Weihnachtsidylle

Dreijährige verfügen über eine ganz besondere Eigenschaft: sie verweigern sich jeglicher Logik und handeln meist vollkommen unvorhersehbar. Jede Software der künstlichen Intelligenz würde an dieser Personengruppe verzweifeln. Unzählige Vorhersagen pro Sekunde – und keine würde auf Signorino zutreffen. Willkommen im Leben mit einem Dreijährigen.

Quelle: Peng Streetart

Am ersten Weihnachtsfeiertag spazierten wir durch den großen Park am Ende unseres Wohnviertels. Als Signorino aus dem Kinderwagen entlassen werden wollte, wir den Reißverschluss des warmen Sitzsackes öffneten und ihn auf den geteerten Spazierweg hoben, stellte er empört fest: „Es ist eiskalt!!“ Dies mag auch daran liegen, dass er unbedingt die „weißen (Turn-)Schuhe“ anziehen wollte. Nach dieser frostigen Feststellung machte er gleich noch eine weitere: „Oh! Überall Garten!“ und peste über das matschig-braune Grün. Ich klammerte mich am Kinderwagen fest. Keine zehn Pferde würden mich in und auf diese Matschfläche bringen. Entschuldigend guckte ich den Gatten an, der zweifelnd seine ebenfalls weißen Turnschuhe betrachtete. Das Kind jagte derweil über die Wiese, immer wieder „Garten! Garten!“ schreiend. Als er über eine Wurzel fiel, eilte der Römer mit seinen hellen Ledersneakern zum Kinde. „Alles gut, Signorino!“, rief ich aufmunternd vom beinahe trockenen Teerweg und fuhr den Kinderwagen immer auf Höhe des Vater-Sohn-Gespanns entlang. Nach zehn Minuten, wir überquerten in der Zwischenzeit eine Straße, kamen wir im zweiten Teil des Parkes an. Dort standen vermehrt Bäume, die alle betrachtet, betatscht und umarmt werden mussten. „Oh! Großer Baum.“, machte uns Signorino auf die Höhe der Bäume aufmerksam. Ich nickte und tätschelte abwechselnd Baumrinde und blonde Kinderhaare. „Sehr gut, Mama.“, lobte mich das Kind als ich den Baum zum wiederholten Male tätschelte. Immerhin erkannte einer in dieser Familie meine Talente.

„Noch mehr Garten!“, brüllte das Kind nach diesem kurzen Lob und flitzte vom Teerweg zur Matschwiese. Ich rannte hinterher. Auf einer Anhöhe angekommen, fragte das Kind: „Oh! Was ist das denn?“ Dabei zeigte er auf eine spiegelglatte Fläche. „Eine riiiesige Pfütze!“, gab sich das Kind selbstbewusst eine Antwort. „Signorino, das ist ein See.“, sprach ich fachmännisch, doch das Kind schnappte sich bereits meine Hand und wir rannten Richtung See.

Generell, das muss ich an dieser Stelle anmerken, gibt es beim Kind nur wenige Mobilitätsstufen: Rennen, in Zeitlupe schlürfen, lustloses vor sich hinstolpern (wenn man morgens zur Kita muss) oder „Mama, tragen!“, wobei das vielmehr meine Mobilitätsstufe ist, wenn ich ein 16 Kilogramm schweres Kind durch Frankfurt schleppe.

Wir rannten also zum Gewässer. Der Römer, der zuvor seine Schuhe mit etlichen Feuchttüchern gereinigt hatte, war diesmal in der komfortablen Position den trockenen Teerweg zum See nehmen zu können. Dabei betrachtete er sehr zufrieden die Landschaft. „Mama, können wir baden?“, fragte das Kind und es war eine rein rhetorische Frage, denn er stapfte bereits selbstbewusst zum Ufer. „Äääh…nein!“, antwortete ich sehr irritiert. Das Kind drehte sich nicht eine Sekunde zu mir um, sondern rief stattdessen sehr überzeugend: „Okay – baden!“. Ich flitzte hinter dem laufenden Meter hinterher und krallte mir seine Kapuze – sicherheitshalber. „Mama, baden!“, manifestierte Signorino noch einmal seinen Wunsch sich in die kalten Fluten stürzen zu wollen. „Nein, das machen wir nicht.“, sprach ich vehement und hob ihn sicherheitshalber hoch.

Das Kind rastete filmreif aus. Er wurde knallrot, trat um sich und insistierte, dass er jetzt aber im Brackwasser dieses Frankfurter Sees baden wolle. Der Mann kam schlendernd bei uns an und sprach sehr verständnisvoll: „Che c’è, amore mio? [Was ist los, mein Schatz?]“. „BADEN!!!!“, brüllte unser Sprössling und wütete weiter auf meinem Arm. „Scusa? (Wie bitte?]“, hinterfragte der Römer seinen Wunsch und hoffte insgeheim auf ein deutsch-italienisches Verständigungsproblem. Doch es war keines.

Verständnislos guckten der Römer und ich uns an. Nicht nur, weil der Wunsch an diesem Tag, in dieser Jahreszeit, ein Wunsch bleiben würde. Nein, auch weil wir das Kind seit zwei Jahren nur unter heftigstem Gebrüll in der heimischen, wohltemperierten Badewanne waschen können. Mit jeglichen Tricks versuchen wir es dem Kind so angenehm wie möglich zu gestalten, aber es ist jedes Mal aufs Neue ein Drama in drei Akten. „Forse la temperatura dell’acqua non era giusta. [Vielleicht war die Wassertemperatur nicht richtig.]“, bemerkte der Gatte augenzwinkernd und blickte auf das eiskalte Seewasser. Ich guckte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen und einem immer noch brüllendem Kind auf meinem Arm an. „Gehen wir.“, seufzte ich und wir traten den Rückzug an.

Als wir uns langsam vom See entfernten, unterbrach Signorino seinen Wutanfall für eine Frage: „Oh! Was ist das?“, wollte er wissen und zeigte auf eine Mischung aus Ratte und Hund. „Ein Nutria.“, klärte ich ihn auf. „Ein Nutella!“, wiederholte Signorino freudig. „Nu-tri-a.“, versuchte ich es etwas deutlicher auszusprechen. „Nu-tel-la.“, versuchte es Signorino noch einmal. „Ok. Nutella.“, gab ich nach. Wir beobachteten das Nutella eine ganze Weile bis es dem Römer zu kalt wurde. „Ragazzi, andiamo? [Leute, gehen wir?]“, sprach der Gatte und rieb sich die Handflächen aneinander. Ich nickte und schnappte mir Signorinos Hand, die ich leicht zog. „Tschüss, Nutella! Schlaf gut!“, rief der Dreijährige dem Nutria zu. Es drehte sich etwas irritiert um und wackelte Richtung Ufer. „Nutella geht baden.“, stellte das Kind nun fest. Wir setzten Signorino in den Kinderwagen, schlossen den Fußsack und ließen ihn ein letztes Mal winken, ehe er auf die Idee käme, dass er auch gerne mit dem Nutria baden gehen würde. „Ciaoi, Nutella!!! Bis später.“, rief Signorino noch einmal Richtung Frankfurter Nutria.

Frankfurter Nutria

Daheim angekommen bereiteten wir alles für die Signorino’sche Badewanne vor. Als hätten wir es gewusst, brüllte das Kind wie am Spieß. Er? Baden? Seine Eltern mussten verrückt sein! Ein Signorino geht nicht baden.

Der Römer und ich blickten uns resigniert an. „È così. [So ist es halt.]“, sprach der Gatte, zuckte mit den Schultern und schnappte sich Signorino. Dann badeten wir Signorino unter lautem Geschrei.

WMDEDGT – November 2022

Es ist November. Es ist der Fünfte. Der Römer ist in Albanien und Turtle hat Geburtstag. Und so fragt Frau Brüllen mit was wir nun den ganzen Tag verbringt. Sie nennt das WMDEDGT. Na, dann wollen wir mal gucken:

Bis 1 Uhr schreibe ich an meiner Hausarbeit zum Thema Typographie und erkläre aktuelle Trends und Strömungen: Aufgrund der epidemischen Lage der letzten Jahre sehnen wir uns in der Typographie nach Nostalgie. Besonders bei einer so verpixelten, technisierten Welt wollen wir einer Gegenströmung folgen und sehen uns nach dem warmen Gefühl aus Trost und Vertrautheit. Diese Erkenntnis verpacke ich mit viel Blabla in 2000 Zeichen.

