5 Tage Streik – 4 Anreisen (Tag 4)

[Hier finden Sie die beiden Lizenzerhaltungstermine 1 und 2, sowie meine Schilderung des Fluges nach Ivalo und meinen Krankheitstag]

Die prägende Petra und ein bisschen Steak

Der Wecker klingelt und ich quäle mich aus dem Bett. 5:50 Uhr wird in diesem Eulen-Leben definitiv nicht mehr meine Lieblingszeit zum Aufstehen. Nur der Gedanke, dass ich nach dem heutigen Lizenztermin ein Jahr lang meine Ruhe vor weiteren Lizenzerhaltungsmaßnahmen habe, beflügelt mich.

Ich schlürfe in die Küche, greife zum Kokosöl und beginne eine Runde „Ölziehen“. Danach folgt ein ausführlicher Zahnputzvorgang. Blöderweise hatten wir gestern einen orientalischen Spinatsalat mit rohen Zwiebeln gegessen. Eine sehr erfrischende und leichte Speise. Doch wenn man am darauffolgenden Tag Kommandos durch Flugzeugattrappen brüllen soll, wird es nicht mehr ganz so erfrischend für die Mitleidenden vor Ort. Ein wenig spielt mir der erhöhte Zwiebelkonsum dennoch in die Karten: Man soll die zu Evakuierenden etwa eine Armlänge von sich entfernt halten. Ich glaube, das wird heute kein großes Problem sein. 😉

Schnelles Frühstück mit Keksen, Kaffee und Tee. Mein Hals und mein Ohr fühlen sich immer noch nicht ganz optimal an. Sagen wir, die beiden sind „bürogut“, aber nicht „fluggut“. Da heute mein Lizenzerhaltungstermin für die Airbus 320 Family ist und die Flugzeugattrappe keine Druckkabine aufbaut, ist alles fein. Ich kriege das auf alle Fälle hin.

So fahre ich mit der S-Bahn um 07:20 Uhr zum Hauptbahnhof, habe 10 Minuten Umsteigezeit und komme um 07:46 Uhr am Flughafen an. Dann gehe ich ein letztes Mal für dieses Jahr zum Aviation Training Center. Dort angekommen schlendere ich in unser Café „Bartesse“ und stelle mich hinter einer Gruppe an. Hinter mir stellt sich eine weitere Kollegin an und wir warten. Und warten. Und warten. Die Gruppe dreht sich nach einigen Minuten zu uns um und guckt uns an wie Autos. Keiner sagt etwas. Ich blicke etwas irritiert. Wir starren und schweigen uns an. Dann drehe ich mich zur Kollegin hinter mir um und sage: „Wartet der Pulk jetzt oder nicht? Sie gucken uns an wie Autos.“ Die Kollegin lacht und antwortet: „Sagen können Autos ja nun nichts. Vielleicht deswegen?“ Die nette Dame an der Kasse winkt uns zu sich. Am Ende stand die Gruppe bei der Ausgabe der Heißgetränke an und hatte schon längst bestellt und gezahlt. Vermutlich haben sie den Kommunikationslehrgang noch vor sich, weswegen wir uns nicht blind verstehen konnten.

In der Kantine kaufe ich mir eine große Flasche Wasser und setze mich an einen langen, weißen Tisch. Nochmals klicke ich die Testfragen durch. Dann schaue ich auf die Monitore, wo das „Recurrent A320“ heute stattfindet. Raum 104 klingt gut.

Ich betrete den Raum, unterschreibe auf der Anwesenheitsliste und setze mich zwischen zwei männliche Flugbegleiter. Einer heißt witzigerweise wie Signorino. Er ist mir gleich sympathisch. Der andere aber auch. Wir diskutieren ein bisschen über die Dienstpläne des nächsten Monats und die beiden wollen mehr über mein Teilzeit-Modell wissen. Das ist meistens so. So wenig wie ich fliege, fliegt ganz selten jemand.

Dann betritt die Emergency-Trainerin den Raum. Mitte 50, strenges Gesicht, strenger Zopf, strenger Pony. Es mag täuschen, aber alles an ihr schreit: Streng! Sie stellt sich vor: Sie heißt Petra, sei leitende Kabinenkollegin, wollte irgendwann aber nicht mehr so viel fliegen und ist jetzt in Ausbildung zur Emergency-Trainerin. Ihr zur Seite steht ein bereits ausgebildeter Trainer, Harald. Und dieser Harald habe ihr angeboten, dass sie das Training heute ganz alleine leiten darf. Harald winkt kurz in die Runde, damit alle wissen, dass der Mann mit dem Toupet Harald ist. Er wirkt weitaus weniger streng. Das mag auch an dem Toupet liegen.

