Angst um die Direktoren-Kutsch

Vor wenigen Augenblicken bin ich in den Innenhof gefahren. Das Einfahrtstor stand offen – wie es tagsüber in unserem Wohnkomplex so Usus ist. Erst in den frühen Abendstunden schließen wir oder die Nachbarn es, verriegeln es und sperren es ab. Ich gehe mit meinem Rucksack Richtung Haustüre und sehe Parkwächter Krause, der auf dem angrenzenden Grundstück Sonnenblumenkerne in ein Vogelhaus einsortiert. Mit einem lauten „Hallo, grüß Sie!“ begrüße ich ihn. Er geht gar nicht erst auf diese Begrüßungsfloskel ein und legt direkt los. Dabei scheint ihm das Thema, das er vermutlich schon etwas länger auf dem Herzen liegen hat, zu beunruhigen.

Parkwächter Krause [PK]: Entschuldige Sie, bitte! Frage!

Ich: Äh…ja, jederzeit. Wie kann ich Ihnen helfen?

PK: Haben Sie die Jugendlichen auch gesehen, die immer in Ihrem Innenhof stehe und rauche?

Ich: Sie meinen die drei, vier Kerle? Ja, habe ich. Sie trinken Kaffee aus Pappbechern und rauchen dort hinten [zeigt auf eine Ecke im Innenhof]. Es ist eine richtige Plage geworden.

PK [die Miene verfinstert sich]: Net nur des! [flüstert sehr laut] Des sind Kleinkriminelle!

Ich [etwas überrascht von dieser Behauptung]: Oh! Das wusste ich nicht.

PK: Aber ich! Ich hab‘ des im Gfühl. Wisse Sie, ich schau ja auch fern, bin informiert und da berichte die öfter amal über solche Jugendliche. Die klauen Ihr Auto, wenn Sie net uffbasse.

Ich [entschließt sich, das Spiel mal mitzuspielen]: Um Gottes Willen!! Was schlagen Sie jetzt vor, was wir machen sollen?

PK: Gnadelos des Einfahrtstor schließe! Es ist a bissle Aufwand, aber des lohnt sich. [Guckt zu meinem Auto, zeigt mit dem Kinn auf selbiges] Ihr Fünf-Meter-Kutsch hat sicher net nur 5 Euro kost.

Ich [scherzend, dabei versucht, die Situation aufzulockern]: Mindestens 10 Euro hat es schon gekostet, ja.

PK: Na, mir mache Sie nix vor. Des Auto kost‘ a Schweinegeld. [zeigt nochmal mit dem Kinn zu meinem Auto] Des is doch so a Direktoren-Kutsch.

Ich [schweigt, etwas verschämt]

PK: Wisse Sie, ich beicht’ Ihne des jetzt grad amal frei raus: Ich war 40 Jahre lang Pförtner beim Hauptfriedhof Frankfurt. Ich hab alles gsehe! Und ich formulier’s amal so: Ich hab a Gspür für solche Leut‘ wie die Youngsters da im Innehof. Mittlerweile bin ich zwar in Rente, aber ich sag immer: Sie kriege zwar die Person aus dem Beruf raus – aber net den Beruf aus der Person. Ich weiß einfach, wann man knallhart uffbasse muss! Bei dene junge Leut’ im Innehof is was faul. Und jetzt sag ich Ihne noch was: Die junge Leute ham letztens in alle Autos, die da bei Ihne im Innehof grasen, reingschaut. Auch in Ihrs!! So, da ham Se den Salat!

Ich [schäme mich etwas, da das Auto voller Pfandflaschen, Riegelverpackungen und Gedöns ist, etwas kleinlaut]: In alle?!

PK: Ganz genau, in alle! Deswegen können wir nur was schlimmeres verhindern, wenn wir des Einfahrtstor gnadelos geschlosse halte! Wisse Sie, ich bin ja sehr aktiv in Funk und Fernsehen.

