Sonntage mit römischem Husky

Sonntage mit römischem Husky

Sonntage sind herausfordernd. Das liegt hauptsächlich an einer gewissen kulturellen, oder, wenn Sie es etwas enger fassen wollen, persönlichen Diskrepanz zwischen dem Römer und mir.

Für mich zeichnen sich Sonntage dadurch aus, dass sie langsam anrollen. Ähnlich eines sanften, karibischen Meeresrauschen nähern sich die flachen Wellen und ziehen sich langsam, fast unbemerkt, wieder zurück, bevor sie gemächlich wieder anrollen und versuchen, den feinsandigen Strand empor zu krabbeln. Allein ihnen fehlt die Kraft. So wie mir. Denn nichts muss, alles kann an diesem Ruhetag. Doch können möchte ich an diesem Tag so gut wie nichts. Vermutlich deswegen besteht meine Garderobe an Sonntagen aus weichen, unförmigen, seltsam verwaschenen Stoffbahnen, die meinen trägen Körper sanft umspielen. Eben so wie die Wellen der Karibik den Strand umspülen. Nichts engt ein, nichts wird mit Reißverschlüssen, Haken und Knöpfen an Stellen gehalten, die mein Körper aus eigenem Antrieb gar nicht erreichen könnte. Ganz im Gegenteil! Ein paar elastische Nähte, ein Stoffband, das meine Jogginghose daran hindert von meiner Hüfte zu rutschen und ein Paar beige Kuschelsocken, die dank der 4% Elasthan nicht einschneiden und sich gleichzeitig nicht von alleine abstreifen. Auch mein Haaransatz muss sich an diesem Tag seinem Schicksal fügen. Bevor die frühen Abendstunden anbrechen, muss er eben schauen, wie er mit der nicht weniger werdenden Talgproduktion zurecht kommt. Danach erlöse ich ihn gerne mit einer sanften Dusche, die mich in eine Wolke aus Mandelduft und Vanille einlullt.

Aber ganz im Vertrauen: Meiner Meinung nach, sind Sonntage Tage, die die Bademantel- und Pyjama-Lobby erfunden hat. Da bin ich mir recht sicher! Loungewear-Tage, wenn sie das neue Wort benutzen möchten, das kurz vor der Corona-Pandemie werbeträchtig herausgestampft wurde. Und ja, Loungewear klingt soviel eleganter als „Schlabber- und Gammellook“. Ich loungeweare mich also durch den Morgen, lese etwas, stöbere in Ihren Blogs und meinen Entwürfen. Dann schlappe ich in die Küche, wobei Sie das verwendete Verb schlappen wortwörtlich nehmen dürfen. Meine Kuschelsocken-Füße stecken in furchtbar unansehnlichen Schlappen. Ausgeblichenes Pistaziengrün mit weißen Schneeflocken. Urgemütlich, aber, wie beschrieben, auch verboten hässlich. Dazu liegen im Tiefkühlfach bereits die Aufback-Croissants bereit und warten seit dem Wocheneinkauf auf ihren Einsatz. Ich platziere sie auf einem Backblech und schiebe sie in den Ofen. Danach rühre ich im Topf etwas Milch mit Haferflocken zusammen und erhitze den Brei, so dass sich der Kleinste der Familie gleich über sein „Potschi“ (Porridge) freuen kann. Währenddessen setze ich das Teewasser auf. Der Haferbrei wirft träge Blasen, die ebenso träge wieder verschwinden. Mein Blick schweift aus dem Küchenfenster zum Frankfurter Messeturm, der heute gar nicht erst versucht dem hiesigen Hochnebel zu trotzen. Wozu auch? Es ist Sonntag. Keiner wird ihn heute vermissen.

Geräusche nähern sich. Der Römer quatscht mit Signorino, der wiederum etwas nölig antwortet. Es wirkt fast so als würde er nach mir kommen und sich erst langsam in den Sonntag hineinfühlen wollen. Doch dem Römer scheint das egal zu sein. All die unausgesprochenen Worte, die sich im Schlaf scheinbar angestaut haben, will er jetzt, an diesem Sonntagmorgen mit aufgeregten Erzählungen, Spiel und Spaß loswerden als ginge es um sein Leben. Als das Farniente’sche Duo in der Küche ankommt, interpretiere ich eine gewisse Genervtheit in den Signorino’schen Blick hinein. Die Geste, seine Arme hilfesuchend nach mir ausstreckend, untermauert meine Vermutung. Ich nehme ihn auf den Arm. Müde lehnt er seinen Kopf an meinen Hals und betrachtet den Brei, der immer noch gemächlich Blasen wirft. „Che mangiamo? [Was essen wir?]“, durchbricht der Römer diesen innigen Moment zwischen Signorino, dem Haferbrei und mir. Bevor ich überhaupt eine Antwort zu formulieren vermag, hat er die Croissants im Backofen entdeckt und informiert mich ausgiebig darüber, wie schade es ist, dass wir in Deutschland noch keinen Lieferanten für italienische Brioche gefunden haben. Ich nicke und hoffe, dass dieser Redeschwall sich nicht durch den ganzen Sonntag zieht. Kurz denke ich über Noise-Cancelling-Kopfhörer nach, die vermutlich eigens für Morgenmuffel wie mich erfunden worden sind. Doch dann verwerfe ich den Gedanken wieder. Der römische Gatte würde es wohl falsch auffassen und beleidigt sein, wenn wir ihm mit Kopfhörern begegnen würden. Aber was versteht schon ein Morgenmensch von den Bedürfnissen zweier Morgenmuffel?

Irgendetwas sucht der Gatte jetzt. Dazu raschelt und klirrt er in einer Tour. Bei seinen Monologen, die er voller Energie in diesen frühen Sonntagmorgen spricht, gleitet er mühelos von dem Thema Frühstückscroissants zu dem französischen Präsidenten Macron, bis hin zu dem neu eröffneten französischen Café ums Eck, das seiner Meinung nach ausgezeichnete Macarons haben muss, um schließlich darüber zu referieren, dass jetzt die hässlichste Phase des Winters gekommen ist, denn schließlich sind die warmweißen Weihnachtslichter in den Fenstern und in der Stadt bereits verschwunden. Geblieben ist nur noch eine matschbraune Pampe, durch die wir morgens zur S-Bahn stiefeln, Streusplitt und seelenlose Fenster, die stumm auf unsere Allee starren.

Mein Gehirn, das wahrlich noch nicht aufnahmebereit ist, kreiert einen ebenso matschbraunen Sprachbrei aus all seinen Worten, Annahmen und Informationen. Am Ende wundere ich mich, dass der französische Präsident in unserer Nähe ein Café aufgemacht hat und dort matschbraune Macarons und Streusplitt aus seelenlosen Fenstern verkauft. Es wirkt wie ein Albtraum, aus dem man schnell erwachen möchte. „Mein Italienisch ist wohl doch nicht so gut wie ich dachte.“, rede ich mir ein. Signorino haut sich indessen mit der flachen Hand gegen den Kopf und sagt „Au!Au!“. Ja, dieser Wortschwall macht auch in meinem Kopf „Au!Au!“. Leise flüstere ich „Signorino, nicht schlagen! Das tut doch weh.“. Er grinst und fragt nach „Potschi ?[Porridge?]“. Ich fülle es behutsam auf einen Teller und verteile es mit dem Kinderlöffel so, dass es schnell abkühlt und sich der Nachwuchs nicht daran verbrennt. Der Römer ist derweil schon wieder irgendwo in der Wohnung unterwegs, räumt etwas um oder auf, redet dabei mit sich oder mit uns (so genau kann ich das nicht deuten) und verkörpert das Image eines laut plappernden, temperamentvollen und fröhlichen Italieners am Hafen von Ostia. Jede deutsche Marketingagentur würde sich einen solchen Werbeträger für eine italienische Dolce-Vita-Kampagne sehnlichst wünschen. Nur leider sind Signorino und ich keine Marketingagentur und wenn, dann würden wir heute Früh nur gemächliche Ayurveda-Reisen bewerben.

