WMDEDGT – Oktober 2023

Wir unterbrechen das laufende Programm für eine Sondersendung:

Heute fragt Frau Brüllen mal wieder, was wir denn den ganzen Tag über gemacht haben. Sie nennt das WMDEDGT. Na, dann wollen wir mal gucken:

07:40 Uhr Der Wecker klingelt. Heute ist mein „freier“ Tag. Das Kind plärrt aus dem Nachbarzimmer „Mama! Mama!“. Ich stehe auf und sehe, dass der Römer bei ihm ist. „Pus! Pus! Papa! Geh weg!“. Ich darf bleiben, aber nur, weil ich das Kind besser verstehe als mein Mann. „Mama? Ich will frühstücken. Die orangenen Cornflakes.“

08:30 Uhr Pissig trifft es ganz gut, wenn ich beschreiben soll wie ich mich gerade fühle. Ich schnitze einen Apfel für den Kindergarten, bemerke dann, dass der gestrige Kindergartenabholer weder die Wasserflasche, noch die Brotbox aus dem Rucksack geholt hat. Also leere ich die Reste, wasche Box u. Flasche, befülle alles und weise nochmals freundlich daraufhin, dass der Spätdienst (=der Kindergartenabholer von Vortag) maßgeblich das Leben des Frühdienstes (=der Kindergartenbringerin) beeinflussen kann. Dann suche ich noch die Mütze (unauffindbar), den Kita-Rucksack (irgendwo ganz anders) und die Schuhe (hinter der Couch) und bin seeeehr unleidlich. Der Römer ist derweil schon zur Arbeit gegangen.

09:00 Uhr Im Kindergarten angekommen suche ich die Hausschuhe (unauffindbar), finde aber dafür die Mütze, die der Spätdienst (=Römer) liegen hat lassen. Ich atme viel und entlasse das Kind in Socken. Es hustet seit 3 Tagen und hat keine Hausschuhe. Mein Mama-Gehirn zählt 1 und 1 zusammen und ich hoffe, dass 2 (=krankes Kind) nicht eintrifft.

09:30 Uhr Ich versuche mein neues Handy aufzusetzen. Bis 11:30 Uhr. Nach 4 Nervenzusammenbrüchen gebe ich auf und beschließe, am Wochenende damit weiterzumachen. Ich tausche die Sim-Karte wieder zurück und ärgere mich. Mein Handy benutze ich bis zum Geht-nicht-mehr. Jetzt weiß ich auch warum: nervlich würde ich es nicht aushalten, jedes Jahr mein Handy umzuziehen. Dann piepst die Waschmaschine. Sie sei jetzt auch fertig.

12:00 Uhr Erstmal Pizza. Ich wärme sie in der Pfanne auf und widme mich meinem Blog. Dann schreibe ich bis knapp 14 Uhr und lasse die Zeit in Albanien rekapitulieren. Es stimmt schon: Schreiben ist wie Therapie.

14:30 Uhr Ich hole das Kind vom Kindergarten – und, oh Wunder, es hat Hausschuhe an. Die Erzieherin berichtet mir, dass sie den Eindruck hat, dass Signorino langsam bereit wäre für „windelfrei“. Das denke ich schon seit 2 Jahren. Ich nicke zustimmend. Dann gehen wir zum Einkaufen. In Albanien habe ich anscheinen Blut geleckt. Ich kaufe 3 Sachen, das Kind darf sich ein Ü-Ei aussuchen, dann rollern wir heim. Das Planeten-Buch fürs Kind ist angekommen. Naturwissenschaftliche Gene überspringen anscheinend mehrere Generationen: Das Kind liebt Planeten und Dinosaurier und weiß, wie sie alle heißen. Ganz praktisch: Auch ich frische mein Wissen auf und lerne dazu.

15:00 Uhr Serien-Pause nach dem Kindergarten. Ich erinnere mich daran, Wasser zu trinken und mein Kiefer zu lockern. Letzteres habe ich im Bildungsurlaub letzte Woche gelernt. Sie glauben gar nicht wie „verbissen“ ich den ganzen Tag über bin.