08:30 Uhr “Maaaamaaa! Mama? Mama! Maaaaama!” Signorino ist wach. Ich versuche ihn zu mir ins Schlafzimmer zu leiten, ohne dass ich dabei aufstehen muss. Es klappt nach viel Zureden erstaunlich gut – bis er ins Wohnzimmer abbiegt. Um den Römer würdig zu vertreten, macht er in jedem Raum Licht an und lässt es brennen bis er an der Küche angekommen ist. Als ich etwas abstürzen höre, springe ich auf und laufe in die Küche. Dort gable ich Signorino auf wie er gerade Kekse fürs Frühstück aussucht. Müde mache ich mir einen Espresso und einen Tee und gedenke dem Römer, der in Albanien sicher königlich bewirtet wird. Nur die Heizsituation ist hier angenehmer und konstanter.

10:30 Uhr “OH NEIN! Wie ist das passiert?”, ruft das Kind und kommt empört in die Küche, die ich gerade putze. Ich habe ihm vorhin den Sauger des Schnullers abgeschnitten in der Hoffnung, dass er versteht, dass es jetzt vorbei ist mit dem Schnuller. Das Kind drückt diese Überraschung mehrmals sprachlich so lustig aus, dass ich mich von ihm wegdrehen muss, damit er mich nicht lachen sieht. Ich bin ebenfalls mehr als empört. Wie konnte das nur geschehen? Ich lege den Schnullet auf die Arbeitsplatte der Küche. Signorino wünscht nach diesem Schreck Croissants oder Cro-soße wie er es ausdrückt und so backe ich welche auf. Der Gefrierschrank muss eh bald abgetaut werden. Danach frage ich Signorino, was wir mit dem Schnuller tun sollen: wegschmeißen oder behalten? Selbstbewusst schmeißt er ihn weg. “Okay, kaputt!”, sagt er und versenkt ihn im Mülleimer. Ich freue mich schon auf das Einschlafdrama.

13:00 Uhr Signorino und ich dekorieren für Turtles Geburtstag. Ich falte die Deko auf, klebe alles an die Wand und versuche auf den Drehstühlen nicht über Bord zu gehen. Es klappt erstaunlich gut. Dann dekoriere ich den Tisch, was beinahe und trotz Schimpfen unmöglich ist, weil Signorino die ganze Tischdeko wieder abräumen will. Pädagogisch wertvoll biete ich ein Eis an, damit er abgelenkt ist. Dann ruft Turtle an, ob sie gleich vorbeikommen darf. Aber natürlich, sie ist schließlich das Geburtstagskind.

14:00 Uhr Tante Turtle kommt. Sie und der Kuchen werden bereits von Signorino erwartet. Wir essen Kuchen, alles ist ruhig. Irgendwann muss ich eine schnelle Knete für das Kind anrühren. Turtle ist erstaunt wie unkompliziert das geht. Gegen 16 Uhr beginnt Signorinos erster, heftiger Wutanfall, gleich gefolgt von einem nächsten: Der Grund ist schnell gefunden – der fehlende Schnuller. So rastet er alle 10 Minuten RICHTIG aus,eben wie eine süchtige Person auf Entzug. Turtle und ich kämpfen uns tapfer zu zweit durch seine enormen Gefühlsausbrüche.

18:00 Uhr Ich frage Tante Turtle, ob sie Kürbiscurry essen möchte. Sie bejaht. Rasch erwärme ich das schon fertig gekochte Curry und mache Reis dazu. Sie spielt währenddessen im Kinderzimmer mit Signorino

18:30 Uhr Während wir essen, legt Signorino eine Schippe drauf auf seinen kalten Entzug. Er stellt alles an, was irgendwie möglich ist. Schimpfen verhallt, Konsequenzen verhallen, es ist wirklich eine Farce. Gegen 19:15 Uhr beherzige ich den Rat meiner Mutter: “Wenn du dich vom Balkon werfen willst, weil der Entzug so schlimm ist, gib ihm lieber vorher den Schnuller.” Das tue ich. Turtle warnt mich davor und erwähnt, wie weit wir schon gekommen sind. Aber noch 2-3 Stunden mit einem Kind, das im großen Stil ausrastet und die Wohnung auseinander nimmt, schaffe ich nicht. Wirklich nicht. Ich gebe ihm den Schnuller zurück. Aus einem wilden Werwolf wird ein zahmes Lämmchen, das sich an mich schmiegt und zufrieden an seinem Schnuller nuckelt. Turtle ist ebenso erstaunt, was für eine Transformation Signorino durchgemacht hat.

20:00 Uhr Turtle verabschiedet sich und ich frage sie, ob sie die Schildkröte und den Seestern der Deko mitnehmen möchte. Sie freut sich sehr und wir packen die Deko vorsichtig in ihren Rucksack.

Die Schildkröte wohnt jetzt bei Turtle

Auch ein Stück Sachertorte folgt. Danach räume ich das Kinderzimmer auf, denn hier hat der Werwolf gewütet. Noch schnell den Esstisch, das Wohnzimmer und die Küche ordnen, die trockene Wäsche aus dem Trockner entnehmen und diese falten und aufräumen. Das Kind nuckelt derweil zufrieden und vollkommen ruhig an seinem Schnuller. Nach all diesen Wutanfällen und Gefühlsstürmen kann ich nur mühsam die Tränen unterdrücken. Ich fühle mich als absolute Versagerin. “Nicht mal den Schnuller kannst du ihm abgewöhnen. Das Kind rastet sicher so aus, weil das deine Schuld ist! Wärst du eine bessere Mutter, wäre das Kind auch entspannter. Es ist alles nur deine Schuld!” Selbstvorwürfe am laufenden Band. Ich schlucke die Tränen runter und mache weiter.

21:00 Uhr Signorino scheint mir so müde, dass ich sein Zimmer bettfertig mache. Dann fängt das Drama an. Nein, er möchte nicht ins Bett. Ich sage ihm klar, dass es hier keine Wahl gibt. Dann legt er sich ins Bett, steht wieder auf, robbt zum Fußende, steht wieder auf, legt sich quer. Mir reißt das letzte Fitzelchen Nervenstrang. Ich muss aus dem Raum gehen. Auf der Toilette beruhige ich mich und höre gleichzeitig “Mama? Mamaaaa!”. Ich atme zehn Mal tief ein und aus. Nach eineinhalb Wochen krankes Kind, meinem Job, den ich irgendwie außenrum gebastelt habe, ein Mann, der das Kind die ganze Zeit in meiner Homeoffice-Zeit ins Schlafzimmer/Arbeitszimmer rennen ließ und der mantraartig wiederholte “Also, da kann ich wirklich nichts machen, wenn er dauernd in dein Arbeitszimmer reinkommen will. Ich kann ihn ja nicht einsperren.”, sind meine Nerven so dermaßen blank, so dermaßen zerrissen, dass ich gar nicht genug atmen kann. Nach fünf Minuten kehre ich zurück, das Kind will wieder Quatsch machen und ich rede im Bundeswehr-Feldwebel-Ton mit ihm. “Signorino! Ab ins Bett! Sofort! JETZT! Kopf auf’s Kissen! Auf’s Kissen habe ich gesagt. Zudecken! Jetzt! Neeein! JETZT! Signorino! BASTA! BASTA!”. Signorino tut irgendwann, was ich ihm sage. Dann strampelt er sich wieder von der Decke frei. Ich wartet geduldig bis er einschläft, starre die dunkle Zimmerdecke an und denke immer wieder “Ich schaff das alles nicht mehr. Ich will auch einfach nicht mehr. Ich habe so, sooo keinen Bock mehr auf den Affenzirkus.”.

Um 21:38 Uhr schläft das Kind. Ich gehe ins Wohnzimmer, ignoriere meine Hausarbeit für die Uni, an der ich arbeiten wollte und tippe diese Zeilen. Schokolade und ein Film, dazu die leise Hoffnung, dass Signorino durchschläft, mehr kann und will ich gerade nicht.

Let’s call it a (sch€!ß) day! Aber: Happiest birthday, dear Turtle!

Espresso zu Heavy-Metal-Klängen – Das Rom-Tagebuch [Tag 7]

Montag, 29.09.2022

Es ist 09:30 Uhr und alle schlafen – außer mir. Ich bin bereits wach, wobei „bereits“ sicher das falsche Adverb um diese Zeit ist. Mit gemischten Gefühlen denke ich an unseren morgigen Abreisetag. Um 10 Uhr müssen wir aus dem Haus, um das Flugzeug gegen Mittag zu besteigen. Um ehrlich zu sein, wäre es mir am liebsten, bereits heute Abend heimzufliegen, aber das Umbuchen meines Mitarbeiter-Tickets gestaltet sich schwierig und so werden wir wohl erst morgen Mittag Rom verlassen können. Dabei bin ich mir sicher, dass diese Tatsache sehr von 15 römischen Mücken geschätzt wird und sie auf ein grandioses, letztes Abendmahl (mit mir in der Hauptrolle) hoffen.