Langsam schlürfe ich zum Esstisch und stelle den Haferbrei ab. Signorino klettert auf seinen Stuhl. Dann setzt er sich plumpsend. Während ich pustend etwas nachhelfe, dass der Haferbrei erkaltet, schlägt unvermittelt die römische Sonntagsfrage in unser Szenario ein. „Quando usciamo? [Wann gehen wir raus?]“, will der Römer wissen und betrachtet uns erwartungsvoll, ähnlich eines sibirischen Huskys, der endlich, endlich vor die Tür will. Ich seufze leise in mich hinein. Signorino spuckt das Porridge aus. Jeden Sonntag die gleiche Frage im Hause Farniente. Es verwundert, dass ihm noch keine Husky’sche Sichelrute gewachsen ist, die er freudig wedelnd hin- und herwerfen kann. Ja, so ein Römer braucht eben Action, Lebensfreude und Bewegung. Aber das sagt einem auch keiner vorher. Das schlimmste daran ist aber, dass wir ihm all das nicht bieten können. Es ist Sonntagmorgen. Wir sind Stubenhocker und leben dies exzessiv an diesem Wochentag aus. Meine Gedanken schweifen ab – in die Vergangenheit. Ich erinnere mich an unsere ersten, gemeinsamen Sonntage vor Jahren in Rom. „Mein Gott, war ich belastbar.“, denke ich noch und sehe die Szenen in vollem Umfang vor meinem geistigen Auge:

Rom, 2015. Es ist 09:45 Uhr an einem Sonntag. Der Römer treibt zur Eile, schließlich sei das enge, römische Zeitfenster kurz davor sich zu schließen. Denn nur in diesem besagten Zeitfenster hätte man in den römischen Bars [Cafés] noch die volle Auswahl an duftenden Croissants mit verschiedenen Füllungen. Wer danach komme, den beißen die Hunde. Denn dann wären nur noch cornetti con crema pasticcera, Croissants mit einer Art Vanillecreme, vorrätig. Und wer würde diese schon freiwillig essen wollen? Nichts anderes als Ladenhüter sein diese, erklärt mir der Römer. Ich murmele ein leises „Ich mag Vanillecreme“ auf seine rhetorische Frage und will mich noch einmal im Bett umdrehen. Doch zu spät. Der Römer steht bereits mit weißem T-Shirt, dunkler Lederjacke, dunkler Sonnenbrille und perfekt gestyltem Haar vor mir. Er scheint es ernst zu meinen. Ich quäle mich aus dem Bett, werfe mir meinen Leo-Pulli über, binde die Haare zu einem hohen Pferdeschwanz und springe in die verwaschene Jeans. Nein, Botticellis Venus bin ich heute wahrlich nicht. Vielmehr habe ich eine gewisse Ähnlichkeit mit Charlize Theron im Film Monster*. Nur muss ich nicht betonen, wie Charlize Theron damals in einem ihrer Presse-Interviews, dass ich für diesen abgekämpften Look stundenlang in der Maske saß. Bei mir reicht es vollkommen aus, wenn man mich unsanft aus dem Bett sprengt und beim Zähneputzen ungeduldig zur Eile antreibt. Dabei brauche ich Ihnen vermutlich nicht zu erklären, wie ich mich zwischen all diesen top gestylten, römischen Diven im Café fühlte. Immerhin, ich hatte ein cornetto integrale al miele [Vollkorncroissant mit Honig-Füllung] vor mir stehen und blinzelte in die Vormittagssonne. Doch, unter uns, ein schnelles Vanille-Croissant um 11:30 Uhr wäre für mich vollkommen ausreichend gewesen.

Die Jahre vergingen, der Römer zog nach Deutschland und so manch liebgewonnene Sitte veränderte sich. Außer die eben beschriebene. Jeden Sonntag mutierte der Römer wieder und wieder zum hechelnden Husky, der sofort und unbedingt an die frische Luft musste, um noch rechtzeitig vor 10:15 Uhr seinen ersten Cappuccino in einem Café zu trinken. Irgendwann ging ich genervt dazu über, dass ich sonntags grundsätzlich nicht daheim war. Dank meines Arbeitgebers konnte ich die Flüge so legen, dass ich – leider, leider- immer an diesem Tag arbeiten musste. Der Teufel ist ein Eichhörnchen.

Dann kam Signorino und danach das Coronavirus. Auch hier waren meinem römischen Husky die Pfoten gebunden. Langsam schlich sich sogar eine gewisse Sonntagslethargie bei ihm ein. Es war ein angenehmes, sonntägliches Miteinander. Doch dann, der Umzug im Herbst 2021 war gerade durchgestanden, knisterte und kribbelte es wieder in den römischen Synapsen. Der Husky in meinem Mann erwachte, was vermutlich auch daran lag, dass wir plötzlich unzählige Cafés in nächster Nähe zum neuen Wohnort hatten, die bereits in den frühen Morgenstunden geöffnet hatten. Noch dazu ist das italienische Lieblingscafé nun mit einem straffen 30 Minuten Marsch zu erreichen.

Signorino und ich müssen da jetzt irgendwie durch. Letzte Woche beispielsweise wurde Signorino vom Römer aus seinem Schlafsack gesprengt wie ich damals aus dem römischen Bett im Stadtteil Testaccio. Der kleine Mann nörgelte und maulte, aber es half nichts. Ich hingegen wollte noch in Ruhe ein Paar Winterstiefel für den Sohnemann kaufen. Gelassen suchte ich im Internet nach einem Rabattcode, bemerkte dann, dass ich meine Treuepunkte eintauschen konnte und konvertierte diese Punkte vollkonzentriert in einen Gutschein. Das ging dem Römer nicht schnell genug. „Quanto ti dura? [Wie lange dauert es noch?]“, wollte der Gatte wissen. „Gleich!“, antwortete ich wie ein genervter Teenager. „Sag mir doch eine Zeitangabe an.“, fuhr der Römer unruhig fort und zog dem motzenden Signorino die abgenutzten Winterschuhe an. „Keine Ahnung….15 Minuten.“, murmelte ich und gab den Gutscheincode ein. „Okay…also um 11:20 Uhr bist du fertig, kann man sagen?“, nagelte mich der Römer mit meinem flapsig dahingesagten Satz fest. „Öhm…ja…vielleicht eher 11:25 Uhr oder 11:30 Uhr?“, versuchte ich sein strenges Zeitplan-Korsette zu lockern. „Deciditi! [Entscheide dich!)“, knurrte der Römer genervt und streifte dem wehrlosen Signorino den Schlauchschal mit den roten Dinos über. „Ja… 20 Minuten so in etwa.“, antwortete ich genervt. Wenigstens an Sonntagen wollte ich mich keinem straffen Zeitplan unterwerfen. An allen anderen Tagen hatte ich keine Wahl, schließlich waren sie bestimmt von Arbeitszeiten, Kitabring- und -abholzeiten, Terminen und Fahrplänen. „Okay. Alle 11:25 [Um 11:25]. Dir bleiben noch 17 Minuten.“, erklärte mir der Römer ungeduldig und Signorino hatte bereits seine Mütze auf. Mit großen, traurigen Augen guckte mich mein Sonntagskind an. Nein, auch er hatte keine Lust. Viel lieber würde er Bausteine in einem Spielzeugtopf kochen. Ganz in Ruhe. Eben ohne, dass ihn jemand zur Eile antrieb.

Ich hastete ins Bad, band meine strähnigen Haare zu einem Dutt, schlüpfte in meinen Leo-Pulli, stolperte fast wieder rückwärts aus der Jeans, weil ich das Gleichgewicht in all der Eile verlor, deodorierte mich und streifte mir die Kuschelsocken ab, da ich damit unmöglich in meine Winterstiefel passte. „Tschüss! Vielleicht sehen wir uns nachher.“, flüsterte ich meinen wollenen Sonntagsfreunden hoffnungsvoll zu. „Solo per non perdere l’obiettivo: Ti rimangono 5 minuti. [Nur, um das Wesentliche nicht zu vergessen: Die hast noch 5 Minuten.]“, rief mir der Römer zwischendurch zu. Ich kaschierte meine Augenschatten mithilfe eines Abdeckstiftes. Als ich Richtung Flur ging, das Kind war bereits in seine Daunenjacke gepresst, hielt mir der Römer eine weiße Maske entgegen. „Hier! Nicht, dass du die Maske vergisst.“, sicherte sich der Gatte auch gegen diese Imponderabilie ab. Ich steckte sie widerwillig in meine Manteltasche. Das Kind wurde in den Buggy gehievt und versuchte, als letzten Protest, seine Mütze vom Kopf zu ziehen. Es gelang halbwegs. Dann schritt der Römer ein. Wir nahmen den Aufzug und standen um 11:32 Uhr auf der Straße. „Puh! Ganz schön kalt.“, stellte der Römer fest. Für einen Tag Anfang Januar empfand ich die Temperaturen als durchaus erträglich. Wir gingen Richtung italienisches Lieblingscafé. Ich zog die Wintermütze etwas weiter in die Stirn. Nach etwas mehr als 500 Metern bemerkte der Römer wieder, dass es „echt kalt“ sei. Ich nickte. „Sollen wir nicht lieber umdrehen?“, fragte die römische Frostbeule. Es war 11:39 Uhr. „Nein!“, maulte ich. „Aber es ist sooo kalt!“, bettelte der Römer. „Du wolltest raus und hast uns alle aus unseren gemütlichen Sonntagsuniformen herausgesprengt. Jetzt laufen wir eben zu deiner Lieblingsbar. Los!“, herrschte ich ihn genervt an. „Aber vielleicht biegen wir hier links ab und statten dem neuen, französischen Café einen Besuch ab? Das Brixia* [die römische Lieblingsbar] ist echt weit weg. 30 minuti a piedi! [30 Minuten zu Fuß!]“, schlug der Römer vor. „Oooookay.“, erbarmte ich mich und witterte meine Chance: „Aber nächsten Sonntag bleiben Signorino und ich daheim. Allerhöchstens können wir einen Nachmittagsspaziergang machen – wenn das Wetter mitspielt.“ Der Römer nickte und bibberte in seinem schwarzen Kaschmirmantel. Den dunkelgrauen Schal zog er noch ein bisschen fester um den Hals, die Mütze noch ein bisschen tiefer.