16:00 Uhr Der Paketbote klingelt, aber nicht für mich. Im Mietshaus bin ich die einzige, die ihm aufmacht. Ob ich Fischer oder Popovic bin, fragt er auf Englisch. Ich verneine und sage, dass ich trotzdem die Pakete annehmen kann. Dann buchstabiere ich ihm meinen Nachnamen. Als letzten Buchstaben meines Nachnamens, dem J (typisch für albanische Nachnamen), guckt der Postbote stutzig auf. Ein J am Ende eines Wortes? Aber ja. Hier ein kleiner, geschichtlicher Exkurs:

Enver Hoxha hat das damals so beschlossen. Die albanischen Nachnamen waren vor seiner Amtszeit alle mit -i. Auf Neudeutsch würde man wohl sagen, er wollte einen „signature move“ machen. Also befahl er, dass alle Nachnamen, die auf -i enden, nun mit -aj enden sollten.

Ein Beispiel wäre hier z.B. die Familie Çuk-i, ihreszeichens Nachfahren einer Person, die mit Vornamen Çuk hieß. Demnach sind alle Nachfahren dem Çuk zuzuordnen, was Ihnen automatisch den Nachnamen Çuki einbringt. Durch Hoxha wurde die Familie Çuki also zu Çukaj. Und so blieb das bis heute. Um eine deutschsprachige Analogie herzustellen: Ihr Ur-Ur-Ur-Großvater hieß mit Vornamen Franz, was Ihnen den Nachnamen Franzi beschert, da Sie somit dem Franz zugeordnet werden können. Und durch die hoxha’sche Reform heißen Sie nun Franzaj. Da ich den albanischen Nachnamen angenommen habe, genieße ich jetzt die irritierten Blicke, wenn ich ein -J als letzten Buchstaben diktiere.

Der Paketfahrer fragt, woher der Name kommt. „Albania.“. antworte ich wahrheitsgemäß. „Interesting name.“, antwortet er. Ja, wenn der den geschichtlichen Hintergrund erst kennen würde…

17:00 Uhr Das Kind will Apfelkuchen backen. Also machen wir das.

18:00 Uhr Verurteilen Sie mich nicht, aber die Neugier ist weiblich, wie man im Italienischen sagt. Und so versuche ich nochmal mein neues Handy aufzusetzen bzw. die Daten vom alten Handy aufs neue Handy übertragen zu lassen. Diesmal habe ich mich einer List bedient: Ich hatte den Eindruck, dass das neue Handy überfordert war mit dem Software-Update, nach dem es am Ende der Installation verlangte. Also tat ich so, als hätte ich nie ein iPhone* gehabt, installierte das Software-Update, löschte alle Daten und tat jetzt also doch so, als ob ich ein iPhone habe. Und tadaaa! Es hat geklappt.

19:00 Uhr Der Mann kocht die dekadente Version von “pasta e ceci” (Pasta mit Kichererbsen), die noch Garnelenstückchen dazu bekommt. Das Kind zieht sich nackig aus und kichert sich einen ab. Joa, ein ganz normaler Donnerstag.

19:50 Uhr Ich dusche. Dann duscht der Mann. Das Kind pfeffert eine geklaute Kiwi auf den Boden. Wissenschaftlich hoch interessant: Die gelben Kiwis sind weicher als die grünen und somit zerplatzen sie auf der Aufpralloberfläche spektakulär. Das gleiche Experiment hatten wir unlängst und ungeplant mit grünen Kiwis, deswegen weiß ich: Die sind stabiler. Wobei der Reifegrad maßgeblich die Sauerei auf dem Boden beeinflusst. Na ja, so oder so – ich wische den Holzboden. Freut der sich auch darüber. Win – win für alle Beteiligten.

20:30 Uhr Wir bringen Signorino ins Bett und er erfindet ein neues Spiel. Wie sagt man so schön: “Not macht erfinderisch.” Und die Not, sofort ins Bett zu gehen, macht enorm kreativ. Wir reihen also Tiernamen aneinder: “Mama, ich bin ein Löwe.” – Hallo Löwe. “Nein, Mama, ich bin kein Löwe. Ich bin ein Omura-Wal.” -Hallo Wal. “Nein, Mama, ich bin kein Omura-Wal. Ich bin ein….”. Ich muss ziemlich lachen und das Kind freut sich gleich doppelt: Nicht sofort ins Bett müssen + ein Spiel erfunden zu haben, das lustig ist. Um

21:40 Uhr schläft er dann endlich. Ich fülle mein Mittagessen für den morgigen Tag (also, das übrig gebliebene Abendessen) in eine Transportschüssel und lese hier und da.

