„Non sapevo… [Ich wusste das nicht…]“, murmelt der Römer während er auf dem Beifahrersitz thront. Nachdenklich blickt er aus dem Fenster und lässt seinen Blick über den Main gleiten, den wir gerade mit dem Auto überqueren.
„Was denn?“, frage ich höchstkonzentriert, weil ich gleichzeitig auf die Instruktionen des Navis warte, wo genau ich nach der Brücke abbiegen soll.
„Die Brücke heißt Zufriedensbrücke.“, spricht er immer noch verwundert und guckt forschend aus dem Autofenster. Da wir gerade an einer Ampel zum Stehen kommen, blicke ich ihn fragend an.
Ausblick auf die Skyline – die (Zu-)Friedensbrücke liegt etwas weiter westlich (links).
„Wie kommst du denn darauf?“, will ich von ihm wissen. „Na, das Navi hat es so gesagt: Si chiama Zufriedensbrücke. [Sie heißt Zufriedensbrücke.]“ Ich denke kurz darüber nach, mustere die Anzeige des Navis, verschiebe die angezeigte Karte etwas mit den Fingern und dann fällt der Groschen. Laut und schallend lache ich.
„Nein, nein. Das Navi sagte: >>Abbiegen zuR Friedensbrücke<< Nicht Zufriendensbrücke!“, kläre ich das Missverständnis auf. Auch der Römer gackert jetzt lauthals los. „Ich habe mich schon gewundert, dass Deutsche eine Brücke „Zufriedensbrücke“ nennen. Mi sembrava strano. [Mir erschien das komisch.].“
„Die Deutschen sind selten zufrieden,. Nichts läge ihnen ferner, eine Brücke so zu benennen. Frieden? Ja, gerne. Zufrieden? Ne, irgendetwas ist ja immer.“, gebe ich grinsend zurück. „Aber es wäre ein Anfang…“, meint der Römer und er hat gar nicht so unrecht.
Am Montag war es soweit: Der Römer und ich sind 75 Jahre alt geworden. Passenderweise suchten wir uns damals, unwissentlich voneinander, den gleichen Geburtstag aus, den 10.Oktober oder 10.10., wenn Sie so wollen. Ein Geburtsdatum wie ein Binärcode.
Der Plan für den vergangenen Montag war der folgende: Das Kind mit der S-Bahn zur Kita zu bringen; Frühstück im Café – ganz in Ruhe; Bummeln und Stöbern im Stadtzentrum; Mittagessen – ganz in Ruhe; einen kleinen Abstecher zum japanischen Lieblingscafé, um Geburtstagskuchen zu holen; Kind einsammeln; Kuchen essen; Abends Pizza. Gute Nacht!
Dieses Vorhaben klang zu schön um wahr zu sein. Vermutlich wurde es deswegen nicht wahr.
Alles fing damit an, dass Signorino bereits um 3 Uhr morgens unterbewusst gratulieren wollte. Er schrie „Mama! Mama!“ und der Römer stand auf, weil er näher an der Schlafzimmertüre und somit näher an Signorinos Zimmer schläft. Ein Mann wie ein Goldstück. Ich kann es nur oft genug erwähnen. Leider war Signorino nicht damit einverstanden, dass Papa auftauchte, wo er doch explizit nach mir gerufen hat und so schälte sich der kleine Kerl aus dem Kinderbett, huschte den dunklen Gang entlang bis zu unserem Schlafzimmer und rief noch einmal „Mama! Mama!“. Daraufhin hob ich ihn ins Bett und er kuschelte sich an mich. Der Römer schnarchte derweil schon unbeeindruckt im Kinderzimmer vor sich hin. Von 0 auf Tiefschlaf in wenigen Millisekunden ist nur eines von vielen verborgenen Talenten meines Gatten.
Währenddessen begann in meinem Bett das unsägliche Spiel, in dem das Kind bereits schläft, jedoch unbedingt und absolut unwirsch meine Hand streicheln muss, um gut weiterschlafen zu können. Sie können sich vorstellen wie wach man ist, wenn einem permanent und mit fahrigen Bewegungen über die Hand gestreichelt wird. Sobald man die Hand entzieht, sucht Signorino nach dieser Hand und sollte er sie nicht finden, fängt er herzzerreißend an zu weinen. Bis 6 Uhr morgens ging das Spiel so, dann schlief ich erschöpft ein – oder das Kind hörte endlich auf, meine Hand zu streicheln. So genau weiß ich das nicht mehr.
Nur anderthalb Stunden später weckte mich mein Handy mit dem Klingelton „Glasperlen im Wind“ und ich wollte weder Glasperlen, noch Wind und schon gar nicht geweckt werden nach dieser kurzen Nacht. Hauptsächlich wollte ich meine wohlverdiente Ruhe und noch einige, wenige Stunden Schlaf. So sicherte ich Signorino mit einem Kissen, dass er nicht vom Bett stürzen konnte und torkelte schlaftrunken ins Kinderzimmer zu meinem noch immer schnarchenden Gatten. Ein „Guten Morgen, mein Schatz. Alles Gute zum Geburtstag.“ kam mir dabei nicht über die Lippen. Vielmehr grummelte ich ein „Du bringst Signorino heute alleine in die Kita, oder? Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen und du hattest hier deine Ruhe.“. Kalte, harte Elternsprache – reduziert auf das wichtigste: Rhetorischer Fragesatz inklusive einer Begründung, die der Römer wahrlich nicht negieren konnte. Alle Argumente waren auf meiner Seite. Er musste es nur einsehen. „Ja, kann ich machen.“, murmelte der Römer sehr müde in sein Kissen. Ich nickte, machte auf dem Absatz kehrt, legte mich wieder ins Bett neben Signorino und versuchte einzuschlafen. Nach kurzer Zeit tauchte der etwas schlaftrunken wirkende Römer im Schlafzimmer auf. „Wir können auch alle daheim bleiben.“, schlug er leise vor, um das Kind nicht zu wecken. Ich willigte mit einem „Hm“ ein und drehte mich um. Nach mir die Sintflut. Der Mann hatte daraufhin den eher fragwürdigen Einfall, sich in das eh schon zu knapp bemessene Bett zu quetschen. Noch ehe seine Haarspitzen das Kissen berührten, schnarchte er bereits wieder. Das Kind nahm dies wohl zum Anlass, sich auf den Rücken zu drehen und den Seestern zu machen. Und ich klammerte mich an den wenigen, noch verbleibenden Zentimetern der Matratze fest und versuchte nach Leibeskräften einzuschlafen. Natürlich sollte es mir nicht gelingen. So zog ich gegen 07:55 Uhr ins Kinderbett um, was keine glorreiche Idee war, denn das Zimmer liegt zur Straßenseite. Gerade war die Rushhour der Grundschulkinder, die fröhlich singend, jauchzend, plappernd in die Grundschule gingen. Manche stritten sich auch. Unbedingt wollte ich einschlafen, denn ich war hundemüde und wollte später unseren Geburtstag gebührend feiern, aber es wollte und wollte mir nicht gelingen. So gab ich um 08:30 Uhr auf, denn ich sah endlich ein, dass es Zeitverschwendung war, wach im Kinderbett zu liegen.