Zu unserem Glück änderten wir den Plan und gingen zum französischen Café, das fantastische Schokotörtchen vorweisen konnte. Denn wären wir zur römischen Lieblingsbar gegangen, hätte uns das Schild „Chiuso per ferie – Geschlossen wegen Urlaub“ erwartet. So ging nochmal alles gut!

In diesem Sinne: Haben Sie einen wundervollen, ruhigen Restsonntag!

*Werbung, unbezahlt und unbeauftragt

Traummann mit Macken

„Bitte jammern Sie leise!“ möchte ich der jungen, blonden Dame im Bürgeramt (= KVR, Bürgerbüro, Gemeinde; jeder Ort hat einen anderen Namen) zuraunen, doch die Pausen, in denen sie Luft holt, sind rar gesät. Zu allem Überfluss ist meine Reaktionsfähigkeit durch akuten Schlafentzug auch noch stark verlangsamt. Eine ungute Kombination, wenn Sie mich fragen.

Schrecklich sei das alles, sagt sie und seufzt ein bemerkenswert bemitleidenswertes Seufzen. Und überhaupt, sie sei erst 29. Da wären andere schon verheiratet und hätten ein Kind.

„Ja, ich zum Beispiel.“, denke ich und möchte die Hand heben, „Rede weniger, reise mehr und irgendwann bleibt schon einer an dir kleben wie ein Insekt an einem gefräßigen Sonnentau. Er wird dein Klagelied über das Leben, die schreckliche Bowl mit den steinharten Falafel Bällchen und dem arroganten Kellner in der Taunusstraße schon ertragen.“ Ich erschrecke etwas über meinen unangebracht arroganten und zynischen Gedanken – doch schiebe es darauf, dass mein Gehirn im stickigen Bürgeramt mit Maskenpflicht nicht genug Sauerstoff bekommt.

Dennoch räuspere ich mich um ein passiv-aggressives Statement zu setzen. Mehr traue ich mich nicht. Doch sie bemerkt es eh nicht. Besser so, denn in Wahrheit bin ich genervt und fasziniert zugleich von dem, was sie da seit Minuten am Telefon von sich preisgibt.

Sie heißt Sofia und telefoniert mit ihrer Freundin Leonie. Das haben wir neugierigen Beihörer schon in den ersten Minuten ihres Telefonats klären können. Ihre Freundschaft zeichnet sich dadurch aus, dass Sofia sehr viel redet ohne Luft holen zu müssen, Leonie sie im Gegenzug dafür nicht unterbricht und ihr zustimmt… oder mit einem Ohr zuhörend ein Klatschmagazin liest. So genau konnte ich es noch nicht herausfinden.

Ihre Dates, sagt sie, seien überhaupt nicht mehr die selben. Schwierig sei das alles. Sie seufzt erneut und man fühlt sich bei jedem weiteren Seufzer dem Weltuntergang wieder ein Stückchen näher. Wäre sie doch nur bei Markus geblieben. Er war der Richtige: gut aussehend, ein Gentleman, ein paar Jährchen älter (aber nicht so alt, dass die Leute anfangen würden zu tuscheln), geschieden, hatte eine Firma. Schlichtweg ein Traummann!

Leider gab es da diesen Mangel, der ihr das Leben schwer machte.

„Sicher die Exfrau.“ mutmaße ich in meinen Gedanken. „Oder die Kinder, die sie nicht akzeptieren. Männer mit Altlasten – das ist sicher nicht so einfach. Moment! Hatte sie überhaupt etwas über Kinder gesagt? Ach, sicher hat Markus Kinder. Zumal, jemand, der….“

Doch meine Gedanken werden harsch unterbrochen, denn es ging weiter in ihrem Text. „Ja, Leonie. Er tut es immer noch!!! Ich weiß doch auch nicht wie ich es ansprechen soll, dass es mir unangenehm ist. Ich fühle mich einfach unwohl dabei!“ Sie seufzt wieder und ich will bereits mitseufzen, konzentriere mich aber lieber auf meine Wartenummer, die hoffentlich nie bei dieser interessanten Unterhaltung auf dem Bildschirm auftaucht.

Ja, es war nicht mehr zu leugnen: Ich brannte bereits lichterloh – aus Neugier, Faszination und zu langen Wartezeiten im städtischen Amt. Jede Telenovela würde ich in diesem Moment links liegen lassen um zu erfahren, was Markus‘ dunkles Geheimnis ist.

Glücklicherweise lies ihre Antwort nicht lange auf sich warten.

„Weißt du, ich bin ja keine 14 mehr. Natürlich bin ich aufgeklärt. Zumindest würde ich mich als aufgeklärte Person bezeichnen. Meine Eltern haben auch mit mir darüber geredet. Wir haben zwar nicht lang und breit darüber diskutiert, aber zumindest die grundsätzlichen Fragen wurden geklärt.“ erzählt sie weiter und strich sich eine blonde Strähne aus dem mutlosen Gesicht.

„Sicher Sadomaso! Das machen doch jetzt alle.“ denke ich und rolle mit den Augen. „Aber ja doch. Da suchst du nach einem Gentleman, alles scheint perfekt und dann sollst du ihn auspeitschen. Oder noch schlimmer: Er dich! Man kann noch so aufgeklärt sein – ich wäre da auch restlos überfordert. Seit es da diese Bücher und diesen Film im Kino gab, drehen alle durch. Besonders, weil…“

Sie seufzt wieder und ich spitze die Ohren, weiß ich doch bereits, dass jeder neuer Seufzer einen neuen Monolog ihrerseits für das Publikum – mich – bereit hält.

„Du hast Recht. Ich werde ihm sagen, dass ich nicht so eine bin.“ sagt sie halbherzig entschlossen und ich feuere sie in Gedanken an: „Richtig so! Sag, dass dir sowas nicht gefällt! Du findest definitiv einen Besseren. Es gibt auch Markusse, die Sadomaso Praktiken komplett daneben finden.“

„Ich kann das einfach nicht. Natürlich habe ich mich eingelesen, aber wie viel kann man schon aus einem schnellen Onlineartikel für sich herausziehen? Ich bin total überfordert.“ ergänzt sie.

„Klar – wäre ich auch. Zumal ich überhaupt keinen Gefallen an sowas finden würde. Ich versteh dich, Sofia aus dem Bürgeramt.“ spreche ich ihr in Gedanken Mut zu.

„Hm… es gefällt mir definitiv. Das ganze Drumherum, die feinen Leute, die schummrige Beleuchtung. Das imponiert mir sehr. Dennoch weiß ich, dass ich dort nicht hingehöre. Weißt du, mein Papa sagt immer: Ein Esel, der sich wie ein Zebra anmalt, bleibt am Ende immer noch ein Esel.“ [*]

Sie atmet tief aus und wischt sich mit der Handoberfläche über die feuchtgewordenen Augen.

Mittlerweile finde ich sie richtig nett, diese Sofia aus dem Bürgeramt. Und: ich kann sie verstehen. Ein Sadomaso Swingerclub – da kann er noch so fein sein – da wäre ich sowas von raus. Ich würde meine Beine in die Hand nehmen und rennen! Arme Sofia! So bezaubernd kann er gar nicht sein, als dass ich meine Grundwerte verkaufen würde.

In diesem Moment leuchtet meine Wartenummer auf dem großen Bildschirm auf und ich erhebe mich in Zeitlupe, krame nach einem Taschentuch und will es ihr im Vorbeigehen geben.

Zu meinem großen Glück setzt sie ihre Geschichte fort: „Ja, du hast Recht, Leonie. Ich sage es ihm einfach. Was bringt es mir, mich zu verbiegen? Markus, werde ich sagen, ich fühle mich unwohl in einem französischen Sternerestaurant. Das Besteck überfordert mich und den Knigge kann ich nicht so schnell lesen um den Ansprüchen dort gerecht zu werden. Meine Eltern haben mir zwar die Grundlagen wie man mit Messer und Gabel umgeht, gezeigt, nicht aber wie das ganze Chichi in einem Restaurant dieser Klasse funktioniert. Dann werde ich eine theatralische Pause machen und ihm klar sagen, was ich von ihm erwarte: Markus, wenn du wieder mit mir liiert sein willst, dann müssen wir auch in ein normales Restaurant gehen können. Dieses leckere, persische Restaurant im Bahnhofsviertel zum Beispiel. Genau so werde ich’s machen.“

„Die Nummer 9345, bitte!!! Letzte Chance für die 9345!!!“ schreit es aus dem Beamtenzimmer. Schnell packe ich das Taschentuch weg und eile an Sofia vorbei.