Let’s call it a day!

*Werbung, unbezahlt und unbeauftrag

16 Kommentare

    • Du Arme! Hoffentlich atmest du wenigstens frische Meeresluft! Ich hab dem Römer eure Vlora-Busgeschichte erzählt und er sagte, dass das Verhalten von Busfahrer und Kassierer typisch für die Leute aus Vlora wäre: Sie seien sehr zynisch. Ob es stimmt? Keine Ahnung. 😄

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  1. Sehr geehrte Frau Farnientaj !
    Ich weiß schon lange, daß der Balkan in Wien beginnt. Nun habe ich endlich den fehlenden Hinweis gefunden, wieso die Aussprache des „Franz“ einer bestimmten Dialektregion im Wiener Sprachvieltopf, dem Klangbild nach zu „Franzaj“ tendiert. Möglicherweise hatte Hodschaj diese seine ‚aj‘-Idee im Hinterkopf behalten, seit ihn 1959 nachweislich ein KPÖ-Funktionär im Auftrag von Chruschtschow besuchte, um ihn davon zu überzeugen, von der chinesischen Linie der Ausrichtung seiner Partei auf die sowjetrussische einzuschwenken, dies wäre für sein Land mit Blick auf Yugoslawien überaus vorteilhaft. Die Mitglieder der Delegation nannten einander natürlich beim Vornamen (einige von ihnen hatten sich bereits im spanischen Bürgerkrieg gegenseitig aus dem Dreck geschossen). Mit von der Partie war damals auch ein gewisser Franz Wappelshammer aus Meidling samt Gemahlin, dessen Genossen ihn mit „Franze“ ansprachen, was im Lokalkolorit wie „Franze_i“ klingt, Enveraj ersetzte das ‚i‘ logischerweise durch das in Squipe übliche ‚j‘ und ein vorgesetztes ‚a‘, da das konsonale ‚j‘ ohne Vokal nicht unmißverständlich ausgesprochen werden kann. Nach dem Fall des eisernen Vorhanges, dem sich letztlich auch Albanien anschloß, wurde die Sprechweise ‚Franzaj‘ nach Wien-Meidling offenbar reimportiert.

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    • Sehr geehrter Herr Olponatoraj,
      das ist eine überaus valide Begründung, möchte ich anmerken und ich danke Ihnen sehr für diese inoffizielle, geschichtliche Lektion, die so in keinem Buch und in keinem Unterrichtsfach gelehrt wird. Im Bayerischen endet Franz auf -e, somit würde ich fast behaupten mögen, dass der Balkan unterhalb Münchens beginnt, auch wenn der Landstrich bevorzugt, Italien zugehörig zu sein.
      Enveraj war die Sowjetunion zu liberal, zu larifari. Dann lieber eine Freundschaft mit den Chinesen, bevor man mit einem doch so freiheitsliebenden Konstrukt wie der Sowjetunion zusammenarbeitet. Eines muss man den Albanern lassen: Dickköpfig sind sie – um jeden Preis. 😄 Es grüßt Sie herzlich, Ihre Frau Farnientaj

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  2. Diese Art von Sondersendung mag ich! 🤩 Ein abwechslungsreicher Tag, den du wie immer höchst anschaulich und herrlich humorvoll beschrieben hast. Zu deinem Missmut am Morgen: Sei nachsichtig mit dem Spätdiensthabenden. Das Kind ist gesund und munter zu Hause angekommen? Na also, der Rest ist Schnickschnack. Rilassati! Immer dieser weibliche Perfektionismus. 😉

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    • Danke dir, liebe Anke. 💛 Die neue Perspektive gefällt mir sehr: Tatsächlich hänge ich mich gerne an den kleinen Dingen auf, anstatt das große Ganze zu sehen: ein gesundes, glückliches Kind, das sicher zu Hause angekommen ist. 😃 Liebe Grüße und einen angenehmen Sonntag!

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