Manchmal verstehe ich die Welt nicht mehr. So wie gestern, als ich folgende Geschichte in einem Babyforum laß:
„Ich möchte nicht, dass meine Schwiegermutter unser Baby anfasst oder gar küsst. Das habe ich meinem Mann auch ganz offen kommuniziert. Es ist ihr erstes Enkelkind, aber ich möchte es trotzdem nicht. Daraufhin sagte er, dass dann aber keine „Oma“ das Kind anfassen bzw. küssen darf. Ja, klar. Gleiches Recht für alle! Aber, wenn mein Mann nicht da ist und ich allein mit meiner Mutter bin, darf sie natürlich unsere Tochter knuddeln und küssen. Mama bleibt schließlich Mama. Nur meinem Mann darf sie es nicht sagen. Und überhaupt: mit meiner Schwiegermutter habe ich eh kein gutes Verhältnis.“
Ohne die Vorgeschichte der Verfasserin bzw. das Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter zu kennen, tat es mir unheimlich Leid für die Schwiegermutter. Im Forum stimmten der Verfasserin 2/3 der anderen Mütter – unter lautem Gezeter über das eigene Schwiegermonster – zu.
Nur eine Mutter schrieb: „Ich habe drei Söhne. Ohne deine Vorgeschichte zu kennen, hoffe ich, dass keiner meiner Söhne jemals eine Partnerin wie dich anschleppt. Es bricht mir das Herz diese Geschichte zu lesen.“
Die Diskussionen gingen voran, es wurde lamentiert, dass die Schwiegermütter sich gar nicht für die Enkelkinder interessierten und distanziert wären usw. usw..
Mich machte die Geschichte unendlich traurig. Sowohl meine, als auch des Römers Eltern leben mehrere hundert bzw. tausend Kilometer entfernt. Sie können nicht mal eben vorbeikommen. So lernen meine Eltern ihren Enkel Ende Januar (frühestens!) kennen – falls mein Vater reisefähig sein sollte – was wir alle sehr hoffen. Die Eltern des Römers lernen ihren Enkel im März kennen, wenn unser Bambino einigermaßen flugfähig ist und ein Immunsystem hat, dass es ihm erlaubt, den zwei Stunden Flug zu überstehen.
Ich wäre unendlich dankbar, wenn meine Eltern bzw. Schwiegereltern unser Bambino, sobald es da ist, sofort kennen lernen könnten. Seit Monaten fiebern sie auf den Geburtstermin hin, OBWOHL sie schon mehrere Enkel haben. (Das war auch ein Argument – die Schwiegermutter würde sich nicht interessieren, WEIL sie schon so viele Enkelkinder hat) Aber jedes neue Enkelkind ist ein Geschenk für unsere Eltern. Und wir? Wir können es kaum erwarten die glücklichen Gesichter unserer (Schwieger-)Eltern zu sehen. Küssen verboten? Bitte nicht! Es gibt nichts schöneres als Liebe: Die Liebe in der Familie, die Liebe zwischen Großeltern und Enkel, zwischen Geschwistern, Kindern und Eltern. Was wären wir ohne die Liebe?
Selbst meine Schwester Ova, die wahrlich kein großer Fan ihrer slawisch-dickköpfigen Schwiegermutter Sveta ist, schmilzt dahin, wenn sie die Kleinen knuddelt, ihnen bulgarische Geschichten vorliest oder sie ins Bett bringt.
Als ich dem Römer, der nochmal einen deutlich ausgeprägteren Familiensinn hat als ich, davon erzählte, kam nur ein: „Mazza, che persona di merda!“ [Wahnsinn, was für eine sche** Person] aus ihm raus. „Imagina quanto fa male alla nonna di non avere un rapporto col nipote.“ [Stell dir vor wie weh es der Oma tun muss, wenn sie keine Beziehung zum Enkel aufbauen kann.]
Dann wurde er still und sagte nach ein paar Minuten: „Sono molto felice di averti trovato. [Ich bin sehr glücklich dich gefunden zu haben] Du liebst meine Mutter und meine Mutter liebt dich, aber was noch viel wichtiger ist: Selbst wenn es nicht so wäre, dann wüsste ich, dass du meinen Eltern nie das Enkelkind vorenthalten würdest.“
Wenn ich zurück an meine Großeltern, besonders an meinen Opa, denke, dann kommen mir die Tränen. Ein so großartiger Mensch, ein Schlitzohr, dass mich förmlich mit Liebe überschüttete. Liebe in Form von Milchreis mit extra für mich gekauften Marmeladenherzen. Liebe in Form von warmen Kakao, wenn es draußen stürmt. Liebe in Form von „mich überall hin mitnehmen“. Liebe in Form von Ausflügen in den Zoo. Liebe in Form von Aufmerksamkeit. Liebe in Form von warmen Umarmungen. Liebe in Form von Begrüßungsküsschen. Und Liebe in Form von schrumpliger Hand mit dem eingewachsenen Granatsplitter aus dem Krieg auf warmer, klebriger Kinderhand.
Ich wünsche jedem Kind, dass es so wunderbare Großeltern haben wird wie es bei mir der Fall war. Und ich wünsche jedem Elternteil, dass es seinen Schwiegereltern nicht verwehrt, das Enkelkind zu sehen, zu umarmen und auch mal ein Küsschen zu geben. Denn die wirklich wichtigen Dinge im Leben habe ich u.a. von meinem Opa gelernt. Mein wunderbarer, loyaler, spitzbübischer Opa.