„Alles okay bei Ihnen?“ fragt mich die nette Verwaltungsfachangestellte kurz darauf. Ich muss auf sie wirken wie das Kaninchen vor der Schlange. „Äääh…ääähm…ja. Irgendwie schon.“ Ich muss lachen und schäme mich zugleich für meine Interpretation Sofias Leben betreffend. „Hier erlebt man noch richtige Geschichten bei Ihnen.“ gebe ich perplex von mir. „Oh ja, da sagen Sie was. Bücher könnte ich über meine Arbeit hier schreiben.“ Ich nicke begeistert. „Das glaube ich Ihnen auf’s Wort.“

[*Der Römer, der die Geschichte bereits vorab lesen durfte, möchte darauf hinweisen, dass ein ägyptischer Zoo das Sprichwort mit dem Esel und dem Zebra wortwörtlich nahm. Hier z.B. können Sie den Artikel lesen: *klick*]

Wir müssen sparen, amore!

„Wir müssen sparen.“ sagte ich, während ich die Kontoauszüge des letzten Monats überprüfte. „Hmmm…“ antwortete der Römer unfokussiert und starrte in seinen Computer-Bildschirm. „Ich meine es ernst! Irgendwo müssen wir sparen. Sonst kannst du unseren unbezahlten Urlaub vergessen.“ setzte ich meine Rede fort. „Si, si,…“ antwortete der Römer und nickte abwesend.

Ich schüttelte den Kopf und markierte Posten auf den Kontoauszügen, die Einsparungspotenzial hatten.

„Ist das deine Kreditkarte, die mit 45 endet? Oder meine?“ fragte der Römer in die Stille.

Ich guckte ihn mit dem selben Ausdruck an wie Melania Trump stets ihren Gatten anguckt. So als ob ich den schlechten Witz nicht verstehen würde. „Sag mal, hörst du mir eigentlich zu?“ zeterte ich los. „Ma si [Aber ja], irgendwas mit unbezahlter Urlaub. Aber du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet. 45 alla fine sei tu, vero? [45 am Ende bist du, richtig] Ho fatto un gran affaro! [Ich habe ein riesen Schnäppchen gemacht] Una maglia di cashmere – colore azzuro! [Ein Kaschmir-Pullover in hellblau!] Wenn ich gleich bezahle, schicken sie es heute noch aus Italien los.“

Ich schnappte nach Luft und geriet durch seine Aussage erst richtig in Fahrt: „Ich glaub’s nicht! Du hast überhaupt nicht zugehört!! Ne, ne, mein Lieber! WIR müssen sparen.“ Der Römer guckte mich trotzig an. „Che palle essere sposato con una tedesca. [So ein Quatsch mit einer Deutschen verheiratet zu sein.]“ murmelte er ganz leise, doch dennoch laut genug um ihn zu verstehen.

„Komm mir jetzt nicht so! Ne, ne, mein Lieber. Wir setzen uns jetzt hin und gehen alle Posten durch, die wir einsparen können.“ fing ich wieder an und meine Emotionen liefen heiß.

Da saßen wir also: Ich – mit meiner schwarzen Brille, Kontoauszüge fest in der Hand, aufrechter Rücken und bereit alles einzusparen, was es einzusparen gibt. Und er, in seinem aufgeknöpftem, azurblauem Leinenhemd, lässig zurückgelehnt, eine schwarze Locke fiel ihm frech ins Gesicht.

„Okay, erster Punkt: Deine Schönheits-Tinkturen aus Südkorea.“ machte ich den Auftakt.

No!“ begehrte der Römer auf. „Du kannst mir alles nehmen, aber nicht meine Jugend!“ sprach’s und verschränkte bockig seine bronzenen Arme. „Deine Jugend ist seit 20 Jahren vorbei, amore mio. Du meinst wohl „dein jugendliches Aussehen.““, machte ich mich über seine Aussage lächerlich, „Ein Produkt aus dem Drogeriemarkt wird es wohl auch tun.“

Ich wollte gerade zum nächsten Punkt übergehen, doch ich hatte die Rechnung ohne den Römer gemacht. Theatralisch schmiss der Römer seinen Kopf in den Nacken. „Ma certo! [Aber sicher] Und was willst du mir als nächstes nehmen? Die monatliche Pasta- und Soßenlieferung aus Italien?“

Ah, ich sehe du bist schon eigenständig zum nächsten Punkt übergegangen.“ grinste ich ihn kampflustig an. „Warum genau musst du dir von einer toskanischen Fattoria Soßen und Pasta schicken lassen? Reicht denn keine Supermarkt-Pasta? Es muss doch auch nicht die günstigste sein?“

Der Römer schnappte aufgebracht nach Luft. DAS war zu viel für ihn. „Io…tu…! Ma no! No! No! [Ich…du…! Aber nein! Nein! Nein!]“ presste er entrüstet heraus. Er schnappte sich die Kontoauszüge und schrieb mit dickem Filzstift „non modificabile!!!“ [unveränderbar!!!] neben die beiden Posten.

„So, jetzt gucke ich, was ich streichen kann.“ setzte er sehr erbost an. „Aha! Eccoci qua! [Da wären wir!] Bio-Windeln? Kann weg! Wir brauchen doch wohl keine Bio-Windeln für Signorino. Meinst du, ich hatte damals Bio-Windeln in Albanien? Pfff… Davon hätte ich vielleicht träumen können. So – gestrichen.“ sprach’s und strich den Posten knallhart durch.

Nun schäumte ich vor Wut. Dickschädel knallte gegen Malok [albanisch: Dickkopf]. „Du kannst an allem sparen, aber nicht am Kind! Bist du wahnsinnig? Signorino soll keine Bio-Windeln mehr tragen? Was kommt als nächstes? Vielleicht verkaufen wir auch noch seinen Autositz?“ schimpfte ich los, stand ruckartig auf, stützte die Hände auf dem großen Esstisch ab und versuchte ihn mit einem Blick zu töten. Leider gelang es mir nicht. Er saß mir immer noch bockig, mit verschränkten Armen gegenüber und starte den Kontoauszug an.

Die Fronten waren verhärtet. Wenn wir nicht bald einen neutralen Posten finden würden, auf den wir beide verzichten konnten, dann würde einer heute Nacht auf der Couch schlafen. Und das war ganz sicher ich! Allein schon um des Römers Schnarchen und Signorinos erhöhtem Platzbedürfnis zu entgehen.

Ich stellte mich hinter ihn und guckte über seine Schulter. „Da.“ sagte ich knapp. „Wasser- und Saftlieferung. Ich denke, das sollte kein allzu großes Problem sein, wenn wir für ein paar Wochen oder Monate darauf verzichten würden.“ Er antwortete nicht, strich den Posten aber dennoch durch. Ein erster Erfolg in dieser italbanisch-deutschen Verhandlung.

„Ecco! [Hier!] Meine Fachzeitschrift werde ich aussetzen können. Das Zugeständnis mache ich – für meine Familie.“ erwiderte er provozierend. Ich überging großzügig seine Provokation und bedankte mich überschwänglich. Dazu legte ich meine Hand freundschaftlich auf seine Schulter. „Okay, hier – der teure Windelbalsam für Signorino. Er ist ja nun kein Neugeborenes mehr. Sein Popöchen wird auf die allgäuer Bio-Apotheken Creme verzichten können – hoffe ich.“ lenkte ich ein.

Er nickte zufrieden und strich den Posten durch.

Ein paar weitere, kleinere Posten fanden wir, die nicht überlebenswichtig waren. Am Ende bedankte ich mich bei ihm und setzte mich zufrieden auf die Couch.

„Ah, die Kreditkarte mit der 45 am Ende ist übrigens deine.“ klärte mich der ungefragt auf. „Ja, ja, ich weiß. Warum?“ gab ich – in eine Zeitschrift vertieft – zurück. „Weil ich gespart habe – ganz wie du wolltest.“ antwortete der Römer mit leuchtenden Augen. Ich schaute ihn indessen fragend an. „Abbiamo risparmiato un sacco. [Wir haben einen Haufen gespart.] 151 Euro per essere preciso. [151 Euro um genau zu sein.] Stell dir vor, der Kaschmir-Pulli hätte vorher ganze 250 Euro gekostet. Und jetzt zahlen wir nur noch 99 Euro. Super, oder?“ strahlte er mich freudig an.

Ich fiel vom Glauben ab.

„Du scherzt, oder?“ fragte ich knapp.

Ma tu hai detto che dobbiamo risparmiare. [Aber du hast gesagt, dass wir sparen müssen.] Und jetzt haben wir gespart. Für die gesparten 151 Euro sind auch locker Signorinos Bio-Windeln drin.“ informierte mich der Römer freudig.

Ich legte mein Gesicht in meine Handflächen und schüttelte den Kopf. „Ich geb’s auf!“ sprach ich in meine Hände. „Was ist denn nun schon wieder nicht okay?“ fragte der Römer.

Die Antwort blieb ich ihm schuldig. Aber der hellblaue Kaschmir-Pullover steht ihm ganz ausgezeichnet.

Audio – Bei Farnientes gibt’s heute Sushi

Liebe Leser,

ich habe meine Audiodatei schon einmal vor einigen Tagen hier gepostet. Es war und ist ein Herzensprojekt Ihnen meine Geschichten selbst vorzulesen.

Allerdings ist mir aufgefallen, dass ich die Komponisten der Eingangsmusik nicht nach Erlaubnis gefragt habe.