Müde stellte ich die Kaffeemaschine an, ließ den Wasserkocher seine Dienste tun und kramte nach Frühstückskeksen. Dann rief ich in der Kita an, um Signorino für heute abzumelden. „Aber wir hoffen, dass er morgen wieder in die Kita gehen kann.“, säuselte ich. Die Erzieherin wünschte ihm gute Besserung und legte auf.
Gegen 09:45 Uhr erhoben sich das andere Geburtstagskind und Signorino. Mir war übel wie lange nicht mehr, was nicht am Kaffee lag, sondern viel mehr an dem tags zuvor vertilgten Käsekuchen. Es war eine Übelkeit, die nicht in der Kloschüssel enden wollte, das merkte ich schnell. Viel mehr war es eine, die einzig dem Zwecke diente, einem gehörig den Tag vermiesen zu wollen. Sie hielt sich latent im Hintergrund, aber sobald man mehr als zwei Schritte tat, erinnerte sie einen wieder daran, dass sie auch noch anwesend war und dies auch weiterhin sein werde. Der Römer hingegen war komplett verschnupft und rührte sich bereits zum Frühstück ein Erkältungspülverchen an. Der Kleine hingegen war gut gelaunt, ausgeschlafen und froh, dass er auch diesen Tag mit uns verbringen durfte. Als wir fertig gefrühstückt hatten, wünschten der Römer und ich uns „Alles Gute zum Geburtstag“ und besiegelten diesen Wunsch mit einem großen Kuss. Signorino blickte uns an als würde er sagen wollen: „Ich hab’s immer geahnt: Ihr seid tatsächlich ein Paar.“. Dann bekam auch er einen dicken Kuss.
Kurz darauf klingelte es drei Mal schallend an der Tür. Wir hatten nichts bestellt und erwarteten auch nichts. „Ignorier das einfach! Das wird für die Nachbarn sein.“, sprach ich zum Gatten und ging ins Bad. Dann klingelte es wieder zwei Mal. „Die Paketfahrer werden auch immer dreister. Lasst die armen Leute doch in Ruhe, wenn sie nichts bestellt haben.“, dachte ich, während ich mir das Gesicht wusch. Als ich es gerade abtrocknete, klingelte es wieder. „Io vado un attimo a vedere chi è. [Ich gehe einen Moment, um zu sehen, wer es ist.]“, erklärte mir der Römer und eilte die Treppe hinunter. Wenige Augenblicke später kam er mit einen dicken, fetten Blumenstrauß zurück. „Für dich. Sarà del tuo amante. [Das wird von deinem Liebhaber sein.]“, scherzte er und ich guckte ihn mit großen Augen an. „Die sind doch von dir!!“, rief ich freudestrahlend und bedankte mich sogleich. Kleinlaut gab der Römer zurück, dass sie definitiv nicht von ihm waren. „Oh.“, sprach ich und nahm den großen Strauß entgegen. Mit spitzen Fingern fummelte ich die Karte aus dem Umschlag. „Alles Liebe zum Geburtstag. Dein Büro-Team.“, las ich und war sehr glücklich. Meine Kolleginnen vom Nebenjob, der mittlerweile eher mein Hauptjob ist, hatten mich mit diesem floralen Gruß überrascht. Wie schön, solche Kolleginnen zu haben.
Meine Übelkeit trat vor lauter Freude wieder in den Hintergrund und so zog ich mich und dann das Kind rasch an. Der Römer war schon fertig bekleidet. Sogleich streifte ich mir den Mantel um, denn das Thermometer verriet, dass es 7 Grad Celsius in Frankfurt hatte. Brrrr! Eiskalt. Aber die Sonne schien trotzdem und wollte es sich nicht anmerken lassen, dass dies ein Oktobertag war. Als wir die Wohnung verließen, war mir wieder speiübel. An der frischen Luft wurde es nicht wirklich besser und in der S-Bahn erst recht nicht. Zu lauten Reggaeton-Klängen, die aus mitgebrachten Boxen eines Mitreisenden durch die S-Bahn wummerten, kamen wir im S-Bahntunnel kurz vorm Hauptbahnhof stehen. „Muy autentico. [Sehr authentisch]“, rief ein spanischsprechender Fahrgast dem Boxen-Besitzer zu und es entspann ein freundliches Gespräch auf Spanisch. Mir war immer noch übel, wir standen im dunklen Tunnel kurz vorm Hauptbahnhof und die laute Musik machte mich etwas unwirsch. In dieser Situation hätte ich mir weniger Authentizität gewünscht, um ehrlich zu sein. Nach fünf endlos langen Minuten ging die Fahrt weiter und wir hangelten uns von Haltestelle zu Haltestelle weiter bis wir an der Konstablerwache ankamen. Wir bummelten etwas durch ein Kaufhaus, aber Signorino beschwerte sich so laut und vehement, dass wir das Kaufhaus schnell wieder verließen. Da das Kind Strumpfhosen brauchte, löste ich meinen Geburtstagsrabatt im nächsten Bekleidungsgeschäft ein und erhielt vier wunderbare Strumpfhosen. Mehr nicht, denn das Kind findet Kaufhäuser doof und ließ sich auch nicht von diesem Fakt ablenken.
Der nächste Halt war die Kleinmarkthalle, die das Kind faszinierend fand. Dort kauften wir eine Brezel für Signorino. Zufrieden kaute das Kind und ich nutzte die Gunst der Stunde, um ein Stückchen zu stibitzen. Schlagartig war meine Übelkeit verflogen. Ob meinem Körper einfach nur ein „Bavarian Shot“ gefehlt hatte? Ich weiß es nicht, aber es war auch egal.
