Im Leben der Anderen

Das Leben der Mitmenschen ist deutlich einfacher zu leben als das eigene… oder etwa nicht?

Wenn ich zum Beispiel Turtles Leben hätte, wäre ich taff. Aber so richtig. Ein wahrhaftes Powerweib wäre ich. Meinen ungeliebten, aber neuen Job würde ich mit wehenden Fahnen verlassen. Die Kündigung hätte ich schon längst auf den Tisch des Chefs geknallt und ihm klipp und klar gesagt, dass ich ohne Einarbeitung nicht weiterkomme und -mache. Meine Tasche hätte ich gepackt und wäre erhobenen Hauptes aus dem Bürokomplex spaziert. Abwarten wäre keine Option gewesen – vielmehr eine Beleidigung hinsichtlich meiner Arbeitsleistung.

Turtle wartet ab – und begnügt sich mit der nicht vorhandenen Einarbeitung bei immer größeren Forderungen des Chefs.

Im Leben vom Anderen würde ich Sport machen – und zwar konstant. Mindestens dreimal die Woche. Ich würde 30 Kilo abnehmen, langsam aber zielgerichtet, denn jammern alleine würde meine Kilos nicht schmelzen lassen. Meine Ernährung würde ich umstellen, fitter werden, weniger oder gar keinen Alkohol trinken. Überall, wo es Treppen gibt, würde ich Treppen steigen – statt den Aufzug zu benutzen oder mich bequem auf die Rolltreppe zu stellen. In kleinen Schritten hätte ich sehr große Erfolge.

Der Andere hingegen hadert und geht mal mehr, mal weniger zum Sport. Mal fastet er und achtet auf die Ernährung, dann wieder lebt er im Süßigkeitenland und bestellt Pizza en masse. Abnehmen ist sein Dauerthema – und doch gelingt es ihm nicht.

Im Leben des Römers würde ich mehr Arbeitsstunden verlangen und ein höheres Gehalt. Ich würde meinem Arbeitgeber sagen, dass Überstunden zeitnah bezahlt werden müssen und ich in einem gesuchten Beruf arbeite. Wenn Sie nicht spuren, dann würde ich mir einen anderen Arbeitgeber suchen. Man muss ihnen schon das Messer auf die Brust setzen: Mehr Stunden – oder ciao kakao! Knallhart muss man sein – und das Betriebsklima wäre mir auch egal. Man kann nicht nur von einem gutem Betriebsklima leben. Meine treuen Patienten folgen mir sicher in die neue Praxis.

Der Römer bleibt, weil ihm das Betriebsklima wichtiger ist als der große Rubel.

Im Leben der anderen Mütter würde ich auch bei Dauerregen rausgehen – das Kind braucht schließlich frische Luft. Ich würde die Regenhülle des Kinderwagens festmachen, mich regenfest anziehen und hinaus in den kalten Eisregen stapfen, der mir ins Gesicht peitscht.

Ich bleibe jedoch bei Dauerregen lieber in der warmen Stube.

Ich würde für den Römer und mich viel öfter kochen – und keine Pizzaphasen haben. Wenn ich für Signorino koche, dann kann ich doch gleich problemlos für uns mitkochen.

Stattdessen kommen und gehen sie wie Ebbe und Flut: Die Pizzaphasen.

Drei Mal die Woche würde ich meinen Beckenboden trainieren. Was ich heute nicht an Muskeln aufbaue, bekomme ich morgen auch nicht wieder zurück. Yoga würde ich machen, sobald Signorino schläft. Viel weniger im Internet surfen würde ich eh. Die gewonnene Zeit würde ich nutzen um an meinem ersten Buch zu schreiben. Ein Roman – klar.

Stattdessen überlebe ich die Tage, die durch die holprigen Nächte so anstrengend sind. (Aber immerhin: Wir haben uns gebessert von besch*ssen auf nicht gut)

Wenn ich das Leben eines anderen hätte, würde ich Signorino sofort in die Kita schicken. Trennungsschmerz muss er lernen – und ich auch. Ich würde auf keinen Fall den finanziellen Gürtel enger schnallen um bei ihm daheim zu bleiben. Nein, stattdessen würden wir eine größere Wohnung suchen – davon hätte Signorino schließlich auch etwas. Generell würde ich der Luftfahrtbranche den Rücken kehren, da sie viel zu unstet ist. Egal ob Passion oder nicht – die Abfindung würde ich bereitwillig nehmen und dann postwendend verschwinden. Im Job kann man nicht immer nach Leidenschaft handeln. Es geht auch ums Geld verdienen!