Also schrieb ich Oliver Astrologo und der apulischen Gruppe „Sciamaballà“ eine Email. Beide antworteten überaus nett und herzlich. Sie erlaubten mir die Nutzung ihres Stücks als Intro. [Das dazugehörige Video finden Sie hier: klick]

Deswegen, heute, nur für Sie noch einmal meine Lesung von „Bei Farnientes gibt’s heut Sushi“.

Römische Verjüngungskur

Der Römer steht kurz vor dem kompletten Verfall. Zumindest möchte man das meinen, wenn man ihn in letzter Zeit beobachtet.

„Es ist 5 vor 12 Uhr!!“ merkt er nervös an und huscht an mir vorbei ins Badezimmer. Ich gucke auf die Uhr. 19:07 Uhr – die Uhrzeit kann er schon mal nicht meinen. „Wie meinst du das?“ frage ich durch die geschlossene Badezimmer Tür. Er öffnet mit nassem Gesicht. Der milde Reinigungsschaum schmückt seine rechte Hand.

„Ich muss mich um mein Gesicht kümmern. Jahrelang, eigentlich seit jeher, habe ich es vernachlässigt. Ma ultimamente al lavoro [Aber letztens in der Arbeit], hat mich jemand auf 40 Jahre geschätzt. 40 anni!!! [40 Jahre!!!]“ erzählt er mir empört während er den Schaum in kreisenden Bewegungen auf seinem Gesicht verteilt. „Ähm…amore? Du BIST 40.“ gebe ich zögerlich zurück und bereue die Feststellung im selben Augenblick. Er atmet tief aus, was sich ziemlich lustig anhört, weil er gerade den Reinigungsschaum von seinem Gesicht wäscht. Nachdem er mit dem Prozedere fertig ist, holt er tief Luft und sagt: „Laut Geburtsurkunde, ja. Ma devo sembrare come un quarantenne?[Aber muss ich so aussehen wie ein 40jähriger?]“

Er tupft sein Gesicht vorsichtig mit einem kleinen Handtuch trocken. „Amore?“ frage ich wieder. „Dimmi!“ [Sprich!] sagt er nun schon etwas genervter. „Warum tupfst du dein Gesicht ab?“ hake ich sichtlich irritiert nach. „Ma non lo sai?“ [Aber weißt du das nicht?] gibt er erstaunt zurück. Das Gesichtswasser hat er bereits in der rechten Hand. „Wer sein Gesicht abrubbelt, der produziert automatisch noch mehr Falten. Rughe!! Capisci! [Falten! Verstehst du!] Sanft abtupfen ist die einzige Möglichkeit um dich davor zu bewahren.“ erklärt er mir mit ernster Stimme. Ich grinse, nicke und denke mir den Rest.

Als er nach weiteren 25 Minuten fertig ist, spreche ich ihn auf eine seltsame Zahlung an, die ich auf der Kreditkartenabrechnung bemerkt habe. „Amore, hast du etwas für 200 Euro gekauft? Dr.Ti? Was soll das denn sein?“ befrage ich ihn interessiert. „Aaaaach das! Ein Gesichtsserum. Retinol! DAS Zaubermittel. Es lässt dich um Jahre jünger erscheinen. Dazu der Dermaroller – sarà una revoluzione! [Das wird eine Revolution]“ offenbart er mir. „Okay…aber 200 Euro?“ antworte ich nun schon etwas harscher. „Ma cheeee! [Aber was!!] Wie oft gibst du 200 Euro aus? Ich werde doch wohl 200 Euro in mich investieren dürfen. Wo kämen wir denn dahin, wenn ich mich gehen lassen würde? Ti piacerebbe? [Würde dir das gefallen?] Non credo! [Ich glaube nicht!] Allora![Also!]“ redet er sich in Rage. „Aber warum benutzt du denn keine koreanischen Produkte? Die sind viel günstiger und der koreanische Markt ist um Jahrzehnte weiter als der europäische!“ informiere ich ihn. „Davvero?“ [Wirklich?] Der Römer ist ganz Ohr. „Ja, ja… die Koreaner..“ will ich fortfahren – da war er schon abgerauscht.

Den restlichen Abend verbrachte er, recherchierend, am Laptop. Er machte sich Notizen und war ganz in die Materie vertieft. Ich vermutete, dass er sich um ein Projekt für die Universität kümmert – doch weit gefehlt. „Okay! Ich bin nun top informiert. Mehrmals habe ich nun Zollgebühren und Mehrwertsteuer Sätze berechnet. Ich würde auch nur auf 240 Euro kommen, was günstig ist, wenn man bedenkt, dass ich ein 9-in-1 Serum, Gesichtswasser, eine Haferkleie Maske, eine Tonerde Maske, einen Sonnenschutz 50+ fürs Gesicht, eine lebensverändernde Essenz, eine revolutionäre Tagescreme, eine aufpolsternde Augencreme, ein Straffungsfluid und einen Porenverkleinerungsbalsam bekomme. ABER – und hier kommt das große ABER: In diesen schrecklichen Zeiten braucht die Post vier bis 6 Wochen bis sie das Paket aus Korea liefert. Fra quattro e sei settimane!! [Zwischen vier bis 6 Wochen] Weißt du wie alt ich bis dahin ausschauen werde? Die Leute werden von mir denken, dass ich schon 41 Jahre alt bin. Per favore, chiedo il tuo aiuto! E‘ urgente! [Bitte, ich brauche deine Hilfe! Es ist dringend!]“ redet er sehr schnell und sehr aufgeregt auf mich ein. Die Lage scheint ernst zu sein – für ihn – und für unser Sparkonto.

„Mo-mo-mo-mo-ment! 240 Euro?“ gebe ich zurück. „Si, si, ma questo non e‘ il problema. Il problema e‘ il tempo.“ [Ja, ja, aber das ist nicht das Problem. Das Problem ist die Zeit.] führt er schnell aus. „Fliegt einer deiner Kollegen in nächster Zeit nach Korea? Es ist ein Notfall!“

„Ja, der Andere. Aber er hat sicher keine Zeit, für mehrere hundert Euro Anti-Aging Produkte zu kaufen. Ich glaube, dir brennt das Hütchen, amore mio!“ mache ich ihm nun sehr eindeutig klar.

„E‘ tanto?“ fragt er verdutzt und scheint anscheinend langsam zur Besinnung zu kommen. „Das fragst du noch? Aber ja!!! Das ist extrem viel.“ herrsche ich ihn an. Er guckt mich niedergeschlagen an. „So komme ich nicht weiter.“ denke ich und versuche es über einen anderen Weg: „Doch glaub mir, amore mio, allein durch dein Retinol Serum siehst du aus wie Anfang 30. Du hast die koreanischen Produkte doch gar nicht nötig! Und wenn es ganz schlimm werden sollte, dann verspreche ich dir, dass ich jemanden finde, der dir all diese Dinge mitbringt.“ Sein Blick erhellt sich. „Hm… hast du den Eindruck, dass das Serum schon wirkt?“ fragt er aufgeregt nach. „Aber ja!!!! Hundertprozentig. Du siehst sicher fünf Jahre jünger aus.“ lobe ich überschwänglich. „Wenn ich dein Alter nicht kennen würde, ich würde dich auf junge 35 Jahre schätzen.“

„Grazie! Ho pensato oppure io ma non ero sicuro!“ [Danke! Ich habe das auch gedacht, aber ich war mir nicht sicher] bedankt er sich überglücklich. „Und du bist dir sicher, dass ich nicht einmal das 9-in-1 Serum testen sollte?“ hakt er noch einmal nach. „Also, wenn du unbedingt möchtest, frage ich gerne den Anderen, ob er dir das mitbringt. Aber du hast es definitiv nicht nötig!“ erwidere ich. Er denkt kurz nach, scheint mir aber nicht vollkommen zu vertrauen und sagt: „Dennoch…könntest du den Anderen fragen? Außerdem dachte ich noch an die Haferkleie Maske und die Essenz….“ versucht er es weiter. „AMORE!!!“ gebe ich scharf zurück. Er guckt mich kleinlaut an. „Okay….also nur das Serum. Ich hab’s verstanden…“ knickt er ein. „Ich mach mir noch eine schnelle Reiskleie Maske und dann geh ich ins Bett.“ erwähnt er, schon halb aus der Tür. „Na dann…buona notte!“ [Gute Nacht] gebe ich lachend zurück.

Mit dem Römer wird es einem nie langweilig. Ganz sicher nicht.

Emotionale Karotten

„Muss ich denn immer erst Geschirr spülen oder stundenlang duschen, bevor mir ein Thema, über das ich schreiben könnte, in den Sinn kommt?“ denke ich entnervt und rubble noch viel genervter an dem eingetrockneten Soßenfleck in der zu spülenden Auflaufform herum. „Maaaaan! Weg da!!!“ herrsche ich den Soßenfleck an.

„Chi? Io?“ [Wer? Ich?] fragt der Römer, der gerade wie aus dem Nichts in der Küche aufgetaucht ist. „Ich mache nur schnell eine Flasche für den Kleinen, poi è tutto tuo.“ [sinngemäß: dann hast du die Küche für dich.] erklärt er sich schnell und entschuldigend.