Wir schlenderten weiter Richtung japanische Lieblingsbäckerei*, ließen uns drei Stück Kuchen (ein himmlischer Cheesecake, ein schokoladiger Kaffeekuchen und eine fantastische Matcha-Schnitte) einpacken und schlugen dann den Weg Richtung Römer (dem Frankfurter Rathaus) ein.
Da das Wetter so herrlich war, kurvten wir durch die neue Altstadt, weiter zum Main und dort immer entlang bis Signorino einen Spielplatz von weitem entdeckte. Dort verbrachten wir eine Stunde und merkten uns diesen Ort für nächsten Sommer, denn der Spielplatz war wirklich weitläufig und schön angelegt.
Vom Willy-Brandt-Platz fuhren wir heim, bestellten von unterwegs etwas zum Mittagessen und kamen fünf Minuten vor Lieferung daheim ein. Nachdem essen, durften wir Geburtstagskinder abwechselnd ein Stündchen Mittagsschlaf machen, während der Kleine lieber Lego spielte.
Danach warteten die Kuchen auf uns. Signorino schmeckte keiner davon, was wir nicht weiter tragisch fanden (böse Eltern!). Er bekam ein Butterbrot und auch das war okay.
Abends waren wir so voll, dass wir Großen nichts herunterbekamen. Nur der Kleine machte Brotzeit. Dann ging er (für seine Verhältnisse) recht früh um 21 Uhr schlafen. Was für ein wunderbar bunter und aufregender 75. Geburtstag.
Und am nächsten Tag holten wir all das in einem Tag nach, was wir in einer Woche machen wollten: Wir brachten das Kind zur Kita und das Auto zur HU-Untersuchung, dann frühstückten wir „einen der besten Cappuccinos Frankfurts“ im Brühmarkt*, statteten dem Outlet und dem Drogeriemarkt in Bockenheim einen Besuch ab, kauften Gummistiefel für mich und Trainingshosen für Signorino und den Römer, um dann nach Hause zu fahren, ein Paket abzuholen, die nächste S-Bahn in die Stadt zu nehmen, Signorinos Hausschuhe umzutauschen, ein Ladekabel zu kaufen, Mittag zu essen, um dann den „für Frankfurt erstaunlich guten Espresso“ [O-Ton Römer] bei The Espresso Bar auszuprobieren. Dann holten wir das Kind ab. Puh! Ganz schön anstrengend eine Woche in einem Tag nachzuholen.
*Werbung aus Überzeugung, unbezahlt und unbeauftragt
Sonntag, 23:30 Uhr. Einer meiner Lieblingsnachbarn, Heinz, kommt gerade von der Trinkhalle heimgetorkelt. Er ist ein flotter Mitsechziger, graues, lockiges, etwas längeres Haar, schlank mit aufgesetztem Bierbauch und dabei top in Schuss. Sein Mountainbike fährt er in Frankfurt am liebsten mit passendem Fahrradtrikot und Helm aus und das meist jeden Tag.
Es ist heiß in Frankfurt, so dass wir abends die Fenster geöffnet haben, um ein paar Grad kühlere Luft ins Innere zu lassen. Ich liege auf der Couch und höre Heinz und einen Freund unten an der Straße palavern. Sie scheinen ziemlich einen Sitzen zu haben, was bedeutet, dass die Trinkhalle (frankfurterisch für Kiosk) heute wohl wortwörtlich genommen wurde. Heinz und sein Freund haben nur noch eingeschränkte Kontrolle über ihr Sprachzentrum.
Nachbarsfreund, leicht lallelnd: „Bidde schön, mein Freund. Du bisch zu Hause.“
Nachbar Heinz, ebenfalls stark lallend: „Ah ja…. [kurze Pause, aufgeregt] Ah nein, nein! Des isch des Einfahrtstor. Aber wenn ma scho mal da sind [rüttelt am Tor]… des isch zu.“
Nachbarsfreund, hickst: „Ah Heinz, du bisch ei gudde Seele! Einfach eine gudde Seele, gell? Der Robin Hood der Nachbarn mit Auto bisch du.“
Nachbar Heinz: „Na, bin ich net. Da isch mei E-Bike drin. Net, dass des wegkommt!“
Nachbarsfreund: „Auch gut, Heinz. Die nächste Ausfahrt bisch du….“
Die beiden gehen singend zur Haustüre, die fünf Meter vom Tor entfernt liegt.
Nachbarsfreund: „So, jetzt aber! Kriegsch den Schlüssel überhaupt nei?“
Nachbar Heinz: „Ja, ja, notfalls klingel ich die Helga wach.“
Nachbarsfreund, aufgeregt: „Na, na, Heinz! Des machst du net. Wenn dei Frau aufwacht, kriegst wieder 4 Wochen Hausarrest, so wie beim letzten Mal. Des könn ma net riskieren!“
Nachbar Heinz: „Au ja! Kannsch du mir schnell mal mit dem Schlüssel helfe, Willi? Des Ding will und will net ins Schloss neigehe.“
Es scheint, als würden sie es mit vereinten Kräften versuchen. Irgendwann quietscht die ungeölte Eingangstür. Sie haben es geschafft.
Nachbarsfreund Willi: „Gud’ Nacht, Heinz! Hoffentlich kriegst du die Wohnungstür auf. Wenn net, schließ ich dich in mein Nachtgebet ein. Mach‘s gut, Heinzi!“
Nachbar Heinz, scheinbar noch in der Eingangstür stehend: „Willi? Du musch gradaus gehen. Net nach links! Net, dass du dich noch verläufst. Komm gut heim!“
Heute fuhr ich alleine mit der S-Bahn, um Signorino von der Kita abzuholen. Sie war beinahe leer. Ich setzte mich in eine leere Sitzgruppe und klickte auf dem Handy herum. Mangels Kopfhörer war ich gezwungen, den Dialog der Jugendlichen in der Sitzreihe neben mir mitzuhören. Aber es hat sich gelohnt!
S-Bahn Graffiti
Schüler 2: “… und dann hat er gesagt, ich bin dick geworden.”