Immer noch sehe ich aus als hätte ich Windpocken und so pflege ich meine Mückenstiche mit dem Gel, dessen Verpackung stark an einen Flüssigklebestift erinnert. Langsam erwachen die männlichen Farnientes. Der Große springt auf und will sich um Frühstück kümmern, wie er es schon die ganze Woche über gemacht hat. Der Kleine möchte wieder seine Stimmung und sein Befinden in seinem Kleidungsstil manifestieren. Heute soll es die kurze Jeanshose sein – dazu ein weißes Polo-Shirt. Ob die Vorlage seines Outfits der römische Bekannte alias „der weiße Stein“ war? Meine noch benutzbaren, scheinbar sauberen Kleidungsstücke aus dem Koffer lassen mich langsam aber sicher verzweifeln. Selbst die Teile, die ich noch kein einziges Mal in diesem Urlaub angehabt habe, sind voller Wassermelonenflecken (Grazie, Signorino!). Als der Römer von der sizilianischen Bäckerei zurück kommt und ich ihm von meiner Misere berichte, kommt just der Kommentar, dass ich schließlich nicht besonders penibel mit meiner Kleidung umgehen würde. Ganz im Gegensatz zum römischen Gatten, versteht sich. Kurz schnellt mein Puls nach oben und ich mache dem feinen Herrn Römer klar, dass sein Privileg darin liegt, Papa geworden zu sein, was bedeutet, dass die körperliche Nähe zum eigenen Kind nicht mit Ende der Schwangerschaft endet. Signorino und vermutlich einige Kinder mehr leben quasi auf einem bis sie bereit sind, sich abzunabeln. Und wie das so ist bei einem Kleinkind, dass ständig auf Mamas Schoß, Arm, Rücken oder Hüfte will, sind Mamas Kleidungsstücke eben dann fleckig und/oder verknittert. Mein, zugegeben, etwas geladener Redeschwall lässt den Römer verstummen. Solange, bis er fragt, ob ich Hilfe beim Waschen meiner Kleidungsstücke brauche. Ich nicke und bedanke mich für sein Verständnis. Gleich nachmittags würde er sich um meine Kleidungsstücke kümmern, gibt er an. Sein „Gleich nachmittags“ kenne ich bereits aus der Vergangenheit und warte immer noch auf den ein oder anderen „Nachmittag“. Aber ich bleibe gespannt.

Als wir fertig gefrühstückt haben, gehen wir vor die Tür. Erster Stopp: Ein Modegeschäft. Signorino braucht eine zweite, lange Hose, da wir nur eine eingepackt haben. Ein paar Söckchen, eine lange und kurze Hose später, sowie ein T-Shirt, dass der Mann für den Sohn haben will, nehme ich noch ein einfaches T-Shirt im Sale mit. Augenscheinlich scheint es zu passen. Für eine Anprobe ist keine Zeit.

Der nächste Halt ist unser Stammcafé Baylon. Bereits die ganze Woche freute ich mich auf den Besuch „unseres“ Cafés. Hier schlug die zarte Liebe zwischen dem Römer und mir erste, feine Wurzeln. Die süßen Croissants, der herbe caffé und die wunderbare Atmosphäre trugen sicher auch dazu bei, dass wir den Schritt wagten und der Römer zu mir nach Deutschland zog.

Doch was soll ich sagen? Corona forderte anscheinend überall seine Opfer. Das einst so geliebte Café ist ein seelenloses Loch geworden. Wir treten ein und laute Heavy-Metal-Musik kreischt aus den Boxen. Der schöne 20er Jahre Charme, die adrette Arbeitskleidung der Bedienungen und auch die charmanten Kellner*innen sind alle verschwunden. Dafür haben sie nun eine dermaßen unmotivierte, kaugummikauende Kellnerin, die so wirkt als wäre sie dazu gezwungen worden, Gast bei uns zu sein und nicht andersherum. Oder anders ausgedrückt: Diese junge Dame in der Gastgeberrolle ist definitiv eine Fehlbesetzung. Immerhin ist der caffè gut, wobei ich in Italien noch nie schlechten Espresso getrunken habe. Doch, doch, auch das passiere, sagt der Römer. Er sei vor Jahren mit der Rugby-Mannschaft in Norditalien gewesen und dort hätten sie tatsächlich schlechten Kaffee getrunken. Dennoch habe ich recht, dass man in Italien lange suchen müsse für einen wirklich schlechten Kaffee. Das sei in Deutschland besser. Man kann sich sicher sein, dass man sehr schnell wässrigen, sauren Espresso findet – egal wo. Ich „mmh-pfe“ gegen die Heavy-Metall-Musik an und mein Blick fällt auf die lange Glasvitrine, die in der Vergangenheit mit reichlich frischem Obst, Teilchen, Croissants und Kuchen gefüllt war. Hier herrscht gähnende Leere. Ein einzelner Apfel steht in einer 10-Meter-Glasvitrine. Ich fühle mich so unwohl, dass ich meinen caffè herunterstürze und den Römer nervös dabei beobachte wie er in aller Ruhe ein Päckchen Zucker in den Espresso einrührt. Verträumt starrt er in seinen Espresso, während heftige Heavy-Metal-Klänge uns immer eindringlicher Anbrüllen. Signorino zappelt unruhig auf meinem Schoss. Ja, wir sind mehr als bereit zu gehen. „È diventato proprio un buco. [Es ist wirklich ein Loch geworden.]“ stellt der Römer nun fest und rührt weiter mit ruhiger Hand in seinem Espresso. Noch eine Löffel-Umdrehung mehr und ich renne schreiend aus dem Café. Doch endlich nippt er an seinem gut gerührten Espresso. Ob ich auch eine centrifuga [Smoothie] will, will der Römer von mir wissen. Mein Blick fällt auf den einsamen Apfel in der Glasvitrine. „Ich vermute, der Apfel reicht nicht für uns beide.“, antworte ich sarkastisch. „Sie haben sicher noch irgendwo Obst.“, gibt der Römer zurück. „Sei mir nicht böse, aber ich finde, DAS ist der Eingang zur Unterwelt. Ich möchte einfach nur raus hier.“, spreche ich meine Gedanken aus. Der Römer nimmt Blickkontakt zur Bedienung auf. Lustlos und immer noch Kaugummi kauend schlendert sie zu uns. „Two forty, please.“, knurrt sie die englischen Worte als wären es Italienische. „Va bene così. Grazie. [Stimmt so. Danke.]“, sagt der Römer und gibt ihr 3 Euro. „Grazie.“, antwortet die Bedienung, krallt sich die drei Euro und schlürft lustlos davon. Es ist eben nichts für die Unendlichkeit. Nicht mal das schöne Café, in dem wir so gerne waren.

Der Römer will keine Langeweile aufkommen lassen und so schlägt er vor, in den Interior Laden nebenan zu gehen. Wir treten ein, werden höflich begrüßt, gucken uns kurz um und treten wieder auf die Straße. Zu teuer und nicht unser Stil ist das ernüchternde Ergebnis. Vermutlich hängt mir auch noch die Trauer und Enttäuschung über mein „Café“ nach, als dass mir etwas interessant erscheinen könnte. Danach schlendern wir etwas plan- und ziellos durch Trastevere und nehmen gleich noch Pizza bei La Renella mit. Eben genauso wie die Tage zuvor auch.

Ich bin so platt und gleichzeitig genervt, dass ich mich nochmal an den Computer setze und schaue, ob man nicht vielleicht doch diese Mitarbeiter-Flugtickets umbuchen kann. Immerhin ist der letzte Flug aus Rom nur zu 50% ausgebucht. Gleichzeitig würden uns nur zwei Stunden Zeit bleiben, um alles zu packen und die Wohnung fluchtartig zu verlassen. Wie schön wäre der Gedanke, heute Nacht im eigenen Bett zu schlafen? Ich versuche bei der Hotline anzurufen, aber es gibt kein Durchkommen. Gleichzeitig will das Kind jetzt unbedingt und sofort auf meinem Schoss sitzen, während ich in der Warteschleife hänge. Jeglicher Versuch vom Römer ihn wegzulocken, endet in einer lauten Kreischattacke, so dass ich die Warteschleifenmusik gar nicht mehr verstehe. Ob wir sicher sind, dass wir heute Abend zurückfliegen wollen, frage ich den Römer und er antwortet „Non lo so. Che ne pensi? [Weiß ich nicht. Was meinst du?]“. Ich lege auf. Keiner ist sich sicher, ob eine Umbuchung auf den heutigen Tag sinnvoll ist und es wäre ein unendlicher Stress alles in so kurzer Zeit zu packen. Dann soll es nicht sein. Fliegen wir halt morgen Mittag.