„Nein, nein. Mir will keine Idee in den Kopf kommen und dieser dämliche Soßenfleck will auch nicht weg.“ versuche ich mich zu erklären.

„Non voglio dire niente [Ich will nichts sagen,..], amore mio, aber du bist etwas gereizt.“ versucht er sich langsam an das Problem heranzutasten.

Ich „hmpf“-e nur, spüle und rubble weiter an diesem grässlich eingebrannten Soßenfleck.

Wenig später, Signorino hat bereits getrunken, kommt der Römer wieder in die Küche. Vorsichtig stellt er das leere Fläschchen ab. „Per chi sono queste carote?“ [Für wen sind diese Karotten?] versucht er neugierig herauszufinden.

„Für wen? Für wen? Für wen? Für mich nicht! Für Signorino sind sie.“ herrsche ich ihn an. In dem Moment verabschiedet sich eine Espressotasse, die ich gerade versuchte zu spülen. Klirrend landet sie auf dem Boden und zerspringt in unzählige, kleine Scherben.

„MAAAAAAAAAAAAAAAAAN! Was ist denn das heute für ein dämlicher, dummer, widerlicher Tag?“ motze ich. Der Römer bringt wortlos den Besen. Während wir die Keramikscherben aufsammeln und zusammenkehren schießt ihm ein Gedanke in den Kopf.

„Ahaaaa! Die Karotten sind für den kleinen! Capisco!“ [Ich verstehe!] sagt er als wäre es die Offenbarung des Jahres. „Natürlich! Das habe ich doch schon vorhin gesagt.“ raunze ich ihn kurz an und vertiefe mich wieder in das Espressotassendesaster. Er lässt den Besen sinken, kommt auf mich zu, kniet sich zu mir nieder und umarmt mich. Ich gucke ihn verdutzt an.

„Non sei ancora pronta!“ [Du bist noch nicht bereit!] spricht er mir sein Mitgefühl aus.

Ich hmpf-e wieder.

„Amore mio, du kochst Signorinos ersten Brei und fühlst dich noch nicht bereit dazu. Eben erst war er noch so klein, dass wir ihn „Stecknadelkopf“ genannt haben und nun ist er in der Lage Brei zu essen.“ diagnostiziert er richtig.

Ich hmpf-e erneut und vergrabe mich in seiner Schulter. „So ein Scheiß, echt! Erst wünscht man sich, dass sie wachsen. Dann tun sie das und eh du dich versiehst, kochst du Karottenbrei und er isst wie ein Großer! Dann fängt er an zu krabbeln, zu gehen, als nächstes geht er in die Schule und schwuppdiwupp hat er seinen Führerschein und zieht aus. An den Wochenenden kommt er dann vorbei um seine Wäsche zu waschen und irgendwann braucht er mich dann gar nicht mehr. Dann ruft er einmal im Monat an und vergisst meinen Geburtstag. Und noch dazu vergeht diese verdammt blöde Zeit in einem Wimpernschlag und ich kann sie nicht aufhalten. So ein K*ckmist aber auch!“ steigere ich mich in das Thema rein und ein Tränchen kullert über meine Wange.

Der Römer muss lachen, guckt mich an und sieht einen begossenen Pudel, der inmitten von minikleinen Keramikscherben kniet. „Il tempo passa – ma tu sarai per sempre la sua madre.“ [Die Zeit vergeht – aber du wirst für immer seine Mutter sein] versucht er mich aufzumuntern. Sein Versuch zeigt bei mir kaum Wirkung.

„Okay – telo spiego in un altro modo. [Ich erkläre es dir anders]“ fängt der Römer an. „Du hast doch einen Bauchnabel?“ fragt er tiefsinnig.

„Was ist denn das für eine Frage? Natürlich habe ich einen Bauchnabel! Jeder hat einen Bauchnabel!“ raunze ich ihn für diese dämliche Frage an.

„Va bene [In Ordnung], hätten wir das geklärt. Jeder hat also einen Bauchnabel. Auch du. Und Signorino.“ benennt er das Offensichtliche.

Ich gucke ihn sehr irritiert an – aber wenigstens bin ich nicht mehr so nah am Wasser bzw. – in meinem Fall – im Wasser gebaut.

„Und dieser Bauchnabel, den wir nun alle haben, der verbindet uns ein Leben lang mit unserer Mama.“ führt er weiter aus.

„Hä?“ kann ich nur – mehr als verwirrt – antworten. „Dein Bauchnabel ist das Zeichen, dass du mit deiner Mama neun Monate lang eins warst. Die Nabelschnur hat euch verbunden. Du warst sicher und geschützt in ihrem Bauch, ihr Körper hat dich mit allem Wichtigen versorgt, was du gebraucht hast. Und dieses Zeichen, der Bauchnabel, die Narbe der abgetrennten Nabelschnur, wird dich für immer daran erinnern, dass du mit deiner Mutter verbunden warst.“

Ich lege meinen Kopf schief. „Das macht irgendwie Sinn. Etwas seltsam, aber die Aussage stimmt.“ sage ich, überrascht und erstaunt, da ich auf so eine Erklärung nicht gefasst war.

Der Römer führt fort: „Und immer wenn Signorino in den Spiegel schaut, hat er diese Narbe, seinen Bauchnabel, die zeigt, dass ihr eins wart. Er nimmt er vielleicht nicht bewusst war, aber es lässt sich auch nicht leugnen. Sein Bauchnabel bleibt sein Leben lang.“

Seltsamerweise beruhigt mich diese abstruse Erklärung und ich gebe mich damit zufrieden. „Bereit!“ fragt der Römer mit dem Pürierstab in der Hand. Ich atme tief durch – greife den Pürierstab und antworte: „Bereit!“

Nach dem Pürieren probiert Signorino seinen ersten Löffel Karottenbrei. Es scheint ihm zu schmecken. Ein sehr orange eingefärbtes Kind strahlt uns mit großen Augen an.

„Hach Signorino.“ seufze ich als der Römer den Lappen zum Sauber machen holt. „Deine Mama bleibt immer deine Mama. Trotz Karottenbrei, der dich in die Unabhängigkeit führt! Und warum? Weil wir einen Bauchnabel haben.“

Mindfulness

Wissen Sie, ich würde gerne etwas über „Mindfulness und Selbstoptimierung“ schreiben, weil man das momentan so macht. Ich hatte schon die genauen Zeilen im Kopf, sie waren wie in Stein gemeiselt als ich Signorino für sein Nachmittagsschläfchen ins Bett brachte. Dann beging ich den Fehler und setzte mich an den Laptop – neben den Römer.

Ich hatte noch nicht einmal das Wort „Mindful“ abgetippt, da fragte er: „Amoooore!“ fragte er. „Magst du auch eine Orange?“

Ich bedankte mich für den lieben Gedanken, schüttelte den Kopf und teilte ihm mit, dass ich jetzt gerne etwas schreiben würde. „Ah! Capisco! Non ti preoccupare. Non ti disturbo più.“ [Ah! Verstehe! Keine Sorge. Ich störe dich nicht weiter.]

Als ich gerade das U des Wortes Mindful tippte, hörte ich den Römer unter lautem Stöhnen wie er die Schale von der Orange zu befreien versuchte. Wenn Sie sich jetzt fragen, ob man nicht normalerweise die Orange von der Schale befreit, dann haben Sie absolut Recht. Aber vertrauen Sie mir: In diesem Fall war es eindeutig andersherum. Der Machtkampf begann und die Orange lag samt Schale mit weiter Führung vor dem Römer. Also musste Hilfe her. „Amoooore!! Aiutooo!“ [Schatz! Hilfe!] forderte er eben diese ein.

Ich atmete tief ein und zählte 21…22….23…. Dann wendete ich mich an ihn und fragte, womit ich ihm helfen kann. Natürlich wusste ich bereits das „Womit“, denn seit fünf Minuten beobachtete ich seinen Kampf mit der Orange. Aber ich wollte ihm die Chance geben, zu reflektieren und zurückzurudern, so dass ich meinen Text weiterschreiben hätte können. Sie sehen bereits am gewählten Konjunktiv, dass es nur ein ferner Wunsch bleiben sollte.

„Mazza, è difficile! Non pensavo!“ [Mannometer, das ist schwierig! Ich hätte es nicht gedacht!] beantwortete er mein „Womit“ und ich half ihm, die Orange von der Schale zu befreien. Zugegeben, es war ein sehr widerspenstiges Exemplar. Dennoch hätte man das Problem sicher im Stillen lösen kann.

Nachdem nun die Orange von der Schale befreit war, ich das Wort „mindful“ um das fehlende L ergänzte und weiter schrieb, kaute er auf seiner Orange herum.

Experten sagen: „Als Richtwert gilt, jeden Bissen etwa 30 Mal durchzukauen, bevor er geschluckt wird. Und das ist wichtig, denn kräftiges Kauen von Nahrung regt bei gesunden Menschen den Speichelfluss an.“ Glauben Sie mir, der Römer nahm diesen Rat mehr als ernst. Er kaute mit einer solchen Inbrunst, dass ich bei dem Wörtchen Meditation nur bis Med kam. Dann musste ich wieder absetzen.