Ich schiele zu den drei Jungs hinüber. Drei schmächtige Teenager. Vielleicht 16, 17 Jahre alt. Keiner von ihnen ist dick.
Schüler 1: “Du bist doch nicht dick geworden! Du hast dich halt körperlich verändert. Also deine Muskeln sind vielleicht dicker geworden, Digga. Aber da ist kein Fett oder so.”
Schüler 2 zeigt den anderen beiden Jungs Bilder, vermutlich aus einem sozialen Netzwerk.
Schüler 2: “So will ich halt aussehen. Ich weiß selber, dass das harte Arbeit ist, aber ich will halt so aussehen.”
Die beiden anderen nicken verständnisvoll.
Schüler 1: “Ahmed soll einfach die Klappe halten!”
Schüler 2 (laut flüsternd): “Ich habe auch schon gehört, dass jemand die Klasse wegen ihm gewechselt hat. Der ist so schlimm!”
Schüler 3, der die ganze Zeit über nur zuhörte, meldete sich nun zu Wort.
Schüler 3: “Leute, ganz ehrlich: Ich hab keinen Bock auf den Scheiß. Wir sind in der 11. Klasse. Ich will nicht jeden Tag hören, wer zu dick, wer zu dünn, zu groß oder zu klein ist. Ich will einfach mit guten Leuten etwas lernen. Über ernsthafte Themen diskutieren und so. Das ist bei uns einfach Kindergarten. Fuck Ahmed! Echt!”
Wow! Ich wünschte, ich wäre in dem Alter schon so reflektiert gewesen und hoffe, dass die Jungs diesen guten Leuten begegnen und dass sie auf die Lästermäuler dieser Welt pfeifen können. Auf dem richtigen Weg sind sie auf alle Fälle.
Bei der gestrigen Geschichte aus der S-Bahn habe ich Ihnen Teil 2 unterschlagen. Deswegen folgt hier die Fortsetzung:
„Sie haben gar keine Maske auf! Das macht dann 50 Euro, bitte.”, spricht der Kontrolleur hinter mir. Er ist einer von zwei VGF-Mitarbeitern, die im Gang der S-Bahn stehen, mit der Signorino und ich in die Kita/Arbeit fahren. Sie reden mit einem aufstrebenden jungen Mann, Ende zwanzig, den das Duo ohne Maske erwischt. Ich recke meinen Kopf, um den jungen Maskenverweigerer noch besser sehen zu können, was gar nicht so einfach ist, wenn man ein recht großes Kleinkind auf dem Schoß hat. Wie sagt man in Italien so schön: „La curiosità è femmina. [Die Neugier ist weiblich.]“ Auch mich trifft das definitiv zu.
“Oh, aber … hm… heute musste es schnell gehen.”, antwortet der junge Mann, den ich mittlerweile eingehend gemustert habe. Dunkelblauer Anzug, dunkelbraune Haare, eine Werbeagentur würde ihn wohl als sportlich-maskulin betiteln. Jede seiner dunklen Strähne ist einzeln und mühsam mit Gel definiert worden. Vermutlich sind deswegen die Seiten so kurz geschoren, weil ihm schlichtweg die Zeit fehlen würde, den ganzen Kopf morgens Strähne für Strähne einzeln zu hegen und legen. “Helmut, die Ausrede habe ich ja noch nie gehört.”, witzelt der eine Kontrolleur mit seinem Kollegen Helmut. Das Kontrolleur-Team ist ungefähr im gleichen Alter. Gestandene Männer, graue Haare, die Uniform spannt etwas im Bauchbereich, weswegen beide die Uniformweste offengelassen haben. Kontrolleur Helmut grinst und spricht zum jungen Anzugträger: “50,- € kost‘ Sie die Maskenfreiheit im Zug.” Der andere Kontrolleur, der nicht Helmut heißt, hat ein Einsehen und sagt: „Jetzt mach ma da net lang rum! Ziehen’s schnell die Maske auf und wir gehen einfach weiter als wär nix g’wese.“ Der geschleckte, aber maskenlose Anzugträger druckst herum. „Ja, nun…“, stammelt er. Heute früh musste es schnell gehen und da habe er in der Eile überhaupt nicht an eine Maske gedacht und deswegen kann er auch keine aufsetzen. „Nach ‚Schnell-aus-dem-Haus‘ sieht seine perfekt definierte Frisur aber nicht aus.“, denke ich zynisch. Und in meiner Mutti-Blase füge ich meinen Gedanken noch hinzu: „Also ich bin in der Lage an Kind, Laptop, Firmenhandy, mein Handy, unterschriebenen Zettel für die Kita samt fünf Euro Ausflugsgeld, Schnuller, Trinkflasche, Sonnenhut, Nerven-Riegel und Sonnencreme zu denken und bin zehn Minuten später als gewöhnlich aufgestanden. Aber Mr. Finance-Frankfurt schafft es nicht an seine Maske zu denken?! Kommt ja auch überraschend nach 2,5 Jahren, dass er in den Öffis eine Maske tragen muss.“ Dann verbiete ich mir meine Gedanken. Was weiß ich schon vom Leben des Jungspundes? Das Äußere täuscht doch allzu gerne über die wahren Probleme eines jeden hinweg.