Müde fallen der Römer und ich ins Bett. Signorino zeigt jedoch kein Anzeichen von Müdigkeit. Draußen ist es heiß und die Mittagssonne knallt vom Himmel. Somit ist rausgehen keine Option. Warum müssen eigentlich die, die ins Bett gehen wollen, die ins Bett bringen, die nicht ins Bett gehen wollen? Signorino beginnt zu malen, zu snacken, zu trinken, zu quatschen, Dinge durch die Gegend zu tragen, seine neuen Socken auseinander zu pflücken und in unterschiedlichen Kombinationen wieder zusammenzufügen. Kurzum: Unsere Geduld befindet sich bereits im hellroten Bereich. Dazu kommt, dass permanent nach „MAMAAA!“ geschrien wird. Ich checke uns derweil für den morgigen Flug ein. Obwohl wir innerhalb der EU fliegen, wird alles abgefragt. Wirklich alles! Das kenne ich sonst nur bei Reisen von/nach Drittländern. Beim Römer ist mir nicht ganz klar, was sein Reisegrund für Deutschland eigentlich ist. Deutscher Staatsbürger ist er nicht. Er studiert auch nicht in Deutschland, macht keine Geschäftsreise und ist auch kein Tourist. Die Auswahloption „Ich wohne in Deutschland, weil ich eine:n Deutsche:n geheiratet habe und jetzt hier leben muss.“ gibt es leider nicht. Am Ende schreibe ich „Arbeit“. Stimmt ja auch.

Um halb fünf Uhr Nachmittags schlafen Signorino und der Römer endlich ein. Es war heute wirklich ein langer, anstrengender Kampf. Meine Müdigkeit ist hingegen komplett verflogen und ich habe Hunger. Also esse ich etwas und versuche dann, mich nochmals hinzulegen. Das Bett quietscht. Ich vermisse mein Zuhause mit all seinen Vorteilen. Reisen mit Kleinkind ist eine Herausforderung und hat wirklich wenig mit Erholung zu tun.

Der Große wacht wenig später auf und geht duschen. Ich erinnere noch einmal freundlich an meine Kleidungsstücke, die er „gleich nachmittags“ waschen wollte. Missmutig löst er sein Versprechen ein und wäscht mit geschickter Hand Wassermelonenflecken in der Badewanne aus. Der Kleine wacht kurz danach von den Dusch-und Waschgeräuschen auf und baut sich im Bett eine Kissenburg. Derweil packe ich schon mal die dreckige Wäsche und baue eine Dreck-Wäsche-Burg in unserem Koffer. Der Große will sich noch bei Freund A., dem Restaurantbesitzer, verabschieden und holt in diesem Zug gleich Abendessen. Während wir essen, unterhalten wir uns darüber, ob ein Abendspaziergang noch eine Option wäre. „Raus! Ja!“, spricht unsere nachtaktive Kleinkind-Eule. Als wir fertig gegessen haben, beschließen wir Piazza Venezia und den Kapitolsplatz zu besuchen. Bus Nummer 8 bringt uns dorthin und wir stellen fest, dass es eine Haltestelle direkt vor unserer Tür gibt. Selbst der Römer wusste darüber nicht Bescheid und wir sind all die Tage zuvor mit bleischwerem Kleinkind auf den Schultern sieben Minuten nach Hause gegangen. Mamma mia!

Vor Ort angekommen erklimmen wir den Kapitolsplatz mit seinen sehr steilen, mit Sommersandalen sehr rutschigen Treppen und landen sofort in der Vergangenheit: Hier war ich zuletzt alleine mit dem Römer. Die Idee ein gemeinsames Kind zu haben war weit entfernt. Es gab nur ihn und mich – und jetzt rennt unser Kleinkind lachend über den Platz und grüßt Touristen aus aller Welt mit einem fröhlichen „Haaaaallo!!“.

Der römische Gatte

Wir schauen uns noch das Forum Romanum von oben an, gehen die rutschige Treppe wieder hinunter, schlendern am Teatro di Marcello, das oft für das Kolosseum gehalten wird, vorbei und überqueren den Tiber mithilfe der Tiberinsel. Signorino will alles selber laufen (Betonung auf laufen) , was wir begrüßen würden, wäre der Verkehr nicht so dicht. So tragen wir das maulende Kind heim, dass immer wieder „Laufen! Laufen!“ schreit.

Endlich sind wir zu Hause und packen für morgen.

Pantheon beinahe ohne Linse – das Rom-Tagebuch [Tag 4]

Freitag, 23.08.2022

Morgens krieche ich wieder etwas unleidlich unter dem dünnen, weißen Leinentuch hervor. Die übliche Mischung aus quietschendem Bett (bei jeder nur leicht verrutschten Haarsträhne) und der Straßenlärm, sowie die von Signorino vorgegebene, unchristliche Bettgehzeit (irgendwann nach Mitternacht) machen mich fertig. Dazu die Hitze in der römischen Hauptstadt, die stellenweise noch etwas intensiver ist als die, die ich in Frankfurt in den letzten Tagen vor den großen Ferien erlebt habe. Langsam, ganz langsam schalte ich von meinem inneren Leerlauf in den ersten Gang und habe Mühe, dabei nicht gleich vollkommen benommen vom Stuhl zu fallen. Der Römer, bei dem all diese nächtlichen Umstände und die Hitze Energiegeber (und nicht wie bei mir Energieräuber) sind, hüpft bereits gut gelaunt durch die Straßen Roms und holt Frühstück. Ein Mann wie ein Goldstück, auch das muss man ab und an lobend feststellen.

Signorino erwacht in der Zwischenzeit. Auch ihm tun die Nächte gut und er verbringt sie in vollkommener Zufriedenheit neben mir. Ich wechsle ihm die Windel und will ihm die kurze, rehbraune Hose mit dem Ananasdruck anziehen, aber keine Chance. Er weiß genau, wie er sich kleiden will und schreit wie am Spieß beim Anblick der kurzen Hose mit dem Print. Er zeigt mir selbstsicher, dass für ihn – als direkter Nachfahre des Römers – nur die orange, kurze Hose ohne Druck in Frage kommt. Dazu will er bitte das T-Shirt mit dem Eiffelturm-Print anziehen und Socken. Blau sollen diese sein! Das passende Paar zerrt er sogleich aus dem Koffer. Wenn er sich jetzt noch zweifelnd im Spiegel beäugen würde, wäre er die exakte Kopie des Römers.

Apropos Römer: Der kommt gerade zurück und wir frühstücken.

Währenddessen besprechen wir – wie die Tage zuvor – mögliche Ausflugsziele in Rom mit unserem Zweijährigen. Wieder schlägt der Römer den botanischen Garten vor, aber bei aller Liebe für den botanischen Garten, zwei Mal in zwei Tagen muss ich ihm auch keinen Besuch abstatten. Mein Vorschlag, Terme di Caracalla, findet der Römer gut, allerdings ist er der Meinung, dass wir schon zu spät dran sind und die Sonne so erbarmungslos vom Himmel knallen würde, dass wir diesen Ausflug heute lieber nicht machen sollten. Am Ende entscheiden wir uns für Bummeln. Genauso heiß wie der Ausflug zur Caracalla-Therme, wie wir schnell feststellen werden, aber immerhin zahlen wir keinen Eintritt und sind schnell wieder zu Hause.

Durch Trastevere schlendernd entdeckt der Römer ein T-Shirt mit dem wenig charmanten Aufdruck „Fatti cazzi tuoi“ [Sehr frei übersetzt: Kümmere dich um deinen Mist]. Er würde das T-Shirt gerne kaufen. Gleichzeitig ist er hin und hergerissen, ob er das T-Shirt wirklich braucht und so beschließen wir, dass wir es eventuell auf dem Rückweg kaufen werden.

Weiter geht es Richtung Nonna Vincenzas Konditorei. Leider sind wir noch so voll vom Frühstück, dass wir keinen Platz für ein zweites Frühstück finden können. Am Campo de‘ Fiori angekommen, zeige ich dem Römer einen geheimen Geheimgang, der tatsächlich so geheim ist, dass der Römer ihn nicht kennt. Dazu halten wir uns an der Piazza del Biscione, die direkt an den Campo de‘ Fiori anschließt, ganz rechts bis wir einen Art Tunnel entdecken. Dort gehen wir hindurch und kommen an der Via di Grotta Pinta heraus. Das ist sicher nichts weltbewegendes, aber für mich war es ein schönes Gefühl, dem Römer etwas von Rom zeigen zu können und nicht nur Sehenswürdigkeiten, Tricks und Kniffe gezeigt zu bekommen.

Die Aussicht auf die Kuppel der Kirche Sant‘Andrea della Valle wartet nach dem geheimen Geheimtunnel auf Sie.