„Schatz, entschuldige, aber könntest du etwas leiser kauen?“ fragte ich ihn bemüht freundlich. „Ah…già…certo! Scusa… mangio qualcos’altro.“[Ah…sicher! Entschuldige…ich werde etwas anderes essen]

„Meeeditation“ tippte ich nun zu Ende und versuchte mich wieder in meinem Gedanken einzufinden. Als das gelang und ich weitertippen wollte, kam der Römer zurück. Bemüht leise setzte er sich hin, beugte sich über sein Buch und öffnete eine Tüte. Er kaute wieder, diesmal Nüsse.

Ich weiß nicht in welcher Galaxie Nüsse kauen leiser ist als Orangen mampfen, aber so oder so, es muss eine unheimlich laute Galaxie sein. Das, oder man ist dort schwerhörig.

Ein Räuspern sollte ihn darauf aufmerksam machen, dachte ich. Also räusperte ich mich so wie man sich nur räuspert, wenn man von etwas (oder jemandem) genervt ist. Dann versuchte ich weiter zu schreiben. Leider hatte ich in der Zwischenzeit vergessen, WAS ich schreiben wollte.

Der Römer griff sich wieder eine Hand voll Nüsse. Und kaute. Ich guckte nun zu ihm hinüber und versuchte gegen meine Augen anzukämpfen, die sich zu funkelnden Schlitzen formen wollten. „Senti…“ [Hör mal…] setzte ich an.

Der Römer begriff. Zumindest dachte ich das: „Oh, scusa, amore! Hai raggione! Vuoi anche tu?“ [Entschuldige, Schatz! Du hast Recht! Willst du auch?] fragte er und hielt mir auffordernd die Nusstüte entgegen. Ich sammelte mich kurz, versuchte mein loderndes Pitta-Feuer in Zaum zu halten und bedankte mich dennoch für den netten Gedanken.

„Atmen. Ein- und ausatmen. Die Gedanken ziehen vorbei. Ich beurteile sie nicht. Ich beobachte sie nur und lasse sie auf mich wirken.“ versuchte ich mich zu beruhigen. „Schatz, entschuldige bitte, aber ich versuche gerade etwas zu schreiben und kann mich kaum konzentrieren.“ erklärte ich ihm mit einem sichtbar angestrengt-freundlichen Ton.

„Scusa, amore, scusa veramente. Dai, ti lascio in pace e mene vado.“ [Entschuldige, Schatz, wirklich. Komm, ich lass dich in Ruhe und gehe.] entschuldigte sich der Römer. Ich atmete beseelt auf.

Zurück zum Text: „Mindful sollte eine Meditation sein…“ stand da und ich überlegte, was ich genau schreiben wollte.

Da hörte ich ihn. Den Rasenmäher, der vom fröhlich hinter ihm hertrabenden Römer durch den Garten begleitet wurde. Ich überlegte kurz gegen den Rasenmäherlärm anzuschreien und den Römer darauf hinzuweisen, dass das nicht gerade zu meiner Konzentration beiträgt. Doch ich wählte einen anderen Weg.

Ich löschte den Großteil meines Satzes und ergänzte ihn mit „Mindfulness am Arsch.“ Danach klappte ich meinen Laptop zu. Ich ging in die Küche, machte mir einen Espresso und atmete tief ein und aus. „Mindfulness…pff“ murmelte ich und schüttelte ungläubig den Kopf.

Toilettenpause

Ich verstecke mich.

Ich verstecke mich auf dem Klo und lese eine Frauenzeitschrift.

So, jetzt ist es raus. Wozu Geheimnisse haben? Sie und ich, wir kennen uns nun schon eine ganze Weile, da kann ich Ihnen dieses längst fällige Geheimnis anvertrauen.

Die Frage ist: Warum tue ich das?

Die Erklärung ist eine recht leichte: Der Römer und ich haben ausgemacht, dass der, der auf dem stillen Örtchen sitzt, egal wie lange es dauert, dort entbunden von allen Pflichten ist. Ein „safe spot“ würde man neudeutsch sagen. Der Römer respektiert diese Regel und Signorino ist noch so klein, dass er zufrieden ist, wenn einer von beiden Elternteilen bei ihm ist.

So sitze ich also da und lese in einer Zeitschrift mit dem Frauennamen einer flotten Mit-Fünfzigerin. Ich lasse mich inspirieren von Oster Rezepten, lese Beiträge über die längst vergangene Liebe eines Paares, blättere schnell weiter bei den Modeseiten (zu teuer, zu abgefahren) und lasse mich gerne von den kleinen und feinen Tipps aus dem Beauty Resort inspirieren. Ihnen kann ich es sagen: Grüner Tee! Das ist wieder im kommen. Vertrauen Sie mir!

Doch auch die schönsten Minuten nehmen einmal ein Ende. „Wenn es am schönsten ist, soll man gehen!“ und das gilt auch für’s stille Örtchen. So klappe ich also die Zeitschrift zu, atme noch einmal tief ein und aus und stürze mich wieder ins Familienchaos, das ein solches ist, weil der Römer erst beurlaubt war, dann krank geschrieben und danach wieder für 14 Tage in Urlaub ist. Dieses „Notprogramm“ wird momentan von seinem Arbeitgeber gefahren um Kündigungen zu vermeiden. Man geht dennoch davon aus, dass die Kurzarbeit kommen wird. Er verbringt auf alle Fälle viel Zeit mit uns daheim.

„Eigentlich ganz schön.“ werden Sie sagen und es ist Ihnen nicht zu verdenken. „Viel Zeit mit der Familie, Entlastung für die Dame des Hauses,..“ all diese Punkte zählten wir wohl alle auf bevor wir isoliert wurden. Viel Zeit haben wir zusammen, aber weniger Zeit für uns allein.

Mein gut koordinierter Tag mit Signorino wich einem Chaos oder viel mehr einem italienischen caos. Ruhepausen für mich gibt es nicht mehr. Es ist ständig Programm, sogar während Signorino schläft. Ständig höre ich ein lautes „AAAMOOOOORE!“ durch die Wohnung posaunen. Gleich darauf folgt eine Frage oder, noch schlimmer, eine Idee. „Che pensi?“ [Was meinst du] leitet meist ein Vorhaben des Römers ein, das meist übles nach sich zieht. „Die Fahrräder im Keller, die wir zum Sperrmüll bringen wollten…. ich könnte sie doch reparieren?“ fragt er.

Wissen Sie, wir schmeißen nichts leichtfertig weg. Aber wenn ich mich dazu entschieden habe, etwas final zum Sperrmüll zu bringen, dann hat das einen Grund. Ein „Vollschaden“ würde man beim Auto sagen. Und ein „Vollschaden“ ist es auch bei diesen beiden Fahrrädern und beim Römer, der denkt, er kann sie reparieren. „Die-tääär hat mir gestern dieses Video geschickt bei Youtube. Es sieht sehr einfach aus dieses Fahrrad zu reparieren. Die fehlenden Teile habe ich schon bestellt. Arrivano in questi giorni. [Sie kommen in diesen Tagen an]“

Ich atme tief ein und aus. Ist es jetzt schon wieder zu früh für eine Toilettenpause? Wohl ja. Na gut, ich versuche es positiv zu sehen: wenigstens hat er eine Beschäftigung.

Die Tage darauf sah man den Römer fluchend und schimpfend im großen Innenhof. Dieter rief aus seiner Isolation im 1. Stock immer wieder aufmunternde Worte oder Tipps nach unten. Der Römer fluchte noch mehr, schmiss Tücher voller Ölflecken beleidigt auf den Boden und kam nicht nur einmal in die Wohnung um nach einem Pflaster zu verlangen. Die Projektwoche „Fahrrad“ schritt voran und am Ende konnte man ein ganz passables Stahlross begutachten.

„Amore… und das zweite?“ fragte ich vorsichtig. Er guckte mich mit Angst erfüllten Augen an. „Ääääh…weißt du…“ fing er seinen Satz an. „Ich habe nachgedacht… über das zweite Fahrrad. Wir müssen ja nicht beide gleichzeitig Fahrrad fahren… deswegen wechseln wir uns ab und das zweite… ich wollte es zum Sperrmüll bringen.“ erklärte er sich.

„Oh wie schade…“ sagte ich. „Ein Glück!“ dachte ich.

„Amore, non c’è problema. [kein Problem] Wir kaufen dir einfach ein neues Fahrrad? Va bene? [In Ordnung?]“ schlug er vor.

„Das hört sich fantastisch an!“ sprach ich erfreut und war froh, dass er nicht noch das zweite Fahrrad reparieren wollte, denn so oft ins Bad zu müssen, nahm mir selbst der Römer nicht mehr ab.

#Blockiert

[Achtung! Hier wird sich kurz mal ausgekotzt. Wer heute einen happy peppy Tag hat, bitte weiterscrollen]

Der Andere wird blockiert. Ich habe nun wirklich keine Geduld mehr für tägliche Kommentare wie “Kann man ab dem ZY.12. nicht theoretisch einleiten?” Warum sollte man, wenn es medizinisch keinen Grund dafür gibt? Weil der Andere das besser findet?