Dann beginnt eine kurze theoretische Einheit: Wir besprechen Situationen, die zu Evakuierungen an Bord führen können. Alle nicken. Jasmin fragt nochmal nach, welche Flugbegleiter-Stationen (also die Positionen an den Türen), denn jetzt besetzt sein müssen. Die strenge Petra erklärt es ihr.

Falls Sie sich beim Boarding oder Deboarding gewundert haben, warum das fliegende Personal sich nicht von der Türe wegbewegt: Es hat mit einer möglichen Evakuierung zu tun. Da es jederzeit zu einer Evakuierung kommen kann, sind die Flugbegleiter dazu verpflichtet, beim Ein- und Aussteigen an ihren Türen zu stehen, es sei denn der Gang ist frei und das Kommando „Boarding completed“ fiel bereits. Das heißt, sollten Sie in der Mitte der Kabine, weit weg von einer Kabinentür um Hilfe bitten, wird Ihnen der Flugbegleiter verständlich machen, dass er sich nicht wegbewegen darf. Das ist keine Bosheit, sondern dient ihrem Schutz. Stehen zwei Kabinenkollegen an einem Türpaar, darf sich einer davon fortbewegen, denn der andere könnte im Notfall beide Türen aufmachen. Sie sehen – es ist eine Welt voller Regularien!

Nachdem alle Fragen geklärt sind, treffen wir uns am „Meeting-Point“. Das ist ein großer Warteraum mit ausrangierten Flugzeugsitzen. Die ganze Wand ist voller Bilder von Bruchlandungen, ausgebrannten Flugzeugen, Evakuierungen, Flugzeuge, die auf Wasser aufschlagen oder über die Landebahn hinaus gerollt sind. Kurzum: Szenen aus der Hölle. Seit Beginn meines Flugbegleiter-Lebens denke ich darüber nach, ob diese Bilder dort hängen, um sich auf die Prüfungen einzustimmen oder ob man die Teilnehmer testen will, wie widerstandsfähig sie bei der Betrachtung solcher Szenen sind. Bis heute weiß ich keine Antwort darauf.

Wir werden von der strengen Petra abgeholt und sie führt uns zur A320-Flugzeug-Attrappe: Es sieht genauso aus wie im Flugzeug, nur sehr viel komprimierter. Es fängt entspannt an mit dem sogenannten Türtraining:

Tür 1 ist zu öffnen in der Einstellung Flight – die Rutschen blasen auf.

Tür 2 ist zu öffnen in Park. Keine Rutsche bläst auf und es stehen Treppen oder ein Flugzeugfinger an der Tür.

Tür 3 ist wieder in Flight zu öffnen. Rutschen sollten aufblasen, tun es aber nicht. Deswegen ist der Auslösegriff zu ziehen, damit sie es schließlich doch noch tun.

Tür 4 ist zu öffnen in Park“ Es ist die 2. oder 3. Tür auf einem Airbus A321 (der mit den 4 Türpaaren und den 1-2 Flugbegleiterstationen in der Mitte). Hier ist die Besonderheit, dass die Tür verlangsamt aufgeht. Dies hat Airbus so eingestellt, weil die ursprüngliche Idee war, dass Passagiere die Türe selbstständig aufmachen sollen, wenn evakuiert wird. Macht ein Unwissender aber die Türe auf, wird er unter Umständen sogleich hinausgezogen, wenn die Türe aufschnellt wie verrückt. Und so hat man die Türen langsamer eingestellt, damit der nicht ausgebildete Passagier nicht gleich aus dem Flugzeug herausgezogen wird und 9 Meter in die Tiefe fällt.