Stattdessen bleibe ich daheim, wir schnallen den Gürtel enger und ich hoffe, es geht mit der Luftfahrtbranche irgendwann wieder bergauf.

Im Leben eines anderen würde ich schneller und einfacher verzeihen, mehr lachen und weniger weinen. Ich würde keine Ungerechtigkeit, auch nicht die kleinste, dulden. Ich würde stets im Hier und Jetzt leben und mir über das Morgen keine Gedanken machen. Ich würde Dinge sofort akzeptieren, die ich nicht ändern kann und gleichzeitig alles zum Guten ändern, wenn ich denn nur das Leben eines anderen hätte. Ich würde im richtigen Moment die richtigen Dinge sagen und im falschen Moment besonnen schweigen. Ich wäre stets ich und gleichzeitig die beste Version von mir selbst. Es gäbe keine Tage, in denen ich mich und meine Gedanken nicht ertragen könnte. Im Leben eines anderen bin ich mit mir zu 1000% im Reinen. Zweifel würde ich haben, aber sofort wegmeditieren – auf dass sie im Nichts verpuffen. Die alten Geschichten und Wunden der Vergangenheit würden nicht mehr an mir nagen. Stets wäre ich gerecht, würde jeden Anflug von Ungerechtigkeit meinerseits bemerken und im Keim ersticken.

Im Leben der Anderen ist’s doch ganz einfach richtig zu handeln und eine einfache Lösung zu finden.

Und einfach klingen meine Tipps für all die anderen Leben. Ganz leicht umzusetzen sind sie. Da bin ich mir sicher.

Doch wenn es so wirklich so einfach wäre, dann hätten die anderen es doch schon längst gemacht, oder?

Schlussendlich ist nichts so einfach wie es scheint. Das Leben der Anderen wäre ein Leichtes für mich. Doch gleichzeitig fällt mir meines schwer? Ja, weil niemand meinen Weg gehen muss – und niemand meinen Weg je gegangen ist. Genauso verhält es sich mit den anderen. Ich bin deren Weg nicht gegangen – und werde ihren Weg nie gehen (müssen). Begleiten werde ich ihn, aber niemals selbst beschreiten.

Wenn’s denn so einfach ist, dann leb doch dein Leben so als wär’s das der Anderen!

Zurück zum Schreiben

Wissen Sie wie mein Tag aussieht? Natürlich wissen Sie es. Oder Sie können es sich zumindest vorstellen. „Kind. Haushalt. Mann.“ würden Sie jetzt in knackigen Stichpunkten aufzählen. Und ich würde Ihnen Recht geben. Dann würden wir 20 Minuten darüber reden wie anstrengend Kinder sein können, ich würde „Schon der dritte Kaffee heute“ stöhnen und Sie würden mitleidig nicken. Damit wäre die Frage beantwortet.

Aber wissen Sie, wie ich eigentlich meine Zeit verdinge? (Ich schreibe bewusst „verdinge“, nicht „verbringe“)

Soziale Netzwerke – Aktienkurse – Emails – Zeitung.

In dieser Reihenfolge und mit einer deutlichen Gewichtung auf „soziale Netzwerke“. So schaue ich mir also tagein tagaus „Stories“ von bekannten und weniger bekannten Gesichtern an. Sie reden über ihren Alltag und ich lausche. Ich, die ich doch selber einen Alltag habe. Und so verbringe ich die Stunden und Minuten in denen Signorino schläft, damit.

Und – dafür schäme ich mich ein bisschen – auch ein paar Minuten, in denen Signorino wach ist und spielt. Neben seinem Spielebogen sitzend, klicke ich durch die Leben der anderen, obwohl ich doch gerade in meinem Leben bin und dort teilnehmen sollte.

Warum ich das mache? Weil es mich entspannt. Dieses berieselnde Gefühl des „nicht-denken-müssens“, des „Mutti-ist-mal-kurz-gedanklich-in-Panama-am-Strand“. Bis ich an einen Punkt kam, an dem ich dachte: Halt! Stop! Was habe ich denn früher gemacht?

Ich habe geschrieben. Mein allererster Blog (indubioprosecco) befüllte du regelmäßig mit Gedanken und diese Gedanken befühlten mein Herz, machten Dinge klarer, ordneten meine Gefühle und Überlegungen, die vergleichbar waren mit einem überfüllten Mülleimer an einem sonnigen Sonntagnachmittag im Park.

Das Schreiben bereicherte mein Leben.

Und dahin gilt es nun zurückzufinden. Zum Schreiben.

In diesem Sinne: Ich hoffe, wir lesen uns.

Der Weg ist das Ziel!