Unweit entfernt vom Jungspund sitzt ein junggebliebener Mitsechziger. Hochgewachsen, kurzärmliges Karohemd, weiße, etwas längere Haare, Schnauzer. Einer, dem ich den Namen Wolfgang geben würde und vermutlich damit recht hätte. Er reicht dem Jungspund eine OP-Maske. „Unbenutzt natürlich.“, sagt er und zwinkert, was ich ganz genau sehen kann, denn ich recke und strecke angestrengt meinen Kopf, um von diesem morgendlichen Schauspiel ja nichts zu verpassen. Der Jungspund strahlt Wolfgang an. „Vielen, vielen Dank! Das ist aber nett. Das zahle ich Ihnen aber. Wie viel macht das?“, näselt der Jungspund. „45 Cent.“, antwortet Wolfgang trocken. Der Jungspund holt seinen Geldbeutel aus seiner Ledertasche, kramt, findet nicht die passenden Münzen, kramt weiter und versucht mühsam ein paar Münzen zusammenzusammeln, die im besten Fall 45 Cent ergeben. Ich denke noch: „Mein Gott, gib Wolfgang doch jetzt einfach 2 Euro. Alleine schon deswegen, dass er dich gerettet hat vor deiner 50 Euro Strafe.“ Doch Wolfgang steht bereits an der S-Bahn-Tür und wartet darauf, dass die Bahn an der Haltestelle Ostendstraße zum Stehen kommt. Grinsend beobachtet er das Schauspiel des Münzen suchenden Jünglings, bis er ihn mit dem Satz ‚Lass‘ gut sein, Bub! Ich war a amal jung. Da hat man ganz andere Sachen im Kopf.‘ erlöst. Spricht’s, die Türen gehen schrill piepend auf und er verschwindet Richtung Rolltreppen. „Da haben Sie jetzt aber Glück!“, kommentiert der Kontrolleur Helmut. „Was ich Ihnen nämlich noch verschwiegen hab: Eine Anzeige hätt’s auch noch für sie gehagelt. Vielleicht nehmen Sie sich nächstes Mal morgens mehr Zeit. Nur so als Tipp.“ Diesmal lacht der andere Kontrolleur. „Du Helmut, wollten wir nicht auch an der Ostendstraße raus?“, fragt der namenslose Kontrolleur seinen Kollegen Helmut. „Au ja! Jetzt aber schnell.“ Beide wackeln aus dem Zug. Der Jungspund greift zum Telefon. „Jan, du glaubst nicht, was mir gerade passiert ist!“
Verdammt! Ostendstraße! Hier müssen wir auch raus. Ich renne mit Kind und Rucksack aus der S-Bahn, gerade als die Türen anfangen sich piepsend zu schließen. Geschafft! Wir sind an der richtigen Station gerade noch so herausgesprungen.
Es ist Samstagnachmittag. Ein kleiner Haufen Kind liegt auf dem Sofa. Er ist in den ersten zehn Minuten seiner Zeichentrickserie eingeschlafen.
Vollkommen erschöpft fielen ihm die Augen zu. Ich kann ihn verstehen, denn es war wirklich aufregend im Zoo. Jetzt, mit 2,5 Jahren interessiert er sich für Gi-affe, Pinnuin und Zeb-a. Zugegeben, einen Kollateralschaden musste eine arme, zufällig vorbei flanierende Ziege verbuchen, was mir wiederum sehr Leid tat.
Als es passiert war, starrten die Ziege und ich uns entsetzt, um Fassung ringend, an. Hätte die Ziege sprechen können, sie hätte mit aufgeregt-zittriger Stimme “Das hat er nicht wirklich getan?!” gefiepst. Aber ja, mein Ableger hat das wirklich getan und der armen, zutraulichen Ziege kräftig in die kalt-feuchte Nase gekniffen. Und ja, das hätten wir beide nicht erwartet und es tat mir furchtbar Leid für die Ziege. Entschuldigend wollte ich sie am Bauch tätscheln, doch sie trabte beleidigt davon. Vermutlich brachte sie sich in Sicherheit vor dem neugierig kneifenden Menschenkind. Wer weiß auf welche Ideen Signorino noch gekommen wäre, wäre die Ziege stehen geblieben?
Zuvor, sonst hätte ich den Sohn gar nicht auf die Ziege losgelassen, tätschelte er eifrig andere Ziegen und machte „Wau!Wau!“. „Nein, nein.“, erklärten wir Eltern geduldig. „Das ist kein Hund. Das ist eine Ziege.“ Der Nachwuchs blieb beim „Wau!Wau!“, um schlussendlich das Tier mit “Ciao Ciao, Ziege!“ zu verabschieden. Irgendetwas blieb also doch hängen. Doch im Albanien-Urlaub vertiefen wir das Ziegen-Wissen noch etwas. Unser Lernziel wäre, dass der Nachwuchs weiß, dass es sehr untypisch für Ziegen ist, “Wau!Wau!” zu machen, sofern sie nicht von Hunden sozialisiert worden sind. Und selbst dann wäre es vermutlich eine erstaunliche Leistung seitens der Ziege.
Sehr gut haben uns übrigens die Seehunde gefallen, die der Römer und ich einstimmig für „foche”, oder auf Deutsch, „Robben“ hielten. Eifrig begann ich daheim den Unterschied zwischen Seehunden und Robben zu recherchieren und hörte bereits beim ersten Satz wieder auf „Alle Seehunde sind Robben, aber nicht alle Robben sind Seehunde.“ Puh! Das wirkte wie der Anfang einer Sachaufgabe. Ich beschloss, dass diese Wissenslücke ruhig ungestopft bleiben könne und tat es mit einem “Man muss auch nicht alles wissen!” ab. Für Signorino gab es nur eine Definition für dieses unter Wasser verkehrende Tier: Fiiiiesch (mit langem I). Auch nach mehrmaligem Erklären bzw. zweisprachig auf ihn einreden (Foche! Robbe! Sono foche, amore mio! Das ist eine Robbe, mein Schatz! Vedi?! Foche!), blieb er dabei: Es war ein Fiiiesch!
Ein Fiiiesch lt. Signorino. Im Video: Signorino erklärt etwas in seiner eigenen Sprache. 😄
Wir guckten noch bei den Okapis vorbei, bei einem Nilpferd, das Signorino als Stein bezeichnete und man ihm recht geben musste, denn das Tier lag mit dem Rücke zu uns vorm Wasserloch und bei aller Liebe: Es sah aus wie ein nasser Stein mit winzigen Stein-Ohren, die sich ab und an bewegten.
Die Erdmännchen verpassten wir diesmal, aber dafür guckten wir noch bei Gi-affe (das Kind kann kein R aussprechen) und Zeb-a (das R-Problem, wie gesagt) vorbei. Danach stärkten wir uns in der prallen Sonne mit den gesunden Klassikern der regionalen Küche: Chicken Nuggets und Pommes. So großzügig der Gatte auch beim Verteilen der Portionen war, so sparsam war er beim Ketchup. Einen Fingerhut voll Ketchup pumpte er aus einem großen Spender auf jede Portion Pommes und balancierte damit zu unserem Tisch. Daran erkennt man sie wohl, die kulturellen Unterschiede. Meine Pommes tragen normalerweise eine ordentliche Portion Ketchup auf dem Pommeshaupt. So viel, dass die direkt darunter verschütteten Pommes gar nicht mehr vor der Ketchup-Lawine zu retten sind und falls doch, nur mit einem Piekser gegessen werden können. Die römische Ketchup-Ration ist ein fingernagelgroßer Klecks, der einen irritiert fragen lässt, ob das Ketchup im Spender leer war. „Ma che! Era pieno! [Ach was! Es war voll!]“, sprach der Gatte und kaute auf einer nackten Pommes herum. Kurz überlegte ich, ob ich nochmal zur Ketchupquelle gehen sollte, aber ich arrangierte mich mit der verschwindend geringen Menge. Sparsam teilte ich sie mir ein, so dass ich fast ein Drittel der Pommes mit leicht benetzter Ketchup-Schicht essen konnte.