Und last but not least: Es werden die Notfenster geöffnet. Falls Sie sich über einen Platz am Notfenster freuen: Dieses Fenster wiegt 17,5 Kilo. Sie öffnen die obere Abdeckung, ziehen mit der gangseitigen Hand den Hebel nach unten und greifen mit der fensterseitigen Hand an den unteren Griff. Dann ziehen Sie das Fenster leicht Richtung Kabine. Schlussendlich werfen Sie das Fenster einfach aus dem Fenster. Ausgestiegen wird folgendermaßen: Bein – Kopf – Bein. Ganz einfach, oder? Das ist übrigens auch der Grund, warum keine Passagiere mit gebrochenen Armen oder Beinen dort sitzen dürfen. Sie würden die Evakuierung behindern. Das gleiche gilt für Schwangere. Dies ist keine Diskriminierung, aber man hat schlichtweg Angst, dass es zu einer Verletzung von Mutter und ungeborenen Kind kommt. Also, nur wer topfit ist, darf am Notausgang sitzen.

Kurzer Exkurs: Ein Flugzeug wird nur dann als Flugzeug für den Personenverkehr zugelassen, wenn garantiert ist, dass es in 90 Sekunden durch die Hälfte aller vorhandenen Notausgänge evakuiert werden kann. Sie können sich den Tumult an Bord vorstellen, wenn evakuiert wird. Deswegen gilt: Bitte alles an Handgepäck, Taschen, etc. an Bord lassen. Es könnte Menschenleben kosten. Ihr Handgepäck ist ersetzbar. Menschenleben nicht!

Sonnenaufgänge an Bord werden nie alt.

Nach der Türenübung, bei der nochmal die Korrektheit aller Prozesse bei jedem kontrolliert wurde, geht es an die praktische Prüfung: Wir evakuieren an Land, wir landen auf Wasser und evakuieren dann (sog. Ditching, vgl. Landung auf dem Hudson River), wir überschießen die Landebahn in Nizza und gleiten ins Wasser, um dann zu evakuieren oder wir evakuieren beim Einsteigen der Fluggäste. Ich habe das große Glück, dass ich gar nicht evakuieren muss, sondern „nur“ Feuer löschen darf. Die „Waste“, also unser Trolley für den Müll, brennt. Ich quetsche mich in die Rauchschutzhaube und lösche drauf los, aber das doofe Feuer geht einfach nicht aus. Und so lösche und lösche ich. Die Kollegin neben mir gibt mir Tipps, während die andere Kollegin die Cockpit-Crew informiert. Es dauert alles relativ lang. Schließlich kriegen wir das Feuer doch noch in den Griff und dürfen uns eine Standpauke abholen. Die strenge Petra keift, dass wir zu häufig den Feuerlöscher benutzt haben, wo wir doch nur so wenige an Bord haben. Ich antworte, dass es lichterloh gebrannt hat und ich den Feuerlöscher zum Feuer löschen benutzte. „Bist du dir sicher, dass da nicht nur Rauch war?“, blafft sie mich an. Eine Kollegin eilt mir zu Hilfe und sagt, es habe lichterloh gebrannt. „Ah – dann habe ich wohl die Attrappe falsch eingestellt.“, bemerkt die strenge Petra nun. „So sollte es nicht sein.“

Ja nun.

Petra bittet unsere Gruppe kurz um ein Feedback und fragt hoffungsvoll, ob der praktische Teile jetzt so schlimm war? „Ja.“, ruft eine Kollegin. Alle lachen. Recht hat sie! „Ja, aber war ich denn streng?“, will sie von uns wissen. „Streng nicht, aber prägend.“, antwortet ein Flugbegleiterkollege aus der letzten Reihe. Besser hätte ich es nicht ausdrücken können.

Wie so eine Attrappe aussieht, können Sie hier sehen: Klick! Das ist zwar die Boeing 777 bzw. 787, aber die Halle ist die gleiche, in der die Attrappen stehen. Die Airbus A320 Attrappe ist die direkte Nachbarin der Boeing 777/787.

Bei diesem Video können Sie die ganze Halle anschauen: Klick!Und falls es ganz exklusiv sein soll: Man kann auf der dortigen Aussichtsterrasse mit Blick auf die Attrappen sogar seinen Geburtstag feiern. Aber das wäre die letzte Location, die mir dafür in den Sinn kommen würde.

Test bestanden. Kurze Pause zum Luftschnappen und Kaffee trinken. Nach 15 Minuten treffen wir uns wieder am Attrappen-Übungssammelplatz. Wir werden von der strengen Petra abgeholt und müssen einen bewusstlosen Piloten aus dem Cockpitsitz retten, gefolgt von einem Online-Schnellkurs zum Thema Türen und dem erweiterten Training an der Cockpit-Tür.

