Rom!“, schreit der Kleine. Vielleicht hätte die Mutter den Kindern sagen sollen, dass der Flughafen durchaus nahe zum Meer liegt, die Stadt aber ganz und gar nicht? Doch die beiden haben eine solche Freude mit ihrer falschen Erkenntnis, dass diese beinahe ansteckend ist. Wir fliegen noch weitere 20-25 Minuten, dann sind wir da. Unser Signorino schläft immer noch. Auch, als der Römer ihn im Aussteigeprozess auf den Arm nimmt, döst er noch vor sich hin. Erst im Flughafengebäude wacht er auf und wundert sich etwas, was ihn aber nicht davon abhält, gleich auf den Boden zu wollen und davon zu düsen. „Rolltreppe!!“, ruft er euphorisch und läuft auf das Laufband zu. „Andiamo Rolltreppe!! [Gehen wir zur Rolltreppe!!]“, informiert er seinen römischen Papa, der ihm hinterherhechtet. Ich wundere mich hingegen, dass das Kind plötzlich Italienisch spricht.

Bei der Gepäckausgabe angekommen dauert es etwas. Signorino und ich warten auf dem kleinen Spielplatz. Das Kind ist, dank des Schläfchens im Flugzeug, vollständig aufgeladen und turnt überall herum. Dabei ruft er alle paar Sekunden „MAMA!!! MAMAAAA!!“. Zum Glück kommt unser Gepäckstück rasch an, so dass wir zum Zug gehen können. Der Weg dorthin ist echt lang geworden. Aufzug – Laufband – Laufband – Laufband – Laufband. Signorino ist im Glück. Auf dem Koffer thronend, hält er sich am Gestänge des selbigen fest und lässt sich von Laufband zu Laufband kutschieren, was er immer wieder mit seinen „Andiamo Laufband!“-Rufen unterstreicht. Schlussendlich sitzen wir im Zug und lassen uns allesamt durch die Gegend schaukeln. Signorino will gerne im Zug herumlaufen. Wir haben einige, sehr ernste Diskussionen und er findet uns Eltern fürchterlich, was er lautstark äußert. Ich atme viel in den Bauch hinein, um mich zu beruhigen. Als wir am Bahnhof Trastevere ankommen, wollen wir die Tram 8 nehmen, doch diese operiert momentan nicht, so dass wir den Autobus 8 nehmen. Auch gut. Wir quetschen uns in den Bus. Das Kind kreischt panisch auf als ich ihn auf einen leeren Sitzplatz setzen will. Schlussendlich setzen wir ihn wieder auf unseren Übersee-Koffer und stemmen uns mit unserem Körpergewicht dagegen, damit das Gepäckstück nicht mitsamt Kind umfällt.

Endlich kommen wir an der Unterkunft an. Das Vermieter-Pärchen erwartet uns und erklärt uns alles in einer sehr langatmigen Infoveranstaltung. Wir nicken viel, stellen keine Fragen, damit diese Veranstaltung nicht unnötigerweise in die Länge gezogen wird und schließen die Türe am Ende hinter uns zu. Der Römer schwankt zum Bett und legt sich schweratmend auf selbiges. „Oh dio! [Oh Gott!]“, spricht er ganz leise und jämmerlich. Er sieht aus wie das Betttuch: kalkweiß. „Ich habe einen Migräneanfall. Ich dachte, ich werde ohnmächtig, während sie redeten.“, murmelt der Gatte. Ich hole Wasser, zuckrige Snacks und mache einen Kaffee. Das Kind steigt derweil die wohnungsinterne Wendeltreppe hoch und runter. „Andiamo hoch. [Gehen wir hoch.]“, informiert der kleine Kerl uns, um danach „Andiamo ‚unter.“ zu rufen. Ich versuche den Römer wieder aufzupäppeln und frage, ob es so schlimm ist, dass wir einen Arzt brauchen. „No, no, es geht schon wieder.“, spricht er und ich halte ihm einen feuchten Lappen in den Nacken. Wieder ertönt ein „Andiamo hoch.“ mit glockenheller Stimme und der Kleine stampft die Treppe hoch. Mühsam steht der Römer auf und holt sich eine Migräne-Tablette aus seinem Rucksack. Dann schwankt er an Signorino vorbei, hoch ins Bad, und bleibt dort 10 Minuten. Mir erscheint die lange Zeit komisch und so frage ich kurz nach, ob alles ok ist. „Si, si. [Ja, ja.]“, antwortet der Gatte und scheint etwas vitaler zu sein. Kurz darauf kommt er zurück und sieht nur noch mittelblass aus. „Wollen wir Pizza holen?“, will er von mir wissen. „Klar, soll ich gehen?“, hake ich nach. „Andiamo pizza!!!“, ruft der Kleine und hechtet eilig zur Tür. Anscheinend gehen wir alle zusammen. Wir machen noch ein Foto des Tür-PINs und gehen los. Eine bunte Auswahl an Pizzastücken später, erklimmen wir die drei Stockwerke zu unserer Ferienwohnung. Einen Aufzug gibt es nicht. Der Römer schleppt die Pizza. Ich schleppe Signorino, der ab dem 1. Stock nicht mehr gehen mag. Oben angekommen gibt der Römer den Türcode ein, es piept, es blinkt, doch nichts geschieht. Wieder und wieder gibt er den immergleichen PIN ein, die Tür klackt ein Mal kurz, nur um sich dann wieder nicht zu öffnen. Wir rütteln an der Tür, geben noch zehn weiter Male den Code vom Foto ein, doch es bewegt sich nichts. Signorino zerrt an meiner Hand, denn er will wieder nach unten gehen. Wir gehen ein halbes Stockwerk nach unten, dann ruft das Kind „Andiamo hoch. [Gehen wir hoch!]“ und wir tapsen wieder nach oben. Beim Hochgehen bemerke ich all die Schilder, die auf Englisch und Italienisch den geneigten Gast dazu anhalten, bitte im Treppenhaus RUHE!! zu geben. Signorino brüllt durchs Treppenhaus, lacht, ruft „Pizza! Pizza!“ und „Andiamo ‚unter!“. Immer wieder piept die PIN-Anlage der Tür, doch sie bleibt verschlossen. Man hört Geräusche aus der gegenüberliegenden Wohnung, auf der ein weiteres, knallrotes Schild mit weißer Schrift „SILENCE!!!“kreischt. Rasch wird diese aufgezogen. Eine ernste Frau mit rotem Haar und strengem Blick steht mit ihrem Hund in dieser und starrt uns an….

[Fortsetzung folgt]