Dem Sohn war dieser Umstand schlichtweg egal. So gerne er ungesunde Lebensmittel wie Süßigkeiten und Eis in rauen Mengen isst, so sehr widert ihn Fruchtsaft und Ketchup an. Ein gesunder Ausgleich, wenn Sie so wollen, oder einfach nur sein römisch-albanisches Erbgut, das keinen Bedarf für Ketchup (und Fruchtsäfte) sieht. So aß er viele, nackte Pommes und probierte die Chicken Nuggets, die er „Bäh!“ fand. Obwohl wir neben dem Eisstand saßen, fragte er dennoch kein einziges Mal “…oder Eis?”, was wir durchaus als Erfolg verbuchten.
Satt und glücklich guckten wir noch zum Bären. Neben dem Gehege stand eine lebensgroß nachgebildete Figur aus Plastik, mit der man sich fotografieren lassen konnte. Fälschlicherweise hielt ich diese freundliche Bärenfigur für einen Waschbären und habe nun, auch nach den irritierenden Blicken des Römers, den Beweis dafür, meine Sehstärke nächste Woche überprüfen zu lassen.
Ein echter Bär im Gehege. Und ganz sicher kein Waschbär. 😉
Es war ein sehr schöner Tag mit all dem Frankfurter Getier. Doch das Spannendste war für Signorino die Straßenbahn, die am Zoo vorbeifuhr. Würde das arme Kind nie Straßenbahn fahren dürfen, ich würde es verstehen. Aber wir fahren mindestens drei Mal die Woche Straßenbahn und drei Mal die Woche S-Bahn. Man möchte meinen, irgendwann wäre das Kind gesättigt vor lauter Straßenbahnfahrten. Aber dem war nicht so!
Zum Abschluss fuhren wir noch zwei Stationen mit der Straßenbahn und das war definitiv das Highlight des heutigen Tages für das Kind.
Haben Sie ein tierisch-feines Wochenende mit hoffentlich genug Ketchup zu Ihren Pommes!
“Frankfurt, c’est moi!”, scheint das absolutistische Motto des Frankfurter Königs Oberbürgermeisters Peter Feldmann zu sein. Und obwohl ihn die wenigsten im Amt haben wollen, mutet es an, dass er gekommen ist, um zu bleiben. So wurde am 01.06.2022 ein Antrag gem. § 17 (3) GOS mit der Nummer 408 von den Grünen, der SPD, FDP und der Partei Volt vorgelegt. Dort ist vermerkt, dass der Oberbürgermeister Peter Feldmann kein weiteres Vertrauen mehr für die weitere Amtsausführung genießt. Als Begründung wird unter anderem der AWO-Skandal und sein Fehlverhalten der letzten Wochen genannt. Weiter steht im Antrag geschrieben, dass Peter Feldmann „offenkundig nicht in der Lage ist sein Amt weiter angemessen auszuüben.“ Er wurde aufgefordert, sein Amt niederzulegen oder positiver formuliert „mit sofortiger Wirkung sein Amt zur Verfügung zu stellen“. Andernfalls werde man am 14. Juli 2022 mit der Einleitung des Abwahlverfahrens beginnen. (Quelle: ParlamentsInformationsSystem)
Doch wer ist Peter Feldmann überhaupt? 1958 in Niedersachsen geboren und aufgewachsen in Frankfurt-Bonames machte er sein Abitur an der Ernst-Reuter-Schule in Frankfurt. Nach dem Studium der Politologie und Sozialbetriebswirtschaft, wurde er Leiter der Stabstelle der Arbeiterwohlfahrt. 2012 wurde er als Nachfolger von Petra Roth ins Amt des Oberbürgermeisters gewählt. (Quelle: Magistrat Frankfurt)
Mittlerweile ist er auch bei der Presse in Ungnade gefallen. Die Bild-Zeitung gab ihm beispielsweise die Spitznamen „Pattex-Peter“, da er an seinem Amt klebt wie der bekannte Kraftkleber oder auch, etwas uncharmanter, „Peinlich-Peter“.
„Peinlich-Peter“ (Quelle: Bild-Zeitung) machte unlängst seinem Spitznamen alle Ehre, als er im Flugzeug nach Sevilla eine Ansprache hielt, in der er, wie er dachte, einen lockeren Spruch zum Aufheizen in die hitzige Fußball-Fan-Menge abfeuerte. Die Flugbegleiterinnen wurden damit beschrieben, dass sie ihn „hormonell am Anfang erstmal außer Gefecht gesetzt haben“. Ein kecker Spruch, der sicher für einige Lacher in einer überfüllt-schwitzigen Fußballerumkleide gesorgt hätte. Jedoch war Peter Feldmann nicht in einer Fußballumkleide der Ü60 Gruppe eines hessischen Provinzvereins, sondern als oberster Frankfurter in seiner Rolle als OB in einem Flugzeug nach Sevilla. Der technische Fortschritt ist Fluch und Segen zugleich, wenn jede und jeder von uns zur/m Reporter:in wird und so landete der Clip in Blitzgeschwindigkeit im Internet, wo Feldmanns Kritiker:innen diesen dankend als gefundenes Fressen aufgriffen.
Auch die Bürger:innen Frankfurts wehren sich gegen OB Feldmann. Unlängst entdeckte ich diesen Aufkleber im gediegenen Frankfurter Westend.