Der praktische Teil ist hiermit bestanden.

Weiter geht es im Lehrsaal. Wir besprechen eine weitere, sicherheitskritische Situation und dann werden die Testbögen und die theoretischen Tests verteilt: Auch hier habe ich bestanden! Die 320 Lizenz ist um ein Jahr verlängert. Wir verabschieden uns und ich gehe in die Freiheit!

Kaum aus der Drehtür, beschließe ich, bei der Ringeltaube, ein Shop für Flughafenmitarbeitende, vorbeizuschauen. Er liegt auf dem Weg zur S-Bahn und der Römer liebt deren Steak. Er sagt, es ist das beste Steak weit und breit und wir würden dort viel zu selten einkaufen. Also erfülle ich seinen Wunsch, kaufe zwei Steaks, die auch noch im Angebot sind, und mache die Einkaufstasche mit italienischen Keksen voll. Der Römer und Signorino reißen sich um diese spezielle Marke. Ansonsten können Sie sich den Laden folgendermaßen vorstellen: 25% der Fläche besteht aus Wein und Hochprozentigem aus aller Welt. Dann kommt eine Sektion aus Schuhen und Kleidung, sowie Make-Up und Parfüm, gefolgt von Kochutensilien und Kulinarik. Der Römer geht in der kulinarischen Abteilung total auf. Burratina, Pecorino al Tartufo, Kekse, Soßen, Riesengarnelen – es gibt hier alles.

Lieblingskekse des Mannes und des Kindes. Die gibt‘s in jeden gut sortierten Supermarkt und in der Ringeltaube. (Werbung, unbezahlt und unbeauftragt)

Ich zahle und gehe schwer bepackt zur Bahnhaltestelle. Innerhalb von 25 Minuten bin ich daheim (wenn kein Streik ist), brate mir die Pasta von gestern an (sagen Sie nicht dem Römer, dass ich Pasta anbrate) und entspanne mich ein bisschen, weil Signorino nach dem Kindergarten sicherlich noch zur Baustelle ums Eck will. Nach den Dinosauriern, ist nun die Baustelle sein liebstes Thema. Stilecht geht er dort nur mit Sicherheitsweste und Helm hin. Sein Berufswunsch ist aktuell Bauarbeiter. Das spielt uns in die Karten: Davor war sein Berufswunsch T-Rex und da habe ich mir die Realisierung dieses Wunsches relativ schwer vorgestellt. Bauarbeiter ist durchaus machbar.

Das waren nun also 3 Lizenztermine und ein Flug, sowie eine Krankmeldung, während des Bahn-Streiks, der schlussendlich um einen Tag verkürzt wurde. Was für ein Abenteuer!

10 Kommentare

  1. Liebe Eva, auch dieser Teil deiner kleinen Serie war sehr interessant und spannend zu lesen. Danke dafür, dass du uns so viel Einblick in die fliegende Welt gewährt hast. Das ist ja für alle, die nicht beruflich fliegen, ansonsten unmöglich, hinter die ✈🛩🛫 Kulissen zu schauen. 🙂
    Weiterhin guten Flug und viele Grüße Bea

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  2. Liebe Eva! Danke für deine spannenden Einblicke. Da fliege ich demnächst ruhiger, auch wenn die Crew am Freitagabend auf dem Flug von Mailand nach Frankfurt scherzt und albert wie eine Gruppe Jugendlicher beim Klassenausflug, während ich mich angesichts der Turbulenzen in meinen Sitz krampfe. Wenn es ernst wird, sind sie gut ausgebildet. Das gilt doch auch für das italienische Personal, ja? 😉
    Hab einen entspannten Sonntagabend!
    PS: Kam nur einmal vor, dass ich solch einen Eindruck hatte.

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    • Liebe Anke,
      aber absolut! Es gelten die Vorschriften der IATA und EASA. Bei den Italienern, damals noch Alitalia, habe ich mich immer sehr sicher gefühlt. Und sie waren ausgesprochen freundlich und fröhlich, und haben uns als Standby-Passagiere akzeptiert und nicht die Kollegen von der amerikanischen Airline. Das habe ich immer sehr genossen!😉 Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Und manchmal fühlt es sich auch an wie ein Klassenausflug. Das kann ich auch verstehen. Es wirkt natürlich wenig professionell. 😄

      Danke dir. Das wünsche ich dir auch! Viele, liebe Grüße, Eva

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