Krankenhaus Besichtigung

Liebe Leser, meine Albanien-Berichterstattung wird unterbrochen für einen anderen Beitrag aus der Serie „Schwangerschaftsgedanken“. Nicht, dass Sie sich noch langweilen. Aber keine Sorge, immer Mittwochs (oder Dienstags 😄) kommen meine Albanien Artikel weiterhin raus. 😉

Bin ich die coolere oder die naivere Mutter? Das ist die große Frage. Und die wurde mir bewusst bei der Krankenhaus Besichtigung letzte Woche.

Vorab: Es gibt einige Krankenhäuser in unserer Stadt. Man findet hier die kleinen, heimeligen oder aber die großen, hochspezialisierten Krankenhäuser. Bei uns ums Eck, Luftlinie 500 Meter, ist ein kleines, heimeliges. Entbinden kann man dort ab der 36. Schwangerschaftswoche, da es keine Baby-Intensivstation gibt.

Wir kennen das Krankenhaus schon. Der Römer wurde dort operiert und ich wurde dort mit meinem gebrochen Fuß behandelt.

So trug es sich also zu, dass ein Grüppchen Schwangere sich zusammen mit den jeweiligen Partnern in der Lobby des Krankenhauses traf. Man konnte 40 Babybäuche in allen Größen und Formen bewundern. „L’incontro delle balene“ [Das Treffen der Wale] flüsterte mir der Römer wenig charmant zu. Ich musste trotzdem grinsen. Ja, es sah tatsächlich so aus.

Wir wurden in die Cafeteria des Krankenhauses geführt und der Vortrag des Chefarztes und der leitenden Hebamme begann. Mir gefiel er sehr gut, weil freundlich aber bestimmt gesagt wurde, was geht und was nicht. Der Chefarzt sagte – eine für mich logische Sache – die aber viele erstaunte Gesichter hervorrief: „Wenn wir eine brenzlige Situation haben, dann haben wir keine Zeit in genau dieser Sekunde mit Ihnen ausführlich darüber zu diskutieren. Wir machen unseren Job und sorgen für Sicherheit für Sie und Ihr Kind. Gerne sprechen wir danach ausführlich über die Situation, wir erklären und machen verständlich. Aber in dieser Situation bitten wir Sie, dass wir unseren Job machen dürfen.““

Das saß. Mindestens zwei Elternpaare erhoben sich und gingen. Ich grinste. Der Römer nickte begeistert. „Giusto quello che dice! Assolutamente giusto!“ [Das ist richtig was er sagt! Absolut richtig!] flüsterte er in mein rechtes Ohr. Zu sehr kannte er es aus seinem medizinischen Beruf, dass gerne der medizinische Laie mitredet. „Dr. Google sagt aber, dass….“

Eine Mutter fiel mir ganz besonders auf. Sie stellte trölfzigtausend Fragen und hatte sehr genau im Kopf wie die Geburt ihres ersten Kindes ablaufen muss. „Ich möchte es so und so. Aber ohne Dammschnitt. Wie ist das mit einem Kaiserschnitt? Wie wird das bei Ihnen mit Bonding gehandhabt? Wie kann ich ein Familienzimmer buchen? Kann sich mein Mann direkt nach der Geburt auf meine Liege legen?“ Ich rollte genervt mit den Augen.

Vielleicht bin ich naiv, vielleicht ignorant, aber seit Jahrtausenden von Jahren existiert die Menschheit und die Medizin ist weiter als jemals zuvor. Frühchen, die früher keine Chance hatten, bekommen die beste, medizinische Hilfe, die man sich vorstellen kann. Aber, und da bin ich mir sicher, eine Geburt folgt keinem Drehbuch. Wenn es so wäre, wäre die Geburt vom Bambino nämlich ein Kurzfilm und endet nach 6 Minuten mit einem Happy End. 😉

Von Wehen geplagt ist mir wahrscheinlich egal, ob die Hebamme eine homöopathische Lösung für mich bereit hält. Ich möchte nur keine Schmerzen mehr haben. In den Presswehen sind mir Akkupunktur Nadeln in meinen Ohren egal. Ich möchte auch meine Plazenta nicht mit nach Hause nehmen und sie einfrieren.

Es gibt keine 100% Sicherheit für eine Geburt. Es gibt ja nun auch keine 100% Sicherheit für dasLeben. Leben heißt Überraschung. Vieles ist planbar, so denken wir. Manches ist gesteuert. Man hat es nicht in der Hand. Egal wie sehr man sich bemüht.