[Ich gucke etwas irritiert und frage mich, ob er sich als Komparse verdingt. PK registriert meine fragenden Blicke]

PK: Natürlich als Zuschauer, net als Tagesschau-Sprecher [Ich stelle mir das vor und kichere in mich hinein]. Und deswege hab ich letztens einen Bericht gsehe, da stellt’s Ihne die Zehennägel auf. So junge Osteuropäer, die mache sich da a Tagesticket aus der Kaschubei, oder wo die wohne, und fahre nach Frankfurt. Mit dabei ham se so a Kästle, halte des an die Autotür und Ihr graue Luxuskaross springt auf wie nix. Dann setze die sich in Ihr Auto nei, rangiere im Innenhof, und verschwinde mit dem Wagen – auf nimma wiedersehn. Und Sie habe des Nachsehen!

Ich [etwas pikiert, aufgrund des polnischen Vorurteils, räuspert sich]: Ich denke, dass es Autodiebe in jeglicher Colour und Ausführung gibt. Das würde ich jetzt nicht nur auf die Kaschubei beschränken. Wir haben wahrscheinlich auch etliche, alteingesessene Hessen unter uns, die Autos klauen.

PK [etwas nachgiebig]: Kann auch sein. Die müsse ja net zwingend aus der Kaschubei komme. Des hab’ ich jetzt nur so daher gsagt. Entschuldige Sie vielmals, wenn ich Ihne oder Ihre Verwandte damit auf die Füße getreten bin. Ich hab‘ letztens im Ersten einen Bericht gsehe, da war der Kriminelle ein alteingesessener Bürgermeister aus einem Ort – gleich hier ums Eck.

Ich: Genau, es kann jeder sein. Das wollte ich damit sagen. Dennoch zähle ich Bayern, wo ich herkommen, eher zu Deutschland als zu Polen. Doch zurück zum Thema: Ich mache auf alle Fälle das Tor zu.

PK: Von mir aus müsse Sie gar nix. Aber ich will net, dass hinterher des Geheule groß ist. Wisse Sie, ich achte schon drauf, was in Ihrem Innehof passiert. Hab immer ein waches Auge, aber ich muss auch amal auf Toilette, zum Einkaufe oder zum Arzt. Und wenn dann des Tor offe‘ ist… Nicht auszudenke, was dann passiert. [macht Gesten als würde er am Lenkrad sitzen, stülpt Unterlippe um]

Ich: Sie haben vollkommen recht. Danke für den Hinweis – und das Sie so gut auf uns acht geben.

PK: Sicher! Des hab ich einfach so drinne. Ich schau zwar harmlos aus, aber des is mei Vorteil. Immer schon gwese! Auf zack bin ich. Und des danke mir meine Mitmenschen auch.

Ich: Super. Wirklich, vielen Dank!

PK: Da brauche Sie sich jetzt net bedanke. Ich mach des gern! So – jetzt aber. Ich muss weiterschaffe. Tschüss!

17 Kommentare zu „Angst um die Direktoren-Kutsch

  1. Hmmm, werden Kriminelle, die mit so einem „Kästle“ ein Auto ratzfatz aufmachen und starten können, mit einem Tor wirklich ernste Probleme haben? Ansonsten aber ein netter Dialog mit komödiantischen Elementen. Wie aus dem wahren Leben eben…

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    1. Laut Parkwächter Krause ja. 😄 Aber: Das Tor bleibt fortan geschlossen. Nicht wegen der Autodiebe, wie du richtig sagst: Wenn es jemand darauf anlegt, wird er schon einen Weg finden. Vielmehr wegen der Kippen und Kaffeebecher, die sich mittlerweile im Innenhof verteilen.

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      1. Wenn man so hört, was sich bei Euch so rumtreibt, Kaschuben zum Beispiel oder Hessen, dann wundert einen gar nichts mehr. Mit Pappbechern und Kippen fängt es an – und endet zwangsläufig in einem kriminellen Autoschieber-Ring! Mindestens.

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      2. Besonders bei meinen liebgewonnenen Hessen wundert mich gar nichts. 😄 Wenn in nächster Zeit ein Taxi fehlt, dann würde ich einmal über die bayerische Landesgrenze nach Frankfurt gucken. Vielleicht parkt es in unserem Innenhof? 😄 Wundern würde mich hier gar nichts mehr.

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    1. Mir erschien es auch unwahrscheinlich. Warum sollten kaschubische Autoknacker ausgerechnet vom nordöstlichen Ende Deutschlands bis ins westliche Ende fahren, nur um dann nochmal alles zurück zu fahren und womöglich noch geschnappt zu werden? Aber Parkwächter Krause wollte mir diesen Bären aufbinden.

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