Römische Überwachungskamera

“Ach, der schon wieder. Der tönte letzte Woche auch schon unten an der Türe.”, kommentierte ich das andauernde, laute Geschrei unten auf der Straße genau vor unserem Hauseingang.

“MACH JETZT ENDLICH DIE TÜRE AUF!!! Warum ruf’ ich denn vorher extra an, wenn du NIE DIE VERDAMMTE TÜRE AUFMACHST!”, schrie es an der Haustüre schräg unter unserem Balkon. Es war so laut, dass die Sätze von den gegenüberliegenden Hausfassaden als Echo zurückgeworfen wurden. Unsere Fenster standen bei diesen sommerlichen Temperaturen natürlich weit offen. Wir konnten das Gezeter an der Haustüre in normaler Zimmerlautstärke in unserer Wohnung hören.

Der Römer sprang wie von der Tarantel gestochen auf und eilte Richtung Balkon. Die Neugier hatte ihn sprichwörtlich gepackt und nun wollte er es genau wissen. Kurz bevor er die Balkontüre aufmachte, bremste er ab, drehte den Griff in einer fließenden Bewegung nach rechts und schlenderte auffallend unbeteiligt nach draußen. Dann stützte er beide Unterarme auf der Balkonbrüstung ab und guckte scheinbar teilnahmslos mal nach links, mal nach rechts. Da er den Störenfried nicht sofort entdecken konnte, tigerte er nach kurzer Zeit zwei Schritte zur Seite, gähnte auffällig unauffällig und lehnte sich mit der Hüfte gegen die Balkonbrüstung. „NUN MACH DOCH ENDLICH AUF! Jede Woche das gleiche mit dir.“, rief der Querulant derweil unten auf der Straße. Dem Römer wuchsen immer größer werdende Stielaugen und Ohren, groß wie Rhabarberblätter, wobei er letztere meiner Meinung nach gar nicht gebraucht hätte. Man hörte den Schreihals unten auf der Straße auch so exzellent. Ich amüsierte mich derweil in der Küche, von wo man den Balkon, auf dem der Römer stand, bestens im Blick hatte. Man sagt zwar „La curiosità e‘ donna. Die Neugier ist weiblich,“ in unserem Fall war die Neugier aber eindeutig römischen Ursprungs und damit männlich.

Ohren groß wie Rhabarberblätter hatte der Mann.

Das Kind, ein bisschen gelangweilt von seinem Legospiel, witterte seine Chance. Jetzt konnte er mal so richtig mit Papa schimpfen, so wie er das mit ihm immer tat, wenn er alleine auf den Balkon huschte. Signorino stapfte auf den Balkon: „PAPA!! WAS MACHST DU DA? Geh weg vom Fenster!“, fing er sehr laut an, nur um nachzusetzen: „Du sollst nicht alleine auf dem Balkon spielen! Weg vom Balkon! Das ist zu gefährlich! Husch! Husch! Rein mit dir!“, wies der 3,5jährige seeehr laut seinen Papa an. Die Stimme an der Haustüre verstummte und der Römer duckte sich peinlich berührt und flink wie ein Wiesel nach unten. Hinter dem Sichtschutz unserer Balkonbrüstung krabbelte er auf allen Vieren beschämt nach drinnen. Mist! Man hatte das alte römische Waschweib erwischt.

So in etwa stand der Römer an der Balkonbrüstung.

„MICHAA! Nun mach endlich die Tür auf! Dein Nachbar starrt mich schon die ganze Zeit ganz komisch vom Balkon aus an.“, rief der Störenfried von unten sehr lautstark und ich prustete los.

Rot wie eine Tomate saß der Römer neben Signorino und baute Lego. „Du machst das sehr gut, Papa.“, lobte Signorino seinen Papa, nur um dann zu ergänzen: “Aber nicht alleine auf den Balkon gehen!”

Der Römer nickte pikiert.

Ja, manchmal holen einen die eigenen Erziehungsmaßnahmen ein wie ein Boomerang.

12 Kommentare

  1. Römische und Vareser Wurzeln scheinen sehr nah zu wachsen. Mein Gatte ist auch gern auf einem unserer vier Balkone (in jede Himmelsrichtung einer, wie praktisch für diesen Zweck), wenn es was zu „kontrollieren“ gibt. Ich käme da nie drauf! Lass mir aber gern berichten.🤭
    Complimenti für deinen aufgeweckten Sohn. Allein auf den Balkon, ohne Erlaubnis, das geht gar nicht! Danke, liebe Eva, für die hoch amüsante Geschichte. Liebe Grüße, Anke

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    • Das ist ja paradiesisch bei euch für den Wachposten – je ein Balkon in allen 4 Himmelsrichtungen. Ein Traum! 😄😉 Ich bin schon gespannt, ob von deiner Seite eine Geschichte folgt, was man alles auf einem norditalienischen Balkon erspähen kann. Ich vermute, es wäre ebenso spannend und amüsant. Ganz viele Grüße aus Frankfurt, Eva

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