Und dazu zähle ich auch die Geburt. Bis jetzt habe ich keine Angst. Wenn es anfängt, fängt es an. Ob es am Ende ein medizinisch notwendiger Kaiserschnitt, eine Traumgeburt oder 36 Stunden Wehen wird – ich weiß es nicht. Aber ich bin mir sicher, ich werde es in den nächsten Monaten herausfinden.

Aufgenommen vom Einen auf den Galapagosinseln. So fühle ich mich! Müde und dickbauchig im Sand.

Du machst deins und ich mach meins

„Ich möchte keine Latte-Macchiato-Mutter werden.“ ist mein Leitsatz. Immer noch. Und ausgeprägter denn je.

Ich sehne nicht den Moment herbei, ein viel zu enges Streifenshirt anzuziehen, nur damit mich Bekannte oder gar Fremde darauf ansprechen, ob ich wohl schwanger sei. Ich trage gerne luftige Sachen. Und so können es die meisten nicht erahnen und wenn, dann sieht es jetzt im fünften Monat eher nach Blähbauch als nach Schwangerschaftsbauch aus.

Auch beim Schwangerschafts-Yoga wird man mich nicht finden. Ich werde keine von den gertenschlanken Hafermilch-Decaff-Latte Muttis sein, die sich seelig über das viel zu enge Yogaoberteil streicheln und seit dem Ersttrimester Screening und der DNA Analyse wissen, dass es eine Lina Sophie anstatt eines Ben Collin wird. Zumal wir kein Ersttrimester-Screening wollten. Wir nehmen unser Kind genauso wie es uns gegeben wird. Und wenn es an Trisomie 21 erkrankt ist, so ist es immer noch unser Kind. Egal wie es geboren wird.

Man findet mich auch nicht vor Glück seufzend in Babygeschäften, wo ich Strampler für 30 Euro kaufe und mir vorstelle wie Lina Sophie oder Ben Collin darin aussehen. Stattdessen kaufe ich Bekleidungspakete für Neugeborene bei einem bekannten deutschen Online Aktionshaus. Die gebrauchten Strampler haben mehrere Vorteile: 1. Sie sind meistens Topware, die kaum getragen worden sind, weil Babies nun mal schnell wachsen. 2. Frei von Chemiespuren, die sich nach dem Kauf meistens noch in der Kleidung befinden. Durch das häufige waschen, verschwinden sie aber komplett. 3. Sie schonen den Geldbeutel und 4. Man kann sie danach noch weiterverkaufen.

Gegen die Vorstellung eines Geburtsvorbereitungskurses wehrte ich mich auch. „Seit Millionen von Jahren gebären Frauen Kinder. Warum sollte ich mich denn mit einem 10-stündigen Kurs darauf vorbereiten?“ erwiderte ich, wenn mich jemand danach fragte. Der Andere guckte schockiert und sagte, dass das wohl das mindeste ist, wenn ich mich schon dem Schwangerschafts-Yoga und einer Babyshower-Party verweigere.

Also suchte ich heute danach und was soll ich sagen? So wie ich denken wohl sehr wenige. Im Oktober sind alle Kurse ausgebucht (außer der englischsprachige) und im November ist’s schon zu spät für mich. Ich werde nochmals recherchieren müssen, ob sich nicht doch einer auftut. Oder aber ich gehe in den englischsprachigen. Das wäre auch ok, finde ich!

Ich bin und werde keine schlechte Mutter, nur weil ich mich verweigere in großen Müttertrauben zu fünft, sechst oder siebt, Kinderwagen am Fluss entlang schiebend, meinen Latte Macchiatto zu schlürfen und über den Stuhlgang der Babies zu diskutieren. Meine Schwangerschaft ist kein Event.

In neun Monaten entsteht ein wunderbarer, kleiner Mensch, den wir fest in unsere Arme schließen und nie wieder hergeben. Aber wir müssen kein mehrtägiges Fest daraus veranstalten. Alles, was für mich zählt, ist unsere kleine Familie. Das muss ich auch nicht bei den gängigen sozialen Medien publizieren – mit Ultraschallbildern und Herzchen-Smileys.

Auch unser kleiner Bambino hat ein Recht auf Privatsphäre. Allein deswegen wird es keine Bilder bei Messenger-Diensten und sozialen Netzwerken geben. Auch nicht von hinten und auch keine Hand oder ein Fuß. Wir sind zum Schutz und zum Wohlergehen unseres Kindes da und nicht zur Selbstvermarktung.

Wer sich dafür oder dagegen entscheidet, hat meine vollste Unterstützung. Oder wie meine Oma zu sagen pflegte: „Du machst deins und ich mach meins. So mach ma’s dann, gell?“