Der Römer lotst uns zur Piazza Navona. Dort gönnen wir uns auf der Stufe zum Trottoir sitzend eine kleine Trinkpause. Es ist sehr heiß und viele Tourist:innen sind auf und an der Piazza unterwegs. Wir blicken auf die brasilianische Botschaft und mir wird schlagartig blümerant. Nicht etwa wegen der brasilianischen Botschaft, viel mehr, weil mein Kreislauf verrückt spielt. Ruckartig stehe ich auf und hoffe, dass es besser wird und tatsächlich geht es mir etwas besser. Mein Kreislauf läuft sich langsam wieder warm, oder, hinsichtlich der Temperaturen, vermutlich eher kühl. Wir beschließen weiterzugehen und der Römer bringt uns zum Pantheon – sein Lieblingsbauwerk. Wir beobachten die Tourist:innen, die allesamt nur damit beschäftigt sind, sich vor dem Pantheon fotografieren zu lassen. Abseits steht ein älteres Schweizer Pärchen in Tarn-Beige gekleidet. Sie sind die einzigen, die das Pantheon mit eigenen Augen und nicht durch eine Linse betrachten. Ihre Köpfe stecken sie zusammen und weisen sich gegenseitig auf Dinge hin, die sie an der Außenfassade oder an der Architektur des Pantheons in all seiner Einzigartigkeit entdeckt haben. Ja, diese beiden erleben Rom tatsächlich wie es sein soll und am Ende haben sie vermutlich mehr zu erzählen als all die Fotograf:innen, die nur auf der Suche nach dem nächsten Like sind.

Ein schneller Schnappschuss auch von mir. 😄

Der Römer will mir noch eine ganz andere Sehenswürdigkeit zeigen. Bei einem Jeansgeschäft am Eck hat er DIE Herren-Jeans schlechthin entdeckt. Jeder hat eben am Pantheon Augen für etwas anderes. 😉 Anprobieren möchte er sie nicht, weil das mit Signorino jedes Mal eine Herausforderung ist und so wollen wir gerade weiterziehen bis ich das Pärchen, dass sich in den Nationalfarben Italiens gekleidet hat, entdecke. Ich vermute, dass es ein Zufall ist, aber ein Foto war es mir doch wert. Ob die Dame heute früh zu ihrem Liebsten sagte: „Wenn du rot und weiß anziehst, bin ich grün?“ Als ich den Römer auf das italienische Duo aufmerksam mache, muss auch er laut lachen. Mein Vorschlag, dass er morgen Rot und Gold anzieht, während ich ganz in Schwarz gehe, findet er dann nicht mehr so zum Lachen. Spielverderber!

Ein Bild für die Götter. Sie in Grün. Er in Rot und Weiß. Zusammen stellen sie die italienische Flagge dar.

Wir setzen unseren Rundgang fort und besuchen die Galleria Alberto Sordi, oder wie sie bei mir heißt „Umberto Ecco“. Na ja, immerhin eint die beiden, dass sie berühmte Italiener waren. Dort sind mittlerweile alle Geschäfte dauerhaft geschlossen, dafür sind zwei Kaffeebars offen. Wir setzen uns zu der linken Kaffeebar und meine Blase drückt. Das Tat sie schon im Frühjahr 2019 an dieser Stelle und ich wunderte mich noch, warum ich ständig pinkeln musste. Tja, Signorino war damals schon mit an Bord – wir wussten nur nichts davon. Diesmal ist niemand mit an Bord und ich gehe zur Toilette und zeige pflichtbewusst meinen Kassenzettel vor, um mir einen Euro Toilettengebühr zu ersparen. Denn wer im Café konsumiert hat, darf die Toilette kostenlos benutzen. Die wunderbare Reinigungskraft hat den Laden im Griff – aber sowas von. Nach jeder Benutzung putzt und desinfiziert sie, was das Zeug hält. Sie kontrolliert, dass nicht zu viele Leute auf einmal im Spa-Bereich (den Ausdruck können Sie beinahe wortwörtlich nehmen, so sauber ist das WC) stehen und ist dazu freundlich und überaus fleißig. Als ich gehe bedanke ich mich herzlich bei ihr und lege ein paar Münzen in ihre kleine, dunkelgrüne Schale.

Zurück am Tisch diskutieren der Römer und Signorino gerade über die Sinnhaftigkeit der Zuckerpäckchen in einer kleinen, schwarzen Plastikschale, die auf dem Tisch steht. Der Römer findet es sinnvoll, dass die Zuckerpäckchen in der dafür bestimmten Zuckerschale bleiben sollen. Signorino stellt das gänzlich in Frage und lädt Zuckerpäckchen um Zuckerpäckchen aus, die der Römer geflissentlich wieder einräumt bis sie sich nach dem dritten Zuckerpäckchen streiten. Auch als ich mich auf die Seite des Römers stelle, ist das Geschrei bei Signorino groß. Er hat absolut ungerechte Eltern, die nichts und zwar gar nichts verstehen. Als Trostpreis bekommt er mein unbenutztes Zuckerpäckchen und wir tragen das 15 Kilo Kind zur Piazza Venezia, von der wir ein Taxi nach Hause nehmen wollen. Doch weil es gerade so schön ist, frage ich den Römer, ob wir nicht doch noch zum Largo Argentino weitergehen wollen und er gibt sich geschlagen. Dafür trage ich das Kind auf meinem Arm weiter. Der Largo Argentino ist komplett eingezäunt. Vermutlich wollten die Katzen, die dort leben, einfach mal ihre Ruhe und haben Betriebsurlaub eingereicht.

Da es nur noch wenige Schritte zur Bushaltestelle, die eigentlich eine Tramhaltestelle ist, sind, beschließen wir, uns das Taxi zu sparen. Wir fahren also wieder Richtung Casaletto und der Römer erklärt unserem Nachwuchs abermals, dass es jetzt „a casa“ (nach Hause) und ins „letto“ (Bett) geht und nur deswegen „Casaletto“ auf dem Bus stehen würde. Der Kleine guckt irritiert und fasziniert zugleich. Vermutlich hört er selten so viel dummes Zeug in einem Satz. Als wir im Bus sitzen, sind wir erleichtert, dass der Bus über eine Klimaanlage verfügt und diese noch dazu funktioniert. Wir schleppen das Kind die letzten Meter nach Hause und machen das Essen warm. Danach weigert sich das Kind Mittagsschlaf zu machen und so verbringen wir die Zeit bis 16:30 Uhr mit einem sehr knatschigen, sehr müden Kind bis Signorino endlich einschläft.

Der Römer mustert meine unzähligen Mückenstiche an den Beinen mit großen Augen. Ich sehe ziemlich zerstochen aus. Noch dazu kratzen die Dinger wie verrückt. Rasch zieht der Römer seine Schuhe an und geht in die Apotheke. Dort holt er mir ein Anti-Juckreiz-Gel gegen Mückenstiche. Auch, wenn ich mich wiederhole: Ein Mann wie ein Goldstück. Dankbar nehme ich es entgegen, betupfe die Stiche, doch es juckt immer noch fürchterlich. Immerhin haben sich die Mücken einzig und alleine mich als lebendes Buffet ausgesucht. Signorino und der Römer bleiben komplett verschont. Der Römer schnappt sich seinen Laptop und bereitet seine Bewerbung für ein Uni-Projekt vor, während ich meinen Reisebericht stichpunktartig abtippe. Dann sortiere ich Urlaubsbilder.

Nachdem Signorino erwacht ist, holt der Römer Supplì und Pizza von unten. Der Laden ist bekannt für seine Supplì, die als frittierte Reisbällchen beschrieben werden können. Für seine Pizza ist der Laden anscheinend nicht bekannt, denn sie schmeckt grauenhaft. Der Teig ist matschig, die Tomatensauce erinnert an Ketchup. Der Käse erinnert an geschmolzenes Plastik.

Abends verlassen wir das Haus gegen 21:30 Uhr und nutzen es schamlos aus, dass das Kind eine Eule ist, die nicht vor Mitternacht ins Bett geht. Der Abendspaziergang wird dennoch anstrengender als gedacht. Alleine eine Männer-WG entzückt Signorino, da sie mit einer Gießkanne die Pflanzen vor ihrer ebenerdigen Wohnungs- und Haustüre gießen. „Gießkanne! Gießkanne!“ ruft Signorino den Männern zu und sie lachen das Kind freundlich an. Schließlich finden wir noch zwei Nasoni, Wasserspender, und Signorino macht „pritsch pratsch“ mit dem heraussprudelnden Wasser. Am Ende ist das ganze Kind gewaschen und sehr nass. Wir beschließen, zurückzukehren und Signorino trocken zu legen.