Nun lernt man selbst in den einfachsten PR-Fibeln, dass es eine desaströse Strategie ist, sich bei einem von der Öffentlichkeit deklarierten Skandal, als Opfer der Umstände darzustellen und die Schuld für sein eigenes Fehlverhalten bei anderen zu suchen. Vielmehr kann man am Anfang eines Skandals das Ruder noch einmal herumreißen, in dem man als Sünder zu Kreuze kriecht und absolute Besserung gelobt. Irgendwann wird die Welle der Schmach schon absinken und man kann geschickt seine eigens dafür konzipierten „White-Washing-Strategien“ positionieren. Doch in diesem Fall möchte ich mir den Hinweis erlauben, dass ein mit einem Minimum an Restwürde gewählter, freiwilliger Abgang ein weitaus besserer Ausgangspunkt für die Zukunft Peter Feldmanns wäre als eine erzwungene Abwahl.
Oder wie der deutsche Politiker Haluk Yildiz dem Oberbürgermeister Peter Feldmann bei der gestrigen Stadtverordnetensitzung nahe legte: „Gehen Sie mit Gott, aber gehen Sie.“
„Ich muss mal raus aus der Stadt.“, sage ich zum Römer als Antwort auf den morgendlichen, ukrainischen Militärbericht. Er hätte sich eine andere Antwort gewünscht, das sehe ich anhand seines erstaunten Blickes. Seit Beginn des Krieges unterrichten wir uns, beinahe ohne Unterlass, über neue, grausige, schaurige, traurige Ereignisse, die wir der Presse entnehmen. Wir zeigen uns Bilder und leiden mit all den Familien, die ihre (erwachsenen) Kinder an den Krieg verloren haben oder zu verlieren drohen.
Der Römer klappt die Hülle des Tablets zu und unterbreitet mir den Vorschlag, mal wieder am Lungofiume, wie er das Frankfurter Mainufer seit jeher nennt, ein Ründchen zu drehen. „Ich ertrage heute keine Menschenmassen. Tut mir Leid! Ich brauche Bäume.“, wehre ich seinen Vorschlag ab. Zur Schweinheimer Düne, wie die Schwanheimer Düne für den Gatten heißt, möchte er nicht. „Wir streiten uns nur wieder bei der Autofahrt.“, erklärt er mir sein Schwanheimer Veto. „Dann fahren wir eben in den Stadtwald!“, schlage ich vor und setze nach, dass ich versuche bei seiner abenteuerlichen Navigation nicht dem Jähzorn zu verfallen. Vorsichtig nickt der Römer. Er sieht aus wie jemand, der einen Pakt mit dem Teufel schließt.
Natürlich verfahren wir uns auf dem Weg zum Neu-Isenburger Park&Ride Parkplatz. Doch diesmal bleibe ich ruhig. Wir haben keinen Termin. Notfalls landen wir eben woanders. Schlussendlich finden wir den Parkplatz und stapfen los. Weit kommen wir nicht, denn das Stadtkind ist ganz aus dem Häuschen bei dieser Vielfalt an Stöcken, klein und groß, und bei all den unzähligen, frei herumliegenden Blättern. Voller Freude lässt er sich am Wegesrand in die Blätter plumpsen und wühlt genüsslich mit beiden Händen durch das Blättermeer. Dann entdeckt er, dass es hier auch noch Steine gibt. Steine!! Er ist definitiv im Paradies angekommen. Soviel steht fest. Stein um Stein sammelt er, drückt sie mir in die Hände, wirft sich wieder ins Unterholz, stellt schockiert fest, dass Himbeerranken pieksen, weint aber nicht, sondern streichelt zur Beruhigung über grünes Moos. In 40 Minuten kommen wir etwa 70 Meter weit. Als ich versuche, das Kind weiterzuziehen, radeln Vorstädter an uns vorbei. „Ach lasse Se doch den kleine Bub! In der Stadt ham Se doch soviel Natur sicher ned.“, spricht ein grauer Panther, der nebst Gattin mühelos auf seinem E-Bike vorbeigleitet. Ich lächle.
„Wie hat der jetzt erkannt, dass ich Städter bin?“, frage ich den Römer. Er zuckt mit den Schultern. Fortan mustere ich die wenigen uns entgegenkommenden oder überholenden Radfahrer und die flotten Spaziergänger. Am Ende des Spaziergangs werfe ich nur ein Wort in die Stille des Waldes: „Gore-Tex!“ Der Römer guckt mich vollkommen entgeistert an und weiß nichts mit diesem Wort anzufangen. Wie auch? Es bahnte sich den Weg vollkommen ohne Zusammenhang. „Die Lösung ist Gore-Tex! Wir tragen keine Funktionskleidung und deswegen sind wir sofort als Städter auszumachen. Wer trägt schon Daunenjacken und Parker im Wald? Wer trägt Lederstiefel und Turnschuhe? Eben! Niemand. Nur Leute aus der Stadt.“, erkläre ich dem römischen Gatten. Dieser wundert sich schon längt nicht mehr über meine Gedankengänge. „Deswegen bist du immer so verspannt! Weil du dir viel zu viele Gedanken machst. Du zerdenkst selbst den Waldspaziergang.“, stellt dieser belustigt fest. Ich ignoriere diesen Satz großzügig, weiß ich doch, dass er absolut recht hat mit seiner Aussage. „UND….“, ergänze ich hochtragend. „Wir haben keinen Fahrradanhänger als Kindewagen für Signorino. Auch das outet uns als Städter. Wir fahren…“, ich dämpfe meine Stimme. „Buggy!!“ Der Römer übergeht meine Erkenntnis und bietet dem Sohn einen Quetschie an. Nach einer Weile, er stellt sich gerade die Sitzheizung des Beifahrersitzes kuschelig warm auf die Maximal-Stufe ein, lässt er sich zu einer Aussage hinreißen: „Wir sind doch auch Städter, die im Stadtwald spazieren gehen. Ich sehe daran nichts Verwerfliches. Nächste Woche möchte ich wieder kommen. Hier ist’s echt schön.“ Ich nicke, während ich rückwärts ausparke und unser Auto bereits anfängt, nervös zu piepen, während das Auto hinter mir noch meilenweit entfernt steht. „Vielleicht sollten wir doch mal über Gore-Tex Uniformen nachdenken?“, frage ich lachend. „Anche no! [Nie im Leben!] Du wirst mich zu Lebzeiten weder in Funktionskleidung, noch in albanischer Tracht* sehen.“, bemerkt der Gatte sehr ernst. „Bei der letzten Option wäre ich mir nicht so sicher.“, grinse ich und fahre unsere Direktorenkutsche auf die Bundesstraße Richtung Stadtzentrum.