Heute auch ein schöner Kommentar, bei dem ich ihm klar seine Grenzen aufgezeigt habe. Er schrieb: “…und Anfang Januar fahre ich dann in den Skiurlaub. Bis dahin wäre ich gerne Onkel.”

Man braucht eine Schwangere nicht mit solchen dummen Kommentaren belasten. Sie wird sich schon alleine ihre Gedanken machen. Keine Sorge!

Ich schrieb ihm klipp und klar, dass er blockiert wird, wenn noch ein Kommentar in diese Richtung kommt. Meine Nerven werden Tag um Tag dünner und ich habe keine Kapazitäten mehr für Leute, die fragen, wann es denn EEEENDLICH soweit ist.

Ich – hochschwanger, wartend. (Quelle: unbekannt)

Telefonate mit Rom

Ich liege in der Badewanne. Warmes Wasser plätschert aus dem Hahn, der Badeschaum türmt sich zu monströsen Gebilden auf, die wie Eisschollen an mir vorbeiziehen. Ein Duft von „Lavendel-Deluxe“ lullt mich ein. Zu hören ist nur das leise summen der Belüftung. Ich schließe meine Augen, atme tief ein und noch bevor ich ausatmen kann, zerschneidet ein lautes „Prontoooo“ die Stille wie ein warmes Messer das noch tiefgefrorene Zimtstern-Eis.

„Ma che?! Giovannino! Marco! Dove state?!“ [Ach was?! Giovannino! Marco! Wo seid ihr?!] ruft der Römer. Er sitzt im Wohnzimmer. Seine sonst so angenehme Stimme dröhnt nun bis ins sieben Meter entfernte Bad. Selbst dort hallt sie noch und überdeckt das leise Rauschen der Lüftung.

Ich vermute in diesem Moment, er telefoniert mit seinem Handy – und nicht, wie es die Lautstärke vermuten lässt, mit einem Dosentelefon, das mühsam aus Faden und alten Blechdosen zusammengeschustert wurde. Er schreit förmlich über den Brenner, der Schall trägt seine Stimme wohl weiter über die colli albani, die Albaner Berge, bis sie in Trastevere ankommt. Anders kann ich mir die Lautstärke nicht erklären.

„Si, si! Aspettate! Vi faccio vedere: Questo e‘ il salotto…“ [Ja, ja! Wartet! Ich zeig‘s euch mal kurz: Das ist das Wohnzimmer…] Der Römer erklärt ausführlich unsere Wohnung wie es scheint – per Videotelefonat. „Diese Dosentelefone werden auch immer moderner – sogar mit Video gibt’s die jetzt.“ denke ich und muss über meinen eigenen Witz lachen.

„Maaaa che!“ [Ach was!] donnert es nun aus dem Schlafzimmer. „No, viviamo in una delle città più care di Germania. Non abbiamo una stanza per il bambino!“ [Nein, wir leben in einer der teuersten Städte Deutschlands. Wir haben kein Kinderzimmer!] erklärt er lautstark. Dann hört man ein Lachen.

Nachdem er seine Hausbegehung beendet hat, gehen die zwei echten Römer und der Exilrömer nun dazu über sich gegenseitig zu beteuern wie sehr sie sich vermissen.

„Si, si! Aspetto un mese dopo la nascita del bambino, ma poi vengo subito a Roma. Senza dubbi!“ [Ja, ja! Ich warte ein Monat nach der Geburt des Kindes ab und dann komme ich sofort nach Rom. Ohne Zweifel!] brüllt er weiter ins Telefon. Meine linke Augenbraue huscht nach oben. Anscheinend fragt man in Rom nach, warum er nicht schon früher kommen kann. Doch unser Römer hat sofort eine Antwort parat: „Nooo, guardate: Io devo stare almeno 4 settimane con lei. Devo un po‘ aiutare. Sarà pesante per lei con un neonato!“ [Neeeein, schaut: Ich muss mindestens 4 Wochen bei ihr bleiben. Ich muss ein bisschen helfen. Das wird anstrengend für sie (also mich) mit einem Neugeborenen.]

Aha, anscheinend wir das nur anstrengend für mich. Wie gut, dass ich den Römer habe, der mir unter die Arme greifen kann. Ich verdrehe die Augen und schiebe einen Schaumberg nach links um das Quietsche-Entchen zu erreichen.

Meine Gedanken flüstern mir zu: „Nach vier Wochen will er nach Rom abhauen. Wovon träumt der nachts? Hihi, ich sag’s dir: Bald träumt er von gar nichts mehr, weil unser Bambino ihn nachts wach hält.“ Ich lache. Meine Gedanken beglückwünschen sich für diesen genialen Spruch.

„Non lo faccio piú qui! Devo venire per forza. Guardate, qui in Germania si va al letto alle 22!“ [Ich halt es hier nicht mehr aus! Ich muss unbedingt kommen. Schaut, hier in Deutschland geht man z.B. um 22 Uhr ins Bett.] schallendes Gelächter auf beiden Seiten des Brenners. Schallendes Gelächter aus der Badewanne. „Loooo so!“ [Ich weiß] prustet der Römer. „Poi praticamente la città e‘ morta. La sera non esce mai nessuno.“ [Dann ist die Stadt quasi tot. Abends geht niemand aus.] erklärt der Römer den anderen Römern die verfahrene Situation in „Germania“.

Ich frage mich zwischenzeitlich, ob er in den letzten drei Jahren hier gewohnt hat oder aber in einem kleinen, verlassenen Dorf im Rheingau. Hier geht man aus, hier ist man gesellig und es gibt genug Anlässe NICHT um 22 Uhr ins Bett zu gehen. Doch um mir diese Frage ausführlich zu beantworten reicht die Zeit nicht. Es geht schon wieder weiter im römisch-germanischen Gespräch.

„Noooo! Ascoltate: La vita non e‘ solo moglie, bambino e lavoro. Io ho bisogno di aria! Devo rispirare l‘aria di Roma, l‘aria d‘Italia. No, no, loro possono stare a casa. Io ho bisogno di passare un po‘ di tempo con voi!“ [Neeein! Hört mal: Das Leben besteht nicht nur aus Frau, Kind und Arbeit. Ich brauche Luft! Ich muss die Luft Roms atmen, die Luft Italiens. Nein, nein, die können daheim bleiben. Ich muss etwas Zeit mit euch verbringen!] röhrt der Römer weiter ins Telefon.

Aha. Macho-Modus an, denke ich – viel zu spät. Jetzt ist bis zum Ende des Gesprächs Hopfen und Malz verloren. Da geht er dahin: In die ewigen Jagdgründe des Sprücheklopfers, der daheim (schwangerschaftsbedingt) nicht mehr als „Si, amore mio. Subito, amore mio.“ [Ja, mein Schatz. Sofort, mein Schatz.] rausbringt. Hier sind also seine 15 Minuten „Alpha Tier“. Es sei ihm gegönnt.

„Hahaha!!!“ lacht es laut. „Ma cheeeee! Certo che mi ricordo. I tempi meravigliosi al campo (de‘ fiori). Con tutti i miei amori… e cuori.“ [Aber was! Natürlich erinnere ich mich. Wunderbare Zeiten auf dem Campo de‘ Fiori. Mit all meinen Lieben… und Herzen/Liebschaften.]

Ich lasse mich tiefer ins Badewasser sinken – nicht ohne meine Augen abermals zu verdrehen. Mein kugelrunder Bauch thront dabei erhaben aus dem Wasser wie ein toskanischer Hügel.

„Allora, ragazzi. Vi prometto di venire a Roma prima possibile, ma adesso devo andare – mia moglie si lamenta.“ [So, Jungs. Ich verspreche euch, dass ich schnellstmöglich nach Rom komme, aber jetzt muss ich los – meine Frau beschwert sich.]

Anscheinend leben der Römer und ich auf zwei verschiedenen Kontinenten der Wahrnehmung. Ich liege selig schweigend in der Badewanne und mache keinen Murks und er behauptet, ich würde mich beschweren, dass er so lange telefoniert. Interessant!

Er grölt seine Verabschiedung über die Alpen und legt auf. Kurze Zeit später öffnet sich die Tür des Badezimmers einen Spalt breit. „Amooooore, vuoi anche tu un té?!“ [Schatz, willst du auch einen Tee?] fragt er. Ich gucke ihn irritiert an. „Das ist aber nett von dir, wo ich mich doch so beschwert habe, dass du telefoniert hast.“ gebe ich schlagfertig zurück.

Er läuft rot an.

„Das war doch nur, weil ich keine bessere Ausrede wusste um das Telefonat zu beenden.“ gibt er kleinlaut zurück. „Na, wenn das so ist und du mich schon als garstige Ehefrau benutzt, dann hätte ich zum Tee auch gerne Vanille-Kipferl.“ gebe ich spielerisch-gekränkt zurück. „Si, amore mio. Subito, amore mio.“ [Ja, mein Schatz. Sofort, mein Schatz.] kommt zurück und der Römer eilt in die Küche.

Na, solange er nur ein scheinbarer Macho am Telefon ist, ist das schon ok.