Ja, die Zeiten sind wohl vorbei, in denen wir jung und unbeschwert bis spät in die Nacht durch Trastevere zogen. Alles hat im Leben eben seine Zeit – auch das. Daheim kuscheln wir uns ins Quietschebett und gucken eine Zeichentrickserie, während unten viele ausgehfreudige Leute lachend und laut quatschend vorbeiziehen. Als wir das Kind in den Schlafanzug stecken, hat er seinen Palmwedel, den er auf der Straße fand, immer noch in der Hand. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft wie es scheint.

Bekannt aus Film und Fernsehen – das Rom-Tagebuch [Tag 3]

Donnerstag, 25.08.2022

Auch meinen heutigen Zustand kann man als durchaus unausgeglichen bezeichnen. Alles kommt gleichzeitig zusammen: Die bleierne Müdigkeit, die sich in der vorherigen Woche in Bayern akkumulierte. Das Kind, das ständig ausrastet und vermutlich eben so müde ist wie wir. Das Bett der Ferienwohnung, das bei jedem Zucken quietscht. Das pure Leben, das nachts in der Bar unten an der Straße aus den Gästen und Boxen des Lokals dringt. Die Müllabfuhr, die um 4 Uhr nachts die an Müll erstickende, italienische Hauptstadt von eben diesem befreit. Und: Die Ferienwohnungsnachbarn, die um 7 Uhr morgens mit Koffern rumpelnd aus der Wohnung unter uns ausziehen. Am liebsten würde ich auch meine Koffer packen und heimfahren. Ganz Gentleman und frei nach dem Motto „Happy wife, happy life.“ bietet mir der Gatte um 8 Uhr morgens das nicht quietschende Einzelbett in der Ecke des Zimmers an. Ich schlafe noch einmal eineinhalb Stunden und bin fit. Ein Hoch auf die schnellen und effektiven Regenerierungszyklen meines Körpers, die um einiges kürzer geworden sind seitdem ich Mutter bin.

Morgens holt der Römer Brioche, die sich wirklich als solche bezeichnen dürfen. Innen fluffig, außen süß und knusprig. Ich frage den Römer, wo er diese Croissants gekauft hat und er erzählt mir, dass die Bar „Il Siciliano“* heißt. „Là e‘ un po signorile. Ma hanno dei brioche buoni.“ [Dort ist es ein bisschen vornehmer. Aber sie haben gute Croissants.], erklärt mir mein Gatte und er hat vollkommen recht. Die Croissants sind wirklich richtig, richtig gut.

Noch während des Frühstücks beratschlagen wir uns über die heutige Tagesplanung. Der Römer schlägt das Pantheon vor, das gleichzeitig sein Lieblingsbauwerk in Rom (und weltweit) ist. Mir wird ein bisschen unwohl bei der Aussicht, das Kleinkind bis vors Pantheon zu schleppen und so schlage ich etwas weniger anstrengenderes vor: den botanischen Garten. Der Römer war das letzte Mal 2003 im botanischen Garten in Rom und stimmt meinem Vorschlag zu.

13 Gehminuten später, von denen Signorino 10 Minuten getragen werden wollte, erreichen wir den orto botanico. Selbst im August ist er überraschend ruhig und stellenweise angenehm kühl.

Der botanische Garten in Rom

Details in der Schnellübersicht

Adresse: Largo Cristina di Svezia, 24

Eintritt: 4 Euro. Kinder von 0-5 Jahre umsonst. Das Schmetterlingshaus ist nicht im Eintrittspreis inkludiert und kostet nochmals 4 Euro Eintritt.

Öffnungszeiten: April – Oktober 09:00 – 18:30 Uhr; November – März 09:00 – 17:30 Uhr.

Welche Vorteile bietet diese Sehenswürdigkeit mit Kleinkind?

Es gibt viel zu entdecken und das Kleinkind kann frei herumlaufen. Achtung: Am Hang (steil!) bzw. in den japanischen Gärten ist etwas Vorsicht geboten, da dort Wasser ist.

Auch an den Treppen ist Vorsicht geboten, wenn das Kind noch nicht sicher läuft.

Es gibt Toiletten in ausreichender Anzahl und Verfügbarkeit, sowie einen Wasserbrunnen (beim Schmetterlingshaus) zum Wasser auffüllen. Dazu stehen viele Sitzbänke zur Verfügung, um zu rasten.

In der Nähe des Eingangs des botanischen Garten gibt es ein kleines Café, das aber unter der Woche (oder im August?) geschlossen hat.

Kleines Café, leider geschlossen. Man sitzt trotzdem nett.

Für Kinderwagen ist der botanische Garten sehr gut geeignet.

Alles in allem ist auch dieser Ausflug in Rom gut mit Kleinkind und Baby machbar.

Die Wege sind super für Kinderwagen.
Die Aussichten sind traumhaft.

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Danach greife ich zu meiner bereits erprobten Methode und wir locken das Kind mit einem Eis aus dem Garten. Natürlich muss es Schokoladeneis sein und natürlich muss ein waffelartiger Keks im Eis stecken. Heute und in dieser Ecke Trasteveres haben wir Glück und so finden wir gleich eine Eisdiele. Um das Eis zu essen, setzen wir uns auf die Stufen einer Schule neben der bekannten Apotheke „Farmacia di Santa Maria della Scala“, die schon in manchem Film mitwirken durfte. Das Kind ist begeistert. Nicht etwa, weil wir ihm so beeindruckende Orte zeigen, sondern viel mehr vom Schokoeis. Wie gucken den Touristen und Einheimischen zu, wobei uns Signora Clara darüber unterrichtete, dass Trastevere nur noch das Zuhause von Touristen, nicht aber von alteingesessenen Römer*innen sei. Die meisten seien weggezogen – nach Testaccio oder Monteverde Vecchio. Der Römer unterbricht meine Gedanken an den Austausch mit Signora Clara und fragt mich „Warum tragen Deutsche eigentlich immer Wanderstiefel in Rom?“. Es schlürft ein vermutlich Deutscher Staatsbürger mit kariertem Hemd, kurzer Wanderhose und knöchelhohen Wanderstiefeln vorbei und guckt unter seinem Fischerhut interessiert nach links und rechts. Ich fixiere den Herrn und denke nach. Dabei schöpfe ich aus meinem Erfahrungsschatz, als ich noch für einen Reiseveranstalter Romreisen organisieren durfte. Vorsichtig versuche ich mich an einer Antwort: „Amore, ich kann es mir nur so erklären, dass man hier alles zu Fuß machen muss und die Straßen eben sehr uneben sind. Dort knickt man schnell mal um und wer will schon im nicht deutschsprachigen Ausland im Krankenhaus liegen und tagtäglich mit der Versicherung telefonieren? Rom ist bereits Abenteuer genug, deswegen will man gleich vorab die größten Risiken wie gebrochene Knöchel ausschließen. Ansonsten kann ich dir sagen, dass wir in unseren Reiseunterlagen „festes Schuhwerk wird empfohlen“ geschrieben haben und ja, diese Wanderstiefel sind definitiv als solches zu werten.“ Mein blickt fällt auf meine dünnen Sommersandalen. Auch der Römer muss grinsen. „Aber du hast keine Wanderschuhe oder Wandersandalen an, obwohl du Deutsche bist.“ stellt der Römer belustig fest. „Ich spreche die Sprache und wenn ich umknicke, bleibe ich eben hier und lasse mich im Krankenhaus ganz in Ruhe gesund pflegen. Vielleicht kann ich dann auch endlich diesen Roman beenden, den ich vor Monaten angefangen habe? Ich würde sagen, das ist ein sehr überschaubares Risiko für mich.“ Der Römer wird etwas blass um die Nase, denn er sieht sich vermutlich schon alleine den Laden mit Signorino schmeißen. „Ganz falsch wären aber Wandersandalen nicht für dich. Oder zumindest Turnschuhe…“, antwortet er. „Danke, ich bleibe lieber bei meinen Sommersandalen.“, gebe ich zurück und stibitze mir ein Löffelchen Schokoeis von Signorino.

Auf dem Heimweg, wie sollte es anders sein, gehen wir bei La Renella vorbei und holen Pizza. Wie immer will das Kind nur Pizza Bianca und so toben wir uns bei den anderen Sorten aus. Rom ist mittlerweile backofenheiß und so beeilen wir uns heimzukommen. An einer Straßenecke schaut der Römer den Touristen auf den Teller, die gerade angestrengt ein Foto ihres Essens mit dem Handy machen. „Also hier essen wirklich nur Touristen.“ sagt er etwas zu laut auf Italienisch. Ich frage ihn, woran er das erkennen will. „La pizza sembra immangiabile. [Die Pizza scheint ungenießbar zu sein.] “ Ich gucke nun ebenso interessiert auf den Teller des Touristenpärchens. Irgendwie hat er recht. Die Pizza erinnert eher an amerikanische Fastfoodketten als an Pizza made in Italy. Hauptsache die Gäste sind zufrieden.

Vor der Haustüre treffen wir die Partnerin des Vermieters Gabriele und fragen sie nach dem ausgeschriebenen Bügeleisen. Blöderweise haben wir all unsere Sommersachen ungebügelt in den Koffer geworfen und darauf vertraut, dass die Ferienwohnungsausstattung genau so vorzufinden sei. Sie bringe uns gleich eines, antwortet die freundliche und engagierte Partnerin Gabrieles. 45 Minuten später steht sie mit einem neu gekauften Bügeleisen vor unserer Türe. Wir bedanken uns herzlich und ich freue mich sehr über unseren neuen Mitbewohner: Immerhin kann ich nachts nun die Bügelwäsche erledigen, wenn ich aufgrund des quietschenden Bettes nicht schlafen kann. 😉

Wir essen in der Zwischenzeit, dann legen Signorino und ich uns ins Bett. Der Römer arbeitet für sein Projekt in der oberen Etage der Wohnung. Das Kind schläft 3,5 Stunden, weil es so geschafft ist. Ich begnüge mich mit 1,5 Stunden und tippe dann den Text für mein Reisetagebuch ab.

Abends holen wir wieder etwas bei Restaurantfreund A. und fallen um Mitternacht ins Bett. Reisen ist echt anstrengend.

*Werbung, unbezahlt und unbeauftragt, aus Überzeugung.

Und zurück auf Anfang – das Urlaubstagebuch

Sie haben Teil 1 und Teil 2 verpasst?

Samstag, 20.08.2022

Das Kind ist immer noch krank. Das Fieber ist leider nicht verpufft, sondern klebt an dem kranken Kind wie Pech. Es ist nicht so hoch, um panisch ins Kreiskrankenhaus zu fahren, aber doch so hoch, um den Flug für heute Abend auf Morgen umzubuchen. Dazu sitzen wir in Bayern fest und können nicht vor und nicht zurück. Die Nerven liegen blank, es knarzt nicht nur im Gebälk zwischen dem Römer und mir, nein, das ganze Gebälk knackt und kracht lautstark. Seit drei Jahren war keiner mehr von uns in einem richtigen Urlaub, was durchaus auch als Luxusproblem zu werten ist. Es gibt deutlich Schlimmeres in der Welt, aber jetzt gerade im Souterrain-Gästezimmer fühlt es sich furchtbar schlimm an. Dazu klammern wir uns seit Dezember letzten Jahres an diesen Urlaub wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm. All die Arbeitsbelastung, das Studium, die Demenz meines Vaters, die schwachen Nieren des römischen Vaters, dazu die Lieblingstante des Römers, die verstorben ist und in den ersten beiden Signorino-Lebensjahren einen Schrei-Signorino, der nicht müde zu bekommen ist, ließen uns wenig Zeit für Mußestunden. Gelinde gesagt gingen wir vor dem Urlaub auf dem Zahnfleisch und hatten alle Hoffnungen auf diese Tage am Meer gesetzt, die letztendlich nicht angetreten werden können.

Nach dem Gewitter ist der Himmel immer einzigartig, finden Sie nicht auch?

Schweren Herzens stornieren wir alle Bestandteile der Reise. Das Kind will nur noch im Keller respektive Gästezimmer sitzen und weder ins ebenerdig gelegene Wohnzimmer, noch in ein anderes Zimmer im Haus seiner Oma. Signorino schreit lange und ausdauernd, findet alles blöd, weint viel und hängt wie ein lauwarmer Schluck Wasser im Bett. Am Ende essen meine Mutter, bei der wir zu Gast sind, und ich im Keller Pizza. Auf die Bettkante gequetscht sitzen wir da und kauen stumm vor uns hin, während das Kind sich endlich beruhigt und erschöpft einschläft. Vier Stunden ist er im Reich der Träume, dann ist das Fieber Geschichte. Trotz eingeschaltetem Babyphone kontrollierte ich stündlich, ob alles okay ist, denn vierstündige Mittagsschläfchen sind wir definitiv nicht mehr gewohnt. Als Signorino seine Augen aufschlägt, ist er quietschvergnügt. All die Tage zuvor scheinen vergessen zu sein.

Am Ende liegen noch eineinhalb Wochen Freizeit vor uns, die gefüllt werden möchten.

Wir starten langsam und beschließen am nächsten Tag heimzufahren. Signorino ist zwar symptomfrei, aber ab und an knatschig. Vermutlich war die letzte Woche schlichtweg zu viel für ihn. Als wir am Frankfurter Hauptbahnhof stehen und auf unsere S-Bahn warten, ist das Kind so quengelig, dass wir ihm einen Schokoriegel geben. Die Mutter vor uns mit den zwei blond bezopften Mädchen im Kindergarten wirft uns einen Blick zu, der Stahl schneiden könnte. Es scheint in diesem Moment, als bestünde das größte Problem des Frankfurter Hauptbahnhofes darin, dass ich Schokolade an einen Minderjährigen aushändige. Ein Glück fahren wir mit der gleichen S-Bahn und so kann uns die andere Erziehungsberechtigte der beiden Mädchen noch ein wenig weiter anstarren, während Signorino seinen Nachmittagssnack mit „Mmhh! Lecker! kommentiert.

Daheim angekommen, stelle ich fest, dass unsere Kreditkarte eine Reiserücktrittsversicherung beinhaltet und so rufen wir am Montagmorgen beim Kinderarzt an. Er könne für Samstag, den Tag, an dem wir storniert haben, keine Bescheinigung ausstellen. Wir hätten zum ärztlichen Notdienst gehen müssen, wenn wir für diesen Tag eine Bescheinigung gebraucht hätten. Unsere Kinderärztin könne uns nur eine Bescheinigung für Montag ausstellen und darauf schreiben, dass Signorino seit Sonntag an Fieber litt. Ich schreibe die Stornokosten bereits gedanklich ab.

Bei aller Liebe, aber 40 Minuten ins nächste Kreiskrankenhaus zu fahren, um dort drei Stunden mit fieberndem Kind zu warten, mache ich nicht. Dem Kind wäre damit nicht geholfen gewesen und bei uns lagen die Nerven eh schon blank. Zum Glück konnten wir den Mietwagen und die Flüge kostenlos stornieren, wodurch es im Geldbeutel zwar ordentlich weh tut, aber wir nicht dazu gezwungen sind, über einen Banküberfall nachzudenken.

Nachdem dieser Punkt semizufriedenstellend geklärt wurde, herrscht daheim erst einmal Ratlosigkeit. Alle sind gesund, alle sind genesen und irgendwo möchten wir dann doch hin. Nein, im August in Frankfurt zu sitzen stellt keine wirkliche Option dar. Schnell bestätigt sich meine Annahme: Überall am Meer ist es unbezahlbar. Wir wissen nicht was wir tun sollen und entscheiden uns kurzerhand für die Nebensaison in Italiens Hauptstadt Rom. Die Ferienwohnungen werden einem im August förmlich nachgeworfen, wobei sich die Touristenanzahl gleichzeitig in Grenzen hält. Dazu werte ich es als Vorteil, dass wir die Stadt so gut kennen, dass wir nicht lange nach Restaurants und Cafés suchen und auch nicht auf Teufel komm raus Fotos vor dem Kolosseum schießen müssen. Alle bekannten Sehenswürdigkeiten haben wir bereits Jahre oder Jahrzehnte vor Signorinos Geburt abgedeckt.

Wir klicken auf „Buchung bestätigen“. Ha! Was soll bei unserer Reiseplanung jetzt noch schief gehen? 😉

Ruhe vor dem Sturm – das Urlaubstagebuch

Es ist schon ein paar Tage her, als Anke anmerkte, dass wir wohl schon zurück aus unserem Urlaub in Rom sind. „Zum Glück.“, antwortete ich. Wie holprig unsere Sommerferien verlaufen sind, möchte ich Ihnen in den nächsten Tagen und Wochen erklären. Unser Urlaub – ein Rückblick!

Geplant war: Eine Woche in Bayern bei der engsten Verwandtschaft, um von dort am Freitag nach Albanien zu fliegen, um schließlich nach einem Wochenende bei der albanischen Familie des Römers den Mietwagen zu übernehmen und die Ferienwohnung am Meer zu beziehen. Aber was sind schon Pläne?

Montag, 15.08.2022

Selten läuft der Urlaubsbeginn bei uns in solch geordneten Bahnen ab wie heute. Das brauche ich denen, die uns schon länger verfolgen, nicht zu erklären, denn Sie wissen, dass es meist ein heilloses Durcheinander bei den Farnientes ist. Schließlich ist das Unvorhersehbare das einzig Vorhersehbare bei unseren Reisen. Doch heute lief die Reisevorbereitung beinahe gespenstisch glatt ab. So glatt, dass wir uns wunderten. Ist es nur die berühmt berüchtigte Ruhe vor dem Sturm oder sind wir mittlerweile so routiniert, dass uns alles leicht von der Hand geht?

Die Abendsonne strahlt durch die Bäume. In etwa so ruhig war es.

Gestern bereits packten wir Signorinos Sachen. Jemand, der noch nicht einmal einen Meter groß ist, sollte, wenn man sich das logisch durchdenkt, auf deutlich weniger Platzbedarf im Koffer kommen als seine deutlich größeren Eltern. Seltsamerweise ist es genau andersherum, was vermutlich an all den „Aber wenn…“-Kleidungsstücken des Kindes liegt. „Aber, wenn wir doch drei Mal am Tag am Meer baden sollten?“ – Zack, schon landeten zwei Handtuchponchos mit lustigen Figuren und zwei Kinder-Badehosen mehr im Koffer. „Aber, wenn es doch einen Kälteeinbruch im August in Albanien gibt? Der Klimawandel ist vermutlich noch unberechenbarer als wir es uns vorstellen können.“ Und schon warf ich drei Kinder-Kapuzenpullis in den Koffer. Als ich dreiviertel des Schrankkoffers mit Kindersachen zugepflastert hatte, entfernte der Römer ein Viertel „Aber wenn“-Klamotten und so blieb für unsere Klamotten immerhin ein halber Überseekoffer übrig. Wenn Sie sich jetzt fragen, warum wir nur einen einzigen Koffer mit auf Reisen nehmen, vermag ich die Antwort recht leicht zu geben: Wir reisen gerne mit leichtem Gepäck. Das spart Energie, Zeit und Ressourcen, die wir für all die Imponderabilien auf Reisen brauchen. Gerollt, gefaltet und gestopft quetschen der Römer und ich unsere Dinge auf die verbleibende Hälfte und finden auf besagter Hälfte meist noch ein bisschen Platz für eine kleine Packung Windeln. Dann schlossen wir den Koffer mit unserem altbewährten Spruch: „Notfalls kaufen wir das fehlende Zeug eben vor Ort.“

Als der Koffer gepackt war, nahm ich mir den Kühlschrank vor. Ich guckte, was wir noch verwerten müssen, bevor es auf Reisen geht. Dazu muss ich erwähnen, dass die Einstellung Lebensmittel zu verwerten, bevor man in den Urlaub fährt, beim Römer und bei mir sehr weit auseinander klafft. Der Römer schmeißt alles weg, rigoros und ohne mit der Wimper zu zucken. Ich koche und friere ein, schichte um, und schmeiße nur unter der ernstgemeinten Androhung der Todesstrafe Lebensmittel weg. „Eier, Butter, Milch, das muss noch weg…“, zähle ich halblaut auf. „Das heißt, ich mache nachher Waffeln und friere sie ein.“ „Ma che?! [Aber was?!] Warum machst du dir denn die Arbeit?“, unterbricht der Römer jäh meinen Gedanken. „Weil ich nichts wegschmeiße.“, antworte ich trotzig. „Bratpaprika…gibt es heute noch. Die Tomaten versuche ich an unsere Balkon-Hilfe Turtle abzugeben. Dann wäre da noch das Toastbrot… ab in den Gefrierschrank. Den Feta kannst du zu den Bratpaprika essen und den Joghurt… da frage ich nochmal Turtle. Oder wir nehmen ihn mit nach Bayern? Das sollte eigentlich gar kein Problem darstellen.“, erkläre ich dem Römer meinen weiteren Kühlschrankplan. Der Römer rollt nur mit den Augen und lässt sich einen Espresso aus der Kaffeemaschine. Selbst als ich anfange Waffeln zu backen, schenkt er mir wieder einen von seinen belächelnden Blicken. Signorino, der davon Wind bekam, dass es heute Waffeln geben wird, ist so aufgeregt, dass er begeistert zwischen Küche und Wohnzimmer hin- und herläuft. Dabei jubelt er immer wieder „Waffen!!“, wobei er den Buchstaben „L“ in Waffeln einfach auslässt. Selbstredend bekommt Signorino den ersten Teller voller frisch gebackener und lauwarmer Waffeln, die er unter lauten „Mmhs“ und „Aaahs“ isst. Während ich die restlichen Waffeln ausbacke, guckt mir der Römer neugierig über die Schulter. „Come si mangia? [Wie isst man das?]“, will er von mir wissen. „Mit Puderzucker, Kompott, Apfelmus,…“, zähle ich auf und er greift zum Honig. „Ok, lo mangio con miele. [Ok, ich esse es mit Honig.]“, spricht er und nimmt sich eine Waffel vom Teller. Es war wohl doch keine so blöde Idee, die Lebensmittel zu verwerten, denn am Ende isst Signorino 1,5 Waffeln und der Gatte 3. Den Rest friere ich ein. Als ich fertig bin, schrubbe ich die Küche und mache gleich mit dem Bad weiter. „Che stai facendo? [Was machst du gerade?]“, fragt mich der Römer, während er zwei Gläser Uva-Fragola-Getränk (=alkoholfreier Sekt) in den Händen hält. „Ich putze. Das hatten wir doch abgemacht?!“, gebe ich zurück und säubere den Badspiegel. „Già. [Schon.] Wollen wir einen kleinen Aperitivo auf dem Balkon genießen?“, will der Römer von mir wissen. Ich seufze und entgegne ihm, dass ich noch eben das eine Bad fertig putzen will und wir danach gerne seinen Plan umsetzen können. Fünfzehn Minuten später sitzen wir auf dem Balkon. Das Kind pflückt mit Freude Minzblätter vom Strauch und wirft sie in unsere Getränke . Dabei ruft er ganz laut „FÜR DICH!!!“. Einmal landet auch ein Erdbeerblatt in unserem alkoholfreien Sekt, was dem Geschmack aber keinen Abbruch tut. Danach reinigt der Gatte die Böden und wir sind fertig. Es ist 18:14 Uhr und alles ist erledigt. Sehr zu unserer Verwunderung haben wir sogar die ganze Wohnung auf Vordermann gebracht. „Liegt das jetzt am Alter vom Kind oder warum sind wir plötzlich so stressfrei durchgekommen?“, hake ich etwas verwundert beim Gatten nach. Der zuckt nur mit den Schultern. Auch als wir kein Kind hatten, artete die Urlaubsvorbereitung immer in einem riesen Chaos aus.

Vielleicht sind uns die Sterne einfach wohlgesonnen oder es entwickelt sich nach beinahe einem Jahrzehnt so etwas wie eine „Routine“? Was auch immer es gewesen ist, ich hoffe, es hält an. Drücken Sie uns die Daumen.

Haarfarbe Gut

Gestern Nachmittag versuchte ich mit Signorino seine Haarfarbe zu üben. Mehrmals wiederholte ich, dass er blond sei. Er vernahm es und sprach fleißig “brond” nach, denn schließlich kann er jetzt den Buchstaben “R” aussprechen und benutzt ihn auch gleich noch als “L”-Ersatz.

Abends, als der Römer nach Hause kam, fragte ich Signorino:

“Signorino, welche Haarfarbe hast du?”

Signorino dachte angestrengt nach. Wie war doch gleich nochmal dieses Wort für seine Haarfarbe? Ich half etwas auf die Sprünge: “B….l….”

“GUT!!!!”, schrie das Kind freudestrahelnd.

Haarfarbe “Gut” – immerhin ist das Kind mit seiner Haarfarbe zufrieden.

Haarfarbe Gut – darauf ein High-Five!

Kleinkind – Level 4

Wir spielen gerade das Kleinkind Level 4 durch, in dem man als erwachsene Aufsichtsperson nur kurz aus dem Raum geht, um das Geschirr vom Esstisch abzuräumen und das Kind währenddessen in der Küche randaliert.

Gestern zum Beispiel schmiss das Kind (trotz römischer Aufsichtsperson) die Klobürste um, klaute die halb volle Rolle Klopapier und zerfledderte sie in der Küche. Ein Glück war ich nur schnell telefonieren, so konnte der Römer unter lautem Fluchen die Klopapierschnipsel zusammenkehren, während ich das nasse Kind abduschte und in den Schlafanzug steckte.

Jetzt weiß ich, was Sie mit „Genieß es, solange er noch so klein ist“ meinten.

Ich geh‘ dann mal aufräumen während das Kind ganz sicher einen neuen, genialen Einfall hat.

Starten Sie gut ins Wochenende!