*Besonders bei albanischen Hochzeiten gibt es einen Programmpunkt, in dem die römische Familie es sehr genießt, sich in albanischer Tracht zu zeigen. Es ist der Moment, in dem der Bräutigam die Braut in ihrem Elternhaus abholt. Nur der Römer weigert sich vehement, sich in diese Tracht zu werfen. Meist sind auf Fotos dieses Ereignisses sehr viele albanische Verwandte in der typischen Tracht zu sehen und am Rand ein Herr mit Sonnenbrille und italienischem Maßanzug. Das ist mein Mann.
Sie erinnern sich an Parkwächter Krause? Heute folgt Episode 2 meines neuen Lieblingsnachbarn, die sich am Anfang dieser Woche zutrug.
Rasch fahre ich in den Innenhof und lasse das Auto gemütlich auf den letzten Metern in die Parklücke rollen. Signorino sitzt, ein Stück Brezel kauend, auf der Rücksitzbank in seinem Kindersitz. Seine dunkelblaue Mütze liegt auf seinem Schoß. Er muss sie wohl während der wilden Heimfahrt von der Kita ausgezogen haben. Gleich wollen wir einkaufen gehen. Davor winkt eine richtige Brotzeit und nicht nur eine schnelle Brezel im Fond des Autos.
Ich stelle den Motor ab. Mein Blick streift die Mülltonnen linkerhand. Etwas schwarz-weißes steht dort. Ich gucke noch einmal genauer hin: Ja, kein Zweifel – es ist Parkwächter Krause in seinem Ringelshirt. Ich trinke noch einen Schluck Wasser, nehme meine Handtasche vom Beifahrersitz und öffne die Tür. Flott steige ich aus, blicke zu ihm, doch er starrt verwundert und kopfschüttelnd auf den geteerten Boden des Mülltonnen-Eckes im Innenhof. Ich murmle ein leicht zu überhörendes „Hallo“. Dann gehe ich zum Kofferraum, um den Kinderwagen herauszuheben. Plötzlich ertönt seine Stimme aus dem nichts.
[Lesehinweis: Diesmal habe ich es etwas hessischer geschrieben, denn so babbelt (=redet) Parkwächter Krause nunmal. Da mein Hessisch wahrlich kein Juwel ist, sehen Sie es mir nach, wenn ich es falsch wiedergegeben habe.]
Parkwächter Krause [PK]: „Entschuldigen Sie, wisse Sie, wer hier nasse Kaiserbrötche im Innehof verteilt hat?“
Ich: „Äh…nein. Das ist ja seltsam. Wer macht denn sowas?“
PK: „Des weiß ich ebbe net. Deswegen frag‘ ich Sie, weil viellecht wisse Sie des.“
Ich: „Nein, tut mir Leid. Da muss ich passen. Seltsam!“
PK: „Seltsam… und gfährlich! Wisse Sie, was passiert, wenn hier nasse Brötche verteilt werde?“
Ich: „Ähm… das ruft sicher allerhand Getier auf den Plan!“
PK [hält, mir recht gebend, die geöffneten Handfläche nach oben, parallel zum Boden]: „Ebe! Getier und besonders Ratten. Wisse Sie, was passiert, wenn Sie so a gwöhnliche Stadttaube in Frankfurt füttern? Ham’Sie des amal gmacht?“
Ich: „Nein…auch hier muss ich passen. Eine gewöhnliche Stadttaube habe ich in Frankfurt noch nie gefüttert.“
PK: „Besser so! Denn jetzt sag ich Ihne, was da passiert, wenn Sie des mache. 800 EURO! 800 Euro zahle Sie, wenn Sie a Stadttaube in Frankfurt füttern und des Ordnungsamt Sie erwischt.“
Ich: „Puh… aber das macht man ja nicht, eine gewöhnliche Stadttaube zu füttern. Leute gibt‘s…“
PK: „Des sage Sie jetzt. Wir sin ja alle vernünftige Leud! Aber es gibt Leud, des könne Sie sich gar net vorstelle.“
Ich nicke ernst und klappe den Kinderwagen vollständig auf. Signorino scheint noch guter Laune zu sein, während er wartet, dass ich das Gespräch mit unserem Parkwächter Krause beende.
PK: „Wisse Sie, was passiert, wenn hier Ratte sin?“
Ich: „Ähm…die kriegen wir vermutlich nur schwer los?“
PK: „Richtich! Nie wieder kriege Sie die los! Und jetzt sag ich Ihne was, aber entschuldige Se vorab. Ich sag des jetzt ganz direkt auf Altdeutsch. Ganz direkt auf Altdeutsch sag ich Ihne des jetzt. Sie sin‘ ja a Dame – aber ich sag’s einfach frei raus: DIE RATTE HÄMMERN WIE VERRÜCKT!! Heute ham Sie 10 – morge 100 von de Biester.“
Ich (unterdrücke ein Lachen, da das Thema durchaus ernst ist): „Ja…die kriegen Sie nie wieder los. Ich bin auf dem Land aufgewachsen… wir hatten mal Ratten. Das sind schlaue Tiere. Mit allen Tricks arbeiten die. Mit allen!“
PK (nickt zustimmend und zufrieden): „Als kleiner Stift bin ich in da Rhön aufgwachse. Auffä Bauernhof. Wir vom Land verstehe des. Aber sage Se des amal de Frankfurter Stadtfutzis. Is ja lieb gmeint mit de nasse Brötche – aber danach habe wir ehrliche Leut die Arbeit. Sie verstehe mich da. [Ich nicke] Aber eines sage ich Ihne: Wir komme de Brötchen-Fütterer scho auffä Schlich!“
Ich (sehr ernst): „Ja, ich werde definitiv ein Auge darauf haben.“
PK: „Sehr gud! Jetzt will ich Sie nimma länger aufhalte. Sie haben ja Ihren Stift [Signorino] noch in Ihrer Kutsch. Bis dahin – isch mach weidda!“
„Was soll man machen?“ steht auf dieser Wand am Mainufer. Gute Frage! m
Täglich gehe ich vier Mal an der Wahlwerbung einer deutschen Partei vorbei und jeden Tag denke ich bei dem Spruch „Nie gab es mehr zu tun.“ an unseren Umzug und muss schmunzeln. Deswegen habe ich mir erlaubt, das Plakat etwas umzugestalten. Doch sehen Sie selbst: